... starb hochbetagt im 84. Lebensjahr der frühere Botschafter Österreich-Ungarns beim Quirinal, d.h. dem italienischen Königshof, Heinrich Graf von Lützow zu Drey-Lützow und Seedorf (der überaus informative Wikipedia-Artikel über diesen gewiegten Karrierediplomaten alter Schule liefert zu ihm alle biographischen Hinweise). Besagter Graf Lützow wurde auf diesem Blog im letzten Sommer anläßlich des Gedenkens an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs mit Auszügen aus seinen gelegentlich antiquarisch noch erhältlichen, höchst lesenswerten Erinnerungen »Im diplomatischen Dienst der k.u.k. Monarchie«, (erst 1971, also lang nach seinem Tode, herausgegeben) zitiert (I – II – III – IV – V).
Sicher — dieser Berufsdiplomat war keine jener Gestalten, die um die Jahrhundertwende das Geschick der Völker Europas und der Welt »gestaltete«, dazu war sein Posten — bei aller protokollarischen Höhe, von der wir uns heute, wo jeder Kleinstaat auf der ganzen Welt »Botschafter« entsendet, was früher nur im diplomatischen Verkehr der traditionellen Großmächte untereinander (sic!) üblich war, ja gar keinen Begriff machen können — einfach nicht bedeutend genug. Dennoch: wäre der k.u.k. Außenminister Graf Aerenthal auf Lützows Überlegungen hinsichtlich Italien besser eingegangen, hätte zumindest eine dauernde italienische Neutralität (die dann keineswegs auszuschließen gewesen wäre!) die Gewichte im Ersten Weltkrieg entscheidend zugunsten der Mittelmächte verschoben, und so wohl zu einem anderen Ausgang geführt. Gar nicht zu denken, was (bei der traditionellen Animosität zwischen Italien und Frankreich auch durchaus vorstellbar!) ein etwaiger Kriegseintritt Italiens an der Seite seiner Dreibund-Verbündeten bedeutet hätte! Hier wäre Frankreich durch den notwendigen Schutz der Grenze gegen Italien wohl im Norden gegen die deutsche Heeresleitung schrittweise ins Hintertreffen geraten — und ob dann die Regierung der USA sich entschlossen hätte, an der Seite der mutmaßlichen Verlierer in einen beim Volk höchst unpolulären Krieg einzutreten, darf zumindest in Zweifel gezogen werden.
So beweist die Geschichte immer wieder, daß selbst scheinbare »Nebenschauplätze« von Politikern oft zu Unrecht vernachlässigt werden. Aerenthals legendäre Frage in der Bosnienkrise von 1908 an seinen Botschafter Lützow: »Kannst Du mir garantieren, daß Deine Katzelmacher Ruhe geben?« — um dann, post festum, sobald Bosnien eingesackt war, völlig intransigent alle Vorschläge Lützows, Italien für sein maßvolles Verhalten in dieser Sache mit einer Kleinigkeit zu »belohnen«, abzuschmettern — werden von Lützow in seinen Memoiren als »Katastrophenpolitik« charakterisiert. Vielleicht ist dieser Begriff etwas zu scharf im Urteil, und sicherlich bestand bei Lützow ein (verständliches) Ressentiment gegenüber dem Mann, der ihn mit der recht originellen Begründung: »Du hast Deine Sache ja gut gemacht, aber jetzt soll es halt ein anderer machen«, von seinem Posten hinterrücks abgeschossen hatte.
