Mittwoch, 19. April 2017

Die tötesten aller Menschen

von Fragolin

Also mal ehrlich, ich bin immer wieder erstaunt, wie ausgerechnet jene progressiven Kräfte und intellektüllen Vorkämpfereliten der Großen Weltrevolution, die uns bei jeder sich anwanzenden Gelegenheit als Tatsache verhökern wollen, dass unsere ganze Realität nur konstruktivistisch im eigenen Mentalkäfig zusammengehäkelt wird, und das ausgerechnet aus reiner Wortwolle, genannt „Sprache“, nicht einmal ansatzweise in der Lage zu sein scheinen, solche auch nur halbwegs sinngebend zu verwenden.

Wenn, wie im „Standard“ berichtet, die EU-Kommission einen „Sprecher“, also einen für Medienarbeit und Wortwahl Qualifizierten und hoffentlich nicht durch Verschulzung zu seinem Posten Gekommenen, heraustrompeten lässt, die Todesstrafe wäre "nicht nur eine rote Linie, sondern die röteste aller roten Linien" ..dann stellen sich mir die Zehennägel auf. Das hat was vom guten alten Werbespruch „weißer als weiß“. Roter als rot. Was für ein sprachlicher Nonsens!

Und inhaltlich sieht es auch nicht besser aus.
Welche „rote Linien“ gibt es denn? Bisher doch nur die Weigerung, sogenannte „Flüchtlinge“ importieren zu lassen. Und da hat die Türkei ja jetzt keine Probleme, ist sie ja ein reines Migrations-Exportland für die EU.

Es gab keine „rote Linie“ als kurdische Bergdörfer in der Türkei von der türkischen Luftwaffe bombardiert wurden und die türkische Regierung eigene Staatsbürger als Kollateralschaden schulterzuckend zur Kenntnis nahm. Wie es da mit den „europäischen Werten“ in puncto Umgang der Obertanen mit aufmüpfigen Untertanen aussehen muss, kann sich gern jeder selbst rückschließen. Jedenfalls ist das Bombardieren von Dörfern auf dem eigenen Staatsgebiet keine „rote Linie“.

Es gab auch keine „rote Linie“ als der laufende türkische Genozidversuch an den zugegeben in ihren Mitteln auch nicht feinsinnigen Kurden das türkische Staatsgebiet verließ. Die meisten türkischen Offensiven in Syrien und Irak galten nämlich nicht den IS-Schergen oder Al-Nusra-Terroristen, sondern genau jenen Kurden, die als Verbündete der internationalen Allianz gegen den IS kämpften. Übrigens auch keine „rote Linie“ der Nato, wenn deren Verbündete bombardiert und deren Gebiete feindlich besetzt werden. Weder Nato noch EU haben Probleme mit Angriffskriegen. Außer Putin spielt dabei eine Rolle, dann sieht plötzlich wieder alles anders aus. Aber das nur am Rande zum Thema bigotter Sauhaufen.

Als in der Türkei zum Frauentag Frauen, wir erinnern uns, jenes Geschlecht das in der EU sogar „positive Diskriminierung“ genießt um Buße für vergangene angebliche patriarchalische Unbill zu erfahren, gegen die bekopftuchende Radikalislamisierung auf die Straßen gingen und dann auf Geheiß des Erdowahnsinnigen mit Knüppeln, Tränengas und Gummigeschossen auseinandergeprügelt und massenweise in Haft verschleppt wurden, war auch nirgends eine „rote Linie“ zu entdecken. Klar, geht hier jemand gegen Islamisierung auf die Straße, wird auch gerne Geknüppelt und mit dem Wasserwerfer Renitentengießen gespielt. Man versteht sich.

Erst beim Einkerkerungsfuror gegen die Opposition nach der Putschposse wurde man langsam stutzig, aber irgendwie auch erst, nachdem es durchaus strunzlinke Rotzlöffel waren, die es erwischte. Eigentlich hat man mit dem Mundtotmachen von Dissidenten auch in der EU kein wirkliches Problem, nur gilt hier der Konsens, dass Linke, egal wie anarchistisch oder aggressiv sie sind, niemals Dissidenten sein können. Um als solcher anerkannt zu werden muss erst der ritterliche Schlag zum „Rechten“ erfolgen. Dann kann man auch alle Widerlichkeiten gegen jene auffahren, da passt kaum noch ein Blatt zwischen unsere Obertanen und den Sultan. Deshalb war auch dort keine wirklich „rote Linie“ zu sehen.

Und jetzt wird mit einer Verfassungsänderung die Person Erdogan faktisch zum Großsultan erhoben, das Parlament zur Jubelbude degradiert und das ganze System so einzementiert, dass einer die absolute alternativlose Entscheidungsmacht hat, die Regierung aus Speichelleckern und Erfüllungsgehilfen besteht und das Parlament nicht einmal bei Grundsatzentscheidungen mehr gefragt wird. Könnte man sich in einem EU-Land wie beispielsweise Deutschland gar nicht vorstellen, oder? Also auch dort, ganz konsequent, keine „rote Linie“.

Aber jetzt, jetzt kommt sie, und es ist nicht irgendeine „rote Linie“, nein, es ist auch nicht die „roteste“ sondern die „röteste aller Linien“: die Todesstrafe!
Keine Sorge, bis das spruchreif wird und vom Sultan durchgepeitscht und dann rückwirkend an den Unbequemen ausprobiert, die im Windschatten der Putschposse aus dem Verkehr gezogen wurden oder schon lange im Knast sitzen und deren Frage somit endgelöst werden kann, wird noch einiges Wasser durch den Bosporus strömen und in der EU interessiert ja auch morgen keinen mehr sein grammatikalisch sinnfreies Geschwätz von gestern.

Also egal. Auch wenn in der Türkei die Demokratie die töteste ist und der erste Gefangene dieser den letzten Atemzug ausgurgelnd folgt, werden bei uns die bigöttesten Demokratievortäuscher auch die freudvöllsten Beitrittsgesprächsführer bleiben. Bis der Irre vom Bosporus selbst sein Volk ausrufen lässt: Ihr Idioten da im Norden, wir wollen nicht zu euch in die depperte EU, aber ihr könnt euch anstellen und untertänigst darum bitten, dem Neo-osmanischen Reich als tributpflichtige Provinzen beizutreten. Und selbst dann ist damit zu rechnen, dass diese Verräter dem nachgeben und sofort ein Unterwerfungsgebot legen.

Die einzigen „roten Linien“ die ich befürchte, sind die Ströme von Blut, die das kosten wird. Und die Haufen von tötesten aller Menschen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Aaach, solange @Besser_Deniz kein Härchen vom Zauselbart gekrümmt wird, ist alles gut! Auch so ein Wortakrobat ...

Wäre der nicht auch 'was für die EU-Kommission als "staatstragend" gewandelter Kommunist (wie Barroso, Mogherini, ...)?
Beim richtigen "Spring-" äh! Sprungbrett ist er ja schon.