Sonntag, 2. April 2023

Macte, senex Imperator

von LePenseur
 
 
Der 9. März ist nun zwar schon über drei Wochen her — und auch er wäre nur ein »halbrunder« Gedächtnistag gewesen, nämlich die 135. Wiederkehr des Todestages von Kaiser Wilhelm I. — hier im berühmten Gemälde Anton von Werners, der »Kaiserproklamation in Versailles« (1885), zu sehen:
 

Zeit jedenfalls, ein in deutscher und lateinischer Sprache schwungvoll von Felix Dahn verfaßtes Gedicht in Erinnerung zu rufen:

Macte senex Imperator,
Barbablanca, triumphator,
Qui vicisti Galliam
Et coronae Germanorum
Post viduvium saeculorum
Reddidisti gloriam

Heil dir, greiser Imperator,
Barbablanca, Triumphator,
Der du Frankreich niederzwangst
Und der Krone der Germanen,
Witwe längst des Ruhms der Ahnen,
Glanz und Schimmer neu errangst!

Petulanter lacessitus
Justo clypeo munitus
Heribannum excitas:
Ecce surgunt quotquot gentes
Oras incolunt stridentes
Alpes usque niveas.

Frech vom Übermut beleidigt,
Mit dem Schild des Rechts verteidigt,
Rufst den Heerbann du ins Feld:
Sieh, da greift vom Fels zum Meere
Klirrend alles Volk zur Wehre,
Eine deutsche Waffenwelt.

Primus vocat Bajuvaros,
Venatores teli gnaros,
Pulcher rex et juvenis
Memor foederis recentis
Et honoris priscae gentis
Et Germani sanguinis.

Du zuerst riefst deine Scharen,
Flinke Jäger, schußerfahren,
Bayernfürst voll Jugendschwung:
Treu dem neuen Bund und alten
Folgt dein deutsches Herz dem Walten
Edelster Begeisterung.

Nec recusat Philalethes,
Semper fidei athletes,
Verae causae Saxones:
Jugo Dani liberati
Solvunt debita Holsati,
Angli et Frisiones.

Der in Treue grau gewachsen,
Schickt, »der Wahrheit Freund«, die Sachsen
Gern zum Streit mit Lügenquark:
Und mit ihrem Blute wollen
Dank die wackern Holsten zollen,
Daß sie los von Dänemark.

Mittit Rhenum custodientes
Equos suos hinnientes
Acris Alamannia,
Et laurifera vexilla
Vibrat propulsatrix illa
Aquilina Prussia!

Aus des Schwarzwalds dunklen Tannen
Braust das Roß des Alamannen
Rasch zur Wacht am Rhein dahin,
Und voran auf unsern Bahnen
Rauschen, lorbeerschwer, die Fahnen
Prussias, der Adlerin.

Quas diviserant spoliandas
Ante pugnam et praedandas
Ripas sancti fluminis, –
Nemo hostium conspexit
Nisi qui captivus flexit
Poplites in vinculis.

Wie sie doch zu plündern eilten,
Vor dem Kampf den Raub schon teilten,
Unsres heil'gen Stroms Gestad':
Doch es sah ihn kein Franzose,
Der nicht, fluchend seinem Lose,
Ein Gefangner, ihn betrat.

Perpugnaces, perfallaces,
Superbissimos, mendaces
Quantis pugnis fudimus,
Quo per castra Montalbana
Tot portenta Turcicana
Princeps stravit regius!

Volk der Kriegslust, Volk des Trügens,
Volk des Hochmuts und des Lügens,
Wie oft schlugen wir dich schon,
Seit die schwarzen Mordgesellen
Hingemäht dort auf den Wällen
Weißenburgs der Königssohn!

Campum taceo Woerthensem,
Montem altum Spicherensem,
Et, qua nihil clarius,
Imperruptam obsidionem
Qua Bazenum, ut falconem,
Longa fame fregimus.

Sei von all' den stolzen Siegen,
Wörth und Spichern selbst, geschwiegen
Und, was Frankreichs Arm gelähmt,
Wie Bazaine und Metz geendigt,
Die durch Hunger wir gebändigt,
Wie man wilde Falken zähmt.

At me praedico felicem,
Qui testatus sim ultricem
Prope Belgas aciem:
Arctum atque arctiorem
Circulum fulminatorem
Includentem Caesarem!

Doch mich darf ich glücklich preisen,
Der gefügt aus Blitz und Eisen
Dort bei Sedan sah den Ring,
Der in immer engrem Bogen,
Wie von Schicksalshand gezogen,
Marschall, Heer und Kaiser fing.

Aquilas ereptas multas,
Fractas vidi catapultas
Collem per Sedanicum,
Turmas equitum prostratas,
Portas castri concrematas
Et Tyrannum deditum!

