von San Casciano
Der Wunsch der Neuen Linken, sich stets mit den Schwächsten und
Unterdrücktesten zu fraternisieren, treibt absonderliche, ja,
geschmacklose Blüten. Einst hatte diese Solidarität den kleinen Leuten
gegolten: den Lehrlingen, den Arbeitern, den Malochern, den
Kohlegräbern, den (mittellosen) Studenten. Diese „alte Linke“ aus
Peppones Zeiten hatte in vielerlei Hinsicht ihre Berechtigung, da
Gerechtigkeit hieß: Schulbildung, medizinische Versorgung und soziale
Absicherung für jene, die der Gesellschaft nützlich sind, aber selbst in
Not geraten. Aus libertärer und katholischer Sicht kann man sich
fragen, ob Etatismus und Sozialismus die besten Wege sind, um das
Problem zu lösen; es ändert aber nichts daran, dass Analyse und Behebung
der sozialen Frage historisch ihre Berechtigung hatten.
Der Schritt von der klassischen Linken zur Neuen Linken vollzog sich,
als plötzlich andere Formen der Unterdrückung ausgemacht wurden: gegen
Frauen, gegen Andersgläubige, gegen ganze Völker. Frühformen dieses
Weges sind bereits in der Französischen Revolution angelegt, damals
bedingt durch das Schicksal mittelloser Witwen, der beginnenden
Emanzipation der Juden oder auch der Polenfreundlichkeit.*
Es sind aber vielmehr die heutigen Auswüchse dieses Gedankens, die
der westlichen Gesellschaft heute zu schaffen machen. Fraternisierung
mit den „Schwachen“ galt und gilt bis heute als progressiv und moralisch
gut; ein nicht zu verachtendes Kernelement, was die
Selbstidentifikation sozialdemokratischer bis linksextremer
Gruppierungen ausmacht. Auch hier die Kernbegriffe: Solidarität und
Gerechtigkeit. Ob ein Bündnis mit den „Schwachen“ wirklich „gut“ ist,
wird daher nicht mehr hinterfragt: der „Starke“ (oder besser: der „stark
Scheinende“) wirkt immer als Bedrohung, als Ausbeuter, als
Unterdrücker.
Zusammengehend mit einer Sensibilität und Sentimentalität, die dem
Mechaniker Peppone oder dem Offizier Schmidt völlig fremd gewesen wäre,
und sich über jede Beleidigung oder Verletzung des eigenen Wattetraums
einer rosaroten Einhornwelt entsetzt zeigt, hat sich das ursprüngliche
linke Ideal der Befreiung der arbeitenden Bevölkerung aus der
Vormundschaft der Kapitalisten zu einem eigentümlichen Brei verwandelt.
Die Ideale der zweiten linken Kategorie von Feminismus, religiöser
Toleranz und Anti-Rassismus – hat ihr Feindbild im alten weißen Mann
gefunden. Alles, was gegen diesen alten weißen Mann taugt, wird
befördert.
Es mutet dabei ironisch an, dass alle Idole, welche die Grundlagen
der heutigen Linken legten – von Marx und Engels über Lenin und Sartre
bis zu Adorno und Marcuse – alte weiße Männer waren, und ihr letztes
Überbleibsel Habermas ebenfalls zu dieser Kategorie zählt.
Ausgehend von der Logik der „Unterdrückten“ rückt der Islam in den
Vordergrund. Die Zusammenhänge zwischen verschiedenen linksextremen,
autonomen Organisationen und terroristischen Vereinigungen zu arabischen
(Links)Nationalisten werde ich hier hoffentlich nicht aufführen müssen.
Im Grunde waren fast alle Diktaturen des Nahen Ostens sozialistisch und
nationalistisch ausgerichtet; die Ironie dieser Kombination soll nicht
weiter ausgereizt werden als nötig (in Südamerika war es nicht viel
anders). Syrien, Irak, Ägypten, auch die Türkei und vor allem: die
palästinensische PLO. Der Islam spielte in der Zeit des Kalten Krieges
noch keine Rolle – außer für die CIA, die radikalislamische Gruppen
nutzte, um gegen das Schreckgespenst des Sozialismus vorzugehen.
Trotzdem wurde der vom „Westen“ unterdrückte Muslim bald zu einer Ikone
der linken Bewegungen, nicht zuletzt auch im Bezug der in diesem Lager
um sich greifenden Israelkritik.
