Montag, 27. Mai 2019

»Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang«


Früher mußte man Schillers »Lied von der Glocke« auswendig lernen — und hatte damit einen stets griffbereiten Zitatenvorrat für fast alle Lebenslagen parat. Selbst für Regierungsstürze passen ein paar Sätze (wie einst der große Hans Weigel schrieb: »Goethe wäre auch heute noch Goethe. Schiller wäre Werbetexter geworden«), wie bspw. der obzitierte.

Ja, Kurz wird sich seine Regierungsdestruktion wohl auch anders vorgestellt haben, als sie nun eingetreten ist. Und die Freiheitlichen werden sich noch wundern, was jetzt unter der Inszenierung des Bundesbellos alles möglich sein wird. Die Hintermänner in diesem coup, den man ruhig durch ein »d'état« ergänzen darf, werden sich als einzige nicht wundern — denn sie wissen ja, warum sie Bello einst ins Amt gebracht haben: für alle Fälle ...

Doch seien wir nicht zu pessimistisch! Vielleicht wächst der Hofbürger in einer Ausnahmesituation über sich hinaus und beginnt tatsächlich, unabhängig und überparteilich zu agieren. Die Chance ist nicht groß, aber immerhin gegeben. Was wäre nun in einem solchen Falle die Voraussetzung zur Bildung einer Interimsregierung?

Erstens natürlich: strikte Neutralität des »Interimskanzlers«. Der müßte sowohl in seinem »Vorleben« völlig parteifrei, als auch von allen Parteien akzeptiert werden können. Das wird in einem durch und durch mit politischen Seilschaften durchsetzten Staatsapparat wie dem Österreichs daher die Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen! Mit fällt auf Anhieb keiner ein — am ehesten noch der ehemalige Rechnungshofpräsident Fiedler, aber auch der ist, wenngleich allgemein anerkannt, so doch etwas »schwarz« punziert, aber von Honorigkeit und gutem Ruf (ein paar Anpatzversuche sind schnell als Racheakte eines im Unfrieden geschiedenen Mitarbeiters enttarnt worden) sicherlich eine mögliche Besetzung.

Die Ministerriege müßte einerseits ebenso aus möglichst immer schon parteilosen Experten bestehen, die aber — und das ist m.E. unabdingbar! — durch je einen Minister, der jeweils einer der drei größeren Parteien (ÖVP, SPÖ, FPÖ) nahesteht (wenn auch möglichst nicht asngehört!), zu ergänzen. Diese böten dann für die einzelnen Parteien die Garantie, daß sie nicht durch Ränke in der Interims-Regierung unfair ausgebootet werden, denn im Ministerrat ist die Einstimmigkeit Bedingung für alle Beschlüsse (die daher durch das Veto eines »Vertrauensministers« verhindert werden können).

Ich weiß: diese Überlegungen sind irgendwie Wünsche ans Christkind — und kommen wird's wohl ganz anders! Da werden geeichte, uralte Rote à la Heinz Fischer ins Spiel gebracht, abgehalfterte EUrokraten wie Fischler, oder verbitterte Polit-Mumien wie Heide Schmidt als Kandidaten gehandelt und unverholen ein corriger la fortune angebahnt, um die in den Augen der Polit-»Eliten« leider so »mißglückten« Nationalratswahlen 2017 ungeschehen zu machen.

Vielleicht ist es Norbert Hofer, der sich in der heutigen Debatte durch große Ruhe und Besonnenheit auszeichnete, bereits gedämmert, auf welch schlüpfrigen Pfad seine Partei sich zu begeben anschickt. Wenn ihn DiePresse in ihrem Live-Ticker zitiert:
Hofer wirkt, als wolle er die Zuneigung der ÖVP zurückerobern, als er nun einen Vergleich zieht. Es gebe Freundschaften und Beziehungen, in denen etwas vorfalle, leitet er das Thema "Ibiza-Affäre" ein: Der Inhalt des Videos sei "unentschuldbar". Aber: "Ich behaupte, es ist in einer Koalition ähnlich wie in einer Freundschaft im Leben, wo vielleicht ein Freund, ein Partner etwas tut, was unentschuldbar ist... und man sagt, das ist mit unserer Freundschaft nicht vereinbar." Gelinge es letztlich aber doch, die Schwierigkeit zu überwinden, dann funktionierten solche Freundschaften oft besser als solche, die bis dato keine Hürden nehmen mussten. Auch daher bedauere er es, dass Türkis-Blau so schnell aufgegeben worden sei.
... dann scheint wenigstens ihm der Galopp in den Regierungssturz ein wenig »ungeheuer« zu sein. Den vermutlich originellsten und sicher fairsten Beitrag zur Debatte lieferte der »wilde« Abgeordnete Efgani Dönmez:
Der mittlerweile fraktionslose Abgeordnete Efgani Dönmez, nutzt das frei gewordene Mikrofon nun für eine Stellungnahme - zur Erinnerung: Er war einst Bundesrat der Grünen, dann kurzzeitig bei der ÖVP. Dönmez hält sich mit beiden Händen am Pult fest und kritisiert sodann das "Ibiza-Video": Die darin artikulierten Berechnungen seien "die Spitze des Eisberges", denn: Die Wahlen in Österreich seien zwar frei, aber nicht fair. Tatsächlich seien Behörden stark "politisiert", die Finanzlage asymmetrisch, öffentliche Aufträge unter bestimmten Summen bräuchten keine Ausschreibung, "persönliche Freundschaften und Seilschaften" würden Unqualifizierte in Ämter hieven. Das alles seien Rückschritte, beklagt Dönmez. "Die Erosion der Demokratie geschieht so unmerklich, dass sie viele nicht wahrnehmen", bedauert er — und appelliert an die Wähler, achtsam zu sein. Dennoch: Dönmez will weder Kurz noch der Regierung das Misstrauen aussprechen, denn es sei nicht seine Art, einstigen Weggefährten in den Rücken zu fallen.
Dönmez möchte an dieser Stelle noch ein Wort des Dankes aussprechen: Heinz-Christian Strache. Und zwar dafür, dass er für das Land Engagement gezeigt habe, "auch wenn ich viele seiner Inhalte nicht geteilt habe". Dieser habe mit dem höchsten Preis bezahlt, den ein Politiker aufbringen könne.
 Mutige Worte, von denen sich manch Parlamentarier ein dicke Scheibe abschneiden könnte! Dönmez kann jedenfalls davon ausgehen, spätestens nach dieser Wortmeldung in Österreichs Politik keinen Fuß mehr auf den Boden zu bringen ...

