Dienstag, 3. Mai 2011

Wenn der Zweck die Mittel heiligt

... dann darf man auf fremdem Staatsterritorium Menschen ohne Prozeß umbringen, und das noch einen »Sieg über den Terrorismus« nennen. Aber eben nur dann. Und man muß sich diesfalls auch die Frage gefallen lassen, warum die Sowjetunion, wenn sie z.B. Leo Trotzkij auf mexikanischem Territorium umbringen ließ, und das als »Sieg über den Trotzkismus« feierte, nicht mit demselben Recht handelte. Oder etwa nicht?

Derlei Taten legen oft in erschütterndem Ausmaß die wahre Gesinnung von Menschen offen. Wer hätte etwa gedacht, daß ein seine Religiosität recht unverhüllt vor sich hertragender Andreas Unterberger dazu titeln könnte: »Osama bin Laden: der gute Tod«, um dann fortzufahren:
Kein Zweifel. Das ist eine rundum positive Nachricht: Die US-Armee hat in einer kühnen wie professionellen Aktion mit intensiver Vorarbeit des Geheimdienstes den Chef des Terror-Netzwerkes Al Kaida getötet
Lassen wir einmal beiseite, daß es angesichts der Nacht- und Nebelaktion mehr als zweifelhaft ist, ob der Getötete wirklich Osama bin Laden war, nehmen wir ebenso unhinterfragt zur Kenntnis, daß ebendieser den Anschlag des 11. September zu verantworten hätte — nun: wäre nicht genau das ein Mann gewesen, dem vor einem internationalen (oder von mir aus auch einem US-) Gerichtshof der Prozeß zu machen gewesen wäre? Es ist erschütternd, wenn ein gewiegter Journalist wie Unterberger in einer solchen Frage in ein tumbes »right or wrong — my country!« ausbricht — noch dazu, wo es sich doch garnicht um sein »country« handelt, sondern um die USA, welche seine mediale Schützenhilfe aus Wien wohl wirklich nicht brauchen werden!

Manfred Kleine-Hartlage bringt die entscheidende Frage auf den Punkt:
Es spricht einiges dafür, dass die Tötung von Anfang an geplant war, und diese Vermutung ist meines Wissens bis jetzt nicht dementiert worden. Die Frage ist: Warum hat man ihn überhaupt getötet?

Das ist doch nicht selbstverständlich: Die USA haben hunderte von wirklichen oder auch nur angeblichen Terroristen in Lagern und Geheimgefängnissen verschwinden lassen, angeblich, weil die nationale Sicherheit zwingend erforderte, sie zu befragen und sogar zu foltern. Dieser Mann aber, Osama bin Laden, der der oberste Terrorist des Planeten gewesen sein soll: Den wollte man nicht verhören?

Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf zu erfahren, was genau am 11. September 2001 geschah, und ein Prozess gegen Bin Laden wäre das geeignete Forum gewesen, alle Fakten zur öffentlichen Prüfung auf den Tisch zu legen. Dieser Prozess kann nun nicht mehr stattfinden. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Bin Laden genau deswegen sofort sterben musste. Tote reden nicht.

Wenn es das Ziel der USA sein sollte, den Muslimen die Segnungen des demokratischen Rechtsstaats nahezubringen – für wie realistisch man diesen Versuch auch immer halten mag –, so werden sie diesem Ziel nicht dadurch näherkommen, dass sie den Genickschuss als Mittel der Politik legitimieren. Wenn es freilich ihr Ziel ist, völlige Skrupellosigkeit im Umgang mit ihren Feinden zu demonstrieren, so ist ihnen dies gelungen. Ich warne davor, sich damit zu trösten, es habe ja „den Richtigen getroffen“. Wenn Instanzen, die sich damit über Recht, Gesetz und Moral hinwegsetzen, sich anmaßen zu entscheiden, wer „der Richtige“ ist, dann kann es morgen Jeder sein.
Wenn nicht bloß der Zweck die Mittel heiligt, sondern sogar der bloße Status als Supermacht sich schon heiligend auf alle ihre Handlungen auswirkt, dann haben wir ein System, von welchem die Genozide der Nazis oder der Türken, die bestialischen Massenmorde des Stalinismus, der Kulturrevolution, oder der Roten Khmer sich nur quantitativ, nicht qualitativ abheben!

