Der Wahlkampf ist vorbei, morgen findet seine (hoffentlich letzte) Entscheidungsschlacht um die Eroberung der Wiener Hofburg statt. Daher sind einige Gedanken über die Wahl – und mehr noch: wozu und wie gewählt wird – angebracht.
Die bisherige Befassung mit dem Thema „Bundespräsidentenwahl“ in den Medien, aber auch den Gesprächen vieler Bürger war simpel: man stritt über Eignung (oder mangelnde Eignung) der Kandidaten – und gelegentlich über die Frage, ob ein Bundespräsident überhaupt nötig sei. Doch auch diese Frage allein greift zu kurz, denn sie kann nur sinnvoll im Zusammenhang mit der Frage nach der Gesamtstruktur der österreichischen Verfassung beantwortet werden. Es empfiehlt sich daher die gesamte Thematik sowohl de lege lata zu erörtern, als auch de lege ferenda Überlegungen anzustellen, denn dass die derzeitigen Regelungen des BV-G optimal wären, kann wirklich nicht behauptet werden.
1. Die derzeitigen Kompetenzen des Bundespräsidenten:
Neben den üblichen „ornamentalen“ Funktionen eines Staatsoberhauptes (Publikation von Gesetzen und Staatsverträgen, Angelobungen von leitenden Staatsfunktionären, Erteilung diplomatischer Agréements, Verleihung von Titeln und Ehrenzeichen, Begnadigungen etc.) hat der österreichische Bundespräsident (i.d.F.: BP) eine Reihe „politischer“ Funktionen, die ihn deutlich „mächtiger“ als z.B. den deutschen BP machen (von der faktischen Machtlosigkeit der meisten monarchischen Staatsoberhäupter gar nicht zu reden!), und nach dem Buchstaben des BV-G ist er durchaus mit dem französischen oder finnischen Staatspräsidenten vergleichbar, doch weicht gerade bei den „politischen“ Kompetenzen die Verfassungsrealität von Verfassungstext weitgehend ab!
Die Ernennung des Bundeskanzlers und auf dessen Vorschlag der übrigen Bundesregierung (Bundesminister und Staatssekretäre) steht zwar theoretisch im freien Ermessen des BP, doch unterliegt diese Kompetenz durch die Möglichkeit des Parlaments (genauer gesagt: des Nationalrates – NR), die Bundesregierung (oder auch einzelne Mitglieder derselben) durch Mißtrauensvotum zu stürzen, starken Einschränkungen, insbesondere bei stabilen Mehrheitsverhältnissen im NR, die einer Partei oder eine Koalition von Parteien eine absolute Regierungsmehrheit ermöglicht. Nur in Situationen ohne klare Mehrheitssituation und tiefen Zerwürfnissen zwischen den Parteien käme der Initiative des BP entscheidende Wirkung zu; andernfalls ist er bloß „Staatsnotar“, der höchstens in der konkreten Auswahl einzelner Mitglieder eine Art von „Vetorecht“ ausüben kann (und dies auch in der Vergangenheit einige Male getan hat).
Das Recht zur Auflösung des Nationalrates auf Antrag der Bundesregierung ist ebenfalls eine Kompetenz, die bisher weitgehend theoretischer Natur blieb. Sie wäre – wenn überhaupt – in der Realität wohl nur beim Zerbrechen einer Regierungskoalition denkbar, und selbst dann sehr unwahrscheinlich, da die (ehemaligen) Koalitionspartner mit ihrer Mehrheit (und unter Zustimmung der Opposition) die Selbstauflösung des Nationalrates beschließen werden.
Die allgemeine Lehre hinsichtlich der Kompetenz des BP in der Publikation von Bundesgesetzen verneint ein diesbezügliches „Vetorecht“ des BP in der Gesetzwerdung, sondern sieht ihn auf eine eher formelle Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens beschränkt. Inwieweit der BP Gesetze, die ganz flagrante Verletzungen des BV-G enthalten, durch Nicht-Unterzeichnung verhindern kann und darf, ist zumindest nicht unstrittig.
Die Funktionen des BP gewissermaßen als „Legalitätsreserve“, in welchen er z.B. Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes – u.U. auch unter dem Einsatz bewaffneter Macht, die seinem Oberbefehl untersteht – vollzieht, wenn andere Wege der Durchsetzung nicht beschreitbar sind, waren bislang auch bloßer Verfassungsbuchstabe, könnten aber im Krisenfall bedeutsam werden (und sind auch genau für diesen Fall vorgesehen)!
Eine durchaus wichtige, wenngleich auf das Zusammenspiel mit anderen Staatsfunktionären angewiesene Funktion ist die Ernennung von Beamten und Richtern. Diese wird zwar hinsichtlich der unteren Ränge für gewöhnlich an die zuständigen Minister(ien) delegiert, hinsichtlich der Spitzenfunktionen ist der BP hingegen selbst (wenn auch immer auf Vorschlag) tätig, und kann durch Einwände bzw. Verweigerung der Zustimmung eine solche Ernennung verzögern oder überhaupt verhindern.
Im Vergleich mit dem weiter oben genannten französischen Staatspräsidenten entbehrt der österreichische BP jedoch vor allem der Leitungskompetenz in der Bundesregierung: diese steht ausschließlich dem Bundeskanzler (in Koalitionsregierungen jedoch faktisch geteilt mit dem Vizekanzler) zu. Der BP steht gemeinsam und in Konkurrenz mit der Bundesregierung (und in den jeweiligen Bundesministern in ihren Fachbereichen) an der Spitze der Vollziehung als eines der „obersten Organe“, ist diesen jedoch nur im protokollarischen Rang (und natürlich durch seine Ernennungskompetenzen) übergeordnet, sonst verfassungsrechtlich gleichgeordnet.
