von Fragolin
Es war einmal ein kleiner Junge, der wollte einmal etwas wirklich
Großes vollbringen, etwas so richtig Mutiges und Wegweisendes, dass
ihm alle Menschen zujubeln und um Autogramme bitten und so.
Mit diesem Traum ging er in die Schule. Dort lernte er fleißig, denn
wenn er einmal Autogramme geben wollte, dann musste er Schreiben
lernen, und Lesen und Rechnen können bei guten Taten auch hilfreich
sein.
Leider stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass er nicht viele
Talente zum Helden mitbrachte, aber das Strebern in der Schule zahlte
sich aus. Blöd war nur, dass er zwar exakt berechnen konnte, wieviel
Gramm Butter ihm die Mama aufs Jausenbrot schmierte, aber nichts
davon hatte, weil es ihm der dicke Willi immer abknöpfte, dieser
miese dumme Verbrecher. Wenn er groß wäre, so schwor der kleine
Junge, dann würde er es dem dicken Willi und der ganzen miesen Brut
so richtig zeigen!
In der Schule passte er auf. Wer will, dass man ihm zujubelt, muss
auf der positiven Seite stehen. Positiv ist, so lernte er, Eisbären
zu retten und für eine Tombola zu Gunsten armer Robbenbabies Preise
zu basteln. Positiv ist, immer tolerant zu sein, auf alle Rücksicht
zu nehmen außer auf Typen wie den dicken Willi. Positiv ist, so zu
tun, als würde man alles ganz toll finden, was die Mädchen toll
finden, dann finden einen auch die Mädchen toll und sind eher zum
Zujubeln bereit. Intolerant zu sein, keine Empathie zu zeigen,
Irgendwasphob zu sein, das ist negativ. Ganz schlimm. Außer gegen
den dicken Willi. Und alle, die so sind wie er. Jungs, weiß,
deutsch, Ministrant, Nazigroßeltern, wäääh.
Da es mit den Talenten nicht besser, aber der Drang, es dem Willi
heimzuzahlen, größer wurde, wurde er Richter. Das mit dem Zujubeln,
naja, das wurde wohl nichts mehr, Aber trotzdem, er wollte immer auf
der Seite der Positiven stehen, der Guten, der Besseren, der
Gerechten. Da bot sich das mit dem Richter ja wohl an.
Und eines Tages stand der arme, äh, nennen wir ihn Achmed, vor dem
kleinen Jungen, der zum mächtigen Richter geworden war. Denn Achmed
hat Probleme gemacht. Aber anders als der dicke Willi, denn der
Achmed kann da nichts dafür. Der wurde eben so sozialisiert, das
muss man Verstehen und da muss man Rücksicht nehmen. Deutsche Jungs
wie Willi wurden nicht sozialisiert, die sind böse geboren, weil sie
deutsche Jungs sind, deshalb sind die auch für alles, was sie tun,
allein verantwortlich. Nichtdeutsche sind da empfindlicher, zarter,
moralisch nicht so fest wie Deutsche. Den Rassismus hinter diesem
Gedanken erkannte der kleine Junge nicht, aber auch Richter sind eben
nicht ganz perfekt. Aber fast.
Der Achmed hatte wohl ein Problem damit, dass es Menschen gibt, die
einen anderen Glauben haben als er. Er soll einen Menschen mit
anderem Glauben mit dem Umbringen bedroht haben, was nun einmal den
religiösen Regeln seines Friedensglaubens entspricht. Das muss man
verstehen.
Und da ward der kleine Richter unsicher.
Was, wenn der Achmed auch mit einem Problem zu kämpfen hat, wenn im
Gerichtssaal ein Kreuz hängt? Was, wenn es ihn innerlich martert und
er sich nicht beherrschen kann, wenn er denkt das wäre jetzt ein
religiöses Urteil und kein rechtsstaatliches? Was, wenn der Achmed
das Gefühl bekäme, der kleine Richter würde ihm nicht ausreichend
Respekt erweisen? Der kleine Richter konnte nächtelang nicht mehr
schlafen, denn das Problem, dass der arme Angeklagte negativ von ihm
denken könnte, machte ihn fertig. Dann fällte er eine Entscheidung.
Und nahm das Kreuz im Gerichtssaal von der Wand.
Das war die Lösung! Jetzt war alles gut!
Der arme Achmed erschien vor Gericht und beteuerte seine Unschuld.
Und stellte klar, dass es ihm wurscht ist, ob da was an der Wand
hängt oder nicht.
Aber die Menschen, denen das Kreuz etwas bedeutet, haben jetzt eine
schlechte Meinung.
Der kleine Richter ist traurig.
Wie konnte es nur so schief gehen?
Er hatte doch alles richtig gemacht!
Ähnlichkeiten mit realen
Vorkommnissen sind rein zufällig und überhaupt nicht
unbeabsichtigt.
Oder so.
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