Wie wird's also weitergehen? Im Gegensatz zu den Relotius-Schreiberlingen der Systemmedien bin ich nicht unfehlbar und allwissend.

Warten wir's einfach ab.


6 Kommentare:

Besorgter Bürger hat gesagt…

"Efgani Dönmez" - so einer kann doch schon aufgrund des Kameltreiber-Namens kein Österreicher sein. Was sucht der im Nationalrat? Schickt ihn ganz schnell zurück zu den Hammelherden in Hinternanatolien!

Le Penseur hat gesagt…

Cher "Besorgter Bürger",

ich weiß nun wirklich nicht, wer es ihnen besorgt (und was alles — und will es auch nicht wissen) — aber der bzw. die tut's offenbar nicht wirklich gut, sonst wären sie besser drauf und müßten nicht Unsinn wie Ihren obigen Kommentar verfassen.

qed hat gesagt…

Nobel von Ihnen, werter Penseur, zu erwägen, der "sprechende Aschenbecher" mit seinen "nikotinschwarzen Zähnen" (Grosz) könne vielleicht über sich hinauswachsen. Das wird nicht passieren. Jener Apparatschik spielt nämlich in der Liga der Wulffs, Gaucks und Steinmeiers. Quidquid agis, prudenter agas et respice finem- wie wahr! Oder wie Grosz hier
http://lepenseur-lepenseur.blogspot.com/2019/05/video-zum-sonntag_26.html
so trefflich vorab übersetzte: Wer anderen eine Grube gräbt...
Und Efgani Dönmez zu zitieren, war wirklich nötig. Von Grün*_Innen ins Parlament gehievt und keine Speichelleckerei gegenüber den SchreckschraubInnen praktiziert- Hut ab.
Allerdings gibt es auch Grund zur Freude. Demnächst im kakanischen Theater: Doskozil schächtet Joy-Pamela. Ein Schlachtefest wartet!

Kreuzweis hat gesagt…

Zum Namen von Efgani Dönmez:

"Dönmez" soll übrigens die Bezeichnung für (Krypto-)Juden in der Türkei sein.

Täuscht mich meine Erinnerung oder weiß jemand mehr?

Wie auch immer, immerhin wäre scheint er ein anständiger Charakter zu sein.

qed hat gesagt…

@ Penseur

Gähn. Der "besorgte Bürger" versuchte grade eine kindliche Neuauflage des Ibiza-Videos.
Es ist so: Zumeist goutieren die zahlreichen Leser Ihres Blogs die Beiträge mit stillschweigender, aber sehr wohlwollender Genugtuung, weil darin schon alles gesagt ist.
Ist aber unterhaltsam, wenn Sie uns wissen lassen, welche Lichtgestalten sich sonst noch rezomäßig hier tummeln...

Michael hat gesagt…

@Kreuzweis!

Ich halte es in dem Fall für unerheblich, ob der Dönmez Jude ist oder nicht. Es ist falsch, alle Juden in einen Topf zu werfen. Juden unterscheiden sich nach Herkunft (Aschkenasim, Sephardim od. Semiten), Glauben (es gibt auch Atheisten/Soros bis zu Satanisten/Chabad Lubawitscher) und politischer Ausrichtung. Es gibt einen Unterschied zwischen nationalistischen Juden und Globalisten/Zionisten. Übrigens: man muß kein Jude sein und kann sich trotzdem
zum Zionismus bekennen (Mathias Döpfner/Axel Springer SE)

MfG Michael!