Mittwoch, 20. Juni 2018

Bereicherung

von Fragolin

Wir leben in einem Land, in dem die Menschen vor Schutz Suchenden Schutz suchen müssen.

Es ist ja nicht nur so, dass junge Mädchen in den Genuss muttikultureller Bereicherung und Sensibilisierung für Teilhabe an der täglichen Neuverhandlung der Regeln des Zusammenlebens kommen. Nein, auch unsere lieben Altchen sollen aus der vergartenzwergten Ewiggestrigkeit und zur Teilhabe an den Geschenken geführt werden, die wertvoller sind als Gold.
Und so machte es sich ein Goldstück zur selbstlosen Aufgabe, eine 74-jährige aus ihrer lethargischen Sediertheit zwischen Häkeldeckchen und Streuselkuchen zu reißen, überraschte sie mit einem lustigen Sprung aus der Gartenhecke, hinter der sie im Liegestuhl dahinbräste, und küsste sie mit einem mit fröhlich geschwungener Dachlatte gezogenen Scheitel über den Dutt aus ihrem Dornröschentraum.
Unbestätigten Gerüchten zufolge hinterließ der fröhliche Geselle einen Zettel: „Geschenk von Mutti!“ Schön, dass sie unserer Gesellschaft dankbar etwas zurückgeben!

Und nicht, dass hier der Eindruck entsteht, nur Kinder und Alte wären die einzigen Nutznießer der Durchbuntung Merkelstans, nein auch die werktätige Bevölkerung soll an den Errungenschaften teilhaben, die von bösen ultrarechten Hetzern bis heute zu Gründen umgedeutet werden, um ihren dumpfen Rassenhass zu verbreiten.
So musste eine renitent dunkeldeutschen Zugbegleiterin vulgo Fahrscheinknipse ausgerechnet aus dem bekannt rassistischen Sachsen erst durch körperbetonte Intervention eines die täglichen Regeln des Zugfahrens neu Verhandelnden darauf aufmerksam gemacht werden, das stures Beharren auf solchen unwichtigen Kleinigkeiten wie der Gültigkeit eines Fahrscheines bedeutungslos ist, denn auch beim Bahntransport geht es nicht um starre Grenzen und Regeln zur Maximierung der Kapitalerträge von Aktieninhabern der Bahn sondern um Menschen!
Eine ähnliche Erfahrung musste dann auch ein dunkelsächsischer Lokführer machen, der es immer noch nicht begriffen hatte, dass die rassistische Drängelei deutscher Aussteigender, die frech Vorrang vor einem armen diskriminierten Afghanen verlangten, der sich doch nur willig in die Gemeinschaft der Bahnfahrenden integrieren wollte, nur weil sie schon immer nach der dumpfdeutschen Spießerregel „Erst aussteigen, dann einstiegen“ ihr Recht einforderten, auszusteigen bevor der junge Mann einsteigt, neu ausverhandelt wurde. Er kann im Spital jetzt darüber nachdenken, was er falsch gemacht hat.

Und wer jetzt glaubt, das wären ja irgendwie alles typische Draußen-Fälle, also da würde einem ja in den eigenen vier Wänden weniger Bereicherung und Neuverhandlung passieren, nun ja, der sollte sich sein Essen bei amazon bestellen und nur noch für Liefer-Drohnen gelegentlich eine Dachluke öffnen. Denn wer rausgeht ist auch dann nicht mehr verschont, wenn er, oder meist dann doch wieder sie, in die trügerische Sicherheit der eigenen Wohnung zurückkehrt.
So geschehen in Chemnitz.
Chemnitz.
Ich war mal da, als es noch Karl-Marx-Stadt hieß.
Etwa so groß wie Graz, nur noch verpennter. Ja, das geht. Nichts los. Das Spannendste damals eine gehobene Kellerkneipe (ja, ich weiß, ein Widerspruch in sich…) mit Bowling-Bahn, auf der auch Schwesternschülerinnen des örtlichen Krankenhauses irgendein sozialistisches Festchen feierten. Keine von denen zeigte irgendeine Furcht, sich von fremden Männern bunte Drinks bezahlen und dann bis an die Haustür bringen zu lassen, die hatten noch eine kulturelle Unschuld, in der die Frau den Mann einfach auf einen Kaffee reinbat oder man sich eben an der Haustür mit einem Kuss verabschiedete, und beides wurde akzeptiert. Glückliche Mädchen, die heute wohl selbst Mütter von solchen jungen Frauen sind, die nachts Angst haben müssen, wenn sie noch allein unterwegs sind.
Man stelle sich nur vor, die wären heute noch so unschuldig und furchtlos wie damals, so unbeschwert und sicher – bäh, wie langweilig! Fettgewordene Matronen in Dreireihern oder buntgefärbten Zirkuszelten haben den jungen Mädchen von heute eine buntere Welt vor die Füße gelegt, das wird denen ja wohl den einen oder anderen Kollateralschaden wert sein, oder?

Und diese wundervolle Bereicherung, diese Buntheit und Lebensfreude, diese gelebte Liebe und Dankbarkeit, will der fiese Seehofer jetzt torpedieren?
BUUH!
Das ist ja widerlich!
Fehlt nur noch eine Brandrede der Rächtsäksträmen… ah, da ist sie ja:



Und dazwischen das Geplärre der vorlauten grünen Empörungskugel in den bunten Fetzen. Herrlich, endlich ist aus der Quatschbude der fettgefressenen Bonzen wieder ein Parlament geworden. Wenigstens einen Vorteil des Merkelputsches kann man erkennen – ihr Versuch der kaltschnäuzigen Ausschaltung der Demokratie hat diese mit Gewalt zurück in den politischen Tagesbetrieb gebracht.
Also doch: Bereicherung.

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