Montag, 2. Oktober 2017

Strategisch Wählen – dank Wolfgang Fellner

Wolfgang Fellner ist zwar ein in der Wolle gefärbter Linker, aber halt auch ein gevifter alter Politik- & Medienfuchs. Daher sind seine Einschätzungen der aktuellen Lage — abgesehen davon, daß er diese durch seine Publikation von SPÖ-internen E-Mails maßgeblich beeinflußt hat — jedenfalls interessant! Am Sonntag schrieb er in seiner Postille »Österreich«:
Meine Prognose für den 15. Oktober
1. ÖVP mit Kurz 33%
2. FPÖ mit Strache 28%
3. SPÖ mit Kern 22%
4. Neos mit Strolz 6%
5. Grüne mit Lunacek 5%
6. Liste Peter Pilz 4%
Das ist natürlich geschickt zusammenklabüsert: daß Kurz als Erster durchs Ziel geht, kann nach den jüngst hochgepoppten SPÖ-Skandalen als abgehakt betrachtet werden. Ein Linker wie Fellner wird also zur Schadensbegrenzung für »seine« Weltanschauungsgruppe (und die ist bei ihm halt Rot) bei Kurz eher leicht nach oben gewichten, damit für unentschlossene bzw. faule Wähler die Motivation sinkt, nicht wählen zu gehen, weil die Wahl ja ohnehin schon gelaufen ist. Ebenso wird er die FPÖ recht hoch, die SPÖ dafür eher etwas zu niedrig ansiedeln, in der Hoffnung, nun »alte« SPÖler (die mittlerweile schon ziemlich frustriert und — wie der Wiener unfein, aber treffend sagen würde — »scheiß-drauf« sind) aus der Schockstarre zu reißen. Ebenso dient die 4%-Prognose für Pilz v.a. der Spannungserhaltung — es sind bekanntlich noch 14 Tage bis zum Wahltag, und da muß ja auch noch was in der Zeitung stehen!

Das, was in seinem Artikel aber wirklich interessant ist, das sind folgende Überlegungen über die von Kurz vermutlich angestrebten Koalitionsvarianten:
Regieren mit FPÖ? Eher Liebes-Ehe mit Doskozil

Schwarz-Blau? Eigentlich sollte bei einem Wahlsieg von Kurz und der FPÖ auf Platz 2 alles für Schwarz-Blau sprechen. Aber jene, die Kurz wirklich gut kennen, orakeln, dass er als Wahlsieger keine Koalition mit der FPÖ wagt.


Kurz will eine Koalition, in der er schalten und walten kann. Er hat enorme Bedenken vor dem Trio Strache-­Hofer-Kickl, das ihm in einer Koalition die Show stehlen und viele Kurz-Ideen blockieren könnte.


Kurz sieht Schwarz-Blau nur als letzte Alternative – seine Lieblings-Koalitionen sind andere: Beste Köpfe. Liebste Idee wäre für Kurz eine ganz neue „Regierung der besten Köpfe“, in der jede Partei im weitesten Sinn zwei Ministerien bekommt – und dafür der Regierung 5 Jahre Arbeit ohne Misstrauensvotum garantiert.


Strolz könnte Bildungsminister, Griss Justizministerin, Strache Sozialminister, Doskozil Sicherheitsminister, Lunacek Umweltministerin werden. Oder sie könnten ihre besten Leute für das Amt nominieren und dieses Ressort samt allen Reformen dominieren.


Die FPÖ wird diesem Modell zwar auf keinen Fall zustimmen, aber wenn die SPÖ und ein oder zwei Kleinparteien mitgehen, könnte das für die Mehrheit komfortabel reichen.


Koalition neu. Ist die „Regierung der besten Köpfe“ nicht machbar, dürfte Kurz zu ­einer „Kaolition NEU“ tendieren – zu einer „Liebes-Ehe“ mit einer SPÖ ohne Kern, mit dem Kurz niemals wieder regieren will.


In diesem Fall würde Kurz gemeinsam mit seinem Lieblingspartner Doskozil eine ­Regierung mit völlig neuen Ressorts entwickeln. Mit Doskozil als „Sicherheitsminister“, mit Rendi-Wagner als „Lebensministerin“ für Gesundheit und Soziales usw.