Sah entschart die Bataillone,
Sah, wie Adler und Kanone
Schwert und Bajonett gewann:
Hingestreckt die Stahlgeschwader,
Schußgesprengt der Feste Quader,
Und gefangen der Tyrann!

Dolo filias surreptas
Salutamus vi receptas
Reduces in laribus:
Regum veterum palatia,
Lotharingia, Alsatia: –
Decor redit pristinus!

Töchter, einst uns schnöd' entrissen,
Grüß' euch Gott nach schwerem Missen
An der Väter Heimatherd:
Erwins Elsaß, Lotharingen,
Kann euch nicht zum Herzen dringen
Deutsches Wort und deutscher Wert?

Quantas urbes, quot castella
Mosa munit ac Mosella,
Sequana cum Ligeri:
Omnes cepit forte pectus,
Taciturni intellectus
Atque chalybs Kruppii.

Wieviel Burgen und Kastelle
Schirmt der Maas, der Mosel Welle,
Loire und Seine deckt zumal, –
Jede Schanze brach und Schranke,
Großer Schweiger, dein Gedanke,
Deutscher Mut und Kruppscher Stahl.

Petunt mare – Goeben turget:
Scandunt alpes – Werder urget:
Undique periculum:
Perque montes perque valles
Terror sequitur per calles
Et Ulani spiculum!

Fleucht zur Küste – Goeben drängt euch,
Kreucht in Klüfte – Werder zwängt euch;
Not und Tod dräut rings umher,
Und euch folgt durch Tal und Hügel,
Und euch jagt mit schwarzem Flügel
Schreck und des Ulanen Speer.

Et quae probra tot jactabat,
Tot triumphos enarrabat,
Delirans superbia, –
Panem petens a victore,
Pacem a debellatore
Cecidit Lutetia.

Und die Sieg auf Sieg gelogen,
Lasterprahlend, lustverzogen,
Äffin halb, halb Tigerin –
Gnade flehend von dem Sieger,
Brot vom schlicht'sten deutschen Krieger,
Sank Paris, die stolze, hin.

Qui coronae Germanorum
Post viduvium saeculorum
Reddidisti gloriam, –
Macte senex triumphator
Barbablanca, Imperator,
Qui salvasti patriam!

Der der Krone der Germanen,
Witwe lang des Ruhms der Ahnen,
Du erkämpft hast neuen Glanz:
Heil dir greiser Triumphator,
Barbablanca, Imperator,
Retter du des Vaterlands.
 
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Ein gewaltiges Doppel-Gedicht, groß in der kühnen Flut seiner Bilder und Umschreibungen. In Zeiten wie diesen ist natürlich das meiste strikt »Autobahn«, denn da dürften — selbstmurmelnd — Gedanken über Nachhaltigkeit und CO2-Neutralität nicht fehlen, da müßte der Sieg kleingeredet und die Freude darüber verkrüppelt werden, und daß auf den Anteil, den Rassismus, Kolonialismus und natürlich die Diskriminierung der Frau (sowie aller anderen 278 Geschlechter Facebooks) an diesem schmählichen Siege hatten, nicht gebührend und mit Betroffenheit hingewiesen wurde, ist überhaupt ein Skandal, den man dem Dichter nicht vergessen mag! Felix Dahn, Verfasser erfolgreicher, leider bis heute aufgelegter Jugendbücher, insbes. »Ein Kampf um Rom« — zerstört sein Andenken, rottet ihn aus, verbrennt seine Werke! »Lieber Habeck als Dahn«, muß die Devise korrekter Jugendlektüre lauten ...

Dennoch — es stellt sich die Frage: warum gerade dieses Gedicht? So kunstvoll und »handwerklich perfekt gemacht« es auch sein mag: ein großartiges Kunstwerk im eigentlichen Sinne ist es wohl nicht. Und doch: »Es hat was!« Neben dem mir immer lieben, bildungsbürgerlich vertrauten, leider längst nicht mehr »selbstverständlichen« Umgang mit dem uralten Kulturgut »Latein« sind es durchaus auch die (oft recht freien!) Verdeutschungen, die Felix Dahn zwischen seine neo-lateinischen Originalverse setzte, und die oft ans Geniale streifende Wortprägungen enthalten, wie z.B.:
Aus des Schwarzwalds dunklen Tannen
Braust das Roß des Alamannen
Rasch zur Wacht am Rhein dahin,
Und voran auf unsern Bahnen
Rauschen, lorbeerschwer, die Fahnen
Prussias, der Adlerin.
Das hat einfach Schwung, Saft und Kraft! Und nur rückgratgebrochene, servile Knechte werden das nicht (oder vielmehr: als allzu deutlich ihre Impotenz verratend) empfinden! Und diese Bedenkentäger sollen sich doch, bitte, nicht ins Hemd nässen: wenn Frankreich in der Nationalhymne vom »unreinen Blut« seiner Feinde singt, das die Furchen seiner Äcker tränken möge, dann sind noch die »saftigsten« Verse Dahns dagegen von nobler Zurückhaltung!