Unterberger wird sich daher die Frage gefallen lassen müssen, ob das das Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und politischer Moral ist, welches er als Maßstab setzt. Und er komme uns nicht mit dem Argument, es handle sich dabei quasi um eine »Notwehrhandlung« gegenüber einem Terroristen. Ja, das hätte man vielleicht am 11. September noch argumentieren können, oder gleich danach, als eine unmittelbare Wiederholungstat nicht auszuschließen war! Aber nicht ein Jahrzehnt später, denn auch das Erschießen eines geiselnehmenden Bankräubers mag durch Notwehr wohl gerechtfertigt sein — nicht aber, ihn Jahre später in seiner Wohnung aufzuspüren und durch Kopfschuß zu liquidieren!

Das ist nämlich ein Unterschied, der sogar einem Nicht-Juristen, umso mehr aber einem Juristen wie Unterberger klar sein sollte.

6 Kommentare:

Volker hat gesagt…

Ich sehe es so wie Unterberger.
Jedes System funktioniert nur innerhalb bestimmter Grenzen.
Die Moslems wissen das und operieren außerhalb dieser. Das machen die Palästinenser mit ihren Raketenangriffen. Und das machen die von Osama geleiteten oder inspirierten Selbstmordattentäter.

Es ist nicht schön, was die Amis gemacht haben. Trotzdem halte ich es für angemessen.
Osama führte den heiligen Krieg. Er ist in seinem Krieg gefallen.

CK hat gesagt…

Sehe ich vollkommen anders. Im Krieg geht es darum den Feind zu töten. Jedenfalls solange er sich nicht ergibt. Gegen Exekutionen von Kriegsgefangenen wäre ich auch. Es gibt schon auch im Krieg Spielregeln.

Das hier war aber ein bewusster letaler Angriff auf den Feind oder eine versuchte Festnahme mit finalem Rettungsschuss. Beides absolut legitim.

Würde nichts Anderes sagen, wenn Deutschland, Österreich oder sonstwer so handeln würden.

Dass es besser wäre, wir würden in einer Welt leben in der man Verbrecher weltweit jagen und vor ein Gericht bringen kann, ist aber klar. Aus diversen Gründen, die ganze Bücher füllen könnten, ist dies aber nunmal leider so nicht möglich. Bis hin zu Staaten, die Terroristen schützen.

Pakistan ist im Übrigen ein (Bürger-)Kriegsgebiet.

Insofern sage ich als Liberaler: gut dass der Staat mal eine seine Kernaufgaben erfüllt hat statt die eigenen Bürger zu drangsalieren.

Bellfrell hat gesagt…

Werter Penseur!

Der Tyrannenmord (Terroristen sind gleichzusetzen mit Tyrannen) hatte im Lauf der Geschichte immer schon eine große Akzeptanz. Ob man diesen nun in seiner "Wohnung" (die laut Berichten ja einer Festung gleich armiert war) oder im Zuge "heiliger Kriegshandlungen" liquidiert, ist einerlei.

Sieht man sich die derzeitigen Bemühungen der internationalen Staatengemeinschaften an, Gaddafi zu liquidieren und das unter Zuspruch auch all jener, die nach der Operation Geronimo plötzlich zu moralistischen Bedenkern werden, so ist das ohnehin sehr heuchlerisch.

Der Versuch der westlichen Staaten, Menschenrechte konsequent auch gegenüber jenen anzuwenden, die ihrerseits diese Rechte permanent mit Füßen treten, ist zum Scheitern verurteilt.

