Freitag, 6. Juli 2018

Manchmal entlarven Nebensätze


Im gestrigen Leitartikel zum Staatsbesuch des iranischen Präsidenten in Wien monierte DiePresse in Gestalt von Wieland Schneider (nicht ohne Berechtigung):

Muss man sich beim Brückenbauen wirklich so verbiegen?

Kontakte zum Iran sind nötig, um das Atomabkommen zu retten. Aber allzu gemütlich sollte es für den Präsidenten eines Unrechtsregimes auch nicht sein.
[...]
Bei den gemeinsamen Pressekonferenzen Rohanis mit Bundespräsident Alexander Van der Bellen und Kanzler Kurz waren keine Journalistenfragen zugelassen. Offenbar aus Rücksichtnahme auf den iranischen Gast, um ihm die Konfrontation mit unangenehmen Themen zu ersparen.  [...]

Unangenehme Themen hätte es jedenfalls genug gegeben, zu denen der iranische Präsident bei der Pressekonferenz Rede und Antwort hätte stehen sollen: Die Unterdrückung der Opposition. Die verheerende Menschenrechtslage in seinem Land [...]
(Hier weiterlesen)
Gegenfrage an Herrn Schneider: muß man sich als Leitartikler in einem Transatlantiker-Organ, wie es DiePresse seit jeher ist, wirklich so verbiegen? Oder glaubt er, es würde im Falle eines Staatsbesuchs eines US-Präsidenten irgendeine Frage nach der Aggressionspolitik der Vereinigten Staaten in den letzten hundert Jahren gestellt werden dürfen — geschweige denn (außer durch ein faktisches Berufsverbot für den todesmutigen Journalisten) beantwortet?

Heimtückisch, wie ich bin, habe ich im obigen Zitat natürlich ein bisserl was ausgelassen. Schneider schreibt nämlich in einer Nebenbemerkung (na, aber immerhin!):
Zugleich hat sich in Wien zuletzt die Unsitte eingeschlichen, dass Pressekonferenzen mit internationalen Besuchern immer wieder zu reinen Statement-Vorträgen verkommen. Das war etwa auch der Fall, als Kurz die letzten Male mit EU-Ratspräsident Donald Tusk vor die Journalisten trat. (Hervorhebung durch LP)
Will er dadurch andeuten, daß im Falle von Tusk Fragen nach Unterdrückung von Oppositionellen in der EU oder die verheerende Menschenrechtslage höchst inopportun gewesen wären? Man muß es wohl vermuten — denn wer bspw. gegen den Brüsseler Zentralismus Kritik äußert, wird bis zum Berufsverbot, bis zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vernichtung gemobbt. werden die Menschenrechte auf freie Meinungsäußerung durch Zensurnetzwerke, und das Demonstrations- und Versammlungsrecht in solchen Fällen durch staatlich geförderte Antifa-Schlägerbanden ad absurdum geführt, fühlen sich systemtreue Justizapparate geneigt, gegen bloße Gesinnungen, die den »Eliten« nicht passen, mit Verhetzungs- und anderen Gummiparagraphen vorzugehen etc. etc. etc. 

Ja, wir alle wissen: der Iran hat eine autoritäre Verfassung und beklagenswerte Menschenrechtslage. Nur — hat China das nicht ebenso (bzw. in noch weit höherem Ausmaß)? Und war DiePresse bei Besuchen chinesischer Spitzenpolitiker geneigt, »Verbiegungen« Österreichs festzustellen? Wohl eher nicht.

Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit,zitierte der frühere Nationalratspräsident Khol, Bildungsbürger par excellence, der er ist. Was die Medien angeht ist sie offenbar auch und vor allem eine Tochter der Lobbies und Financiers. Das ist nichts neues, Schon Paul Sethe, einer der Gründer der FAZ, schrieb 1965 in einem Leserbrief an den »Spiegel« sarkastisch:
Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.
wobei heute die »200 reichen Leute« längst durch Lobbying-Gruppen und politisch eng vernetzte Seilschaften ersetzt wurden. Am grundlegenden Befund ändert dies jedoch exakt — nichts!

Dasselbe wurde übrigens schon im 19. Jahrhundert von John Swinton, einem der einflußreichsten Journalisten seiner Zeit in New York, offen eingestanden:
1880 war John Swinton Ehrengast bei einem Bankett, das ihm die Führer der Zeitungs- zunft ausrichteten. Jemand sprach ehrende Worte über die unabhängige Presse. Swinton antwortete (Übersetzung):
„So etwas gibt es bis zum heutigen Tage nicht in der Weltgeschichte, auch nicht in Amerika: eine unabhängige Presse. Sie wissen das, und ich weiß das. Es gibt hier nicht einen unter Ihnen, der es wagt, seine ehrliche Meinung zu schreiben. Und wenn er es täte, wüsste er vorher bereits, dass sie niemals im Druck erschiene. Ich werde wöchentlich dafür bezahlt, dass ich meine ehrliche Meinung aus dem Blatt, mit dem ich verbunden bin, heraushalte. Andere von Ihnen erhalten ähnliche Bezahlung für ähnliche Dinge, und wenn Sie so verrückt wären, Ihre ehrliche Meinung zu schreiben, würden Sie umgehend auf der Straße landen, um sich einen neuen Job zu suchen. Wenn ich mir erlaubte, meine ehrliche Meinung in einer der Papierausgaben erscheinen zu lassen, dann würde ich binnen 24 Stunden meine Beschäftigung verlieren. Das Geschäft der Journalisten ist, die Wahrheit zu zerstören, schlankweg zu lügen, die Wahrheit zu pervertieren, sie zu morden, zu Füßen des Mammons zu legen und sein Land und die menschliche Rasse zu verkaufen zum Zweck des täglichen Broterwerbs. Sie wissen das, und ich weiß das, also was soll das verrückte Lobreden auf eine freie Presse? Wir sind Werkzeuge und Vasallen von reichen Männern hinter der Szene. Wir sind Marionetten. Sie ziehen die Strippen, und wir tanzen an den Strippen. Unsere Talente, unsere Möglichkeiten und unsere Leben stehen allesamt im Eigentum anderer Männer. Wir sind intellektuelle Prostituierte.“
Meinungshuren, die erwünschte Leitartikel schreiben, alterieren sich über Rückgratverbiegungen — ja, das hat was! Nämlich was von Heuchelei ...




1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Auch beim Staatsbesuch des ukrainischen Präsidenten Poroschenko, einem der ärgsten Faschisten in Europa, im Februar in Wien (u.a. beim engagierten Antifaschisten van der Bellen) war die Kritik eher verhalten.

FritzLiberal