... war schon einmal mit einem Gedenkartikel auf diesem Blog gedacht worden, und war in einigen Youtube-Videos zu hören. War es damals die 185. Wiederkehr seines Geburtstags, so ist es diesmal die 120. seines Todestages, des 1. Februars 1902, an dem der hochangesehene Professor für Musiktheorie, Klavier und Komposition am Leipziger Konservatorium und Ehrendoktor der dortigen Universität, am Ort seines Wirkens verstarb.
Waren es im vorherigen Artikel die 4. Symphonie, die — eigentlich fast als einziges Werk bis heute noch von Cellisten als gern gespieltes Encore »überlebend« — edel-sonore Cavatine für Cello und Orchester op. 120, und sein 1. Klavierkonzert, op. 89, also mit Ausnahme einer (dafür allerdings altmeisterlichen!) Fuge für Klavier (samt zugehörigem Präludium) Orchesterwerke, sei nun der Schwerpunkt auf seine Kammermusik gelegt, in der er höchst anerkennenswerte Werke hinterlassen hat, die eine Wieder-belebung mehr als verdienen würden! Beginnen wir mit dem Klaviertrio No. 2, in E-dur, op. 20, ein für seinen »frühen« Stil typisches Werk aus dem Jahr 1859:
Sangbare Melodik, einfallsreiche Themenentwicklung, stilistisch im Gefolge von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Schumann stehend; immer wieder der geschulte Kontrapunktiker durchklingend — ein eingängiges Werk von unbestreibarer Ernsthaftigkeit und Intensität des Ausdrucks. Zum Vergleich ein Werk des »späten« Jadassohn, aus dem Jahr 1895 das Klavierquinett No. 3, in g-moll, op. 126:
Eine gewisse Altersmelancholie ist unüberhörbar — man muß freilich sagen, daß Jadassohn insgesamt eine etwas schwermütige Ader eignet und seine ernsten Stücke in aller Regel überzeugender klingen als jene von »leichterer« Art. Davon gibt es freilich Ausnahmen, so ist z.B. sein Sextett für Klavier zu vier Händen und Streichquartett (eine fürwahr einzigartige Besetzung in der gesamten Kammermusik, so weit mir bekannt ist!) in G-dur, op. 100, aus dem »Dreikaiserjahr« 1888, ganz entzückend anzuhören:
Aus der mittleren Schaffensperiode des Komponisten stammt sein Klaviertrio No. 3 in c-moll, op. 59 (1880), der Tonart entsprechend ein ernstes, vielfach dramatisches Werk, das die Kunstfertigkeit wie auch Inspiration des Komponisten im besten Licht zeigt:
Nun ein überaus charmantes Werk als Kontrast zum vorigen — eine Valse-Caprice für Klavier, op. 62, aus dem Jahr 1881, in dem quasi Chopin und Johann Strauß Sohn einander die Hände reichen:
Zum Abschluß dieses kleinen Gedankartikels über diesen leider immer noch weitgehend vergessenen Komponisten noch zwei Orchesterwerke, zunächst die Serenade No. 3, in A-dur, op. 47:
Ein leichtfüßiges und -gewichtiges Werk, hier leider nur in einer .. sagen wir ... ganz netten, aber nicht gerade überragenden Interpretation zu hören. Dennoch eine durchaus vergnügliche knappe halbe Stunde!
Weitaus anspruchsvoller ist natürlich die Symphonie No. 3, in d-moll, op. 50 aus dem Jahr 1876. Sicher gegenüber der Symphonie No. 4 Jadassohns noch weniger »elaboriert«, aber doch schon ein durchaus achtbares Werk, das den Spuren von Mendelssohn und Schumann durchaus eigenständig zu folgen weiß:
Sicherlich: Jadassohn war als Musikpädagoge bedeutsamer denn als eigenschöpferischer Komponist. Doch dürften seine Fähigkeiten doch überzeugend genug gewesen sein — die Liste seiner Schüler ist fürwahr beeindruckend und umfaßt praktisch aller Herren Länder Europas, sogar Studenten aus den damals als Musiknation erst in den Kinderschuhen steckenden U.S.A. finden sich darunter ...
Keineswegs vergessen werden dürfen seine bis heute nutzbringend verwendbaren musiktheoretischen Schriften:
Die Formen in den Werken der Tonkunst
Instrumentationlehre
Harmonielehre
Contrapunkt
Generalbass
Kanon und Fuge
Salomon Jadassohn war, das wurde schon in meinem vorigen Artikel angesprochen, für das Fortleben seines Werkes durch seinen zweifellos ausgeprägten akademischen Konservativismus beeinträchtigt, der ihn in den Augen aller »Zukunftsmusiker« der sogenannten neudeutschen Richtung deklassierte, wobei sicher die den Jüngern Wagners nicht eben fremde Ablehnung eines »jüdischen Komponisten« schon zu seinen Lebzeiten eine Rolle spielte, aber zu seiner damnatio memoriæ in der Nazizeit führte. Und nach 1945 war die Musikszene nicht daran interessiert, einem hoffnungslos überholt geltenden »Akademieprofessor« mehr als einen kleinen Platz im Lexikon einzuräumen.
Und doch — wenigstens seine letzte Symphonie, die 4. in c-moll aus dem Jahr 1889, und einiges seiner Kammermusik würde eine »Wiederbelebung im Repertoire« durchaus verdienen, wenn auch unter dem Youtube-Video dieses Werkes ein Kommentarposter kritisch vermerkt:
how can one write a Schumannian symphony in 1889? I mean Brahms symphony 4 premiered in 1885 and Bruckner 7th in 1884.
Sicherlich, das ist ein Punkt! Aber andererseits können auch »Unzeitgemäße« ihre Berechtigung haben, und ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an eine Bemerkung des US-Komponisten George Antheil, der über das Pariser Konzertpublikum der 1920er- und30er-Jahre schrieb, daß man z.B. die Symphonien von Brahms vor beinahe leeren Sälen gespielt habe, weil »man« damals der Meinung war, Brahms sei völlig überholt. Das hat sich (und wohl nicht nur wegen eines mäßig wertvollen Buches von Françoise Sagan) inzwischen geändert. Ganz gebe ich daher meine Hoffnung nicht auf, daß auch für Salomon Jadassohn wieder die Stunde einer Wiederentdeckung schlägt. Und ich bleibe dabei: sie wäre verdient.
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