Samstag, 23. März 2019

Ein uomo universale des 20. Jahrhunderts


Wer kennt ihn heute auch bloß dem Namen nach: Rudolf Pannwitz? Heute vor fünfzig Jahren im 88. Lebensjahr zu Astano (im Tessin) verstorben ...

»Er könnte mehr bedeuten als eine Universität«: Hugo von Hofmannsthal kargte nicht mit seiner  Wertschätzung des jungen Pannwitz', der — wie Hofmannsthal selbst — dem geistig-künstlerischen Kreis um Stefan George entstammt, von dem er sich zwar eine Zeitlang absonderte, doch nie sein Wurzeln darin verleugnete. Insbesondere sprachlich war George zeitlebens für Pannwitz »Vorbild in allem, was zum Gesetze, der Ordnung und der Schönheit eines Gedichtes gehört«.

Rudolf Pannwitz hatte, was seinen Ruf nach 1945 betraf, eine großes Manko: nein, nicht daß er Nazi gewesen wäre — das hätten böswilligste Widersacher nicht zu behaupten gewagt, weil aus seiner Biographie das genaue Gegenteil abzulesen war —, aber daß er ein elitärer Konservativer war! Was nach 1945 schon zu einer damnatio memoriæ fast, und dann ab 1968 ganz sicher ausreichte.

Universalgenies, die nicht nur vielseitig alle Genres der Literatur und Philosophie bearbeiten, sondern noch Musikpartituren schreiben und Zeichnungen verfertigen — so etwas verstimmt in Zeiten der niederstehenden Kultursonne die Allzuvielen, die sich noch als Zwerge ihrer langen Schatten rühmen dürfen.

Sein zu Lebzeiten publiziertes Werk verschwindet gegenüber dem geradezu monumentalen Nachlaß: über dreihundert Archivkästen lagern im sogen. »Pannwitz-Bunker« des Deutschen Literaturarchivs in Marbach (schon ein kurzer Blick in seine Autorenbibliothek ist beeindruckend).

Pannwitz lebte von Förderern, hatte als Prophet einer »neuen Geistigkeit« nie einen Brotberuf (von einer kurzen Hauslehrertätigkeit nach seinem Studium abgesehen) — auch hierin war ihm George Vorbild. Und er muß nach Zeugnissen seiner Bekannten nicht nur eigenwillig, sondern auch ziemlich unerträglich in seiner Arroganz, seinem Sendungsbewußtsein gewesen sein. All das sind nicht die Ingredienzien für posthume Wertschätzung, wie man wohl feststellen kann — und doch sagt es im Grunde nichts über die Größe eines Autors und Denkers aus.

Zu Zeiten, als man dem »Spiegel« noch eine gewissen Qualität attestieren konnte — lang ist's her —, merkt man dennoch dem kurzen Nachruf, der dort am 7.4.1969 erschien, seine Verlegenheit an, mit dem Werk dieses Dichters und Denkers umzugehen:
Der Lyriker, Dramatiker, Kulturphilosoph und Zivilisationseremit sah sich selbst vorwiegend als den "heute Regierenden der unsterblichen Dynastie Nietzsche" dessen poetische Kosmologie er mit Stefan Georges esoterischem Pathos zu schwer lesbaren, in einer Art Privatorthographie abgefaßten Schriften verwob.
... steht da etwas hilflos. Und abschließend:
Zuletzt bewohnte er einen alten Turm bei Lugano, umringt von Ungedrucktem, doch im Bewußtsein, das Chaos dieser Welt gebändigt, "unter dionysischen Revolutionen einen apollinischen Kosmos hervorgebracht" zu haben.  
Man sieht vor sich das Achselzucken eines Spiegel-Redakteurs, und hört sein erleichtert gemumeltes »Wird schon passen, so ...«

Die Deutschen — das Volk der Dichter und Denker? Ach, lang ist's her ...


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