Diese „Unschuldsvermutung“ gegenüber der arabisch-muslimischen Welt,
die zum Konfliktpunkt von westlichen Machtinteressen wird, ist bis heute
extrem wirkmächtig. Natürlich: der Angriffskrieg gegen den Irak im Jahr
2003 war ein unprovozierter Akt amerikanischen Imperialismus, der zudem
unter fadenscheinigen Beweggründen geführt wurde (heute würden wir
sagen: mithilfe von „FakeNews“). Es ändert aber nichts daran, dass sich
die dortigen Machthaber gegenseitig das Leben schwermachen, so
insbesondere Saudi-Arabien, das unverhohlene hegemoniale Ansprüche
äußert (siehe Jemen) oder die zur Großmacht aufgestiegene Türkei, die
Nordsyrien und Nordirak als Einflusssphäre ansieht (gegen die Kurden)
oder bis heute Nordzypern besetzt hält. Die erste amerikanische
Intervention in der Region rührte aus den Expansionsbestrebungen des
Irak, der nach dem verlorenen Ersten Golfkrieg das kleine, ölreiche
Kuweit zu annektieren trachtete.
Das manichäische Schwarz-Weiß-Denken, insbesondere im extremen Lager
der Neuen Linken, lässt aber keinen anderen Schluss zu, als eine
Verfolgung und Verachtung von Muslimen durch den Westen – sowohl hier
als auch in deren Heimatländern – zu sehen; ein Phänomen, das
verschwörungstheoretisch anmutet, betrachtet man die Terrorherrschaft
der Taliban in Afghanistan, das Mullah-Regime von Teheran, die
Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien, oder die himmelschreienden
Zustände im Sudan und anderen Ländern Nordafrikas, in denen
Genitalverstümmelungen, Frauenschändungen, Christenverfolgungen und
Steinzeitjustiz auf der Tagesordnung stehen. Für den Reaktionär mag das
einerlei sein (schließlich interessieren ihn die Zustände außerhalb
nicht), beim Linken, der von universalistischen Menschenrechten spricht,
mutet es hingegen heuchlerisch an. Doch verglichen mit den schlimmen
Verbrechen der alten weißen Männer (vulgo: des Westens und dessen
„Geschichte“) bleibt das Bild bestehen. Schlimmer noch: wer diese Fakten
benennt, gilt als Islamophober, und sollte sich der rechtsextreme
Islamhasser auch noch davor ängstigen, dass ein Zuzug von Menschen aus
genannten Ländern diese Zustände in unseren Breiten forcieren könnte, so
ist er in den Augen der Neuen Linken zum vollendeten Nazi geworden –
gleich, ob es sich um eine kommunistische Frauenrechtlerin aus dem Iran,
einer türkischen Islamkritikerin oder einem ägyptischen Atheisten
handelt, der in Lederhosen mit einem jüdischen Pummelchen übers
Oktoberfest flaniert.
Es ist dieser unbedingte Glaube an die Unschuld der Muslime, welche
das möglich gemacht hat, was beim „Women’s March“ in Washington und
anderswo geschehen ist: linke Frauen, die sich mit Musliminnen
fraternisieren, und ein Kopftuch aufsetzen. Die Logik dahinter: wir sind
beide unterdrückt, wir stehen beide zusammen – gegen den bösen alten
Mann im Weißen (!) Haus, der aus seiner Islamophobie keinen Hehl macht.
Ausgerechnet ein Hijab, ein Zeichen, das (alt)linken Frauenrechtlerinnen
im Nahen Osten zum Verhängnis wurde! Ein Symbol, das sich progressive
Frauen anderswo herunterrissen, und dafür mit Steinigung bestraft
wurden. Dieses Kopftuch, dass jahrzehntelang selbst in der Türkei
innerhalb öffentlicher Einrichtungen verboten war, als man dort einen
strikten Laizismus praktizierte, und dessen Rückkehr unter Erdogan
gleichzeitig den beginnenden Neo-Osmanismus am Bosporus kennzeichnet.
Trotz allem: für die Neuen Linken bedeutet islamisch sein zugleich
solidarisch sein. Das Sternenbanner der Vereinigten Staaten wird zum
Kopftuch herabgewürdigt, es ist ein Sieg des Propheten über den
dekadenten Westen, über die westlichen Werte, über die Vorzeigemacht des
Westens. Und: es ist kein Angriff von außen, sondern von innen. Die
Aktion wurde von Linda Sansour initiiert, eine Muslimin, die für die
Scharia eintritt, gegen Israel wettert und Zeichen der Hamas und des
Islamischen Staates anwendet. Feministinnen stimmen indes „Allahu
akbar“-Rufe auf demselben Marsch an. Dass anscheinend niemand der
Besserfrauen, die gegen Trump demonstrieren, auf die Idee kommt, dass
sie sich als nützliche Idioten einer Ideologie andienen, die sie
wertloser als ein Kamel macht, scheint nicht nur paradox, sondern wird
von den Damen als „Hass“ gewertet, wenn man es erwähnt. Wer ist hier
bitte postfaktisch?