Dennoch: wer wie Lützow nach seiner Kaltstellung im Jahr 1910 erleben mußte, daß sein Nachfolger Kajetan Mérey von Kapos-Mére, mit geringem Geschick alles an Aufbauarbeit zerstörte, was Lützow in seinen Botschafterjahren in geduldiger Kleinarbeit aufgebaut hatte, der hat auch ein Recht, verbittert zu sein. Lützow erlebte hier in etwas kleinerem Maßstab exakt das, was Reichskanzler Fürst Bülow mit seinem Nachfolger Bethmann Hollweg widerfuhr: ein Diplomat mit weltmännischem Geschick, für sein Land Vorteile herauszuholen, ohne daß ihm die Gegenseite allzu gram ist, muß miterleben, wie sein weit weniger geschickter, dafür von seinen »Doktrinen« und »Prinzipien« umso felsenfester überzeugter Nachfolger von Fallstrick zu Fallstrick stolpert. Tantalusqualen waren es wohl, was Graf Lützow (oder ein Fürst Bülow) dabei empfunden haben muß!
Lützow war zwar noch als Mitglied des Herrenhauses (und als langjähriger Präsident des Wiener Jockey Club) von einer gewissen politisch-gesellschaftlichen »Prominenz«, aber sein vorgerücktes Alter verhinderte, daß er während des Ersten Weltkrieges noch einmal reaktiviert wurde. In der Zeit der Ersten Republik wollte sich der überzeugte Monarchist ohnehin nicht mehr engagieren. Erst in den 1930er-Jahren, als die Witwe des Kronprinzen Rudolph, Stephanie von Belgien, nunmehrige Fürstin Lonyay, ihre Memoiren (»Ich sollte Kaiserin werden«) veröffentlichen wollte, geriet der inzwischen hochbetagte Graf Lützow wieder ein wenig in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, denn Stephanie verlangte vom Verleger (zu dessen geringer Begeisterung), daß nur Lützow, zur Zeit ihrer Verlobung mit Kronprinz Rudoph als junger Legationssekretär in Brüssel akkreditiert, als einziger Mann ihres vollsten Vertrauens die Herausgabe ihrer Memoiren überwachen dürfe — nun, Gott sei Dank waren damals die Erinnerungen des alten Botschafters noch nicht publiziert, denn die frühere Kronprinzessin hätte dort einige doch eher wenig schmeichelhafte Charakterisierungen des »unreifen Backfischs«, den da der österreichisch-ungarische Kronprinz heiraten sollte, lesen müssen.
1934 starb nach fünfundfünfzig Jahren Ehe Lützows geliebte Gattin, die er als junger Diplomat in den Niederlanden kennengelernt hatte. Nur knapp ein Jahr später folgte er ihr ins Grab.
Wie so vielen seiner Altersgenossen (also um/nach 1850 geboren) war Lützow kein »rundes« Leben beschieden. Die glücklicheren unter ihnen waren wohl die, die noch relativ jung, ca. mit sechzig, also vor der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, verstarben — sie quälten vielleicht Ahnungen kommender Schrecken. Diejenigen, die die Geschehnisse des Weltkriegs, die an Opfern und Leiden alles vorherige, wenigstens seit den Napoleonischen Kriegen, übertrafen, miterleben mußten, waren bereits in einem Alter, in dem für gewöhnlich die Annahme eines völlig neuen Systems nicht mehr leicht möglich war. Großgeworden in Monarchien, mit Begriffen von Takt und Anstand erzogen, wollten ihnen die doch eher plebejischen Republiken nach 1918 nicht recht gefallen. Wer wie Lützow gar bis in die Nazi-Zeit lebte, konnte wohl schwer Begeisterung für die marodierenden SA-Horden aufbringen, wenn er einst Hofzeremoniell gewohnt war — und die selbstverständlichen Ahnenproben der Malteser-Ritter waren halt doch was anderes als ein Ariernachweis.
Lützow verfaßte seine Memoiren zur Zeit des Bundeskanzlers Ignaz Seipel, den er als Staatsmann und Mensch gleichermaßen achtete, und vermerkte darin etwas wehmütig, daß er Menschen der jüngeren Generationen verstehen könne, die unter einem Bundeskanzler wie Seipel den alten monarchistischen Überzeugungen untreu würden, und ihre Arbeitskraft auch einem republikanischen Staat zur Verfügung stellten.
