Montag, 12. Juni 2023

Auswandern? Die Problematik im Detail

von Helmut
 
 

Mir reicht‘s, ich hau von hier ab. Ein bekannter Spruch. Wer kann das aber in die Tat umsetzen? Die Wenigsten.

Da stehen Sachzwänge im Raum, die man kaum, oder nur selten, oder nur mit immensen Schwierigkeiten, oder gar nicht, überwinden kann. Das begründet sich mit den Familienmitgliedern, mit vielen Bindungen, die man meint, nicht lösen zu können, mit Verpflichtungen, denen man sich nicht entziehen kann. Manchmal liegts auch am Geld.

Solange der Betroffene unter 50 ist, solange ist er offen für Veränderungen, auch, seinen Wohnsitz betreffend. Nach dieser 50er Schranke (natürlich +/- gesehen) beginnt die Orientierung nach den Wurzeln. Da fragen sich viele – was ist mein Ursprung, wo sind meine Wurzeln, was ist meine Heimat?

Das Wort Heimat kann man dem Wort „Zuhause“ gegenüberstellen (gibt es in vielen Sprachen in dieser feinen Unterscheidung wie im Deutschen nicht, auch nicht im Rumänischen). Zuhause kann man sich an vielen Orten in der Welt fühlen, wo es einem gefällt, wo man sich wohlfühlt, wo man Freunde gefunden hat. Heimat ist etwas anderes, das gibt’s nur für jeden ein einziges Mal.

Wie bekommt man eine Heimat? Die natürlichste Art ist die der Geburt. Dort, wo man als Kind aufgewachsen ist, dort wird jeder seine Heimat finden. Sie wird es auch immer bleiben. Früher gab‘s noch die Möglichkeit, mit der Waffe in der Hand bei Eroberungen sich einer neuen Heimat zu bemächtigen. Diese Zeiten sind Gottseidank vorbei.

Die Erwartung, sich durch eine Heirat mit einem ausländischen Staatsangehörigen sich auch mit seiner Heimat zu verheiraten, diese Erwartung geht’s meistens ins Leere. Die eigene Heimat wird immer ihre Priorität behalten.

Dann gibt’s – oder gabs – die Heimatvertriebenen. Diejenigen, die man aus ihrer angestammten Heimat, egal ob Sudetenland, Pommern, Schlesien, oder sonst was, vertrieben wurden und sich in Deutschland angesiedelt haben. Diese Leute haben es etwas leichter, so kurios diese Aussage auch klingen mag. Aus dem einfachen Grund, - weil sie sagen: Hätte man mich in meiner alten Heimat belassen, so wäre ich noch heute dort. Aber ich durfte nicht bleiben, ich musste weg. Sie hatten damit aus der Not eine Tugend gemacht.

Was ist aber mit denjenigen, die aus freien Stücken, aus eigener Entscheidung, ohne Druck, ihre Heimat verlassen haben? Auch ich gehöre zu dieser Gruppe. Über 30 Jahre Deutschland, und nun seit 20 Jahren in Siebenbürgen.

Mein Fazit für Deutschland: Viele gute Freunde und Bekannte hat man sich „zugelegt“, der Abschied damals war nicht leicht. Aber: Zum Land selbst konnte ich niemals eine Beziehung entwickeln. Ich blieb immer überzeugter Österreicher. Zu Beginn der 70er Jahre war es das Land, zu dem ich aufgesehen hatte. Aber im Laufe der 90er Jahre habe ich gemerkt, wohin der Stecken schwimmt, und das hat mir den Abschied leichter gemacht.

Mein Fazit für Siebenbürgen/Rumänien: Hier fühlte ich mich gleich wie „zuhause“. Wenn man an Reinkarnation glaubt, dann könnte hier ein Ansatz vorliegen, dass man in einem früheren Leben bereits hier gelebt hat. Natürlich war die Umstellung nicht einfach, auch das mit der Sprache. Aber ich kam schnell hinein, zumal rumänisch eine romanische Sprache ist und ich in der Schule Latein gehabt habe. Leider habe ich mein relativ gutes Spanisch dadurch verloren, - die beiden Sprachen sind für einen „deutsch Denkenden“ einfach zu ähnlich.