Man kann sich daher nicht des Eindrucks erwehren, dass große Teile
der Frauenbewegung nicht nur von Islamversteherinnen und
Islamsympathisantinnen unterwandert wurden, sondern anscheinend bereits
einflussreiche Netzwerke Fuß gefasst haben. Solidarität und
Gerechtigkeit sind „Eigenwerte“ innerhalb der Neuen Linken geworden,
aber ohne Struktur, ohne Form, ohne Belang. Sie gehen so weit, dass man
im Käßmann’schen Sinne Terroristen zu lieben beginnt. In masochistischer
Anwandlung sororisiert man sich mit den Unterdrückern der eigenen
Geschlechtsgenossen, weil ein Mann angeblich sexistische Sprüche bringt.
Das Wort verletzt mehr als Peitschenhiebe oder ein paar Tüten Kies.
https://twitter.com/madeleine/status/824320652278693892
Ist es da so verwunderlich, dass Madeleine Albright, Außenministerin
unter Bill Clinton, beschließt, zum Islam zu konvertieren? Aus
„Solidarität“? Im Gegensatz zu dieser ist Religion kein Eigenwert, denn
die kann man wechseln wie man lustig ist. Religion als politisches
Mittel zum Zweck! Die Konsumreligion, die den Glauben eben auch nur als
ein Hemd, ein Paar Schuhe oder ein Auto begreift, das man beliebig
erwirbt, konsumiert und wegwirft, hat keine Scheu, der Mode
nachzurennen. Das demokratische Gewissen sagt: Islam ist gut, also
hängen wir jetzt dem Islam an. Die Entwurzelung aus der eigenen
kulturellen und religiösen Identität macht Albright so „frei“, hier
solidarisch entscheiden zu können, dass der Christengott nun einmal
Allah weicht.
Albright kennt das ja schon aus dem außenpolitischen Leben. Der
Antagonismus zu Russland ließ sie die Balkankriege anfeuern, um den
einst jugoslawischen, nunmehr nur serbischen Verbündeten erheblich zu
schwächen. Nutznießer waren dabei nicht zuletzt die muslimischen
Minderheiten in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Kosovo. Insbesondere
Bosnien gilt heute als salafistisches Koordinatennetz, wo ganze Dörfer
und Landstriche an die Radikalen gefallen, und zu Routenpunkten der
Einschleusung islamischer Terroristen ins Herz Europas geworden sind.
Dass Albright andererseits zuständig für den Irak-Boykott war, dem
hunderttausende Muslime zum Opfer fielen, wird gerne vergessen; ein
Vorgang, den sie dazumal verteidigte. Aber den Rächer der Unterdrückten
zu spielen, gefällt ja nicht nur der politischen Prominenz. Der
Einnistung und List des Islamismus fallen sie am Ende dennoch zum Opfer,
wenn Frauen der Meinung sind, Islam sei eine Lifestyle-Angelegenheit
wie Buddhismus, Tantra oder Starbucks-Kaffee. Der Iran und auch die
Türkei sind Musterbeispiele, wie aus verwestlichten Ländern in kurzer
Zeit neo-islamische Gebilde wurden.
Mit dem feinen Unterschied, dass die altlinken Frauenrechtlerinnen dort genau wussten, was das Kopftuch wirklich ist.
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*Wenn man sich auch bei letzterer fragen mag, ob wirklich die Liebe zur
von der Karte getilgten polnischen Nation eine Rolle spielte, oder nicht
doch vielmehr strategische Gründe, um die drei Hauptgegner Preußen,
Russland und Österreich zu schwächen, die sich am polnischen Territorium
bereichert hatten. Ähnlich verhält es sich mit dem zeitgenössischen
Philhellenismus.
1 Kommentar:
Schöner Kommentar. Danke!
Dass die Neue Linke nicht mehr wirklich links ist (sondern an den Fäden der Machthaber & Imperialisten hängt) - merken sie ja nicht einmal selbst. Ich denke Karl Marx hat das vorausgesehen und irgendwo formuliert, dass der 'faulende, parasitäre und sterbende Kapitalismus' sich der Kommunisten/ der Linken genauso bedienen wird, wie er sich gestern der Bourgoisie, der Faschisten, der Kleriker, danach der Sozialdemokraten, Christdemokraten, Liberalen usw. bedient hat.
Und auch sehr schön Ihr Hinweis, dass sich ""progressiv"" wähnende amerikanische oder europäische Feministinnen den Hijab überstülpen - den wirklich progressive, frei-leben-wollende Frauen in Iran oder Saudi-Arabien unter Todesstrafe nicht ablegen dürfen [geschweige denn Autofahren, Fahrradfahren, Schach spielen usw.].
Gut formuliert: Pseudo-Feminismus gepaart mit Islamliebe/-hofierung like a Starbucks-, Yoga- or Tantra lifestyle.
Dazu könnten sie gemeinsam trällern:
www.youtube.com/Feminists love Islamists
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