2. Entwicklung der BP-Funktionen seit dem BV-G 1920
Die Gründung der Ersten Republik nach dem Zerbrechen der Österreich-Ungarischen Monarchie erfolgte zunächst etwas chaotisch, mit provisorischen Staatsorganen, die teilweise parallel zu allmählich sich faktisch abwickelnden Ministerien und Ämtern der Monarchie (bzw. ihres „cisleithanischen“ Anteils der „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“) agierten. Das Amt eines Staatsoberhauptes wurde in jener Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des BV-G 1920 kollektiv vom dreiköpfigen Präsidium des Nationalrates (nach außen durch dessen Ersten Präsidenten repräsentiert) ausgeübt. Im Ursprungsentwurf Kelsens war auch das Amt des Bundespräsidenten noch nicht vorgesehen; dieses wurde jedoch durch die bürgerliche Seite bei den Verfassungsverhandlungen – die Christlich-Sozialen und die (liberalen) Deutschnationalen – schnell hineinreklamiert. Die Sozialdemokraten standen der Einführung eines solchen Amtes ablehnend gegenüber, da sie einen „Ersatzkaiser“ befürchteten, und konnten im Verlauf der Verhandlungen die Kompetenzen des BP, dem sie schließlich doch zustimmten, auf recht formelle staatsnotarielle und protokollarische Agenden beschränken. Die Wahl des BP erfolgte auf dieser Stufe der Verfassungsgeschichte durch die Bundesversammlung (NR + Bundesrat); die Bundesregierung (die vom NR zu wählen war) wurde vom BP bloß angelobt.
Nach den sich fast zu einem Bürgerkrieg ausweitenden politischen Unruhen der späten 1920er-Jahre – Gründung von politischen Kampfgruppen („Schutzbund“ und „Heimwehr“), Justizpalastbrand etc. – wurde versucht, dem Zug der Zeit zu autoritativerer Ausgestaltung der Staatsführung folgend, Österreichs bis dahin rein parlamentarisches Regierungssystem nach dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung durch einen „starken“ (oder doch wenigstens „stärkeren“) Bundespräsidenten umzugestalten, und die Staatsspitze im Gegenzug durch eine Volkswahl – als quasi-plebiszitäres Element – „unabhängig(er)“ zu machen. Die darin gesetzten Hoffnungen erfüllten sich jedoch durch die verschärfte krisenhafte Entwicklung der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre nur höchst unvollkommen, und wurden durch die 1934 erfolgte völlige Umgestaltung der Republik in den so genannten „Ständestaat“ (offiziell: „Bundesstaat Österreich“, von linker Seite auch gerne als die Zeit des „Austro-Faschismus“ bezeichnet) vollends obsolet. Die Person des damaligen BP Miklas blieb zwar fast das einzige Kontinuum, doch war seine Position zwar von protokollarischer Würde, doch machtmäßig faktischer Bedeutungslosigkeit gekennzeichnet.
1945 wurde relativ rasch klar, dass ein zum Fortbestand Österreichs als geschlossener Staat notwendiges Anknüpfen an frühere Verfassungen nur in der Form erfolgen könnte, dass die Bundesverfassung 1920 in der Fassung der BV-G-Novelle von 1929 wieder in Kraft gesetzt wurde – und damit auch ein Bundespräsidentenamt mit (theoretisch) relativ starken Kompetenzen, durch Volkswahl bestimmt; dessen ungeachtet wurden wegen der Besatzungssituation Österreichs die beiden ersten BP-Wahlen aufgrund eines besonderen Verfassungsgesetzes dennoch durch die Bundesversammlung vorgenommen, wobei bei der ersten Wahl symptomatisch für die faktische Einschätzung der wahren Bedeutung des BP-Amtes ist, dass zwischen den beiden herrschenden Parteien SPÖ und ÖVP die Vereinbarung getroffen wurde, die bei den ersten NR-Wahlen stärkere Partei solle den Bundeskanzler stellen, die zweitplatzierte Partei hingegen den Bundespräsidenten; hiedurch kam es dann auch zu einer unangefochten verlaufenden Wahl des Sozialisten Renner zum ersten BP der 2. Republik.
In den folgenden Jahren der „Großen Koalition“ stand immer ein (dann bereits durch das Volk gewählter) „roter“ Bundespräsident einem „schwarzen“ Bundeskanzler gegenüber, bis mit der ersten (und bislang einzigen) Minderheitsregierung der SPÖ unter Kreisky 1970 die formelle (BP Jonas) und machtmäßige (Kreisky) Staatsspitze gleichermaßen in roter Hand vereinigt wurden. Auch in der Folge blieb die Hofburg in roter bzw. von roter Seite unterstützter Hand (Kirchschläger war zwar parteilos, aber zuvor Außenminister in einer SPÖ-Regierung); erst im Jahr 1986 kam es mit der Wahl von Waldheim, dem der schwarze Karrierediplomat Klestil folgte, zu einer „Umfärbung“ an der Staatsspitze, die erst durch die Wahl von Heinz Fischer 2004 wieder umgedreht wurde.
3. Wozu überhaupt ein Staatsoberhaupt?
Es ist völkerrechtlich notwendig, dass ein Staat über ein Staatsoberhaupt verfügt. Selbst wenn die Verfassung eines Staates dies ändern wollte, änderte die „normative Kraft des Faktischen“ bald dieses Bestreben: bestimmte Anknüpfungen zur Rechtsgültigkeit von internationalen Verträgen, über den Austausch diplomatischer Vertreter schaffen eine Faktenlage, der sich keine Staatsordnung außer über ganz kurze Zeit entziehen kann. Auch in den frühesten, revolutionären Jahren der UdSSR, als diese noch recht konsequent als Räterepublik aufgebaut war, gab es in Gestalt des jeweiligen Rats-Vorsitzenden ein völkerrechtliches Staatsoberhaupt. Auch der anfängliche Versuch Gaddafis, in Libyen eine „ganz andere“ Staatsordnung zu schaffen, und eine Art von islamischem Rätesystem zu kreieren, lenkte für die Frage des Staatsoberhauptes bald in die völkerrechtlich gewohnten Bahnen.
Ganz anders ist die Frage zu beantworten, wie diese Funktion ausgestaltet und besetzt wird. Hier sind von diktatorischen (durch die bloße Faktizität der Machtausübung bestimmten), über monarchische (durch Erb-, mitunter auch/oder durch Wahlrecht legitimierte) bis zu republikanischen Ausgestaltungen, zumeist als eigenes Amt, gelegentlich auch als „Annexfunktion“ zu einem anderen Staatsamt viele Gestaltungen zu finden. Betrachtet man die republikanischen Formen von Staatsoberhäuptern, so sind es besonders vier Modelle, die – mit durchaus unterschiedlichen Auswirkungen auf die Verfassungsrealität – verbreitet sind
1. gesonderte Staatsoberhäupter
2. Staatsoberhäupter als „Annexfunktion“, die wiederum
2.1. in Kombination mit einem Amt in der Exekutivgewalt, oder
2.2. in Kombination mit einem Amt der Legislative vorkommen.
