... starb Joseph Marx, wohl der letzte Großmeister der spätromantisch-tonalen Musik in Österreich (den deutlich jüngeren Gottfried v. Einem würde ich im Vergleich doch nur als »tonalen Meister« geltenlassen), und was wäre zur 50. Wiederkehr seines Todestages und in Anbetracht der Jahreszeit eine geeignetere Einleitung als der Beginn des hymnisch dahinströmenden 1. Satzes der monumentalen »Herbstsymphonie« (leider nur als Youtube-Link verfügbar, da das »Einbetten« nicht zugelassen wird. Ebenso nur in Exzerpten veröffentlicht hier der zweite und dritte, sowie der letzte Satz) ...
Daß diese großartige Symphonie mit ihrem gewaltigen Orchesterapparat und ihrer Überlänge von ca. 75 Minuten kein ständiger Gast in den Konzertsälen sein würde, war vorherzusehen — aber daß sie nach ihrer Uraufführung jahrzehntelang überhaupt nicht aufgeführt, und von ihr auch bis heute keine vollständige Aufnahme veröffentlicht wurde, grenzt an Kulturschande! Doch so ist Österreich ...
Wie bei allen zwischen 1933 und 1945 nicht emigrierten Künstlern werden bis heute Leben und Werk dieses Komponisten bloß unter der Uhrmacherlupe des Antifaschismus beäugt — besonders lächerlich, wenn man bedenkt, daß Joseph Marx zeitlebens mit Künstlerkollegen befreundet war, die den Rassegesetzen der Nazis nicht entsprachen. Aber eine fatale Namensähnlichkeit mit einem Komponisten Karl Marx, der einige Lieder für die Hitler-Jugend geschrieben hatte, tat ein übriges — und bot eine für die linke Musikschickeria der Nachkriegszeit elegante Handhabe, den streitbaren konservativen »Tonalisten« als Nazi abzustempeln; ein Unterfangen, daß trotz der optimistischen Formulierung im Wikipedia-Artikel:
Die Versuche, dem bis zu seinem Lebensende mit zahlreichen jüdischen Künstlern wie Herbert Zipper, Erich Zeisl, Marcel Rubin und Erich Wolfgang Korngold eng befreundeten Joseph Marx eine antisemitische Haltung zu unterstellen, wurden durch die Erschließung seines Briefwechsels mit seinen vielen jüdischen Freunden und Schülern gegenstandslos.
bis heute nachwirkt und (wie bei Franz Schmidt und vielen anderen) eine Wiederentdeckung der oft geradezu einzigartigen Musik (nicht viele Spätromantiker hatten einen so ausgeprägten Personalstil!) verhindert.
Wem die aus 1921 stammende Herbstsymphonie zu üppig geraten erscheint, der kann einen weitaus »schlankeren« Marx in seiner herb-verhaltenen »Idylle. Concertino über die pastorale Quart« aus dem Jahre 1925 (in der ersten halben Minute leider etwas geminderte Aufnahmequalität) entdecken:
Wer jedoch weiterschwelgen möchte, wird an der gleichfalls 1925 publizierten »Frühlingsmusik« sein Gefallen finden:
Joseph Marx war nicht nur Komponist, sondern auch ein exzellenter Pianist — was man an seinen beiden Klavierkonzerten erkennen kann, die (obzwar sauschwer!) von Klaviervirtuosen ob ihrer ihres effektvollen Soloparts ebenso geliebt werden, wie von den Hörern wegen ihrer eingängigen Thematik und meisterhaften Instrumentation. Hier zunächst das »Romantische Klavierkonzert« aus 1920:
Joseph Marx' stilistische Entwicklung wird deutlich im Vergleich mit seinem zweiten, zehn Jahre später veröffentlichten Klavierkonzert »Castelli Romani« (1930):
(hier noch der versonnene 2. Satz und das in seiner schmissigen Italiantà mitreißende Finale)
Joseph Marx scheute Zeit seines Lebens keinen Streit auf musikalischem Gebiet — als promovierter Musikwissenschaftler, der, basierend auf Forschungen Riemanns, in umfangreichen Testreihen dem Phänomen der Tonalität akribisch nachging, war er dazu befähigt wie selten einer, und noch dazu mit einer witzigen spitzen Feder begabt, die ihn auch als Musikkritiker ebenso angesehen wie gefürchtet machte.
Man kann sich heute keine Vorstellung machen, wie angesehen Joseph Marx in der unmittelbaren Nachkriegszeit war (die unsäglich infamen Nazietikettierungen stammen erst von Generationen mit der Gnade der späten Geburt)! So gab es in den 50er-Jahren Pläne, ihn als — völlig überparteilichen — Kandidaten für das Amt des Bundespräsidenten aufzustellen.
Sein eminenter Einfluß auf das Musikleben Österreichs (und überhaupt Mitteleuropas) gründete auch auf seinen vielen Schülern, die er jahrzehntelang als Professor für Musiktheorie und als Leiter von Kompositionsklassen formte und förderte. Einer seiner Schüler erzählte mir einmal die hübsche Anekdote, daß bei einem großen Festakt aus Anlaß eines wichtigen (also vermutlich 70., 75. oder 80.) Geburtstages u.a. auch der Rektor der Musikakademie von Agram eine Laudatio hielt, an deren Schluß er so etwa sagte: »Und so verdanken wir, Ihre Schüler, Ihnen, verehrter Herr Professor, daß wir nicht nur auf politischem, sondern auch auf musikalischem Gebiet überzeugte Marxisten sind!«
Wie weit bei ihnen die Überzeugung auf politischem Gebiet bloß ein der Karriere (und oft auch dem schieren Überleben) geschuldetes Lippenbekenntnis war, bleibe dahingestellt. Daß ihr »musikalischer Marxismus« jedoch von Herzen kam — das wollen wir beim Hören dieser wunderbar berauschenden Klangfluten gerne glauben ...
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