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Doch kehren wir kurz zum »senex Imperator«, den Dahn so schwungvoll besang, zurück, zu jenem nüchtern-zurückhaltenden alten Herrn, der einst über seinen Ministerpräsidenten und Reichskanzler Bismarck den resignierten Satz »Es ist nicht leicht, unter so einem Minister Monarch zu sein« prägte.

Der Porträtist jener Jahre, Paul Bülow, schuf als Hofmaler eine Reihe bekannter Porträts des Kaisers, mal so, ganz hochoffiziell und »im Zauber der Montur« als preußischer Generalfeldmarschall:


oder eben auch so: in seinem Arbeitszimmer, die Uniform locker aufgeknöpft, quasi vom Schreibtisch sich erhebend und jovial dem Betrachter entgegensehend (ein vorzügliches Werk, meiner Meinung nach, wie es den besten Porträts von Menzel kaum, denen Lenbachs oder Werners gar nicht nachsteht):


Noch zwei Gemälde, in denen Wilhelm I, damals noch »nur« König von Preußen, dargestellt wird — einerseits die meisterhafte Darstellung seiner Krönung in Königsberg durch Adolf von Menzel:


Und schließlich noch die höchst lebendige Darstellung im Gemälde von Emil Hünten, in dem er seinem Sohn und Kronprinzen nach der Schlacht von Königgräz den Pour le Mérite überreicht:


Zwei volle Menschenalter sind seit dem Tod Kaiser Wilhelms hingegangen. Und bisweilen streue ich in »historische« Unterhaltungen den anekdotischen Hinweis, daß das Jahr 1888 als sogen. »Drei-Kaiser-Jahr« leicht zu merken sei, denn es verdiene eben seine »dreifache Beachtung«. 

5 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Europäer meint:

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/dahn.html

Waldersee hat gesagt…

Wir wollen unsren alten Kaiser Wilhelm wieder haben!

helmut-1 hat gesagt…

Jede Epoche hat ihre Zeit, und hat den entsprechenden Führer. Natürlich schadet es nicht, wenn man sich mit den maßgeblichen Personen der Geschichte beefasst. Es begründet sich schon mit dem simplen Spruch:

"Nur derjenige, der weiß, wo er herkommt, weiß auch, wo er hingeht"

Das bezieht sich auf das, was man gemeinhin unter dem Wort "Geschichte" versteht und was wir immer nur in verfälschter Form zur Kenntnis gebracht bekommen, schon in den Schulen. Deshalb hängen verschiedene Figuren bei mir über der Esszimmerecke, aus verschiedenen Sichtweisen. Diese Seite dokumentiert die Personen, zu denen man zu Recht aufgesehen hat und die Deutschland hochgebracht haben:

https://ibb.co/9h3X46B

Jetzt gebe ich meine persönliche Meinung wieder, die sicher nicht jedem gefallen wird:

Damals war noch ein anderer Zeitgeist im Volk, und das hatte einen wesentlichen Einfluss auf die Wahl und die Zielrichtung der politischen Führer.

Ein alter Mann sagte zu mir einmal:

Die Politiker kommen weder aus der Retorte, noch von einem anderen Stern. Sie kommen aus dem Volk. Die Politiker sind der Spiegel des Volkes. So wie das Volk ist, so sind seine Politiker.

Im Umkehrschluss sieht das dann so aus, dass wir, also das Volk, zum überwiegenden Teil aus selbstsüchtigen Versagern bestehen, die nur glauben oder durch Plagiate anderen weismachen wollen, dass sie was draufhaben, - aber in Wirklichkeit in ihrem Amt/Funktion nur Inkompetenz unter Beweis stellen.

Ich sagte "es sieht so aus". Ob es tatsächlich so ist, bleibt der Diskussion überlassen.

Anonym hat gesagt…

Ein alter Mann sagte zu mir einmal:

Die Politiker kommen weder aus der Retorte, noch von einem anderen Stern. Sie kommen aus dem Volk. Die Politiker sind der Spiegel des Volkes. So wie das Volk ist, so sind seine Politiker.


Kurz zusammengefasst: Hühnerkacke. Auf jeden Fall aber nach 1945.

helmut-1 hat gesagt…

Herrn Anonym:
Die Argumente ware überzeugend. Und vor allem schlüssig und umfangreich.