Bei den „gesonderten“ Staatsoberhäuptern variieren Wahlmodi und Kompetenzen beträchtlich, doch insgesamt herrscht hier die Gestaltung als eher „repräsentatives“ Amt vor. Bei den „kombinierten“ Ausgestaltungen führt die Verbindung mit einer Exekutivfunktion (d.h. mit der Funktion des Regierungschefs) zu großer faktischer Machtfülle, die dann meist durch ein besonders unabhängig ausgestaltetes Parlament (keine Befugnis des Präsidenten, dieses aufzulösen, Gesetzesinitiative v.a. durch das Parlament etc.) ausbalanciert wird.
Dem gegenüber neigen Systeme, die das Staatsoberhaupt mit einer Leitungsfunktion eines Legislativkörpers verbinden, zumeist wieder zu einer eher bloß „protokollarischen“ Ausgestaltung der Funktion.
4. Gedanken über den Wahlmodus:
Formelle Staatsoberhäupter werden oft durch besondere Wahlmännergremien bestimmt, wogegen die (direkte oder indirekte) Volkswahl zumeist ein Zeichen auch faktischer Macht darstellt. So ist es symptomatisch, dass der deutsche BP durch eine aus Bundestag und Landespolitikern bestehende „Bundesversammlung“, die als solche nur zu seiner Wahl zusammentritt, gewählt wird – oder vielmehr faktisch meist eine zuvor bereits „ausgehandelte“ Wahl bloß formell von ihr bestätigt wird. Andererseits ist der US-Präsident, der durch eine „indirekte Volkswahl“ ins Amt kommt, ein besonders prägnantes Beispiel präsidialer Machtfülle. Viele Präsidialsysteme vor allem Lateinamerikas aber auch anderer Staaten in der Dritten Welt folgen dem US-Vorbild, und bevorzugen plebiszitär gewählte, „starke“ Präsidenten (bei denen die Volkswahl offenbar über die insgesamt bescheidene demokratische Legitimation der Realverfassung hinwegtäuschen soll).
Ein Sonderfall in jeder Hinsicht ist das Schweizer Modell, in welchem der Bundespräsident im Wesentlichen bloß protokollarische Vorsitzfunktionen im „Bundesrat“ (d.h. der Schweizer Bundesregierung) innehat, und im jährlich wechselnden Turnus von den einzelnen Bundesräten (=Bundesministern) quasi in Nebenfunktion mitausgeübt wird. Das österreichische Modell, also ein faktisch eher bescheiden „machtvoller“ BP, der aber durch Volkswahl bestellt wird, ist irgendwie ein unbefriedigender Kompromiss, der allerdings durch die Trägheit der Verfassungsgesetzgebung und die ständigen Blockaden zwischen den Parteien noch länger aktuell bleiben dürfte.
Was ist nun über den Wahlmodus der Volkswahl anzumerken? Zunächst wohl, dass diese Art die – die der jüngste Wahlkampf beweist – ungeeignetste Weise sein dürfte, einen allgemein anerkannten, überparteilichen und Gegensätze ausgleichenden, ggf. zwischen den Parteien vermittelnden BP zu bekommen. Denn die Volkswahl „lebt“ von Polarisierung: hier müssen, dem Niveau der breiten Wählerschaft angepasst, einfache Slogans und werbewirksames Auftreten alle Fragen charakterlicher und fachkundiger Eignung in den Hintergrund treten lassen. Am Ende steht bei einer Erstwahl immer ein BP, der sich erst durch jahrelange Mühe etwas wie ein silentium obsequiosum der „Gegenseite“ erarbeiten kann. Erst bei der zweiten Amtsperiode ist die Versuchung für die bei der ersten Wahl unterlegene Seite groß, durch Verzicht auf einen eigenen Kandidaten eine durch den „Amtsbonus“ des wieder Antretenden doch wahrscheinliche Niederlage zu vermeiden, und damit sinnlose Wahlkampfkosten zu sparen. Dennoch ist die Erwartung, durch Volkswahl einen allseits akzeptierten BP zu bekommen, als blauäugig und naiv zu bezeichnen.
Was wäre nun ein geeigneterer Wahlmodus? Sicherlich nicht der des deutschen Modells: kommt es dabei nämlich zu einer echten, d.h. nicht zuvor akkordierten „Kampfkandidatur“, so gelten alle polarisierenden Einwände ebenso wie bei einer Volkswahl. Wird jedoch die Wahl von denselben Akteuren, die auch sonst die Politik des Landes bestimmen, „ausgehandelt“, so wird – von wenigen Ausnahmen (z.B. Heuss) abgesehen – der Eindruck in der Bevölkerung, dass hier bloß in Hinterzimmerpolitik ein „Arrangement“ getroffen wurde, um so nachhaltiger das Ansehen des Gewählten beeinträchtigen.
Man muß wohl auf ganz andere, auf ältere und durch Jahrhunderte erprobte Wahlprozesse zurückgreifen, und was läge hier näher als eine – natürlich modifizierte! – Anleihe bei der Papstwahl durch das Kardinalskollegium. Dieses ist vor allem durch drei Charakteristika gekennzeichnet:
1. es gibt ein hohes Mehrheitserfordernis (2/3-Mehrheit)
2. die Wähler sind gezwungen, die Wahl in völliger Isolierung vorzunehmen (wenngleich dies durch Mobiltelefone etc. inzwischen nur eingeschränkt zutrifft)
3. die Wähler werden nicht gewählt, sondern bestimmt – und sind daher weder „ihren Wählern“ verpflichtet (bzw. irgendwelchen Parteien durch drohende Nichtberücksichtigung bei den nächsten Wahlen disziplinierbar), noch erschließt sich für sie unmittelbar ein „Karrierepfad“.
Das bedeutet umgelegt auf österreichische Verhältnisse?
1. Ein Mehrheitserfordernis von bloß einer absoluten Mehrheit ist nicht ausreichend, um ein allgemein akzeptiertes Staatsoberhaupt zu erhalten. Es müssten eher 60% sein – doch dann kann man gleich die zu überwindende Hürde auf eine 2/3-Mehrheit hinaufsetzen, denn wer alleine wenigstens doppelt so viele Stimmen erhält, wie der nächstgereihte Gegenkandidat, der ist wirklich „unanfechtbar“ gewählt!
2. Es muß darauf geachtet werden, dass die Wahlen (für eine 2/3-Mehrheit wird es mehrere Wahlgänge brauchen!) in einem von außen nicht gestörten gruppendynamischen Prozess erfolgen können.
