Freitag, 12. Juli 2013

»Die Treue gegenüber dem Staat war größer als die gegenüber der Verfassung«

Dieser entlarvende Satz stammt aus einem am 9. Februar dieses Jahres veröffentlichten Interview der »Badischen Zeitung« mit Prof. Dr. Josef Foschepoth, einem Historiker an der Universität Freiburg, der ein Buch mit dem Titel »Überwachtes Deutschland« verfaßte. Hat man damals einen Aufschrei gehört? Nein. Einen #aufschrei gab's Anfang 2013 nur, weil ein ältlicher FDP-Politiker ein Jahr davor zu einer wohlproportionierten Journalistin gesagt haben soll, sie könne ein Dirndl ausfüllen ... das war berichtenswert, das war ein Skandal! Und nicht ein Buch, in dem mit allen Details nachgewiesen wird, daß die deutsche Post jahrzehntelang (!) systematisch das Postgeheimnis gebrochen hat, beispielsweise den Briefverkehr aus der DDR zu geschätzten 80% (!) einkassiert und vernichtet hat — so ein beispielloser Skandal wird still und heimlich in der Rubrik »Nachrichten Deutschland« der Badischen Zeitung vergraben, bzw. in den Buchrezensionsspalten der SZ, FAZ & Co. schubladisiert! Aber dieser Skandal ist ja bloß Pipifax gegenüber dem, was der Historiker im weiteren Verlauf des BZ-Interviews auspackt:
BZ. Sie selbst kamen als Historiker an die Akten nicht ohne weiteres heran, sondern mussten erst Druck machen, etwa per Brief an Wolfgang Schäuble.
Foschepoth: Das war anfangs ein harter Kampf, zumal man gar nicht wusste, ob und wie viele Akten überhaupt noch unter Verschluss gehalten wurden. Man konnte ja nicht einfach in irgendeinem Katalog oder Findmittel nachschlagen. Auch die Archivare konnten nicht helfen, da sich die Akten noch in den Geheimarchiven der Bundesregierung befanden.

BZ: Wenn man Ihr Buch liest, hat man den Eindruck, keine der agierenden Parteien war an Verfassungskonformität so richtig interessiert, auch die SPD nicht, die 1968 die Notstandsgesetze mit durchgeboxt hat.
Foschepoth: Die SPD litt in den 50er- und 60er Jahren daran, dass sie nicht mehrheitsfähig wurde. Immerhin gelang es 1966, nach dem Sturz Ludwig Erhards, koalitions- und damit regierungsfähig zu werden. Zu den schwierigen Politikfeldern, die die SPD nach Ansicht von Wehner, aber auch von Schmidt und Brandt zu beackern hatte, um regierungsfähig zu werden, gehörte vor allem die Innenpolitik.

BZ: Mit den Notstandsgesetzen wurde damals auch das berüchtigte G-10-Gesetz verabschiedet – das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses. Hat das an den chronischen Verstößen etwas geändert?
Foschepoth: Zum einen wurde in der Tat die gesetzlose und verfassungswidrige Praxis auf eine gesetzliche Grundlage gestellt. Zum andern stand das G 10-Gesetz jedoch unter dem Diktum der Alliierten, die Überwachungspraxis in vollem Umfang beizubehalten. Alliiertes Recht musste in deutsches Recht überführt werden, das den drei Westmächten auch in Zukunft alle Formen und Möglichkeiten der Überwachung weiterhin offen hielt.

