Sonntag, 14. Juni 2015

Urlaubsunterbrechung XI: Vor sechzig Jahren

... wurde Wiens erste Bausünde in der Innenstadt, der »Ringturm« (nicht weil er etwa rund wäre, sondern wegen seiner Lage an der Ringstraße so genannt). Ein scheußlicher Kasten, der die Silhouette der Stadt verschandle, befanden damals kulturbewußte Menschen:


Hätten sie geahnt, welche Scheußlichkeiten in den nächsten sechzig Jahren erst das Stadtbild verunzieren würden — sie hätten milder geurteilt ...


7 Kommentare:

SF-Leser hat gesagt…

Werter Penseur,

was mißfällt Ihnen denn so arg an diesem und den späteren Gebäuden im ahnlichen Stil?
Hätte Sie lieber etwas im Zuckerbäckerart gehabt?

Grüße

SF-Leser

Le Penseur hat gesagt…

Cher SF-Leser,

»Zuckerbäckerart« ist eine pejorative Bezeichnung für an klassischen Architekturformen geschulte Bauten des 20. Jhds.

Es gibt darunter exzellente Bauwerke — z.B. die National Gallery in Washington DC (1937), oder auch einige Bauten von Speer und div. Stalinarchitekten. Manches ist freilich auch geschmackloser Kitsch. Aber selbst der ist immer noch erträglicher, als z.B. die Verschandelung der vorgenannten National Gallery durch das sich anschließende »East Building«, dessen Häßlichkeit höchstens dadurch entschuldigt werden kann, daß es schließlich auch größtenteils dazu dient, scheußliche moderne »Kunst« auszustellen.

Wiens »Innere Stadt« war bis zu den Zerstörungen im 2. Weltkrieg ein weltweit fast einzigartiges Baujuwel, das auf kleinstem Raum in harmonischer Geschlossenheit alle Stile von der Romanik der Ruprechtskirche bis zum Ringstaßenstil des späten 19. Jhds. und einigen genialen Otto-Wagner-Bauten (in seinem charakteristisch »nüchtern-funktionellen« Jugendstil, und damit bereits darüber hinausweisend!) vereinte. Die Schäden der barbarischen Flächenbombardements der Alliierten mußten freilich beseitigt werden — und oft genug fehlte das Geld für eine stilgetreue Instandsetzung.

Aber die elegante Silhouette der (tieferliegenden) Inneren Stadt, die wie ein (fast) gleichhohes Häusermeer, aus dem (alles überragend) der Stephansdom, sowie die Kuppeln der Karls- und Peterskirche und die grünspanüberzogenen Monumentalbauten (Hofburg, Museen etc.) sich heraushoben, von den (höherliegenden) Vorstädten gesehen wurde, wurde in der Nazizeit durch die häßlichen (aufgrund der schieren Betonmassen leider faktisch unbeseitigbaren) Flaktürme verschandelt (nun, für deren Errichtung konnte Österreich nicht viel!). Diese Verschandelung aber nach 1945 mit einem klobigen Betonklotz für irgendwelche Firmenbüros fortzusetzen, nur weil man damals halt ganz dringend »modern« sein wollte — das ist unentschuldbar! Und war der Dammbruch, mit dem seit damals (und v.a. in den letzten Jahren!) die Architekturverbrechen in das Stadtbild einsickerten, und sich wie Steinfraß fortsetzen ...

SF-Leser hat gesagt…

Werter Penseur,

also als abwertend sehe ich die Bezeichnung Zuckerbäckerstil spätestens seit dem ich die typischen Gebäude dazu mal in natura sehen konnte nicht mehr. Die 7 bzw. jetzt 8 Schwestern in Moskau haben schon was eindrucksvolles!

Zu Wien: Die Gebäude und das Ensemble auf die sie abheben gibt es nicht mehr. Sie sind zerstört, ob nun durch Unglücke wie Großbrände oder wie hier durch Kriegseinwirkungen.

Das was Sie als stilgetreue Instandsetzung bezeichnen, ist heute und war sicher auch Anfang der 50er Jahre gar nicht machbar.
Sie können nicht mehr so bauen wie zu den Zeiten, als die Häuser ursprünglich gebaut wurden. Sie dürfen auch nicht mehr so bauen wie damals, z.B. wegen sinnvoller Brandschutzauflagen usw. Wollen sie den Bewohnern zumuten, die damaligen Badezimmer und Küchenverhältnisse zu ertragen und in irgendwelchen, weil ja die Fassadenfenster passen müssen, mit kleinen Fenstern versehenen Zimmern zu leben?
Sollen die Leute in einer Art Museum von hübschem äußeren Aussehen leben?
So wie man es in der Warschauer Altstadt gemacht hat?

Jede Zeit hat ihren Baustil, der sich auch aufgrund der verfügbaren Baumöglichkeiten entwickelt. Richtige Hochhäuser konnte man früher eben einfach nicht bauen. Zimmer mit richtig großen Fenstern ebenfalls nicht.
Ist es nicht sinnvoll die verfügbare Grundfläche durch möglichst hohes Bauen sinnvoll zu nutzen?
Ist es nicht sinnvoll durch möglichst große Fenster die Wohnungen hell zu machen?

Wir können und sollten auch nicht versuchen die Uhr zurückzudrehen. Das frühere Wien ist vergangen. Wir leben im jetzt und dazu gehören auch andere Häuser. In ein Museum geh ich lieber bewußt und nicht gezwungen.