3. Der Wahlkörper darf keineswegs durch die sonst üblichen (partei-)politischen Kräfte besetzt werden – wenigstens aber nicht ausschließlich, ja nicht einmal überwiegend von diesen! Denkbar wäre etwa eine gemischte Zusammensetzung aus
1. besonders langgedienten Parlamentariern und früheren Inhabern von Regierungsfunktionen (die ihre politische Erfahrung einbringen),
2. Vertretern der Länder (als Zeichen der föderalen Gestaltung Österreichs); weiters
3. Repräsentanten intellektueller (z.B. Universitäten, Akademien) und wirtschaftlicher Eliten (Präsidenten diverser Kammern etc.), und schließlich
4. „Wahlschöffen“, d.h. durch Zufallsprinzip aus geeigneten Kreisen „gezogene“ Personen.
Ein solches Gremium, welches noch dazu (mit seiner Kategorie 4.) ein erst unmittelbar vor dem Wahlvorgang fixiertes aleatorisches Element enthält, wäre die geeignete „Gegenkraft“ zu den etablierten Parteisystemen, andererseits durch seine „Konklave-Situation“ und das erforderliche 2/3-Wahlerfordernis einem starken gruppendynamischen Druck ausgesetzt, dessen ungeachtet einen Präsidenten zu wählen, der wirklich „über den Parteien“ steht. Um diesen wünschenswerten gruppendynamischen Druck möglichst effizient wirksam werden zu lassen, darf das Wahlgremium nicht zu klein, aber vor allem nicht allzu groß sein (die klassische Zahl von „siebzig Kardinälen“ ist hier sicher schon an der obersten Grenze angesiedelt!). Ein solches „Präsidentenkonklave“ könnte daher konkret etwa so aussehen:
Eine Mitgliederzahl von beispielsweise 36, die sich auf die vier vorgenannten Mitgliederkurien wie folgt verteilt:
1. Kurie „Bundespolitik“ – 9 Mitglieder:
– ehemalige Bundespräsidenten (sofern nicht unehrenhaft aus dem Amt geschieden, dies gilt auch für vergleichbare Mitgliedschaftsrechte anderer „ehemaliger“ Funktionsträger; ebenso wäre über eine Höchstaltersgrenze für diese Gruppe nachzudenken) – die drei Nationalratspräsidenten – der Rechnungshofpräsident – die verbleibende Restzahl: durch Los aus der Zahl der ehemaligen Bundeskanzler und Vizekanzler zu ermitteln.
2. Kurie „Ländervertreter“ – 9 Mitglieder:
Am zweckmäßigsten durch die Teilname der neun Landeshauptleute.
3. Kurie „Repräsentanten der Eliten “:
– Präsident der Akademie der Wissenschaften
– Präsident der Rektorenkonferenz der österreichischen Universitäten
– die 4 Präsidenten der so genannten „Sozialpartner“, nämlich:
der Präsident der Bundeswirtschaftskammer,
der Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern,
der Arbeiterkammerpräsident,
der Präsident des Gewerkschaftsbundes; sowie
ein Repräsentant, ad hoc gewählt von den Präsidenten der Freiberuflerkammern (Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder, Notare, Ziviltechniker).
je ein Repräsentant der Pensionisten- und Jugendverbände.
4. Kurie „Wahlschöffen“ – 9 Mitglieder:
Hier wären durch das Los geeignete Mitglieder zu ermitteln, wobei beispielsweise Voraussetzungen wie der Erwerb eines akademischen Grades, und/oder eine Mindest-Einkommensteuerzahlung in den vorangehenden drei Jahren in Frage kämen.
5. Einwände:
Wäre diese Zusammensetzung aber nicht ein Schlag ins Gesicht der Demokratie, die doch auf dem Prinizip der Gleichwertigkeit von Stimmen beruht? In gewissem Sinne zweifellos. Doch muß darauf hingewiesen werden, dass auch andere Wahlen in Österreich keineswegs immer diesem Prinzip gehorchen, alleine schon wegen der föderalen Struktur, die stets eine gewissen Ungleichgewichtung zugunsten kleinerer Länder mit sich bringt.
Entscheidender ist aber der Einwand, dass die vier Kurien in einer wünschbar kurzen Zeit gar nicht in der Lage wären, einen geeigneten Kandidaten auszuwählen. Mangels bereits bestehender Erfahrungen kann das im Vorhinein allerdings schwer beantwortet werden. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Isolation des Wahlgremiums (das diese Isolation erst und nur durch die erfolgreiche Wahl eines BP beenden kann) recht schnell eine Eigendynamik entwickeln wird, die doch zum Erfolg führen dürfte.
6. Weitere Maßnahmen:
Neben der Frage des Wahlmodus wären aber noch weitere hinsichtlich der Aus- und Umgestaltung des BP-Amtes zu stellen:
1. ist die Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl sinnvoll?
Hier wird die Antwort eher skeptisch ausfallen: zweckmäßiger wäre unter den obenstehenden geänderten Wahlbedingungen eine Wahl auf eine einzige, dafür aber längere Periode, z.B. auf zehn Jahre. Wiederwahlen bringen immer durch den „Amtsbonus“ des Inhabers die Gefahr, zu einer bloßen Formalität und Pflichtübung zu entarten.
2. sind alle bisherigen Kompetenzen des BP bei einem solchen „BP-neu“ sinnvollerweise beizubehalten?
Auch dieses ist zu bezweifeln. Neben einigen „ornamentalen“ Prärogativen des BP (z.B. die legitimatio per rescriptum principis), die besser an sachkundige Behörden übertragbar wären, ist es vor allem die Ernennung des Bundeskanzlers, die schon jetzt weitgehend eine Formalität darstellt, und unter „normalen“ politischen Verhältnissen auch darstellen soll und muß! Hier wäre eine Rückkehr zum Stand des BV-G von 1920, mit der Wahl des Bundeskanzlers durch den Nationalrat, sicherlich die ehrlichere Ausgestaltung. Man könnte hier dem BP allerdings eine „Notkompetenz“ einräumen, falls der Nationalrat außer Stande ist diese Wahl zu treffen.
Den Lesern, die bis hierher durchgehalten haben, diese sicherlich nur rudimentären – und noch keineswegs gänzlich „ausgegorenen“ – Gedanken über eine Änderung der Funktionen und des Wahlmodus beim österreichischen Bundespräsidenten, sei jedenfalls gedankt. Alle Änderungen einer Rechtsordnung setzen zu allererst die Bereitschaft voraus, Dinge neu und unvoreingenommen zu überdenken! Und genau dies war das Ziel der vorstehenden Ausführungen, über deren baldige (oder überhaupt denkbare) Realisierbarkeit man sich keinen Illusionen hingeben sollte.
