Samstag, 27. Oktober 2018

Die rassistischen Hessen

von Fragolin

Was treiben sich da schon wieder für tiefbraune Ungeheuer in den dunkeldeutschen Untiefen herum? Da hat der Hessische Landtag noch schnell vor der Wahl ein paar kleine Änderungen in der Landesverfassung vorgeschlagen und, typisch Naziland, komplett darauf vergessen, den Begriff „Rasse“ aus dem Artikel 1 zu streichen. Da steht dann wirklich:

"Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich, ohne Unterschied des Geschlechts, der Rasse, der Herkunft, der religiösen und der politischen Überzeugung."

Na gut, das steht da schon seit 70 Jahren, und all die Jahre hat das auch keinen gekratzt, auch nicht den 80-jährigen Wichtigtuer, der just jetzt seine Berufung zum Nazijäger entdeckt hat. Fast sein ganzes Leben konnte er unter dieser naziverseuchten Landesverfassung roter Kommunalpolitiker sein, aber heute erst hat er, wie es scheint, deren Text zum ersten Mal wirklich gelesen.
Und weil dieser Nazibegriff den armen Senior zu sehr an die finsteren Zeiten erinnert, in denen er aufgewachsen ist - er war immerhin sieben, als sich der Rotzgebremste in einen Teppich wickeln ließ, also ein typischerweise politisch interessiertes Alter. Deshalb kann er bis heute auch den inhaltlichen Unterschied nicht erfassen; ich kenne die Reichsverfassung nicht, aber ich glaube kaum, dass dort ein Verbot von Diskriminierung wegen Rasse vorkam, der Begriff also sicher in anderen Zusammenhängen benutzt wurde. Aber egal, das Aufkreischen ist ein pawlowscher Reflex, da interessieren keine Inhalte. Wer allein das Wort benutzt, ist ein Rassist, da kennt die Sprach- und Gesinnungspolizei keine Gnade.

...hat jetzt den Landeswahlleiter angezeigt, der die Wahlbenachrichtigung mit dem Entwurf des neuen Texts verschickt hatte. Weil Rasse in Bezug auf Menschen ein hetzerischer Begriff sei, der Menschen herabwürdigt und von den Nazis benutzt wurde.“

Dass ein lebenslanger Politiker nicht weiß, dass es nicht der Landeswahlleiter ist sondern der Landtag, ein demokratisch gewähltes Parlament, der die Verfassung ausarbeitet und darüber beschließt, scheint mir ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich bei besagtem Lokalpolitiker um einen mit den Sitten der Demokratie nicht allzu vertrauten Menschen handelt. Seine Kompetenz sieht man ja auch daran, dass er diesen Begriff in der Landesverfassung erst nach 70 Jahren entdeckt hat. Welcher Politiker liest schon die Verfassung? Was kommt als nächstes? Dass jemand erwartet, er würde sich auch noch daran halten? (Dazu am Schluss noch ein paar Gedanken.)

Aber die Frage, die ich mir von der ersten Sekunde nach dem Lesen dieses Artikels stellte ist eine ganz andere, und die kann mir keine der ergoogelten Medien beantworten: Welchen Straftatbestand soll der Landeswahlleiter erfüllt haben, weswegen genau wurde er angezeigt, wenn er einen Verfassungstext verschickt, in dem seit Jahrzehnten der Begriff „Rasse“ steht?
Wegen Volksverhetzung?
Was für ein NAZI!!!


P.S.

Es bleibt sogar noch eine Frage, denn im letzten Absatz des verlinkten Artikels belehren uns die Medienpädagogen:

In Frankreich zeigten sich die Politiker weniger ratlos und schritten zur Tat. Am 12. Juli beschloss die Nationalversammlung einstimmig, das Wort Rasse aus der Verfassung zu ersetzen. Im ersten Artikel der Verfassung heißt es jetzt, Frankreich garantiere "allen Bürgern die Gleichheit vor dem Gesetz, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder Religion". Keine Rasse mehr, dafür Herkunft. Klingt eigentlich ganz einfach.“

Abgesehen davon, dass sie doch sonst ständig behaupten, es gäbe keine einfachen Lösungen und jeder, der solche verspricht, wäre ein böser populistischer Rattenfänger (womit sie Menschen auch noch zu Ratten erklären, aber sei‘s drum), kann ich da keinen Ersatz finden.
Denn wenn ich zum Beispiel als Hesse jemandem mit dunkler Hautfarbe, dessen Familie in der dritten Generation in Hessen lebt und der in Hessen geboren ist, mit der Begründung „Neger bediene ich nicht“ aus meinem Geschäft werfe, habe ich ihn weder wegen seinem Geschlecht noch seiner Religion und auch nicht wegen seiner Herkunft – er ist ja ebenfalls Hesse - irgendwie diskriminiert. Von Hautfarbe oder Rasse steht da nix. Und wie viele Generationen jemand „Herkunftsbürger“ ist, steht ja auch nirgends. Kann ich mich dann auf Diskriminierung berufen, wenn ich nachweisen kann, dass mein Urururururgroßvater mit Attilas Reitern aus der Mongolei kam?

Zusatz zum Thema Verfassung:
Ich muss mich als Privatperson und Bürger sowieso nicht an diesen Artikel 1 halten, weil die Verfassung eben nicht die Gleichheit vor dem Verkaufstresen oder beim Bewerbungsgespräch sondern die Gleichheit vor dem Gesetz fordert und eine Schutzklausel gegen Missbrauch der Staatsgewalt gegen Bürger darstellt und der Schutz der Bürger untereinander in Gesetzen geregelt ist. Auch wenn Merkels Stiefelknechte, die dem Michel seit Jahr und Tag einpauken, die Verfassung wäre eine Handlungsanleitung für Bürger und Bürger, die gegen die Regierung demonstrieren, wären Verfassungsfeinde, was genau betrachtet eine bewusst verhetzende Lüge ist, etwas anderes behaupten. Ich will mich nicht mit denen auf eine Stufe stellen, ich verzichte auf Augenhöhe mit anderen wenn ich mich dafür flach hinlegen muss, aber es ist irgendwie mühsam, immer und immer wieder zu versuchen, Menschen klarzumachen, dass es geradezu ein Verbrechen am demokratischen Rechtsstaat und der eigentlich schwerste Verfassungsbruch ist, wenn ein Staat seine Verfassung gegen die Bürger einsetzt, denn Sinn der Verfassung ist es, den Bürger vor einem die Bahnen der demokratischen Regeln verlassenden Staat zu schützen und nicht umgekehrt. Deshalb kann man als Privatperson auch eine verfassungsfeindliche Einstellung haben, aber man kann die Verfassung nicht brechen, weil sie einfach nicht für Privatpersonen gültig ist.
Dass man in Österreich zum Beispiel jeden Blödsinn bis hin zur Zwangsmitgliedschaft in Kammern und Fahrtregelungen für Wiener Taxis in den Verfassungsrang hebt, zeigt nur, dass es Parlamente gibt, die die einfachsten Grundregeln der Demokratie nicht begriffen haben und die auch keinen Genierer haben, demokratische Werkzeuge zum Vorteil einer eigenen Klientel zu missbrauchen.
Aber das ist ein anderes Thema...

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