Ich mache mir selbstverständlich keinerlei Illusionen, daß mit der Tötung Bin Ladens der Terrorismus geschwächt wird, aber ich erliege ebensowenig der Illusion von Hartlage, daß ein Verhör Bin Ladens auch nur eine einzige brauchbare Erkenntnis zu Tage gefördert hätte.

Der Zweck heiligt die Mittel nicht, aber manchmal gibt es keine andere Wahl.

Le Penseur hat gesagt…

@Volker:

Jedes System funktioniert nur innerhalb bestimmter Grenzen.
Die Moslems wissen das und operieren außerhalb dieser.


Aber das ist doch das gemeinsame Kennzeichen aller Verbrecher! Ein Bankräuber stellt keinen Kreditantrag, sondern nimmt den Kassier als Geisel und erpreßt Geld. In der konkreten Situation kann man Notwehr/Nothilfe u.U. gerechtfertigt sein — aber nicht zehn Jahre später, wenn der Bankräuber in Brasilien sitzt. Da kann die Bank auch nicht den Killer losschicken mit dem Auto und Auftrag: »Fahr ihn platt!« Nach Ihrer Argumentation wäre sonst zumindest jeder Mörder frei zum Abschuß ohne Prozeß. Ich hoffe, Sie verstehen, daß mich das als Jurist nicht ganz befriedigt ...

Es ist nicht schön, was die Amis gemacht haben. Trotzdem halte ich es für angemessen.
Osama führte den heiligen Krieg. Er ist in seinem Krieg gefallen.


1. Es ist nicht nur »nicht schön«, sondern verbrecherisch (sofern die Amis das gemacht haben, was sie gemacht zu haben behaupten, was ich für fragwürdig halte. Sofern nicht, ist es u.U. noch verbrecherischer!). Und vermutlich kontraproduktiov und dumm dazu.

2. Osama führte keinen Krieg, sondern war (unter der Annahme, daß das, was die USA behaupten, so zutrifft, s.o.) ein Verbrecher. Verbrecher werden (außer im Notwehr/Nothilfe-Fall) nach einem Prozeß bestraft und ggf. hingerichtet, nicht vor einem solchen ermordet.

3. Unterstellen wir aber, daß es sich dabei wirklich um einen Krieg handelte, dann wäre internationales Kriegsrecht einzuhalten gewesen. Ersparen Sie mir die Ausführungen, warum das nicht der Fall war — es ist wohl evident!

@CK:

Das hier war aber ein bewusster letaler Angriff auf den Feind oder eine versuchte Festnahme mit finalem Rettungsschuss. Beides absolut legitim.

Würde nichts Anderes sagen, wenn Deutschland, Österreich oder sonstwer so handeln würden.


Der »Rettungsschuß« war eine gezielte Exekution, machen Sie sich doch nichts vor! Es war ja nicht so, daß da zufällig ein paar GIs durch Pakistan schlenderten und der pöhse Osama sie zu erschießen versuchte, und sie sich wehren mußten!

Insofern sage ich als Liberaler: gut dass der Staat mal eine seine Kernaufgaben erfüllt hat statt die eigenen Bürger zu drangsalieren.

Dieser Liberalismus, der es ins Belieben einer Regierung stellt, Menschen ohne Prozeß zu töten und ins Meer zu entsorgen, wil mir nicht recht gefallen. So »liberal« ist nämlich auch Saudi-Arabien, das derlei mit »Terroristen« ebenfalls macht. Wobei die Definition, was ein »Terrorist« ist, der Deutungshoheit der exekutierenden Regierung unterfällt. Ach, erklären Sie mir noch ganz kurz, was da eigentlich der Unterschied zu den Exekutionen durch die Tschekisten unter Stalin ist — ich blick' da nicht ganz durch ....

@bellfrell:

Der Tyrannenmord (Terroristen sind gleichzusetzen mit Tyrannen) hatte im Lauf der Geschichte immer schon eine große Akzeptanz.

