von San Casciano
Im Sommer des Jahres 1456 wogen Wellen durch das Ährenmeer der
südungarischen Vojvodina. Kein Wind bewegt sie, sondern das Beben von
dreißigtausend Stiefeln. Im Marschritt zermalmen ihre Sohlen Ackerhalme.
Banner und Fahnen flattern bis zum Horizont: blutrote und schneeweiße
Streifen glänzen in der Sonne, formen das alte Wappen der Árpáden, der
ersten Könige Ungarns. Daneben das Doppelkreuz – Erbe aus byzantinischer
Zeit, da sich die Söhne des Pannonischen Beckens mit den
purpurgeborenen Kaiserkindern vom Bosporus vermählten.
Doch Byzanz ist gefallen. Die Theodosianischen Mauern, die über
eintausend Jahre jedem Angriff, jeder Eroberung trotzten, stürzten unter
Kanonendonner und „Allahu akbar!“-Rufen in sich zusammen. Die größte
und schönste Kirche der Welt – zur Moschee umgewidmet. Der alte
Kaiserpalast – Sitz des Sultans. Dem Glockengeläut ist der Ruf des
Muezzins gewichen. Drei Jahre sind seitdem vergangen. Drei Jahre, in denen die Osmanen
unter ihrem Sultan Mehmed II. den Balkan verwüsten. Nachdem
Konstantinopel, der Goldene Apfel, in die Hand der Muslime gefallen ist,
erscheint Belgrad als nächste lohnende Eroberung.
Tagelang folgt der Heerzug daher der Donau. Boote, Lastkähne und
Galeeren begleiten das Aufgebot, das den Türken entgegenzieht.
Sechzigtausend Männer soll der Sultan befehligen. Darunter die
gefürchteten Janitscharen. Die Elitetruppe Mehmeds wird ihrer
Grausamkeit wegen von den christlichen Soldaten gefürchtet. Deren ganze
Hoffnung ruht auf ihrem eigenen Anführer, der an der Spitze seiner
Truppen reitet: Johann Hunyadi.
Hunyadi ist eine Legende. Seit zwanzig Jahren ringt er im Namen des
Kreuzes gegen den Sichelmond – mit wechselhaftem Erfolg. Unvergessen die
Katastrophe von Varna 1444, bei der eine christliche Allianz den Türken
unterliegt und der ungarische König den Tod findet. Ihm folgt der
vierjährige Ladislaus auf den Thron. Hunyadi lenkt das Land seitdem als
Regent.
Ladislaus ist mittlerweile sechzehn, aber Hunyadi bleibt die
wichtigste und mächtigste Figur Südosteuropas. Ungarn hat Byzanz als
Bollwerk beerbt. Das Königreich, das sich von den Gebirgszügen
Dalmatiens bis zu den Karpaten erstreckt, wird zum Schild des
Abendlandes, den Hunyadi führt. Die Katastrophe von Varna, die
Niederlage auf dem Amselfeld, der Fall Konstantinopels – allesamt
Notizen, sollte Belgrad fallen, und den Türken der Weg bis nach
Mitteleuropa offenstehen.
Aber Hunyadis Männer stehen nicht allein auf dem Feld. Das ganze
Abendland steht aufseiten des ungarischen Heeres. Hinter den Rücken der
Soldaten schlagen Myriaden von Glocken. Papst Kalixt III. hat dazu
aufgerufen, zur Mittagszeit in ganz Europa zu läuten, um Männer, Frauen
und Kinder für die Verteidiger Belgrads und die Soldaten Hunyadis zum
Gebet aufzurufen. Seit Ende Juni tönt der Hall täglich durch die
Stadtgassen und über Felder, von den Stränden Portugals bis zu den
Abteien Englands, in den Reichsstädten des Heiligen Römischen Reiches
und den Kaufmannsrepubliken Italiens bis hin in zu einsamen Dorfkapellen
an den norwegischen Fjorden.
Rom schickt Hunyadi außerdem eine Geheimwaffe, um das Schlachtenglück
für das Christentum zu entscheiden: den Prediger Giovanni da
Capistrano. Die Italiener halten ihn für einen Heiligen, seine Zunge ist
im ganzen Abendland bekannt. Bei seinen Predigten erscheinen Menschen
aus allen Teilen des Landes. In Brescia soll Capistrano bei einer
öffentlichen Predigt 100.000 Zuhörer erreicht haben.
Der Heilige bewirkt ein Wunder. Auf dem Weg zu Hunyadi schließen sich
ihm tausende Männer an, um in den Krieg zu ziehen und das Abendland zu
verteidigen. Kreuzzugsstimmung liegt in der Luft.
Capistranos Leute sind schlecht ausgebildete, einfache Leute. Ihre
stärkste Waffe: brennende Leidenschaft für den Glauben. Sie machen den
Großteil der 30.000 Männer aus, mit denen Hunyadi seinem Erzrivalen
Mehmed entgegenzieht. Tausende von unerfahrenen Bauern gegen die
kampferprobten Janitscharen, die vor wenigen Monaten Serbien erobert
haben. Mehmeds gesamtes Aufgebot ist doppelt so groß wie Hunyadis
zusammengewürfelte Streitmacht.