Nun gilt es, sich dieses Siebenbürgen als neue „Heimat“ einzuverleiben. Wie geht das, wenn man in diesem Land nicht geboren wurde? Es gibt einen Weg. Man muss versuchen, sich für Land und Leute einzusetzen, sie zu verstehen, ihre Interessen zu vertreten. Das läuft oft darauf hinaus, dass ich öffentlich den Finger in die Wunden lege, wo die Verwaltungen Fehler machen und das bewusst ignorieren. Derzeit „kämpfe“ ich mit einem Bürgermeister, der im Stadtzentrum einen Park mit über 100 Linden durch eine gepflasterte Steinwüste ersetzen will.

Ich habe mich öffentlich gegen die Corona-Restriktionen gewehrt, trotz Auftritt-Verbotes durch die Verwaltung haben wir vom Fenster eines Privathauses aus mit Verstärker und Boxen musiziert, nach italienischem Vorbild, und die Leute haben auf der Straße getanzt. Gegen die Unsinnigkeit der Russlandpolitik habe ich vor den Einkaufszentren Musik gemacht, neben mir ein großes Schild mit meinen Beweggründen und einem großen roten „Z“ drauf.

Diverse Kampagnen habe ich gestartet, z.B. eine Initiative für den Bau eines Lifts in der Polyklinik (so etwas wie ein großes Ärztehaus), damit es die Leute leichter haben, die schlecht zu Fuß sind.

Das alles immer über die sozialen Plattformen publiziert, und so erarbeitet man sich die neue Heimat. Es läuft darauf hinaus, dass das Land, in dem man sich angesiedelt hat, einen selbst als einen der Seinen anerkennt. Das ist der einzige Weg, um in einem anderen Land nicht nur „zuhause“, sondern auch „daheim“ zu sein. Der Effekt ist nach 20 Jahren spürbar: Von sehr vielen Leuten wird man gegrüßt; in letzter Zeit sprechen mich schon mehrere darauf an, dass ich mich bei der nächsten Kommunalwahl als unabhängiger Stadtrat aufstellen lassen soll.

Trotzdem wird man niemals seine Herkunft ablegen können, und auch ich will das nicht. Natürlich kommt Wehmut auf, wenn ich durch Wien gehe und feststelle, dass die Stadt und die Straße, in der ich gelebt habe, ganz anders aussieht, als ich sie verlassen habe. Aber damit kann man leben, und nur zum Jahresbeginn will ich ganz alleine sein, wenn ich das Neujahrskonzert mir ansehe/anhöre. Braucht ja keiner mitzukriegen, wenn die Augen dann beim Donauwalzer feucht werden, zumal man sich daran erinnert, dass man als einstiger Wiener Sängerknabe dort oben auf der Empore neben der Orgel geträllert hat. Der Einladung des Konsuls in Hermannstadt zum jährlichen österr. Staatsfeiertag komme ich natürlich immer nach.

Soviel zu den Empfindungen als „Auslandsösterreicher“. Nun sollte man aber auch die praktischen Spielregeln beachten. Einfach zu sagen: ich hab gehört, in dem Land XY geht’s wesentlich besser, also wandern wir dorthin aus, - das ist Unsinn. Man muss dieses Land, das man im Fokus hat, mehrmals bereisen, sich wenn‘s geht, auch einige Zeit dort aufhalten. Nicht nur Urlaub machen, sondern sich auch um die alltäglichen Dinge im Leben informieren. Technische Überlegungen, wie z.B. die Absicherung durch Krankenversicherung sowie Pension, sollte man erkunden, Auto ummelden, Führerschein umschreiben, etc. etc.

Dann geht’s um die Kinder und um die Ausbildung. Bei uns war‘s einfach. Die deutschen Strukturen sind auch nach dem Sturz von Ceausescu in Siebenbürgen geblieben. Ums Eck war der Kindergarten mit deutscher Sektion, es gibt die deutsche Volksschule, das deutsche Gymnasium, etc. In anderen Ländern muss man sich erkundigen, wie man dem Kind die Muttersprache festigen kann, evtl. über Goethe-Institut oder ähnliches. Wir hatten in unserer gemischten Ehe ein Grundprinzip: Ich sprach mit dem Kind generell nur deutsch und meine Frau immer nur rumänisch. So konnte das Kind zweisprachig aufwachsen.

