Freitag, 11. November 2022

Zur Bekämpfung unangebrachter Nostalgie

von LePenseur
 
 
... reicht es eigentlich zumeist schon, sich das sogenannte »Unterhaltungsprogramm« aus vergangenen Jahrzehnten anzusehen bzw. -hören: nicht, daß es heute einen Deut besser wäre, das nicht! Aber der jähe Blick in die Vergangenheit macht einen schwindeln: solch peinlicher Schwachsinn wurde damals wirklich beklatscht?! Fremdschämen ist angesagt, wenn ich zum heutigen Tage pünktlich um 11:11 Uhr um fünf Jahrzehnte in eine »ZDF-Disco« vom 11.11.1972 zurückblende:


Ich gebe zu, ich habe das Video bei 00:59 gestoppt und mir gedacht: »Grausam, aus dem Mund einer recht feschen Blondine derart banalen Schwachsinn rieseln zu hören!« Leser (besser gesagt: Hörer) des Blogs, die diesen Song bis zum Ende durchhalten, können mir ja im Kommentarbereich berichten, ob's danach dann besser wird (ich mache mir da freilich wenig Hoffnungen ...). 
 
Unterhaltung und gute Laune geht für mich anders. Etwa so (übrigens aus demselben Jahr 1972 — es kann also nicht am Jahr der Aufnahme liegen ...):
 

Da wird man zwar einwenden: »Sie können doch nicht die Fledermaus-Ouvertüre von Johann Strauß mit einem x-beliebigen Schlager-Trällerliedchen vergleichen!«  Stimmt natürlich irgendwie, und doch auch wieder nicht: denn warum muß Unterhaltung banal und primitiv gemacht sein? Es gibt eben auch auf diesem Gebiet Gutes und Miserables: also hat das Miserable nicht die Entschuldigung, daß es nicht anders ginge! Es geht, wie man sieht (bzw.: hört)! — also: warum wird dann letztklassiger Schmarrn produziert, wenn es auch besser möglich ist?
 
Und daß es sogar viel besser möglich ist, beweisen ja fast unendlich viele Beispiele (z.B. hier, hier, hier oder hier — um nur vier x-beliebige aus ganz unterschiedlichen Genres anzuführen)!

Es geht wohlgemerkt nicht darum, alle Menschen auf exemplarische seelische Erschütterungen nach der Art später Beethoven-Streichquartette oder Bruckner-Symphonien festzulegen. So, wie man auch nicht jeden Tag ein vielgängiges menu de dégustation — mit ausgesuchter Weinbegleitung zu jedem Gang — genießen möchte, sondern für den Normalfall bloß eine Suppe und ein Hauptgericht mit einem Glas Wein oder einem Bier konsumieren wird! Aber entschuldigt das etwa, daß die Suppe dünn und/ oder versalzen und das Schnitzel zäh und flachsig ist? Sicher nicht!
 
Warum also toleriert man eine derart deplorable »Qualität« bei der Unterhaltungsmusik? Ich begreife es einfach nicht ...

6 Kommentare:

Sandokan hat gesagt…

Dagegen hilft nur klassisch sowjetische Unterhaltungsmusik.

https://www.youtube.com/watch?v=0q6yphdZhUA

Alexandra hat gesagt…

werter Le Penseur,

Zum Trost / als Entschädigung sende ich ihnen dieses Stück - zeitlos, schön und klassisch - ein sehr bekanntes Gitarrenstück vorgetragen von Vladimir Tervo, (mir völlig unbekannt) er wurde 1957 in Stalinsk, dem heutigen Novokusnetsk, in Sibirien geboren und lebt heute in Deutschland.

https://www.youtube.com/watch?v=fFLaVejouaU

mlg Alexandra

Franz Lechner hat gesagt…

Letztlich ist "Unterhaltung" ein höchst relativer Begriff. Aber es stimmt, ich kriege Neidgefühle, wenn ich denke, dass es eine Zeit gab, in der Kitsch die Qualität eines Lehar hatte.
Schön, dass Sie mal Bruckner ehrfurchtsvoll erwähnt haben, cher Penseur!

Admin hat gesagt…

Kommentar entfernt - Löschgrund Nummer 5.

gerd hat gesagt…

Das Schlagersternchen der Siebziger hat auch noch einen anderen Kracher im Angebot der so richtig in diese Zeit passt: "Jetzt geht die Party richtig los!"

Le Penseur hat gesagt…

Geschätzter Herr Collega,

daß ich persönlich mit Bruckners Musik weniger "anfangen" kann als bspw. mit der von Brahms, heißt ja nicht, daß ich deshalb nicht fähig wäre, seine Bedueutung für die Musikgeschichte einzuschätzen, oder gar Menschen, denen er viel mehr bedeutet als mir, zu verachten!

Es ist hier eben so wie auch in anderen Dingen: de gustibus non est disputandum. Obwohl ich mich bspw. für Beefsteak tatare weniger zu begeistern vermag als andere, impliziert das doch nicht, daß ich die Qualität der Zutaten, die Fertigkeit der Zubereitung und die dekorative Art, es anzurichten, nicht zu würdigen wüßte!