Nego paritatem! Ein Terrorist ist kein Tyrann. Und auch Tden darf man nur ermorden, wenn sein Sturz (+ Prozeß) nicht möglich bzw. zumutbar ist. Trifft auf das Verhältnis USA — bin Laden wohl nicht zu!

... ich erliege ebensowenig der Illusion von Hartlage, daß ein Verhör Bin Ladens auch nur eine einzige brauchbare Erkenntnis zu Tage gefördert hätte.

Ich glaube, Sie unterstellen hier Kleine-Hartlage Illusionen, die er wohl nicht hat. Denn meine Einschätzung, daß nicht Osama bin Laden, sondern vielmehr die US-Regierung einen fair geführten Prozeß (d.h. ohne bestochene Zeugen, gefälschte Geheimdienstunterlagen und unter Druck gesetzte Richter) noch weit mehr zu fürchten gehabt hätte, teilt auch er.

Und ich stimme Ihnen zu, daß ein Verhör bin Ladens den USA wohl keine einzige brauchbare Erkenntnis gebracht hätte. Nur im Grund zu dieser Annahme dürften wir »etwas« andere Einschätzungen vertreten ... ;-)

Der Zweck heiligt die Mittel nicht, aber manchmal gibt es keine andere Wahl.

Doch, hätte es gegeben (s. Kleine-Hartlage). Aber man wolte nicht!

Corax hat gesagt…

Die ganze Osama-Story halte ich für einen modernen Mythos. Dichtung und Wahrheit sind da nicht voneinander zu trennen. Es mag ja einen Osama bin Laden gegeben haben, aber diese Tatsache ist sehr bedeutungslos, und alles, was über ihn erzählt wird, ist zweifelhaft, inclusive der Behauptung, daß er der eigentliche Verursacher des 11. Septembers sei. Ist er nun seit 2001 tot oder erst seit dem 2. Mai 2011 oder lebt er gar noch? Hat er den 11. September verursacht oder nicht? Niemand weiß das. Man kann nur glauben. Suche dir die Wahrheit aus, an die du glauben willst, werde Anhänger der Mythenversion, die dir behagt. Oder kümmere dich nicht darum - das wäre noch die beste Lösung, wie mir scheint, denn welchen Sinn hat es, sich für eine Mythenversion zu entscheiden und daran zu glauben, wenn man genauso gut auch andersherum glauben könnte? Besser scheint es mir, den gesamten Mythos abzulehnen. Die Osama-Ikone als das zu sehen, was sie ist: eine falsche Ikone.

Ich brauche die Gestalt Osama nicht, um mir Reime auf die Wirklichkeit zu machen, die mich umgibt, in der ich drinstecke.

Zur dieser Wirklichkeit gehört allerdings die Tatsache der Mythenfabrikation. Nicht der Mythos ist die Wirklichkeit, sondern seine Fabrikation und seine Verbreitung. Und die Botschaften und Glaubensinhalte, die damit in unseren Köpfen installiert werden sollen. Ohne die Installation dieser Glaubensinhalte in unseren Köpfen ist Machtausübung in der modernen Welt nicht möglich. Man stelle sich vor: Zeitungen werden gedruckt und niemand liest sie; Sendungen werden gesendet und niemand schaut sie sich an; Politiker halten Reden und niemand, niemand hört ihnen zu... Soweit wird es niemals kommen.

Die Medien, das ist der Klerus einer Art modernen Religion. Einer "Art" Religion – einer Abart! Der Imperativ der Medien: Tolle lege – Nimm und friß! Und alle fressen.

Wunderbar, die Sehnsucht der Massen nach Glaube, diese Inbrunst, dieser unersättliche Durst danach, Botschaften zu glauben, die aus dem Äther kommen. Dieser Durst nach Sein, der niemals gesättigt wird, da immer nur mit Schein getränkt wird.

Anonym hat gesagt…

Danke, Penseur, für diesen Artikel - er erspart mir einen sehr ähnlichen Kommentar beim ansonsten von mir sehr geschätzten Herrn Unterberger.

MfG,
Tom