Die bisherige Befassung mit dem Thema „Bundespräsidentenwahl“ in den Medien, aber auch den Gesprächen vieler Bürger war simpel: man stritt über Eignung (oder mangelnde Eignung) der Kandidaten – und gelegentlich über die Frage, ob ein Bundespräsident überhaupt nötig sei. Doch auch diese Frage allein greift zu kurz, denn sie kann nur sinnvoll im Zusammenhang mit der Frage nach der Gesamtstruktur der österreichischen Verfassung beantwortet werden. Es empfiehlt sich daher die gesamte Thematik sowohl de lege lata zu erörtern, als auch de lege ferenda Überlegungen anzustellen, denn dass die derzeitigen Regelungen des BV-G optimal wären, kann wirklich nicht behauptet werden.
1. Die derzeitigen Kompetenzen des Bundespräsidenten:
Neben den üblichen „ornamentalen“ Funktionen eines Staatsoberhauptes (Publikation von Gesetzen und Staatsverträgen, Angelobungen von leitenden Staatsfunktionären, Erteilung diplomatischer Agréements, Verleihung von Titeln und Ehrenzeichen, Begnadigungen etc.) hat der österreichische Bundespräsident (i.d.F.: BP) eine Reihe „politischer“ Funktionen, die ihn deutlich „mächtiger“ als z.B. den deutschen BP machen (von der faktischen Machtlosigkeit der meisten monarchischen Staatsoberhäupter gar nicht zu reden!), und nach dem Buchstaben des BV-G ist er durchaus mit dem französischen oder finnischen Staatspräsidenten vergleichbar, doch weicht gerade bei den „politischen“ Kompetenzen die Verfassungsrealität von Verfassungstext weitgehend ab!
Die Ernennung des Bundeskanzlers und auf dessen Vorschlag der übrigen Bundesregierung (Bundesminister und Staatssekretäre) steht zwar theoretisch im freien Ermessen des BP, doch unterliegt diese Kompetenz durch die Möglichkeit des Parlaments (genauer gesagt: des Nationalrates – NR), die Bundesregierung (oder auch einzelne Mitglieder derselben) durch Mißtrauensvotum zu stürzen, starken Einschränkungen, insbesondere bei stabilen Mehrheitsverhältnissen im NR, die einer Partei oder eine Koalition von Parteien eine absolute Regierungsmehrheit ermöglicht. Nur in Situationen ohne klare Mehrheitssituation und tiefen Zerwürfnissen zwischen den Parteien käme der Initiative des BP entscheidende Wirkung zu; andernfalls ist er bloß „Staatsnotar“, der höchstens in der konkreten Auswahl einzelner Mitglieder eine Art von „Vetorecht“ ausüben kann (und dies auch in der Vergangenheit einige Male getan hat).
Das Recht zur Auflösung des Nationalrates auf Antrag der Bundesregierung ist ebenfalls eine Kompetenz, die bisher weitgehend theoretischer Natur blieb. Sie wäre – wenn überhaupt – in der Realität wohl nur beim Zerbrechen einer Regierungskoalition denkbar, und selbst dann sehr unwahrscheinlich, da die (ehemaligen) Koalitionspartner mit ihrer Mehrheit (und unter Zustimmung der Opposition) die Selbstauflösung des Nationalrates beschließen werden.
Die allgemeine Lehre hinsichtlich der Kompetenz des BP in der Publikation von Bundesgesetzen verneint ein diesbezügliches „Vetorecht“ des BP in der Gesetzwerdung, sondern sieht ihn auf eine eher formelle Prüfung des verfassungsmäßigen Zustandekommens beschränkt. Inwieweit der BP Gesetze, die ganz flagrante Verletzungen des BV-G enthalten, durch Nicht-Unterzeichnung verhindern kann und darf, ist zumindest nicht unstrittig.
Die Funktionen des BP gewissermaßen als „Legalitätsreserve“, in welchen er z.B. Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes – u.U. auch unter dem Einsatz bewaffneter Macht, die seinem Oberbefehl untersteht – vollzieht, wenn andere Wege der Durchsetzung nicht beschreitbar sind, waren bislang auch bloßer Verfassungsbuchstabe, könnten aber im Krisenfall bedeutsam werden (und sind auch genau für diesen Fall vorgesehen)!
Eine durchaus wichtige, wenngleich auf das Zusammenspiel mit anderen Staatsfunktionären angewiesene Funktion ist die Ernennung von Beamten und Richtern. Diese wird zwar hinsichtlich der unteren Ränge für gewöhnlich an die zuständigen Minister(ien) delegiert, hinsichtlich der Spitzenfunktionen ist der BP hingegen selbst (wenn auch immer auf Vorschlag) tätig, und kann durch Einwände bzw. Verweigerung der Zustimmung eine solche Ernennung verzögern oder überhaupt verhindern.
Im Vergleich mit dem weiter oben genannten französischen Staatspräsidenten entbehrt der österreichische BP jedoch vor allem der Leitungskompetenz in der Bundesregierung: diese steht ausschließlich dem Bundeskanzler (in Koalitionsregierungen jedoch faktisch geteilt mit dem Vizekanzler) zu. Der BP steht gemeinsam und in Konkurrenz mit der Bundesregierung (und in den jeweiligen Bundesministern in ihren Fachbereichen) an der Spitze der Vollziehung als eines der „obersten Organe“, ist diesen jedoch nur im protokollarischen Rang (und natürlich durch seine Ernennungskompetenzen) übergeordnet, sonst verfassungsrechtlich gleichgeordnet.
2. Entwicklung der BP-Funktionen seit dem BV-G 1920
Die Gründung der Ersten Republik nach dem Zerbrechen der Österreich-Ungarischen Monarchie erfolgte zunächst etwas chaotisch, mit provisorischen Staatsorganen, die teilweise parallel zu allmählich sich faktisch abwickelnden Ministerien und Ämtern der Monarchie (bzw. ihres „cisleithanischen“ Anteils der „im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder“) agierten. Das Amt eines Staatsoberhauptes wurde in jener Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des BV-G 1920 kollektiv vom dreiköpfigen Präsidium des Nationalrates (nach außen durch dessen Ersten Präsidenten repräsentiert) ausgeübt. Im Ursprungsentwurf Kelsens war auch das Amt des Bundespräsidenten noch nicht vorgesehen; dieses wurde jedoch durch die bürgerliche Seite bei den Verfassungsverhandlungen – die Christlich-Sozialen und die (liberalen) Deutschnationalen – schnell hineinreklamiert. Die Sozialdemokraten standen der Einführung eines solchen Amtes ablehnend gegenüber, da sie einen „Ersatzkaiser“ befürchteten, und konnten im Verlauf der Verhandlungen die Kompetenzen des BP, dem sie schließlich doch zustimmten, auf recht formelle staatsnotarielle und protokollarische Agenden beschränken. Die Wahl des BP erfolgte auf dieser Stufe der Verfassungsgeschichte durch die Bundesversammlung (NR + Bundesrat); die Bundesregierung (die vom NR zu wählen war) wurde vom BP bloß angelobt.
