Donnerstag, 13. Juni 2019

Eine Frau MMag.


... Vera Sundström ist, wie DiePresse schreibt:
Rechtsanwältin und Expertin für Verfassungsrecht in Wien und Initiatorin der Plattform www.pro-gesetz.at. Ihre Kanzlei ist auf Vergaberecht spezialisiert.
Wie schön. Verfassungsrecht und Vergaberecht sind zwar ziemlich unterschiedliche Paar Schuh' — aber eine Doppelmagistra kann ja auch eine Doppelexpertin ..., warum denn nicht, oder?

Besagte Doppelexpertin erklärt der staunenden Leserschaft wortreich Dinge, die LePenseur (der allerdings nur einfacher doctor juris, und kein Doppelmagister ist, trotzdem aber nicht ausschließen kann, ebensosehr ein »Verfassungsexperte« zu sein, wiewohl sein näheres Fachgebiet mit dem des Verfassungsrechtes eigentlich auch nicht weniger zu tun hat, als das Vergaberecht ...) ein wenig befremden. Wie z.B.:
Wir leben in einer Welt, die so komplex ist, dass sich niemand bei dem lauten Gelabere der Initiatoren des Misstrauensantrags gegen die angebliche demokratische Richtigkeit dieses Antrags aufzubegehren traut, weil diese politische Situation für uns neu ist. Wir nicken artig und wiederholen das, was uns alle vorbeten, denn wir sind vernünftig und unterdrücken dabei die immer wieder aufkeimende Frage: Haben wir dem Nationalrat unser Wahlmandat zur Erhebung eines Misstrauensantrags gegen die von unserem von uns direkt gewählten Bundespräsidenten eingesetzte Bundesregierung erteilt?
O là là, sind Frau Verfassungsexpertin etwa der Meinung, das B-VG kenne ein imperatives Mandat bei Nationalratswahlen? Das wäre eine höchst phantasievolle Auslegung, um deren normative Stütze ich Frau MMag. Sundström im voraus herzlich ersuchen möchte. Ich fürchte nur: sie wird sie nicht finden.

Frau Doppelexpertin hätte allerdings bloß im Artikel 29 Abs. 1 B-VG nachzusehen brauchen, um zu wissen, wie der greise Hofbürger, wenn Er denn unbedingt »Anfang September« Sein Volk wählen lassen möchte, dieses bewerkstelligen könnte:
Artikel 29. (1) Der Bundespräsident kann den Nationalrat auflösen, er darf dies jedoch nur einmal aus dem gleichen Anlass verfügen. Die Neuwahl ist in diesem Fall von der Bundesregierung so anzuordnen, dass der neugewählte Nationalrat längstens am hundertsten Tag nach der Auflösung zusammentreten kann.
Also hurtig voran, Herr Bundespräsident! Lösen Sie doch auf (wenn Sie sich trauen), und da der hunderste Tag nach der Auflösung ja nur die Maximalfrist bezeichnet, hindert keiner den Hofbürger bspw. noch im August wählen zu lassen, wenn die Bundesregierung, die er ernennt, es so will. Alles ganz einfach, Frau Doppelexpertin! Noch possierlicher freilich nehmen sich andere Passagen des Artikels aus:
Leitet man das Ergebnis der „EU-Wahl“, bei der überdurchschnittlich viele Österreicher ihre Stimme abgaben, auf die Zusammensetzung des Nationalrats ab, könnten etwa die Mandatare der Jetzt-Partei keinen Misstrauensantrag stellen, weil sie mangels Wähler-stimmen nicht mehr im Parlament vertreten wären. Das Kräfteverhältnis der Mandatare der SPÖ wäre jedenfalls zum Vorteil der ÖVP und zum Zugewinn der Neos verschoben. Für die FPÖ kann gesagt werden, dass sie nicht dazugewonnen und ihr „Kräfte-verhältnis“ zur Nationalratswahl 2017 zumindest im geringen Ausmaß verringert hat.
Und das heißt jetzt ...? Kräfteverhältnisse einer EU-Parlamentswahl sind für Kräfteverhältnisse im Österreichischen Nationalrat etwa so — nein, nicht einmal so! — relevant, wie Nationalratswahlen für einen Landtag eines Bundeslandes. Hätte daher bspw. der Kärntner Landtag Landeshauptmann Kaiser in die Wüste schicken müssen, weil bei den Nationalratswahlen 2017 die FPÖ und ÖVP mit zusammen rund 58% der Wählerstimmen die SPÖ bei weitem überholt hatten. Allein eine solche Frage zu stellen, enthüllt die Absurdität solcher Überlegungen. Doch heiter weiter!
Ausschließlich aus diesem Misstrauensantrag [Anmerk. LP: nämlich gegen das Kabinett Kurz II], der nach einer hier hypothetisch vorgenommenen Hochrechnung der EU-Wahl wohl so nicht zustande gekommen wäre, leitet die „Übergangsregierung“ ihre verfas-sungsrechtliche Legitimierung ab.
Falsch, Frau Doppelexpertin. Die Übergangsregierung leitet ihre verfassungsrechtliche Legitimierung von der Ernnennung und Angelobung durch den Bundespräsidenten ab. Wenigstens solange, als sie nicht ihrerseits durch ein — jederzeit mögliches — Mißtrauensvotum insgesamt oder gegen einzelne Mitglieder gestürzt wird. That's it. Das ist konjunkturistische Verfassungslyrik, die mit Kelsen ca. soviel zu tun hat, wie mit dieser mit der Enzyklika Quadragesimo anno. Nämlich: exakt nichts.