Belgrads Belagerung geht in die zweite Woche, als Hunyadis
Streitmacht und Flotte eintrifft. Die Osmanen haben Nándorfehérvár – so
der ungarische Name der Stadt – völlig eingeschlossen. Nur 5.000
Verteidiger leisten den Invasoren an den Mauern Widerstand. Am
Zusammenfluss von Donau und Save liegt Belgrad auf einer Halbinsel. Zwei
Mauerringe umgeben die Stadt und den Burgberg, ein dritter schützt die
Zitadelle. Sie war einstmals der Sitz der serbischen Könige, die Belgrad
zum Neuen Konstantinopel der Orthodoxie und zur mächtigste Festung der
gesamten Balkanhalbinsel ausbauten.
Mehmed hat die Stadt daher von der Außenwelt abgeschnitten: seine
Infanterie belagert sie zu Lande, dahinter halten ihm die Sipahi, die
rotbemantelten osmanischen Reiter, den Rücken frei. Galeeren mit
Sichelmondwimpel ankern auf dem Wasser und blockieren den Hafen. Der
Sultan will die Belagerten demoralisieren und aushungern, statt die
Mauern im Sturm zu nehmen. Hunyadi weiß, dass die Zeit drängt – und bläst zum Angriff.
Der Rammsporn ungarischer Schiffe gräbt sich in türkisches Holz.
Zweihundert Schiffe unter dem christlichen Kreuz liefern sich mit ihren
osmanischen Rivalen eine Seeschlacht auf der Donau. An Bord tausende
Soldaten, die sich Enterkämpfe liefern. In einem Überraschungsmoment
gelingt es, vier große türkische Galeeren zu kapern, zwanzig kleinere
Schiffe fallen an die Ungarn. Hunyadi durchbricht die hölzerne Blockade,
zurück bleiben geborstene Masten und sinkende Rümpfe, die im Wasser der
rotgefärbten Donau gen Schwarzmeer treiben. Die Christen reiben die
muslimische Flotte auf, Hunyadi wird unter Jubelstürmen im Hafen
begrüßt. Das Heer aus abendländischen Adligen, ungarischen Soldaten,
Söldnern und Laienkämpfern setzt über den europäischen Strom und
verstärkt die Mauern Belgrads. Der Nachschub aus dem Inneren des
Königreichs ist gesichert.
Hunyadis Eröffnungszug schwächt Mehmeds Position, aber der Sultan ist
nicht bereit, aufzugeben. Der Nimbus der osmanischen Unbesiegbarkeit
ist mehr wert als tausende Menschenleben; und wo der Mann, der in der
muslimischen Welt den Namen „Fatih“ – Eroberer – trägt, in
Konstantinopel siegreich war, will er auch nicht in Belgrad scheitern.
Pausenlos donnern von da an die türkischen Kanonen, erschüttern bei
Tag und Nacht die Grundfesten der Wälle und Häuser, bringen die
Verteidiger um den Schlaf. Pulverrauch taucht Belgrad in Nebel.
Geschosse brechen Löcher in die grauen Mauern, die gen Boden krachen.
Eine Woche lärmt die Hölle über dem Schlachtfeld – bis der Außenring
nachgibt, Stein bricht und die Kanonen mehrere Breschen in den Wall
treiben.
Mehmed zögert nicht. Noch in der Dämmerung ruft er zum Sturm auf. Es
ist ein totaler Angriff von allen Seiten. Mit einem Mal setzt sich die
Lawine aus Belagerern in Bewegung und rollt Belgrad entgegen, strömt
durch die gebrochene Verteidigung in die Stadt; zuvorderst die
Janitscharen, dahinter die Soldaten vom Balkan und aus Anatolien. Die
Nacht vom 21. auf den 22. Juli soll die Entscheidung bringen, um jeden
Preis.
Als die feindlichen Truppen die Oberstadt Belgrads fluten, schlägt
Hunyadi zurück. Stroh und teergetränktes Holz stürzen von den
Steinwällen nieder. Die Bewohner schaffen alles heran, was brennbar
erscheint, werfen es den Angreifern entgegen – und setzen es darauf mit
Pfeilen und Fackeln in Brand. In Sekundenschnelle breitet sich ein
Flammenmeer aus, das die Oberstadt in zwei Hälften teilt. Eine Wand aus
Feuer trennt die Vorhut der Janitscharen von der restlichen Infanterie.
Kommandant Michael Szilágyi, der mit seinen Rittern seit drei Wochen
in Belgrad ausgeharrt hat, wirft sich mit den Seinen gegen die
eingeschlossenen Elitekämpfer des Sultans. Zwischen Feuer und Eisen
fechten Christen und Muslime einen erbarmungslosen Kampf aus. Der Geruch
von verbrannten Kadavern beißt in den Nasen, als Szilágyis Männer die
Oberhand gewinnen, die Janitscharen ins Feuer drängen oder
niedermetzeln. Davon motiviert treiben die Verteidiger den Feind zurück
und fügen den einströmenden Männern des Sultans heftige Verluste zu.
