Samstag, 1. Juni 2019

Bisweilen, wenngleich viel zu selten


... schafft es Rainer Nowak in einem Leitartikel zeitlose Wahrheiten zu sagen, und das noch durchaus pointiert. Nicht, daß ich jetzt den unten zitierten Artikel zu 100%  unterschreiben würde — das nicht gerade ... aber, sagen wir mal: 85% kommen hin. Und das ist in Relotiustagen der absandelnden Mainstreammedien schon ein erwähnenswerter Prozentsatz!

Die infantile Republik

Wie schnell wir uns mit Zäsuren abfinden, die wir mit einer Mischung aus Nonchalance und Schmäh verharmlosen und verdrängen, sollte uns stutzig machen.

Also formulierte der neue Übergroßvater der Nation, Alexander Van der Bellen: Brigitte Bierlein, Präsidentin des Verfassungsgerichtshofs, werde eine „Vertrauensregierung“ bilden. Van der Bellen, der sich per Liveübertragung direkt an das Volk wandte, sprach wörtlich von „gelebter Demokratie“. Prompt brach im Land – oder zumindest in Teilen, also Blasen davon, Jubel aus. Endlich hat Österreich eine Frau an der Spitze der Regierung (an der Spitze des Staates hat Van der Bellen mit seinem Antreten und seiner Performance im Präsidentschaftswahlkampf eine solche mit Irmgard Griss übrigens höchstselbst verhindert). Endlich erfüllt Van der Bellen Österreichs heimlichen Wunsch, wir bekommen eine Expertenregierung, eine Exekutive aus Beamten, keine gewählten Politiker, die diskutieren, streiten, taktieren, auf den eigenen Parteivorteil bedacht sind. Nein, echte josephinische Beamte, die verwalten, nicht gestalten.
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Was Nowak mit einem lachenden (»Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist ...«) und einem weinenden Auge (»G'schehn is g'schehn ...«) moniert, hat Christian Ortner in der staatsaffinen »Wiener Zeitung« durchaus positiv zu kommentieren gewußt:
Wer die Art und Weise, in der die politische Klasse des Landes die gewiss recht turbulenten innenpolitischen Ereignisse der Tage hyperventilierend kommentierte, aufmerksam verfolgte, musste den Eindruck gewinnen, Österreich stünde am Rande einer nationalen Katastrophe ungeahnten Ausmaßes. Dass vorerst niemand "Finis Austria" düster an die Wand malte, dürfte nur dem Umstand geschuldet sein, dass kaum noch jemand die Sprache von Asterix und Obelix versteht.

Bei auch nur leidlich kühler Betrachtung war und ist das Land von einer Krise, gar einer Staatskrise so weit entfernt wie eh und je. In Wirklichkeit erfüllten und erfüllen die Verfassungsorgane ihre Funktionen ohne jegliches Problem. Und ob der eine Amtsträger überschaubarer Relevanz von einem anderen Amtsträger überschaubarer Relevanz angelobt oder wieder entlobt wird, wird schon in ein paar Jahren kaum noch eine Fußnote der Geschichte sein. 
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Das Ermangeln einer »gestaltenden« Regierung ist angesichts des Wegfalles der damit zwangsläufig verbundenen Interventionen diverser Lobbies fast schon als Glücksfall für ein Land anzusehen. Was freilich nicht im Sinne der Hintermänner besagter Lobbyisten ist. Außerdem (und das hat Ortner leider in seiner Tragweite nicht ganz erkannt): es setzt voraus, daß die Beamten sich doch eindeutig als Staatsdiener und nicht als Parteigünstlinge verstehen. Was man in Österreich freilich nicht ... ähm ... in jedem Fall als gegeben ansehen kann. 
»Außen vor« (wie der Piefke sagt) bleibt bei Ortner auch der Umstand, daß durch jahrzehntelang »gestaltende« Politregierungen die Staatsordnung Österreichs bereits eine derartige Mißgestalt angenommen hat, daß diese Gesetzes- und Verornungsungeheuer nicht nur an keiner (nicht einmal der jüngswt aufgehobenen) Missen-Wahl teilnehmen könnten, sondern bestenfalls im Gruselkabinett als Attraktion dienen könnten.


Aber, keine Frage: wenn wir noch den Kaiser Franz Joseph hätten, dann wäre das alles einfacher. Der würde sich mit einem »Es war sehr schön, es hat Mich sehr gefreut!« an Sein Volk (»Seine Völker«, wenn man will, ginge auch  angesichts der laufenden Umvolkung der letzten Jahre) wenden. Und die Experten säßen als würdige (und nicht von Parteien erschacherte) Sektionschefs*) bereits in allen Ministerien und könnten, wie weiland Seine Majestät oft genug erproben konnte, jederzeit anstatt »politischer« Minister die Ressort-Verantwortung übernehmen.

Ja, der Kaiser, der hatte es noch leicht! Da muß der Bello noch lange üben, bis er das so routiniert über die Bühne bringt. Und sich einen längeren Bart wachsen lassen (oder wenigstens den designer stubble täglich professionell nachstutzen lassen, bislang schaut er ja zumeist wie ein Sandler im Anzug aus ...)


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P.S.: Kleines Aperçu eines Juristen: als ich in den 1970er-Jahren studierte, galt bspw. (mit minimalen Änderungen) die per kaiserlicher Notverordnung 1914 in Kraft gesetzte »Konkursordnung«. Nach meiner Promotion ging man daran, sie zu novellieren, bis sie durch x-fache »Novellen der Novellen der Novellen« so unübersichtlich, ja unbrauchbar wurde, daß sie 2010 durch die »Insolvenzordnung« ersetzt wurde. Ich wage die Prognose, daß diese nicht die nächsten sechzig Jahre fast unverändert im Rechtsbestand bleiben wird ...



*) für Piefkes: im Rang irgendwo zwischen »Ministerialdirektor« und »(beamteter) Staatssekretär« angesiedelt.

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