BZ: Unglaublich. Die Abschaffung der alliierten Rechte war nur möglich, wenn sie in deutschem Recht fortgeschrieben wurden?
Foschepoth: So ist es. Es geht noch weiter. Eine solche Regelung stand natürlich unter striktem Geheimhaltungsgebot. Um das für alle Zukunft zu sichern, musste das Grundgesetz geändert werden. Deshalb steht bis heute in Artikel 10, dass der, der aus nachrichtendienstlichen Gründen überwacht wird, keinen Anspruch hat, darüber informiert zu werden. Gleichzeitig wurde – ein Unding für einen Rechtsstaat – der Rechtsweg ausgeschlossen. Mit dieser Regelung war die Gewaltenteilung faktisch aufgehebelt, wie renommierte Staatsrechtler kritisierten. Diese massive Einschränkung des Rechtsstaates ist bis heute nicht aufgehoben. Sie geht im Kern zurück auf alliiertes Recht.
(Hier weiterlesen)
Aber jetzt schwätzen der BND, »Verfassungsschutz«, Mutti (a.k.a. IM Erika) und Consorten von Betroffenheit und Ahnungslosigkeit über die US-Spionage in Deutschland. Elendes Lügnerpack! Deutschland war und ist eine Bananenrepublik mit einer demokratisch-rechtsstaatlicher Fassade, von der schon beim bloßen Hinsehen die schäbige Tünche abblättert!

Und all die Politiker, die aus Gründen ihrer Karriere (also ihres einzigen Bestrebens: an den gefüllten Freßtrögen der Macht zu bleiben!) ihr Volk bedenkenlos verraten haben, zu jedem Entgegenkommen, zu servilster Analakrobatik gegenüber den Siegermächten (schönfärberisch Nato-»Bündnispartner« genannt) bereit waren, wenn sie dafür nur ungestört die Satrapen in deren Kolonie »BRD« spielen durften — all diese, pardon l'expression, Scheißkerle wagten und wagen es noch, Worte wie »Solidarität«, »Verfassungspatriotismus«, »Grundrechte« in ihr dreckiges Maul zu nehmen, und werden für diese Frechheit nicht mit dem nassen Fetzen verjagt?

Man reiche den Kotzkübel, um ihn dieser Bande von Staatskriminellen wohlgefüllt aufzusetzen ...

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Penseur! Das ist phantastische Arbeit! Ich gebe 45 Jahrgänge SPIEGEL her für diesen Artikel!

Anonym hat gesagt…

"Deutschland war und ist eine Bananenrepublik mit einer demokratisch-rechtsstaatlicher Fassade, von der schon vom Hinsehen die schäbige Tünche abblättert!"

Dann reisen Sie doch ins demokratische Honkong, mit unabhängiger Verfassungsgerichtsbarkeit (http://en.wikipedia.org/wiki/Hong_Kong_Basic_Law#Interpretation_of_the_Basic_Law).

Auch hat Hongkong noch einige andere vorbildliche Regelungen:

"Article 23 of the Basic Law requires Hong Kong to enact laws on its own to prohibit acts including treason, secession, sedition, subversion against the Central People's Government, and theft of state secrets."

Kann verstehen, dass Snowden dahin abgehauen ist. China hat sich bestimmt über die fremden Staatsgeheimnisse gefreut, die nicht einmal die Washington Post für veröffentlichungswürdig hielt. Denn natürlich sind nur chinesische Staatsgeheimnisse von der Klausel geschützt, nicht ausländische Staatsgeheimnisse, wie in jedem andere Land auch.

Andererseits, jetzt sind es auch chinesische Staatsgeheimnisse, jetzt brauchten sie Snwoden nicht mehr, also wurde er heraus komplimentiert (er ist nicht geflohen, wie manchmal suggeriert wurde, sondern wurde herausgeworfen; man brauchte ihn nicht, er war lästig, hatte aber natürlich auch nichts gegen hin persönlich, er hat ja nicht China verraten).

Am_Rande hat gesagt…

@ Anonym
Es liegt mir eigentlich fern, den Spiegel verteidigen zu wollen.
Aber: Es stand im Spiegel.
Ausgabe 53/2009; S.14f.
Also hinten, unten.
Aber das ist eben der Unterschied zwischen der DDR und unserem System.
Die Mächtigen und Gewaltigen haben längst gemerkt, dass man die Wahrheit ungehindert in die Zeitung setzen kann.
Sie interessiert ja eh niemanden…