Es ist eine Nacht, in der Legenden geboren werden. In Hunyadis
Manöver und Szilágys Kampf mischt sich der Mythos eines serbischen
Soldaten namens Titusz Dugovics, der auf den Mauern den Osmanen
Widerstand leistet: als ein Anatolier den Türkenmond auf einem Turm
hissen will, wirft sich Dugovics gegen den Angreifer, und stürzt mit
diesem und dem Banner in den Tod.
Dass Chaos und Mythos in der Geschichte wahr werden können, dass
Wunder geschehen und das Unerklärliche ein Teil der Welt bleibt,
manifestiert sich im Morgengrauen. Ohne Absprache, ohne Erklärung und
ohne erkennbare Motivation lösen sich Teile von Capistranos
Kreuzfahrerheer. Nur mit Schleudern und Sensen bewaffnet stürmen die
Bauern plötzlich aus den Breschen, dem osmanischen Heer entgegen. Für
Hunyadi ein Alptraum: gegen die erfahrenen Kämpfer von beiden Seiten des
Mittelmeers hat das Laienheer des Predigers keine Chance. Der Feldherr
rechnet mit einer Katastrophe, beordert seine eigenen Männer zur
Verstärkung.
Capistrano stellt sich darauf mit dem Kreuz seinen Leuten voran, und
ruft den Gläubigen zu: „Der Herr, der bei euch das gute Werk begonnen
hat, wird es auch vollenden!“
Danach hält das christliche Heer nichts mehr. Aus der Belagerung wird
eine Schlacht. Die Osmanen überrascht der plötzliche Ansturm. Panik
breitet sich im türkischen Heer aus, als die Ungarn und ihre Verbündeten
den Ausfall wagen. Hunyadi galoppiert mit seinen Reitern den Kanonen
entgegen, die restliche Streitmacht greift auf breiter Linie die
osmanischen Stellungen an. Die Angreifer werden zu Verteidigern, dann zu
Flüchtenden. Weder die verbliebenden Janitscharen, noch die Sipahi auf
ihren Pferden können ihre eigenen Leute zurückhalten. Am Ende reitet
Mehmed selbst ins Gefecht, um seine Männer zurückzurufen – und wird von
einem Pfeil in der Hüfte getroffen.
Die Christen überrollen das Lager, der Sultan beordert sein Heer
zurück. Endlich trifft Hunyadi ein, und ruft die übereifrigen Kämpfer
herbei, um sich auf den nächsten Gegenangriff der Türken vorzubereiten.
Der vorsichtige Schachzug bewahrt die Osmanen vor einer noch größeren
Katastrophe. Am Abend des 22. Juli, im Schutz der Dunkelheit, ziehen die
Muslime ihre Verwundeten auf über 100 Karren ab. Das Osmanische Reich
hat 200 Boote und Galeeren, 300 Kanonen und über 10.000 Soldaten
verloren. Der Sieg wahrte Ungarns Freiheit weitere 70 Jahre lang.
Doch die Größe des Sieges überschattet seine Tragik. Im Lager der
Sieger bricht eine Seuche aus. An ihr gehen Hunyadi und Capistrano
Wochen später zugrunde. Szilágy gerät bei der Schlacht von Baziaș vier
Jahre später in osmanische Gefangenschaft. In Konstantinopel wird er
gefoltert und in zwei Hälften gesägt.
Der Mythos von Belgrad lebt dagegen weiter: im Namen des legendären
Titusz Dugovics, der für die Völker des Balkans im 19. Jahrhunderts zum
Nationalhelden wurde; und im „Türkenläuten“, das Kalixt III. angeordnet
hatte, und bis heute über die Dächer Europas erklingt. Nicht mehr zum
Aufruf zum Gebet für die Verteidiger von Belgrad, sondern als Erinnerung
an den Sieg des christlichen Abendlands über die muslimische Bedrohung.
Und das nunmehr seit über 560 Jahren.
1 Kommentar:
Was nützt der christliche Heldenmut früherer 'Europäer', wenn der heutige deutsche Tolleranz-Schlappschwanz den Türken und anderen Moslems seine Städte freiwillig zur islamischen Eroberung und Plünderung freigibt?
Naja, ist ja auch nicht der erste Mal, dass der Größenwahn-Pieke seine bizarre Extrawurst braten will, obwohl er besonders heute fast manisch vom gemeinsamen Europa faselt.
Was läuft so verdammt oft so schäbig schief im Micheloberstübchen, dass wir immer gegen die anderen wurschteln müssen? Warum regiert bei uns diese ignorante Arroganz, dieses schildbürgerliche Neidhammelherdentum und die pathologische Sucht, dass wir immer alles besser wissen wollen?
Liegt es an unserem 'Scheitern' 1945 ?
Ist Jalta unser 2.Versailles ohne das offen auszusprechen?
Mutierte das einst befehlende Herrenmenschentum etwa zum rechthaberischen Gutmenschentum, das sich ja auch dem Rest der Welt überlegen fühlt und ständig Führerallüren formuliert?
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