Grüße

SF Leser

Le Penseur hat gesagt…

Cher SF-Leser,

Es gibt genug Beispiele (auch aus dem Nachkriegs-Wien!), daß stilistisch passendes Bauen problemlos (!) möglich ist — wenn man nur will! Man wollte nicht, weil man lieber »modern« sein wollte ...

Und was wurde daraus: ein zwar nicht absolut, aber doch relativ häßlicher, anonymer Kasten von einem Hochhaus, das genausogut (bzw. -schlecht) irgendwo in Chicago, Kapstadt oder Melbourn stehen könnte. Und gleichzeitig der erste (sic!) Verstoß gegen die Bauhöhenordnung in Wien. Dem, nach dem Gesetz eines Dammbruches, weitere folgten.

Vielleicht fänden Sie es auch schick, wenn die Altstadt von Bologna durch ein paar Sichtbeton-Monstren von Autogaragen bereichert wird, denn heute ist schließlich heute — scheiß'ma doch auf die Vergangenheit!

Ich fände es weniger schick. Es gibt etwas wie ein Kulturerbe, und etwas wie einen »genius loci«. Wer dafür keinen Sensus hat, wird vermutlich auch nichts dagegen haben, eine Beethoven-Symphonie mit Synthesizer und Schlagzeug zu »bearbeiten«, die staatlichen Kunstsammlungen auf Auktionen meistbietend zu verhökern — weil diesen alten Krempl keiner braucht, und die Trotteln, die ihn haben wollen, halt dafür blechen sollen. Vom Erlös kann man dann Tiefgaragen bauen ...

Für mich sind das schlichtweg Zeichen gelebter Barbarei (sorry to say). Und führen geradewegs zu einer Gesellschaftsform wie in den USA, wo ein paar Superreiche sich die Kunstschätze zum Angeben meistbietend unter den Nagel reißen, und der 99%-Rest der Bevölkerung in geistloser Ödnis dahinlebt, Super-Size-Burger mampft und platte Hollywood-Filmchen und Disco-Wuchteln für zeitgenössische Kultur hält.

Le Penseur hat gesagt…

P.S.: Sie schrieben:

Die Gebäude und das Ensemble auf die sie abheben gibt es nicht mehr. Sie sind zerstört, ob nun durch Unglücke wie Großbrände oder wie hier durch Kriegseinwirkungen.

Offenbar kennen sie Wien nicht wirklich! Das Bestürzende am Ringturm war ja, daß die Bausubstanz der »Inneren Stadt« vergleichsweise wenig beschädigt war — mit Ausnahme der Kathedrale und insbesondere eineriger Häuserblocks am Franz-Josephs-Kai (jenem Teil der die Ringstraße entlang des Donaukanals quasi »schließt«. Und in so ein Ensemble (man erkennt es auf dem Photo links und rechts!) so ein Hochhaus reinzuklotzen ist etwa so stilvoll, wie in Venedig ein McDonalds neben dem Dogenpalast!

SF-Leser hat gesagt…

Werter Penseur,

nein, Wien kenne ich nicht wirklich, nur so besuchshalber.
Aber ich kann mir auch nicht vorstellen, daß sie so rein altersmäßig die Situation damals aus ersten Hand erleben konnten.

Was Sie aber hier propagieren ist ein reines Veränderungsverbot; erlaubt sei nur, was stilistisch passend ist. Und welche Kommission wacht über den passenden Stil??
Erlaubt sind dann doch nur noch exakte Kopien der früher dort vorhandenen Gebäude?! Vielleicht mit der Ausnahme, daß die Fassade zwar gleich sein muß, daß Innere aber modernisiert werden darf?
Sozusagen die Stadt als Großmuseum für Besucher, damit sie mal sehen, wie man früher lebte?
Auch die Gebäude, die Sie jetzt als nicht mehr verbesserungsfähig darstellen, sind auf den Fundamenten der zuvor gebauten Häuser gebaut worden. Hätte man damals so argumentiert...

Der Louvre in Paris mit seiner Glaspyramide: Wohl eher unterschiedlicher Stil:
Als ich davon vor einigen Jahren hörte, dachte ich oh graus! Als ich dann aber das mal in der Realität angesehen habe, war ich positiv überrascht.

Gegenbeispiel: Neubau des Stadtschlosses in Berlin: Soweit ich weiß, wird das Gebäude an sich und die Fassade so werden wie früher, nur innen soll alles anders „demokratischer oder so“ werden.
Ich weiß nicht so richtig, ob der Wiederaufbau ein gute Idee war. Ja, es ist schade, daß das nicht allzu sehr beschädigte Schloßgebäude gesprengt wurde, aber da jetzt so eine Chimäre hinzustellen??

Grüße

SF- Leser

Le Penseur hat gesagt…

Cher SF-Leser,

Nein, ich vertrete kein » reines Veränderungsverbot«, denn das ist — anders, als Sie offenbar meinen — nicht ident mit der Vorgabe: »erlaubt sei nur, was stilistisch passend ist«. Was eigentlich selbstverständlich sein sollte!

Wer eine häßliche Hamburger-Frittenbude oder einen Betonwolkenkratzer in ein bestehendes, stilvolles Stadtbild klotzt, handelt nicht besser (sondern sogar schlechter, weil nachhaltiger zerstörerisch!) als einer, der mitten auf den Gehsteig scheißt! Und dagegen hätte ich ja auch was.

Noch was: ein bedauerlicherweise gesprengtes Stadtschloß als »Potemkin'sches Dorf« wiederzuerrichten ist was anderes, als einen potthäßlichen Wolkenkratzer in eine bis dahin völlig wolkenkratzerfreie Altstadt zu stellen.