Montag, 30. Dezember 2019

Heute vor zweihundert Jahren


... am 30. Dezember 1819, kam in Neuruppin einer der bedeutendsten Lyriker und Romanciers der gesamten deutschen Literatur zur Welt:

THEODOR FONTANE
(30. Dezember 1819 – 20. September 1898)


Theodor Fontane lernte ich schon im Gymnasium kennen; einige Balladen zunächst. Im »Fach« Deutsch, damals, als wir noch Gedichte (wenigstens ein paar, keineswegs so viel wie zu meines Vaters Zeiten) auswendiglernen mußten: »Archibald Douglas«, wenn ich mich recht erinnere — oder war es »Die Brück' am Tay« ...?

Dann die Literaturliste für die mündliche Deutsch-Matura: »Effi Briest« und »Frau Jenny Treibel« stand da bei Fontane zur Auswahl; ich nahm die Treibel — und hab's bis heute nicht bereut (obwohl mir im Gegensatz zu früher die Briest mittlerweile auch durchaus gut gefällt ... besonders der gute Innstetten, von dem schon Fontane seufzt, warum ihn die Leser (und v.a. -innen) nicht recht mögen, obwohl er doch ein »völlig tadelloser Charakter« (oder so ähnlich formuliert er's in einem Brief, den ich momentan für das exakte Zitat nicht finden kann) sei. Ja, aber Effi ist halt so »romantisch« ...

Dennoch: die Handlung der »Frau Jenny Treibel« gefiel mir schon damals, mit siebzehn, besser — und auch die mit sanfter Ironie gezeichneten Charaktere: welch prachtvolle Figuren sind doch der alte Professor Schmidt (und seine Krebse essenden Kollegen), aber auch der Kommerzienrat und bei den Frauen natürlich die Namensgeberin des Romans, aber ebenso Corinna und »Frau Schmolke«. In der Dünndruckausgabe von Fontanes Romanen, die ich mir damals kaufte, war aber noch »Irrungen-Wirrungen« und »Der Stechlin« enthalten; die Irrungen waren nach damaliger Pädagogenansicht offenbar moralisch zu »gefährlich«, um als Pflichtlektüre geeignet zu sein, und der Stechlin wohl zu »schwer« für einen Gymnasiasten ... doch gerade der wurde bis heute mein Lieblingsroman, nicht nur von Fontane, sondern vermutlich überhaupt in der gesamten Literatur, die ich kenne (und ich kenne eine Menge ...). Spätestens bei der Charakterisierung des alten Barons mit den leicht hingeworfenen Sätzen:
Paradoxen waren seine Passion. »Ich bin nicht klug genug, selber welche zu machen, aber ich freue mich, wenn's andre tun; es ist doch immer was drin. Unanfechtbare Wahrheiten gibt es überhaupt nicht, und wenn es welche gibt, so sind sie langweilig.«
... hatte der
Dichter das Herz des Lesers für den alten Herrn gewonnen, und es ist ihm bis heute treu verbunden geblieben.

Der von mir so geschätzte Reiseschriftsteller Richard Katz (dem ich aus gegebenem Anlaß einen Artikel gewidmet habe) bringt die ganz besondere Stellung Fontanes in der deutschen Romanliteratur treffend auf den Punkt:
Daß ich ihn zuerst zur Hand nahm, datiert weit zurück — bis in meine Studienzeit. Damals hatte mich ein Freund meines seligen Vaters zur gelegentlichen Mitarbeit am Feuilleton der »Vossischen Zeitung« ermutigt, das er redigierte, und mir Anfänger dabei eine rührende Geduld erwiesen, für die ich ihm stets dankbar geblieben bin. […] »Vergessen Sie nicht, was wir dem Andenken Fontanes schuldig sind!« mahnte mich Professor Alfred Klaar, als er mir ein Feuilleton zurücksandte, das nicht einmal sein wohlwollender Korrekturstift solcher Tradition hatte anpassen können. […]