Nach den sich fast zu einem Bürgerkrieg ausweitenden politischen Unruhen der späten 1920er-Jahre – Gründung von politischen Kampfgruppen („Schutzbund“ und „Heimwehr“), Justizpalastbrand etc. – wurde versucht, dem Zug der Zeit zu autoritativerer Ausgestaltung der Staatsführung folgend, Österreichs bis dahin rein parlamentarisches Regierungssystem nach dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung durch einen „starken“ (oder doch wenigstens „stärkeren“) Bundespräsidenten umzugestalten, und die Staatsspitze im Gegenzug durch eine Volkswahl – als quasi-plebiszitäres Element – „unabhängig(er)“ zu machen. Die darin gesetzten Hoffnungen erfüllten sich jedoch durch die verschärfte krisenhafte Entwicklung der späten 1920er- und frühen 1930er-Jahre nur höchst unvollkommen, und wurden durch die 1934 erfolgte völlige Umgestaltung der Republik in den so genannten „Ständestaat“ (offiziell: „Bundesstaat Österreich“, von linker Seite auch gerne als die Zeit des „Austro-Faschismus“ bezeichnet) vollends obsolet. Die Person des damaligen BP Miklas blieb zwar fast das einzige Kontinuum, doch war seine Position zwar von protokollarischer Würde, doch machtmäßig faktischer Bedeutungslosigkeit gekennzeichnet.
1945 wurde relativ rasch klar, dass ein zum Fortbestand Österreichs als geschlossener Staat notwendiges Anknüpfen an frühere Verfassungen nur in der Form erfolgen könnte, dass die Bundesverfassung 1920 in der Fassung der BV-G-Novelle von 1929 wieder in Kraft gesetzt wurde – und damit auch ein Bundespräsidentenamt mit (theoretisch) relativ starken Kompetenzen, durch Volkswahl bestimmt; dessen ungeachtet wurden wegen der Besatzungssituation Österreichs die beiden ersten BP-Wahlen aufgrund eines besonderen Verfassungsgesetzes dennoch durch die Bundesversammlung vorgenommen, wobei bei der ersten Wahl symptomatisch für die faktische Einschätzung der wahren Bedeutung des BP-Amtes ist, dass zwischen den beiden herrschenden Parteien SPÖ und ÖVP die Vereinbarung getroffen wurde, die bei den ersten NR-Wahlen stärkere Partei solle den Bundeskanzler stellen, die zweitplatzierte Partei hingegen den Bundespräsidenten; hiedurch kam es dann auch zu einer unangefochten verlaufenden Wahl des Sozialisten Renner zum ersten BP der 2. Republik.
In den folgenden Jahren der „Großen Koalition“ stand immer ein (dann bereits durch das Volk gewählter) „roter“ Bundespräsident einem „schwarzen“ Bundeskanzler gegenüber, bis mit der ersten (und bislang einzigen) Minderheitsregierung der SPÖ unter Kreisky 1970 die formelle (BP Jonas) und machtmäßige (Kreisky) Staatsspitze gleichermaßen in roter Hand vereinigt wurden. Auch in der Folge blieb die Hofburg in roter bzw. von roter Seite unterstützter Hand (Kirchschläger war zwar parteilos, aber zuvor Außenminister in einer SPÖ-Regierung); erst im Jahr 1986 kam es mit der Wahl von Waldheim, dem der schwarze Karrierediplomat Klestil folgte, zu einer „Umfärbung“ an der Staatsspitze, die erst durch die Wahl von Heinz Fischer 2004 wieder umgedreht wurde.
3. Wozu überhaupt ein Staatsoberhaupt?
Es ist völkerrechtlich notwendig, dass ein Staat über ein Staatsoberhaupt verfügt. Selbst wenn die Verfassung eines Staates dies ändern wollte, änderte die „normative Kraft des Faktischen“ bald dieses Bestreben: bestimmte Anknüpfungen zur Rechtsgültigkeit von internationalen Verträgen, über den Austausch diplomatischer Vertreter schaffen eine Faktenlage, der sich keine Staatsordnung außer über ganz kurze Zeit entziehen kann. Auch in den frühesten, revolutionären Jahren der UdSSR, als diese noch recht konsequent als Räterepublik aufgebaut war, gab es in Gestalt des jeweiligen Rats-Vorsitzenden ein völkerrechtliches Staatsoberhaupt. Auch der anfängliche Versuch Gaddafis, in Libyen eine „ganz andere“ Staatsordnung zu schaffen, und eine Art von islamischem Rätesystem zu kreieren, lenkte für die Frage des Staatsoberhauptes bald in die völkerrechtlich gewohnten Bahnen.
Ganz anders ist die Frage zu beantworten, wie diese Funktion ausgestaltet und besetzt wird. Hier sind von diktatorischen (durch die bloße Faktizität der Machtausübung bestimmten), über monarchische (durch Erb-, mitunter auch/oder durch Wahlrecht legitimierte) bis zu republikanischen Ausgestaltungen, zumeist als eigenes Amt, gelegentlich auch als „Annexfunktion“ zu einem anderen Staatsamt viele Gestaltungen zu finden. Betrachtet man die republikanischen Formen von Staatsoberhäuptern, so sind es besonders vier Modelle, die – mit durchaus unterschiedlichen Auswirkungen auf die Verfassungsrealität – verbreitet sind
1. gesonderte Staatsoberhäupter
2. Staatsoberhäupter als „Annexfunktion“, die wiederum
2.1. in Kombination mit einem Amt in der Exekutivgewalt, oder
2.2. in Kombination mit einem Amt der Legislative vorkommen.
Bei den „gesonderten“ Staatsoberhäuptern variieren Wahlmodi und Kompetenzen beträchtlich, doch insgesamt herrscht hier die Gestaltung als eher „repräsentatives“ Amt vor. Bei den „kombinierten“ Ausgestaltungen führt die Verbindung mit einer Exekutivfunktion (d.h. mit der Funktion des Regierungschefs) zu großer faktischer Machtfülle, die dann meist durch ein besonders unabhängig ausgestaltetes Parlament (keine Befugnis des Präsidenten, dieses aufzulösen, Gesetzesinitiative v.a. durch das Parlament etc.) ausbalanciert wird.
