Vorgestern verstarb im 92. Lebensjahr der letzte verbliebene Altmeister jener »Jahrhundert-dirigenten«, mit denen ich quasi aufgewachsen bin. Furtwängler war (für mich) bereits Geschichte, aber unter den altersmäßig folgenden — Böhm, Karajan, Solti, Bernstein, um nur einige zu nennen, die ich in Konzerten hörte — einer der jüngeren, und doch zu den Vorgenannten zählend: Bernard Haitink. Lange Zeit eigentlich ein wenig unter seinem wahren Wert eingeschätzt, erlangte er in seinem hohen Alter die geradezu einzigartige Stellung als Doyens der internationalen Dirigentenzunft, nicht bloß seinem Alter gemäß, sondern auch in der immer schon herausragenden, und dennoch immer noch sublimer werdenden Interpretationskunst, die jedes Konzert mit ihm zu einem einzigartigen Erlebnis werden ließ. Nehmen wir nur die vor zehn Jahren entstandene Aufnahme der 4. Symphonie von Brahms, die Haitink in wehmütig-herbstliche (und im Scherzo auch angemessen überschäumende) Töne hüllt, ohne dabei jemals die dem Werk innewohnende Spannung zu verlieren:
Haitinks Mahler-Aufnahmen sind weltberühmt, doch auch Bruckner verdankt seinem Einsatz einen guten Teil seiner internationalen Verbreitung, und wenn man bspw. die großartige 7. Bruckner mit den Wiener Philharmonikern, die er vor zwei Jahren als 90-jähriger in der Royal Albert Hall aufführte, anhört, dann weiß man, was uns Altersweisheit und -abgeklärtheit an Vollendung schenken kann:
Unter dem Youtube-Video wird ein englischer Musikkritier zitiert:
Writing in the Evening Standard, Barry Millington wrote, ‘Haitink’s Olympian splendour in the outer movements, unsentimental yet tinged with sadness, had a time-less quality of its own. Art does not exist in a vacuum and Haitink’s music-making was a timely demonstration of integrity and unshakeable values such as are under threat elsewhere in the world.’
Und die gar nicht mystisch-nebulose, sondern glasklare Interpretation enthüllt zugleich, wieviel an Vor-Ahnung Mahlers bereits in Bruckner steckte. Nur wenige Tage nach dieser Aufführung dirigierte Haitink mit demselben Orchestern in Luzern, wovon sich ein (leider nur ausschnittsweises) Video bei Youtube findet:
Zum Abschluß aber — man verzeihe es dem ausgewiesenen Richard-Strauss-Fan! — die phänomenale »Alpensymphonie«, die Haitink mit demselben Orchester 2012 bei den Proms in der Royal Albert Hall zur Aufführung brachte, die für mich die beste (wenigstens mir bekannte) darstellt:
Ein ganz Großer der Musikgestaltung ist von uns gegangen, doch bleibt er für unsere Erinnerung in unzähligen Platten und Videoaufnahmen, wenn auch immer noch unvollkommen, erhalten.
REQUIESCAT IN PACE
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