Seinen Abschlußbericht an Aerenthal hatte er 1910 mit dem leicht abgewandelten klassischen Zitat: »Feci, quod potui, faciant meliora sequentes!« (»Ich tat, was ich vermochte; mögen es meine Nachfolger besser tun!«) beendet. Es war ihm nicht vergönnt, diese Hoffnung bestätigt zu erfahren ...
Sicher — dieser Berufsdiplomat war keine jener Gestalten, die um die Jahrhundertwende das Geschick der Völker Europas und der Welt »gestaltete«, dazu war sein Posten — bei aller protokollarischen Höhe, von der wir uns heute, wo jeder Kleinstaat auf der ganzen Welt »Botschafter« entsendet, was früher nur im diplomatischen Verkehr der traditionellen Großmächte untereinander (sic!) üblich war, ja gar keinen Begriff machen können — einfach nicht bedeutend genug. Dennoch: wäre der k.u.k. Außenminister Graf Aerenthal auf Lützows Überlegungen hinsichtlich Italien besser eingegangen, hätte zumindest eine dauernde italienische Neutralität (die dann keineswegs auszuschließen gewesen wäre!) die Gewichte im Ersten Weltkrieg entscheidend zugunsten der Mittelmächte verschoben, und so wohl zu einem anderen Ausgang geführt. Gar nicht zu denken, was (bei der traditionellen Animosität zwischen Italien und Frankreich auch durchaus vorstellbar!) ein etwaiger Kriegseintritt Italiens an der Seite seiner Dreibund-Verbündeten bedeutet hätte! Hier wäre Frankreich durch den notwendigen Schutz der Grenze gegen Italien wohl im Norden gegen die deutsche Heeresleitung schrittweise ins Hintertreffen geraten — und ob dann die Regierung der USA sich entschlossen hätte, an der Seite der mutmaßlichen Verlierer in einen beim Volk höchst unpolulären Krieg einzutreten, darf zumindest in Zweifel gezogen werden.
So beweist die Geschichte immer wieder, daß selbst scheinbare »Nebenschauplätze« von Politikern oft zu Unrecht vernachlässigt werden. Aerenthals legendäre Frage in der Bosnienkrise von 1908 an seinen Botschafter Lützow: »Kannst Du mir garantieren, daß Deine Katzelmacher Ruhe geben?« — um dann, post festum, sobald Bosnien eingesackt war, völlig intransigent alle Vorschläge Lützows, Italien für sein maßvolles Verhalten in dieser Sache mit einer Kleinigkeit zu »belohnen«, abzuschmettern — werden von Lützow in seinen Memoiren als »Katastrophenpolitik« charakterisiert. Vielleicht ist dieser Begriff etwas zu scharf im Urteil, und sicherlich bestand bei Lützow ein (verständliches) Ressentiment gegenüber dem Mann, der ihn mit der recht originellen Begründung: »Du hast Deine Sache ja gut gemacht, aber jetzt soll es halt ein anderer machen«, von seinem Posten hinterrücks abgeschossen hatte.
Dennoch: wer wie Lützow nach seiner Kaltstellung im Jahr 1910 erleben mußte, daß sein Nachfolger Kajetan Mérey von Kapos-Mére, mit geringem Geschick alles an Aufbauarbeit zerstörte, was Lützow in seinen Botschafterjahren in geduldiger Kleinarbeit aufgebaut hatte, der hat auch ein Recht, verbittert zu sein. Lützow erlebte hier in etwas kleinerem Maßstab exakt das, was Reichskanzler Fürst Bülow mit seinem Nachfolger Bethmann Hollweg widerfuhr: ein Diplomat mit weltmännischem Geschick, für sein Land Vorteile herauszuholen, ohne daß ihm die Gegenseite allzu gram ist, muß miterleben, wie sein weit weniger geschickter, dafür von seinen »Doktrinen« und »Prinzipien« umso felsenfester überzeugter Nachfolger von Fallstrick zu Fallstrick stolpert. Tantalusqualen waren es wohl, was Graf Lützow (oder ein Fürst Bülow) dabei empfunden haben muß!