Dem gegenüber neigen Systeme, die das Staatsoberhaupt mit einer Leitungsfunktion eines Legislativkörpers verbinden, zumeist wieder zu einer eher bloß „protokollarischen“ Ausgestaltung der Funktion.
4. Gedanken über den Wahlmodus:
Formelle Staatsoberhäupter werden oft durch besondere Wahlmännergremien bestimmt, wogegen die (direkte oder indirekte) Volkswahl zumeist ein Zeichen auch faktischer Macht darstellt. So ist es symptomatisch, dass der deutsche BP durch eine aus Bundestag und Landespolitikern bestehende „Bundesversammlung“, die als solche nur zu seiner Wahl zusammentritt, gewählt wird – oder vielmehr faktisch meist eine zuvor bereits „ausgehandelte“ Wahl bloß formell von ihr bestätigt wird. Andererseits ist der US-Präsident, der durch eine „indirekte Volkswahl“ ins Amt kommt, ein besonders prägnantes Beispiel präsidialer Machtfülle. Viele Präsidialsysteme vor allem Lateinamerikas aber auch anderer Staaten in der Dritten Welt folgen dem US-Vorbild, und bevorzugen plebiszitär gewählte, „starke“ Präsidenten (bei denen die Volkswahl offenbar über die insgesamt bescheidene demokratische Legitimation der Realverfassung hinwegtäuschen soll).
Ein Sonderfall in jeder Hinsicht ist das Schweizer Modell, in welchem der Bundespräsident im Wesentlichen bloß protokollarische Vorsitzfunktionen im „Bundesrat“ (d.h. der Schweizer Bundesregierung) innehat, und im jährlich wechselnden Turnus von den einzelnen Bundesräten (=Bundesministern) quasi in Nebenfunktion mitausgeübt wird. Das österreichische Modell, also ein faktisch eher bescheiden „machtvoller“ BP, der aber durch Volkswahl bestellt wird, ist irgendwie ein unbefriedigender Kompromiss, der allerdings durch die Trägheit der Verfassungsgesetzgebung und die ständigen Blockaden zwischen den Parteien noch länger aktuell bleiben dürfte.
Was ist nun über den Wahlmodus der Volkswahl anzumerken? Zunächst wohl, dass diese Art die – die der jüngste Wahlkampf beweist – ungeeignetste Weise sein dürfte, einen allgemein anerkannten, überparteilichen und Gegensätze ausgleichenden, ggf. zwischen den Parteien vermittelnden BP zu bekommen. Denn die Volkswahl „lebt“ von Polarisierung: hier müssen, dem Niveau der breiten Wählerschaft angepasst, einfache Slogans und werbewirksames Auftreten alle Fragen charakterlicher und fachkundiger Eignung in den Hintergrund treten lassen. Am Ende steht bei einer Erstwahl immer ein BP, der sich erst durch jahrelange Mühe etwas wie ein silentium obsequiosum der „Gegenseite“ erarbeiten kann. Erst bei der zweiten Amtsperiode ist die Versuchung für die bei der ersten Wahl unterlegene Seite groß, durch Verzicht auf einen eigenen Kandidaten eine durch den „Amtsbonus“ des wieder Antretenden doch wahrscheinliche Niederlage zu vermeiden, und damit sinnlose Wahlkampfkosten zu sparen. Dennoch ist die Erwartung, durch Volkswahl einen allseits akzeptierten BP zu bekommen, als blauäugig und naiv zu bezeichnen.
Was wäre nun ein geeigneterer Wahlmodus? Sicherlich nicht der des deutschen Modells: kommt es dabei nämlich zu einer echten, d.h. nicht zuvor akkordierten „Kampfkandidatur“, so gelten alle polarisierenden Einwände ebenso wie bei einer Volkswahl. Wird jedoch die Wahl von denselben Akteuren, die auch sonst die Politik des Landes bestimmen, „ausgehandelt“, so wird – von wenigen Ausnahmen (z.B. Heuss) abgesehen – der Eindruck in der Bevölkerung, dass hier bloß in Hinterzimmerpolitik ein „Arrangement“ getroffen wurde, um so nachhaltiger das Ansehen des Gewählten beeinträchtigen.
Man muß wohl auf ganz andere, auf ältere und durch Jahrhunderte erprobte Wahlprozesse zurückgreifen, und was läge hier näher als eine – natürlich modifizierte! – Anleihe bei der Papstwahl durch das Kardinalskollegium. Dieses ist vor allem durch drei Charakteristika gekennzeichnet:
1. es gibt ein hohes Mehrheitserfordernis (2/3-Mehrheit)
2. die Wähler sind gezwungen, die Wahl in völliger Isolierung vorzunehmen (wenngleich dies durch Mobiltelefone etc. inzwischen nur eingeschränkt zutrifft)
3. die Wähler werden nicht gewählt, sondern bestimmt – und sind daher weder „ihren Wählern“ verpflichtet (bzw. irgendwelchen Parteien durch drohende Nichtberücksichtigung bei den nächsten Wahlen disziplinierbar), noch erschließt sich für sie unmittelbar ein „Karrierepfad“.
Das bedeutet umgelegt auf österreichische Verhältnisse?
1. Ein Mehrheitserfordernis von bloß einer absoluten Mehrheit ist nicht ausreichend, um ein allgemein akzeptiertes Staatsoberhaupt zu erhalten. Es müssten eher 60% sein – doch dann kann man gleich die zu überwindende Hürde auf eine 2/3-Mehrheit hinaufsetzen, denn wer alleine wenigstens doppelt so viele Stimmen erhält, wie der nächstgereihte Gegenkandidat, der ist wirklich „unanfechtbar“ gewählt!
2. Es muß darauf geachtet werden, dass die Wahlen (für eine 2/3-Mehrheit wird es mehrere Wahlgänge brauchen!) in einem von außen nicht gestörten gruppendynamischen Prozess erfolgen können.
