von Fragolin
Wir leben in einem Land, in dem die Menschen vor Schutz Suchenden
Schutz suchen müssen.
Es ist ja nicht nur so, dass junge Mädchen in den Genuss
muttikultureller Bereicherung und Sensibilisierung für Teilhabe an
der täglichen Neuverhandlung der Regeln des Zusammenlebens kommen.
Nein, auch unsere lieben Altchen sollen aus der vergartenzwergten
Ewiggestrigkeit und zur Teilhabe an den Geschenken geführt werden,
die wertvoller sind als Gold.
Und so machte es sich ein
Goldstück zur selbstlosen Aufgabe, eine 74-jährige aus
ihrer lethargischen Sediertheit zwischen Häkeldeckchen und
Streuselkuchen zu reißen, überraschte sie mit einem lustigen Sprung
aus der Gartenhecke, hinter der sie im Liegestuhl dahinbräste, und
küsste sie mit einem mit fröhlich geschwungener Dachlatte gezogenen
Scheitel über den Dutt aus ihrem Dornröschentraum.
Unbestätigten Gerüchten zufolge hinterließ der fröhliche Geselle
einen Zettel: „Geschenk von Mutti!“ Schön, dass sie unserer
Gesellschaft dankbar etwas zurückgeben!
Und nicht, dass hier der Eindruck entsteht, nur Kinder und Alte wären
die einzigen Nutznießer der Durchbuntung Merkelstans, nein auch die
werktätige Bevölkerung soll an den Errungenschaften teilhaben, die
von bösen ultrarechten Hetzern bis heute zu Gründen umgedeutet
werden, um ihren dumpfen Rassenhass zu verbreiten.
So musste eine renitent dunkeldeutschen Zugbegleiterin vulgo
Fahrscheinknipse ausgerechnet aus dem bekannt rassistischen Sachsen
erst durch körperbetonte Intervention eines die täglichen Regeln
des Zugfahrens neu Verhandelnden darauf aufmerksam gemacht
werden, das stures Beharren auf solchen unwichtigen Kleinigkeiten wie
der Gültigkeit eines Fahrscheines bedeutungslos ist, denn auch beim
Bahntransport geht es nicht um starre Grenzen und Regeln zur
Maximierung der Kapitalerträge von Aktieninhabern der Bahn sondern
um Menschen!
Eine ähnliche Erfahrung musste dann auch ein dunkelsächsischer
Lokführer machen, der es immer noch nicht begriffen hatte, dass die
rassistische Drängelei deutscher Aussteigender, die frech Vorrang
vor einem armen diskriminierten Afghanen verlangten, der sich doch
nur willig in die Gemeinschaft der Bahnfahrenden integrieren wollte,
nur weil sie schon immer nach der dumpfdeutschen Spießerregel „Erst
aussteigen, dann einstiegen“ ihr Recht einforderten, auszusteigen
bevor der junge Mann einsteigt, neu ausverhandelt wurde. Er kann im
Spital jetzt darüber nachdenken, was er falsch gemacht hat.
Und wer jetzt glaubt, das wären ja irgendwie alles typische
Draußen-Fälle, also da würde einem ja in den eigenen vier Wänden
weniger Bereicherung und Neuverhandlung passieren, nun ja, der sollte
sich sein Essen bei amazon bestellen und nur noch für Liefer-Drohnen
gelegentlich eine Dachluke öffnen. Denn wer rausgeht ist auch dann
nicht mehr verschont, wenn er, oder meist dann doch wieder sie, in
die trügerische Sicherheit der eigenen Wohnung zurückkehrt.
So geschehen
in Chemnitz.
Chemnitz.
Ich war mal da, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß.
Etwa so groß wie Graz, nur noch verpennter. Ja, das geht. Nichts
los. Das Spannendste damals eine gehobene Kellerkneipe (ja, ich weiß,
ein Widerspruch in sich…) mit Bowling-Bahn, auf der auch
Schwesternschülerinnen des örtlichen Krankenhauses irgendein
sozialistisches Festchen feierten. Keine von denen zeigte irgendeine
Furcht, sich von fremden Männern bunte Drinks bezahlen und dann bis
an die Haustür bringen zu lassen, die hatten noch eine kulturelle
Unschuld, in der die Frau den Mann einfach auf einen Kaffee reinbat
oder man sich eben an der Haustür mit einem Kuss verabschiedete, und
beides wurde akzeptiert. Glückliche Mädchen, die heute wohl selbst
Mütter von solchen jungen Frauen sind, die nachts Angst haben
müssen, wenn sie noch allein unterwegs sind.
Man stelle sich nur vor, die wären heute noch so unschuldig und
furchtlos wie damals, so unbeschwert und sicher – bäh, wie
langweilig! Fettgewordene Matronen in Dreireihern oder buntgefärbten
Zirkuszelten haben den jungen Mädchen von heute eine buntere Welt
vor die Füße gelegt, das wird denen ja wohl den einen oder anderen
Kollateralschaden wert sein, oder?
Und diese wundervolle Bereicherung, diese Buntheit und Lebensfreude,
diese gelebte Liebe und Dankbarkeit, will der fiese Seehofer jetzt
torpedieren?
BUUH!
Das ist ja widerlich!
Fehlt nur noch eine Brandrede der Rächtsäksträmen… ah, da ist
sie ja:
Und dazwischen das Geplärre der vorlauten grünen Empörungskugel in
den bunten Fetzen. Herrlich, endlich ist aus der Quatschbude der
fettgefressenen Bonzen wieder ein Parlament geworden. Wenigstens
einen Vorteil des Merkelputsches kann man erkennen – ihr Versuch
der kaltschnäuzigen Ausschaltung der Demokratie hat diese mit Gewalt
zurück in den politischen Tagesbetrieb gebracht.
Also doch: Bereicherung.
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