Sonntag, 6. November 2022

Ein »Sandwich-Kind« der Musikgeschichte (Teil 3)

von LePenseur

(Hier finden Sie Teil 1Teil 2 der Czerny-Serie)

 

Heute also sind nach der kleinen kammermusikalischen Unterbrechung im letzten Artikel die Sonaten für Klavier No. 8 bis No. 11 von Carl Czerny dran. Die No. 8 in Es-dur, op. 144, schließt sich unmittelbar an die beiden vorherigen Sonaten aus Beethovens Todesjahr, ist aber doch ganz anders im Charakter: durch die Dur-Tonart leichter zugänglich als ihre beiden älteren Schwestern, gewinnt in ihr der früh-romantsiche Anteil bisweilen ein leichtes Übergewicht — Assoziationen an Schubert kommen manch-mal auf:


Die Satzanordnung bildet einen perfekten Bogen um das in der Mitte stehende Adagio con sentimento, ein weitausgesponnener, echt romantisch empfundener Satz, flankiert von einem sanglichen Menuetto und einem brillanten (geradtaktigen!) Prestissimo-Scherzo. Die Satzbezeichnungen lauten:
1. Allegro moderato 00:00 | 2. Menuetto & Trio: Allegro non troppo 9:02 | 3. Adagio con sentimento 15:03 | 4. Scherzo: Prestissimo 22:35 | 5. Rondo: Allegretto moderatissimo 23:58
Bemerkenswert auch, daß beide Ecksätze in ungeraden Taktmaß (3/4 und 6/8) geschrieben sind – eher ungewöhnlich zu jener Zeit.

Die virtuose Klaviersonate No. 9 in h-moll, op. 145 hat Carl Czerny einem anderen prominenten seiner Schüler, Ignaz Moscheles, gewidmet, der neben Liszt und Thalberg – und dem etwas älteren Hütten-brenner – sicherlich einer der international gefeiertsten Pianisten seiner Zeit war:


Das Werk ist sechssätzig, doch von der Gesamtdauer (etwas über eine halbe Stunde) mit der recht monumentalen 6. Sonate Czernys nicht zu vergleichen. In holder Naivität wundert man sich im Text zum Youtube-Video darüber, warum Liszt diese Sonate nicht gespielt hat ... jo mei! Schon mal überlegt, wie sich Franz Liszt wohl »gefreut« haben muß, wenn ein anderer Schüler als er eine virtuose Sonate gewidmet bekommt, und dieser noch dazu ein direkter Konkurrenz auf den Kozertpodien seiner Zeit war ...

Ein virtuoses Werk ist die 9. Sonate — und doch steht sie meinem Herzen, um es mal etwas pathetisch auszudrücken, weniger nahe als bspw. die 6. oder 7. Klaviersonate ... oder vielleicht genau deshalb?

Sonate No. 10 in B-dur, op. 268 ist von Czerny ausdrücklich als »Grande sonate d'étude« bezeichnet worden und nimmt so gewissermaßen ein Zwitterstellung zwischen seinen pädagogischen Werken und den Werken für den Konzertsaal ein — eine durchaus reizvolle, wie man unschwer erkennt:


Wieviel vom kommenden Chopin schon in Czernys Werken vorgeahnt wird (und an Beethoven nach-vibriert!), zeigt uns der eindrucksvolle 2. Satz, Adagio espressivo (ab min. 08:27). Der Etüdenschreiber geht dem Komponisten im Finale (Allegro con fuoco, ab min. 19:43) ein bisserl durch: perfekt gespielt, ist auch Satz reizvoll zu hören, aber — spielen will man sowas doch eher nicht müssen, selbst wenn man deutlich besser Klavier spielt als LePenseur ...

Doch nun zum krönenden Abschluß des Klaviersonatenwerks, No. 11 in Des-dur aus dem Jahre 1843:


Wieder in der klassischen Viersätzigkeit angelegt — 1. Allegro agitato con spirito 00:00 | 2. Adagio con espressione 8:41 | 3. Scherzo. Molto allegro 16:10 | 4. Finale. Allegretto con anima 20:34 — ist das Werk in gewissen Maß die Zusammenfassung von Czernys bisherigem Sonatenwerk in seiner, damals bereits antiquierten, Ausgewogenheit klassischer und romantischer Tendenzen. Und doch: so unzeit-gemäß das Werk damals schon erschienen sein mag, als längst die Sterne Mendelssohns, Chonpins und Schumanns aufgegangen waren und im Erscheinungsjahr dieser Sonate Wagners Fliegender Holländer seine Uraufführung erlebte.

Wer aber Kompositionen unabhängig von ihrer (oft nur zugeschriebenen!) »Zeitgemäßheit« beurteilt und die »werkimmanente« Inspiration, gepaart mit der adäquaten »handwerklichen« Umsetzung (die ja ebenso dazugehört), wird hier wohl differenzierter urteilen. Es wäre sicher übertrieben, Czerny zum dem »unterschätztesten Komponisten der Musikgeschichte« stilisieren zu wollen — aber daß sein Bild als pedantisch-sadistischer, phantasieloser Quäler angehender Klavierspieler eine geradezu groteske Verfälschung ist, sollte mit dieser kleinen Serie, die sich dem interessanten und — Hand aufs Herz! — bisher wohl fast allen Lesern dieses Blogs unbekannten Klaviersonatenwerk Carl Czernys widmete, doch gelungen sein.

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P.S.: zwei Jahre nach seiner letzten Klaviersonate, im Jahre 1845, schrieb Carl Czerny seine Symphonie No. 5 in Es-dur, die sich zwar nicht mit der Originalität seiner besten Klaviersonaten messen kann, doch als festlich-feierlicher Schlußpunkt diese Czerny-Serie beschließen und zu weiterer Erkundung von Werken dieses bis auf seine Etüden fast vergessenen Komponisten einladen soll.



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