Eine nicht ganz unbedeutende Kleinigkeit sollte man noch beachten: Solange man ein kleiner „Niemand“ ist, wird sich niemand dafür interessieren, wenn man irgendwohin auswandert. Anders stellt sich das dar, wenn man vermögend ist und vielleicht noch eine gut gehende Firma gehabt hat, die man dann „mitnimmt“.

Man erinnere sich an die Zeit unter Adolf, als man 1931 die „Reichsfluchtsteuer“ eingeführt hatte. Ich zitiere aus Google:

Die Reichsfluchtsteuer wurde 1931 gegen die Kapitalflucht ins Ausland geschaffen, wobei zunächst jene Auswander*innen, die über mehr als 200.000 Reichsmark Vermögen bzw. über ein Jahreseinkommen von mehr als 20.000 Reichsmark verfügten, ein Viertel des Vermögens abgeben mussten.

Viele haben sicher schon bemerkt, dass man so manches, was unter Adolf üblich war, auch im heutigen „dämokratischen“ System einbaut, und haben natürlich damit recht. In Deutschland gibt’s eine „Wegzugsteuer“. Obs das auch in Österreich gibt, weiß ich nicht.

https://www.wohnsitzausland.com/wegzugsbesteuerung

Abschließend:

Man sollte also eine Entscheidung in dieser Richtung gut überlegen und auch von langer Hand vorbe-reiten. Einfach über Nacht so einen Entschluss zu fassen und am nächsten Tag in die Tat umzusetzen, oftmals emotional bedingt, wird zu 99% in die Hose gehen. Aber ich persönlich – durch meine Brille gesehen – segne den Tag, an dem meine Frau und ich diese Entscheidung getroffen haben.

Als ich vor ein paar Tagen eine Woche in Österreich war, um unser Häuschen zu überarbeiten und zum Verkauf vorzubereiten, habe ich wieder die Unterschiede gemerkt, vor allem in der von oben vorgegebenen Regulierung von allem und jedem. Auch mit den Nachbarn. „Bitte, machen Sie doch die Musik leiser“. „Aber zwischen 12 Uhr und 1 Uhr arbeiten Sie bitte nicht mit der Schleifmaschine, da ist Mittagsruhe“. Beim Abladen auf dem Abfallplatz muss man trennen: Unkraut kommt auf einen extra Haufen, und wild gewachsenes Gestrüpp auf einen anderen, usw. usw. Und am Himmel immer wieder die lärmenden Flugzeuge. Gottseidank bin ich dem allem entronnen.  
 

3 Kommentare:

K. hat gesagt…

"Man erinnere sich an die Zeit unter Adolf, als man 1931 die „Reichsfluchtsteuer“ eingeführt hatte. ..."

Sogar achtbare Leute wie Sie können es nicht lassen, den Nationalsozialisten Sachen in die Schuhe zu schieben, die die ach-so-ehrsamen Dämokratten der ach-so-freien Weimarer Republik erlassen haben. Daß die "Nazis" schon 1931 an der Macht waren, wußte ich bislang nicht. Zumeist haben sie nämlich nur Gesetze der Dämokratten, die schon damals so dämokrattisch waren wie die heutigen, beibehalten. Natürlich wird ihnen auch das Goldverbot vorgehalten, obwohl es in D schon 1923 und in den ach-so-freien USA 1933 eingeführt wurde.

Unabhängig davon war ihr Bericht sehr interessant, denn ich bin - Gott-sei-dank - in einer ähnlichen Situation. In meinem Ausland regiert die EU auch immer mehr ins Land hinein aber auf dem Dorf wird vieles leichter genommen. Die größte Pest sind jene Deutsche, die hier einen Ferien- oder Altersruhesitz haben und die Einheimischen über die aktuellen Öko-Gesetze belehren (z.B. Laubverbrennen) ...

helmut-1 hat gesagt…

Man erinnere sich an die Zeit unter Adolf, als man 1931 die „Reichsfluchtsteuer“ eingeführt hatte. ..."
Ein Lapsus, für den ich mich entschuldigen muss. Das Gesetz wurde nicht unter Adolf erlassen, sondern unter Brüning. Klar war die Machtergreifung durch Hitler erst 1933. Ich hab die Jahreszahl übersehen.

it's me hat gesagt…

@Helmut:

Zum Thema "Wegzugsbesteuerung" habe ich 2021 einen Artikel auf dem LePenseur-Blog geschrieben:

https://lepenseur-lepenseur.blogspot.com/2021/10/rabenmutti.html