Nun — die Absicht ist unmißverständlich: es gibt sicher genug Kräfte, die möglichst schnell wählen wollen, egal, ob da noch Ferienzeit ist, oder nein: gerade wenn noch Ferienzeit ist, denn da gibt's vermutlich besonders viele Wahlkarten, und bei Wahlkarten ist — wie in der Vergangenheit zur Genüge bewiesen — die Möglichkeit eines »corriger la fortune« halt besser, als beim regulären Verfahren in den Wahllokalen. Und der kurze Kanzler könnte sich für kurze Zeit besser als Märtyrer der pöhsen Gegner darstellen (eine Opferrolle will ja durchgehalten werden — und das geht nicht so lange, weil man irgendwann selbst lachen muß ...), etc. etc.

Zum Schluß des Artikels wechselt die Doppelexpertin in den majestätischen Plural der Experten (weil ja Doppel- ...?):
Wir stellen uns jedoch die Frage, ob Kurz ohne parlamentarische Legitimierung, aus rein parteipolitischen Gründen – wofür unsere „schöne, elegante“ (© Bundespräsident Van der Bellen) österreichische Bundesverfassung keinesfalls missbraucht werden darf – „gestürzt“ wurde. Wir fragen uns, lässt sich die „Übergangsregierung“ aus der Begehr-lichkeit der Macht von der SPÖ dazu überreden, das von unserem Bundespräsidenten gegebene Wort zu brechen? Prolongiert daher die „Übergangsregierung“ möglicher-weise ohne demokratische Legitimierung die Politik der SPÖ „als Geschichte von Gut gegen Böse“ (©JeanAsselborn, Sozialdemokrat, luxemburgischer Außenminister), womit die SPÖ bloß versucht, ihre Tatenlosigkeit zu kaschieren?
Gnädigste Frau Doppelexspertin für Verfassungs- & Vergaberecht! 

»Wir« stellen »uns« in dem Zusammenhang noch ganz andere Fragen! Bspw. ob Kurz aus rein partei-politischen Gründen die Koalitionsregierung entgegen seiner vorherigen Vereinbarungen in die Luft gesprengt hat, weil er plötzlich den Innenministerposten forderte und Kickl den Sessel vor die Tür setzte — schon mal darüber nachgedacht, Frau MMag. Sundström?

Oder was z.B. das »Wort« eines Bundespräsidenten wert ist, der — konform dem B-VG — eine »Übergangsregierung« von leitenden Beamten ernennen soll, und an den entscheidenen Stellen eine (pensionsreife) Gerichtspräsidentin als Bundeskanzler und einen pensionierten Gerichtspräsidenten als Vizekanzler ernennt, die rein »zufällig« der GroKo-Tradition der SPÖVP entstammen, und etwa so sehr »unabhängige Experten« sind, wie die beiden Alten in der Muppet-Show-Loge Dressurreiter.
Zum Schluß ihres Artikels winkt die Doppelexpertin dann doch mit dem Art. 29 (1) B-VG:
Im Aufgabenbereich der neuen „Übergangsregierung“ liegt es nun, den vom Bundesprä-sidenten vorgesehenen Wahltermin „Anfang September“ vorzubereiten und einzuhalten. Die Bundesregierung hat daher „Anfang September“ gegenüber dem Bundespräsidenten ihre Demission zu erklären. Alles Weitere sieht und gibt unsere Bundesverfassung vor; einschließlich der Abhaltung von Nationalratswahlen. Gegenteiliges würde dem demo-kratischen Grundverständnis in diesem Land einen bleibenden Schaden zufügen! Der Zustimmung des Nationalrats bedarf es nicht, und damit auch nicht der Zustimmung durch die Parteien SPÖ, FPÖ und Liste Jetzt.
Wozu also all das Geschwurbel davor? Der Hofbürger kann wählen lassen, indem er den Nationalrat einfach auflöst. Kann er, darf er. Traut er sich aber scheints nicht. Nun, das ist ebensowenig durch das B-VG behebbar, wie die bedenkenlose Taktiererei eines Herrn Kurz, oder der Liste Jetzt, oder Der Roten, Blauen oder Pinken. Wünschen kann man sich immer anderes — keine Frage! Ich wünsche mir bspw. einen anderen Bundeskanzler. Und einen anderen Innenminister und Justizminister.

Aber darüber schreibe ich keine Artikel, die ich mit mißverstandenen Kelsen-Zitaten aufmotze, und bedenkentragend »demokratisches Grundverständnis« in Gefahr sehe, bloß weil durch eine Intrige eine bis dahin eigentlich ganz erfolgreiche Regierung ins Schleudern gekommen ist.



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