Blau als Drohung. Es würde zu einer Weiterführung von Rot-Schwarz kommen – diesmal aber mit extrem selbstbewussten Schwarzen und schwer „gerupften“ Roten. Kurz weiß, dass er nach ­einem ÖVP-Wahlsieg von der SPÖ bei dieser Koalition jedes Zugeständnis bekommen würde, weil er immer mit Schwarz-Blau als Alternative drohen kann.


Deshalb ist die Regierung Kurz-Doskozil das logische Ergebnis vom 15. Oktober.
Mit einem Wort: es gibt zwei Varianten. Entweder die gaaaanz große Polit-Show mit Basti, bei der die anderen Parteien als brave Abnicker und »Umsetzer« fungieren, und es de facto keine Opposition geben soll (siehe: »... in der jede Partei im weitesten Sinn zwei Ministerien bekommt – und dafür der Regierung 5 Jahre Arbeit ohne Misstrauensvotum garantiert«), die der Regierung ggf. auf die Finger klopft. Das wäre quasi eine Neuauflage des DDR-Blockparteisystems, nur (noch?) ohne Einheitsliste bei der Wahl. Wenn so die Rettung der Demokratie aussieht, dann können wir uns ja auf was gefaßt machen ...

Oder aber: die Fortsetzung der SPÖVP-Herrschaft unter schwarzer (bzw. nun türkiser) Kanzlerschaft.

Beide Varianten sind nicht berauschend, denn was uns Fellner da an angeblich »besten Köpfen« andient, das ist zum größten Teil exakt jenes durchkorrumpierte Team an Berufspolitruks, die in den letzten Jahrzehnten (und bis heute) Österreichs Problem, und nicht die Lösung sind!

Egal, welche der beiden Varianten man ekelhafter findet: wer nicht bald nach dem 16. Oktober mit einer davon aufwachen möchte, dem wird nichts anderes übrigbleiben, als der FPÖ die Stimme zu geben! Warum?

Bei Variante 1 (gegen die die FPÖ sich aus gutem Grund bereits ausgesprochen hat) gibt es auch bei einem fulminanten Abschneiden von Kurz nur dann eine Chance auf Realisierung, wenn entweder die SPÖ mitmacht (was für sie aber in Variante 2 verlockender wäre!), oder — und das ist der springende Punkt! — FPÖ und SPÖ zusammen nicht über 50% der Mandate bekommen, sodaß Kurz & Klein (also: Pink, Grün, Pilz) sich knapp ausgeht. Was ein Bündnis aus umlackierten Schwarzen, Links»liberalen«, Ökommunisten und einem Ex-Juso wert ist, darf sich jeder selbst ausmalen.

Bei Variante 2 hängt die Realisierung v.a. am Abschneiden der SPÖ: ist dieses so mickrig, daß sie nur »unterirdisch« in den Kabinetts-Sitzungssaal kriechen könnte, werden vermutlich die Stimmen für eine Oppositionsrolle die Oberhand gewinnen. Ein solches mickriges Ergebnis wird allerdings nur durch eine entsprechend starke FPÖ ausgelöst werden — denn die, die von »Rot« flugs ihr Fähnchen auf »Türkis« färben wollen, die haben sich vermutlich ohnedies schon für Kurz entschieden, sind also in den vorliegenden Prognosen längst bei Kurz »eingepreist«!

Nicht, weil ich etwa eine Blau-Rote Regierung für Österreich wünschte — »Gott mög abhüten mit alle zwei Händ'!«, wie eine alte Bekannte (mosaischen Bekenntnisses) meiner Eltern bei drohender Unbill entsetzt auszurufen pflegte —, sondern weil nur eine möglichst starke FPÖ, die gegenüber einer stärkeren Kurz-VP immer noch mit einer theoretisch möglichen FP/SP-Koalition ein As im Ärmel hätte, Kurz' EUrokraten- und Transatlantiker-Politik irgendwie in Schach zu halten imstande wäre.

Was für jeden Österreicher, der sein Land nicht bloß als regionale Untergliederung der EU, oder als Krümel auf der One-World-Landkarte ansieht, eigentlich ein einsichtiges Argument darstellen sollte.

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