Freitag, 26. September 2014

Ein bekannter Satz

... aus der Feder von Karl Kraus lautet: »Mir fällt zu Hitler nichts ein.«

Sehen S', und genau so geht es mir bei Martin Heidegger, der heute vor 125 Jahren das Licht der Welt erblickte: zu ihm fällt mir nichts ein. Nun, das ist irgendwie ungerecht, doch nicht zu ändern ...

Auch Kraus fiel zu Hitler dann doch das eine oder andere ein. Und mit Heidegger und mir wird's nicht anderes stehen, fürchte ich. Ich erinnere mich an einen langen Urlaubsaufenthalt in den 80er-Jahren auf den britischen Inseln: ich logierte damals als Gast — oder besser gesagt: Urlaubs-house-keeper — bei einem befreundeten Philosophieprofessor, und las mich bei mehr als mäßigem Wetter verzweifelt durch seine Bibliothek, soweit ich nicht damit beschäftigt war (und das war offengestanden der eigentliche Grund meines Dortseins), einer netten, jungen Dame den Hof zu machen — leider nur für diesen Sommer erfolgreich ... aber wer weiß, ob's so nicht besser war ... Das heißt: LaPenseuse weiß es natürlich ... ... Nämlich, daß es so besser war (sagt sie). Damals kannte sie mich freilich noch nicht ...

Und da stand im Regal halt auch »Sein und Zeit« — muß man ja schon irgendwie gelesen haben! Also — die junge Dame war gerade ein paar Tage verreist, und das Wetter war besonders schlecht, dafür in der Bibliothek ein gemütlicher Kamin — beißen wir uns da durch ...

Ich habe Kants »Kritik der reinen Vernunft« im Originaltext gelesen (und das ist schon circa eine Mischung aus Veronal und chinesischer Wasserfolter) — aber selbst die war gegen einen Heidegger quasi ein süffig zu konsumierender Kriminalroman! »Sein und Zeit« las ich also, und las ich .... und blätterte zurück, und wieder vor ... und las, und schüttelte den Kopf, weil ich null Ahnung hatte, was diese neue, gestelzte Definition von verqueren Banalitäten jetzt wieder solle, aber warten wir ab, vielleicht klärt sich's noch ... ... bis ich zur Seite 87 kam. Denn dortselbst stand:
Das im folgenden noch eingehender zu analysierende Verstehen (vgl. § 31) hält die angezeigten Bezüge in einer vorgängigen Erschlossenheit. Im vertrauten Sich-darin-halten hält es sich diese vor als das, worin sich sein Verweisen bewegt. Das Verstehen läßt sich in und von diesen Bezügen selbst verweisen. Den Bezugscharakter dieser Bezüge des Verweisens fassen wir als bedeuten. In der Vertrautheit mit diesen Bezügen »bedeutet« das Dasein ihm selbst, es gibt sich ursprünglich sein Sein und Sein-können zu verstehen hinsichtlich seines In-der-Welt-seins. Das Worumwillen bedeutet ein Um-zu, dieses ein Dazu, dieses ein Wobei des Bewendenlassens, dieses ein Womit der Bewandtnis. Diese Bezüge sind unter sich selbst als ursprüngliche Ganzheit verklammert, sie sind, was sie sind, als dieses Be-deuten, darin das Dasein ihm selbst vorgängig sein In-der-Welt-sein zu verstehen gibt. Das Bezugsganze dieses Bedeutens nennen wir die Bedeutsamkeit. Sie ist das, was die Struktur der Welt, dessen, worin Dasein als solches je schon ist, ausmacht. Das Dasein ist in seiner Vertrautheit mit der Bedeutsamkeit die ontische Bedingung der Möglichkeit der Entdeckbarkeit von Seiendem, das in der Seinsart der Bewandtnis (Zuhandenheit) in einer Welt begegnet und sich so in seinem An-sich bekunden kann.
An dieser Stelle schloß ich das Buch, und öffnete es diesen Sommer nicht wieder. Ich schenkte mir einen irischen Whiskey (Bushmill's Single Malt, wenn ich mich recht erinnere) ein, entzündete eine gute Havanna — der abwesende Hausherr rauchte auch Pfeife, also hatte ich da keine Bedenken, und damals war man ja ohnehin nicht so pingelig —, betrachtete das Ölportrait seines Großvaters über dem Kamin (als schneidiger junger Kavallerie-Leutnant), und dachte bei mir: »Das Worumwillen bedeutet ein Um-zu, dieses ein Dazu, dieses ein Wobei des Bewendenlassens, dieses ein Womit der Bewandtnis ... ... ach was, Heidegger, altes Haus: leck mich doch ...!«

Und ich nippte am Glas und dachte an meine junge Freundin, und daran, was wir machen könnten (und bei Schlechtwetter wohl sicher auch würden☺...), wenn sie wieder zurück wäre, und hörte am Bilbiotheksfenster leichtes Mauzen — der Kater des Hausherrn hatte vom Regen genug, und wollte rein — und ich fühlte mich nüchtern-trunken wie in einem flow-Zustand einer Zuhandenheit, die sich in einem An-sich bekundete ...

Vielleicht versäumte ich auf diese — doch recht verkürzte — Art und Weise der Heidegger-Rezeption existentialistische Einsichten, die mir mein Leben lang fehlen werden. Seit damals freilich sind fast dreißig Jahre vergangen, ohne daß sich deren Fehlen für mich erkennbar manifestiert hätte.

Sonst fällt mir zu Heidegger nichts ein. Und, um Karl Kraus zu zitieren: »Ich bin mir bewußt, daß ich mit diesem Resultat längeren Nachdenkens und vielfacher Versuche, das Ereignis und die bewegende Kraft zu erfassen, beträchtlich hinter den Erwartungen zurückbleibe.«

Das muß ich halt riskieren.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Oh Mann.
Dagegen sind die Jungs hier Waisenknaben:

https://www.youtube.com/watch?v=hmyuE0NpNgE