Daß seine Romane gut waren, merkte ich an Vergleichen, weil die deutsche Literatur wahrlich keinen Überfluß an solchen hat. In seiner schlanken Form entspricht der Roman eher der französischen, dickbäuchig der russischen Eigenart. Stendhals »Rot und Schwarz« und Anatole Frances »Aufruhr der Engel« halte ich für die elegantesten Vertreter der Leichtgewichtsklasse, während im Schwergewicht die drei Champions Gogol, Dostojewski und Tolstoi bis heute ungeschlagen sind. Doch im reichlicher besetzten Mittelgewicht internationaler Romanliteratur stellen Fontanes Romane wacker ihren Mann, weil sie die französische Grazie seiner hugenottischen Abstammung mit der in der Tat preußischen Gründlichkeit seiner geliebten Mark Brandenburg vereinen und beide mit der humorigen Melancholie des armen Schluckers würzen, der sich geistig vom Apothekerlehrling zu literarischem Ansehen hoch-, finanziell freilich zu kläglichen Einkünften tiefgearbeitet hat. Als Apotheker hätte er auskömmlich leben können, während er als England-Korrespondent der geizigen preußischen »Kreuz-zeitung« und später als Feuilletonredakteur und Theaterkritiker der zwar angesehenen, doch verarmten »Tante Voß« nur kümmerliches Auslangen fand, und seine Romane erst richtig ins Verdienen kamen, als er schon das Zeitliche gesegnet hatte.

Obzwar Fontanes Romane seither Staub angesetzt haben — schimmernder Staub zwar, wie ihn zerriebenes Perlmutt ergäbe, doch Staub immerhin — las ich sie bald nicht nur der »Vossischen Zeitung« wegen, die damals ins splendide Zeitungsimperium der Brüder Ullstein einbezogen worden war. Über zeitgebundene Heldinnen und Helden hinaus stieß ich auf überaschend gültige Beobachtungen und Erkenntnisse. Der Lesezeichen sind viele, die jetzt noch in meinen Fontanebänden stecken. So habe ich über den Einfluß des Milieus auf die Menschen (dessen Ergebnis später die Nazis zur »Rasse« verpöbelt haben) kaum je etwas so Überzeugendes gelesen ...«

(Richard Katz: Steckenpferde, S. 244ff.)
Doch neben dem Romancier und dem Balladendichter steht ebenbürtig der Reiseschriftsteller, der Theaterkritiker und Buchrezensent — und vor allem: der Briefschreiber! Ich besitze nur einige Bände seiner zahllosen Korrespondenzen, aber ich möchte keinen davon missen: so viel Humor, Humanität und Freiheit des Urteils findet sich selten vereint!

Ist es gerecht, wenn ich mich über den Lyriker Fontane in Zurückhaltung übe? Nein, sicherlich nicht, aber die Balladen der Schulzeit haben ihn mir etwas verleidet — doch halt: mit Ausnahme seiner einfach großartigen, kurzen Altersgedichte! Zwei davon habe ich bisher in die »Hundert notwendigen Gedichte« aufgenommen, die meinem Herzen am nächsten stehen und ohne die ich nicht leben möchte! Und eines davon möge als geziemender Abschluß unter diesem Gedenkartikel stehen, wenn auch ein Gedicht über den Tod vielleicht befremdlich bei einem Gedächtnis aus Anlaß eines runden Geburtstages wirken mag:

Ausgang
Immer enger, leise, leise,
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben
Als der letzte dunkle Punkt.

4 Kommentare:

Die Anmerkung hat gesagt…

>> Theodor Fontane lernte ich schon im Gymnasium kennen ...

Hut ab vor ihrem fast biblischen Alter, verehrter Le Penseur.

Günter hat gesagt…

Vielen Dank für diese anrührenden Verse. Sie waren mir bis dato gänzlich unbekannt und haben bei mir unmittelbar den Nerv des älter und alt Werdenden getroffen. Ja, so ist es.

Ich brauchte auch meine Zeit, um Fontane für mich zu entdecken. In meinem Abitur (1976) waren im Fach Deutsch Effi Briest und Buddenbrooks die beiden Themen, zwischen denen man sich entscheiden konnte. Für mich keine Frage, dass ich den Lübecker wählte. Fontane war mir durch das zwangsweise Auswendiglernen seiner berühmten Balladen in der Mittelstufe reichlich verleidet. Ganz schön arrogant, denke ich Jahrzehnte später. Auch die Balladen sind teilweise großartig und können es jederzeit mit denne von Schiller aufnehmen.

Le Penseur hat gesagt…

Cher "Anmerkung",

wissen S' — ich bin fast so alt, wie ich mich fühle ...

;-)

Kreuzweis hat gesagt…

Ich liebe Fontane!

Wem Fontane noch nicht bekannt ist, der kann seine Bildungslücke auch mit gut vorgelesenen Hörbüchern schließen.

Ich empfehle Librivox.org und dort die vom vorzüglichen Vorleser "Hans Hafen" gelesenen Fontane Bücher.

Viel Vergnügen!