Dienstag, 30. April 2019

Lesefrüchte aus Ernst Jüngers Werken (4)


Macron hätte es lesen sollen, bevor er sein zum Fremdschämen peinliches »Wir werden Notre-Dame in fünf Jahren noch schöner wieder aufbauen« hinausposaunte. Hätte aber vermutlich nichts gebracht, denn verstanden hätte er Jüngers Bemerkung ohnedies nicht (obwohl »Gärten und Straßen« schon während des Zweiten Weltkriegs in französischer Übersetzung vorlag ...).


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Kirchhorst, 30. April 1939

Die Dome als Fossilien, die in unsere Städte wie in späte Sedimente eingeschlossen sind. Doch liegt es uns sehr fern, von diesen Maßen auf die Lebensmacht zu schließen, die ihnen zugeordnet war und die sie bildete. Was in den bunten Schalen lebte und was sie schuf, das liegt uns ferner als die Ammoniten der Kreidezeit [...] Man kann auch sagen, daß die Menschen von heute diese Werke sehen, wie ein Tauber die Formen von Geigen und Trompeten sieht.

(Gärten und Straßen, S 44 – in: Ernst Jünger, Sämtliche Werke, 1. Abteilung, Bd. 2 »Strahlungen I«)


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Was dieser kleine Franzosen-Gockel da zum Wiederaufbau von Notre Dame von sich gab, erinnert irgendwie an Tucholskys bekanntes Bonmot: »Werfen Sie das häßliche Kind weg, gnädige Frau; ich mache Ihnen ein neues, ein viel schöneres.« Oder an Karl Kraus' galliges Diktum: »Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.«

Sogar Zwerge wie dieser Emmanuel M. — der freilich anders als ein anderer, ein verheißener Emmanuel (»... und sie werden ihm den Namen Emmanuel geben« Mt. 1,23) nicht einmal zum Mini-Messias der Fünften Republik taugt ...



3 Kommentare:

Biedermann hat gesagt…

Cher Penseur,
da es nicht jedem literarisch interessierten Leser Ihres Blogs bekannt sein dürfte, erlaube ich mir den Hinweis, daß Präsident François Mitterrand, der im Jahr 1985 während seiner Amtszeit, gemeinsam mit dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, Ernst Jünger einen Besuch in dessen Privathaus in Wilflingen abstattete, ein Kenner und großer Bewunderer von Jüngers Werk war. Er hatte bereits Jahre vorher Jünger in seinen Amtssitz im Elysée eingeladen. Der Schriftsteller war auch bei dem gemeinsamen Händedruck von Mitterand und Kohl in Verdun als Ehrengast geladen. Der Präsident Micron (das war ein Lapsus der Rechtschreibkorrektur!) lebt und waltet in einer andern Welt.
In der prä-Macron-Welt gab es in Deutschland immerhin einen Politiker, der in Hinblick auf umfassende Bildung einem Mitterand das Wasser reichen konnte. Den Baudelaire-Übersetzer und SPD-Politiker (!) Carlo Schmid.
Einen entspannten 1. Mai wünscht Ihnen und Ihren Lesern
Biedermann

Anonym hat gesagt…

Falls nicht vorher der große Kladderadatsch kommt, also eher nicht, werden (((die))) Notre-Dame "wieder aufbauen", daß den Sälblern (Christos=Der Gesalbte) die Augen aus den Höhlen quellen werden. Uns Palaeodoxe wird es ebenfalls verdrießen, jedoch nicht überraschen. Daniel Satansbalg, äh, Libeskind, läßt grüßen.

D.a.a.T.

Biedermann hat gesagt…

@Daniel Libeskind

Es würde mich sehr wundern, wenn Sie nicht ein passendes Schlüsselwort für Macrons Fünfjahresprojekt hätten, das sich dieser nicht hinter den Spiegel stecken möchte.

Mit paläodoxem, freundlichem Gruß
Ein Biedermann