Lützow war zwar noch als Mitglied des Herrenhauses (und als langjähriger Präsident des Wiener Jockey Club) von einer gewissen politisch-gesellschaftlichen »Prominenz«, aber sein vorgerücktes Alter verhinderte, daß er während des Ersten Weltkrieges noch einmal reaktiviert wurde. In der Zeit der Ersten Republik wollte sich der überzeugte Monarchist ohnehin nicht mehr engagieren. Erst in den 1930er-Jahren, als die Witwe des Kronprinzen Rudolph, Stephanie von Belgien, nunmehrige Fürstin Lonyay, ihre Memoiren (»Ich sollte Kaiserin werden«) veröffentlichen wollte, geriet der inzwischen hochbetagte Graf Lützow wieder ein wenig in die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, denn Stephanie verlangte vom Verleger (zu dessen geringer Begeisterung), daß nur Lützow, zur Zeit ihrer Verlobung mit Kronprinz Rudoph als junger Legationssekretär in Brüssel akkreditiert, als einziger Mann ihres vollsten Vertrauens die Herausgabe ihrer Memoiren überwachen dürfe — nun, Gott sei Dank waren damals die Erinnerungen des alten Botschafters noch nicht publiziert, denn die frühere Kronprinzessin hätte dort einige doch eher wenig schmeichelhafte Charakterisierungen des »unreifen Backfischs«, den da der österreichisch-ungarische Kronprinz heiraten sollte, lesen müssen.
1934 starb nach fünfundfünfzig Jahren Ehe Lützows geliebte Gattin, die er als junger Diplomat in den Niederlanden kennengelernt hatte. Nur knapp ein Jahr später folgte er ihr ins Grab.
Wie so vielen seiner Altersgenossen (also um/nach 1850 geboren) war Lützow kein »rundes« Leben beschieden. Die glücklicheren unter ihnen waren wohl die, die noch relativ jung, ca. mit sechzig, also vor der Katastrophe des Ersten Weltkriegs, verstarben — sie quälten vielleicht Ahnungen kommender Schrecken. Diejenigen, die die Geschehnisse des Weltkriegs, die an Opfern und Leiden alles vorherige, wenigstens seit den Napoleonischen Kriegen, übertrafen, miterleben mußten, waren bereits in einem Alter, in dem für gewöhnlich die Annahme eines völlig neuen Systems nicht mehr leicht möglich war. Großgeworden in Monarchien, mit Begriffen von Takt und Anstand erzogen, wollten ihnen die doch eher plebejischen Republiken nach 1918 nicht recht gefallen. Wer wie Lützow gar bis in die Nazi-Zeit lebte, konnte wohl schwer Begeisterung für die marodierenden SA-Horden aufbringen, wenn er einst Hofzeremoniell gewohnt war — und die selbstverständlichen Ahnenproben der Malteser-Ritter waren halt doch was anderes als ein Ariernachweis.
Lützow verfaßte seine Memoiren zur Zeit des Bundeskanzlers Ignaz Seipel, den er als Staatsmann und Mensch gleichermaßen achtete, und vermerkte darin etwas wehmütig, daß er Menschen der jüngeren Generationen verstehen könne, die unter einem Bundeskanzler wie Seipel den alten monarchistischen Überzeugungen untreu würden, und ihre Arbeitskraft auch einem republikanischen Staat zur Verfügung stellten.
Seinen Abschlußbericht an Aerenthal hatte er 1910 mit dem leicht abgewandelten klassischen Zitat: »Feci, quod potui, faciant meliora sequentes!« (»Ich tat, was ich vermochte; mögen es meine Nachfolger besser tun!«) beendet. Es war ihm nicht vergönnt, diese Hoffnung bestätigt zu erfahren ...
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