3. Der Wahlkörper darf keineswegs durch die sonst üblichen (partei-)politischen Kräfte besetzt werden – wenigstens aber nicht ausschließlich, ja nicht einmal überwiegend von diesen! Denkbar wäre etwa eine gemischte Zusammensetzung aus
1. besonders langgedienten Parlamentariern und früheren Inhabern von Regierungsfunktionen (die ihre politische Erfahrung einbringen),
2. Vertretern der Länder (als Zeichen der föderalen Gestaltung Österreichs); weiters
3. Repräsentanten intellektueller (z.B. Universitäten, Akademien) und wirtschaftlicher Eliten (Präsidenten diverser Kammern etc.), und schließlich
4. „Wahlschöffen“, d.h. durch Zufallsprinzip aus geeigneten Kreisen „gezogene“ Personen.
Ein solches Gremium, welches noch dazu (mit seiner Kategorie 4.) ein erst unmittelbar vor dem Wahlvorgang fixiertes aleatorisches Element enthält, wäre die geeignete „Gegenkraft“ zu den etablierten Parteisystemen, andererseits durch seine „Konklave-Situation“ und das erforderliche 2/3-Wahlerfordernis einem starken gruppendynamischen Druck ausgesetzt, dessen ungeachtet einen Präsidenten zu wählen, der wirklich „über den Parteien“ steht. Um diesen wünschenswerten gruppendynamischen Druck möglichst effizient wirksam werden zu lassen, darf das Wahlgremium nicht zu klein, aber vor allem nicht allzu groß sein (die klassische Zahl von „siebzig Kardinälen“ ist hier sicher schon an der obersten Grenze angesiedelt!). Ein solches „Präsidentenkonklave“ könnte daher konkret etwa so aussehen:
Eine Mitgliederzahl von beispielsweise 36, die sich auf die vier vorgenannten Mitgliederkurien wie folgt verteilt:
1. Kurie „Bundespolitik“ – 9 Mitglieder:
– ehemalige Bundespräsidenten (sofern nicht unehrenhaft aus dem Amt geschieden, dies gilt auch für vergleichbare Mitgliedschaftsrechte anderer „ehemaliger“ Funktionsträger; ebenso wäre über eine Höchstaltersgrenze für diese Gruppe nachzudenken) – die drei Nationalratspräsidenten – der Rechnungshofpräsident – die verbleibende Restzahl: durch Los aus der Zahl der ehemaligen Bundeskanzler und Vizekanzler zu ermitteln.
2. Kurie „Ländervertreter“ – 9 Mitglieder:
Am zweckmäßigsten durch die Teilname der neun Landeshauptleute.
3. Kurie „Repräsentanten der Eliten “:
– Präsident der Akademie der Wissenschaften
– Präsident der Rektorenkonferenz der österreichischen Universitäten
– die 4 Präsidenten der so genannten „Sozialpartner“, nämlich:
der Präsident der Bundeswirtschaftskammer,
der Vorsitzender der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammern,
der Arbeiterkammerpräsident,
der Präsident des Gewerkschaftsbundes; sowie
ein Repräsentant, ad hoc gewählt von den Präsidenten der Freiberuflerkammern (Ärzte, Rechtsanwälte, Wirtschaftstreuhänder, Notare, Ziviltechniker).
je ein Repräsentant der Pensionisten- und Jugendverbände.
4. Kurie „Wahlschöffen“ – 9 Mitglieder:
Hier wären durch das Los geeignete Mitglieder zu ermitteln, wobei beispielsweise Voraussetzungen wie der Erwerb eines akademischen Grades, und/oder eine Mindest-Einkommensteuerzahlung in den vorangehenden drei Jahren in Frage kämen.
5. Einwände:
Wäre diese Zusammensetzung aber nicht ein Schlag ins Gesicht der Demokratie, die doch auf dem Prinizip der Gleichwertigkeit von Stimmen beruht? In gewissem Sinne zweifellos. Doch muß darauf hingewiesen werden, dass auch andere Wahlen in Österreich keineswegs immer diesem Prinzip gehorchen, alleine schon wegen der föderalen Struktur, die stets eine gewissen Ungleichgewichtung zugunsten kleinerer Länder mit sich bringt.
Entscheidender ist aber der Einwand, dass die vier Kurien in einer wünschbar kurzen Zeit gar nicht in der Lage wären, einen geeigneten Kandidaten auszuwählen. Mangels bereits bestehender Erfahrungen kann das im Vorhinein allerdings schwer beantwortet werden. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Isolation des Wahlgremiums (das diese Isolation erst und nur durch die erfolgreiche Wahl eines BP beenden kann) recht schnell eine Eigendynamik entwickeln wird, die doch zum Erfolg führen dürfte.
6. Weitere Maßnahmen:
Neben der Frage des Wahlmodus wären aber noch weitere hinsichtlich der Aus- und Umgestaltung des BP-Amtes zu stellen:
1. ist die Möglichkeit der einmaligen Wiederwahl sinnvoll?
Hier wird die Antwort eher skeptisch ausfallen: zweckmäßiger wäre unter den obenstehenden geänderten Wahlbedingungen eine Wahl auf eine einzige, dafür aber längere Periode, z.B. auf zehn Jahre. Wiederwahlen bringen immer durch den „Amtsbonus“ des Inhabers die Gefahr, zu einer bloßen Formalität und Pflichtübung zu entarten.
2. sind alle bisherigen Kompetenzen des BP bei einem solchen „BP-neu“ sinnvollerweise beizubehalten?
Auch dieses ist zu bezweifeln. Neben einigen „ornamentalen“ Prärogativen des BP (z.B. die legitimatio per rescriptum principis), die besser an sachkundige Behörden übertragbar wären, ist es vor allem die Ernennung des Bundeskanzlers, die schon jetzt weitgehend eine Formalität darstellt, und unter „normalen“ politischen Verhältnissen auch darstellen soll und muß! Hier wäre eine Rückkehr zum Stand des BV-G von 1920, mit der Wahl des Bundeskanzlers durch den Nationalrat, sicherlich die ehrlichere Ausgestaltung. Man könnte hier dem BP allerdings eine „Notkompetenz“ einräumen, falls der Nationalrat außer Stande ist diese Wahl zu treffen.
Den Lesern, die bis hierher durchgehalten haben, diese sicherlich nur rudimentären – und noch keineswegs gänzlich „ausgegorenen“ – Gedanken über eine Änderung der Funktionen und des Wahlmodus beim österreichischen Bundespräsidenten, sei jedenfalls gedankt. Alle Änderungen einer Rechtsordnung setzen zu allererst die Bereitschaft voraus, Dinge neu und unvoreingenommen zu überdenken! Und genau dies war das Ziel der vorstehenden Ausführungen, über deren baldige (oder überhaupt denkbare) Realisierbarkeit man sich keinen Illusionen hingeben sollte.
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