Donnerstag, 10. Januar 2013

Der Ruf nach Todesstrafen (II)

... ist noch in unseren Ohren, und nun tauchen interessante Details auf:
Anwalt bezichtigt Polizei der Folter

Schläge mit Eisenstangen, manipulierte Beweise: Im Vergewaltigungsprozess in Indien erhebt ein Anwalt schwere Vorwürfe gegen Ermittler. Angeklagte sollen brutal gefoltert worden sein, um Geständnisse zu erzwingen. Ein weiterer Beschuldigter kündigte an, auf nicht schuldig zu plädieren.

Neu-Delhi - Indische Polizisten sollen mit Eisenstangen auf die Beschuldigten im Vergewaltigungsprozess eingeprügelt haben. Das behauptet der Anwalt Manohar Lal Sharma. Die Behörden hätten mit Gewalt Geständnisse erpressen wollen. Sharma ist nach eigenen Angaben Verteidiger von drei der fünf volljährigen Beschuldigten in dem Verfahren.

"Ich komme gerade aus dem Tihar-Gefängnis, nachdem ich einen der Beschuldigten getroffen habe", sagte Sharma. "Er ist während des Verhörs brutal gefoltert worden. (...) Viel von dem, was die Polizei sagt, ist frei erfunden." Die Ermittler seien unter Druck gewesen, den Fall schnell zu lösen. "Das sind manipulierte Beweise. Es beruht alles auf der Basis von Hörensagen und Vermutungen", sagte Sharma.
(Hier weiterlesen)
Angesichts der medialen Vorverurteilung (in der Hektik der Emotionen vergißt somanche Zeitung sogar darauf, von »mutmaßlichen« Tätern zu schreiben (etwas, das sonst nur bei pöhsen Rechtsextremen oder des Kindesmißbrauchs beschuldigten katholischen Geistlichen vorkommt, deren Schuld durch ihre bloß Behauptung wohl auch schon als hinreichend erwiesen zu gelten hat) — und nun das!

Wäre es nicht schrecklich, wenn das alles vielleicht nicht so stattgefunden hätte, wie es uns in den letzten Tagen von hyperventilierenden Medien berichtet worden ist? Da verlören die Leute doch glatt ihr Vertrauen in die Richtigkeit von Medienhypes ...

Nun ist es LePenseur als Jurist natürlich völlig klar, daß ein Anwalt stets für seine Mandanten einzutreten hat. Bloß auf ein Wort eines Rechtsanwalts hin jetzt eine 180°-Kehrtwendung in der Einschätzung des Falles vorzunehmen, wäre wohl ebenso fahrlässig naiv, wie den Medien-Vorverurteilungen unbesehen Glauben zu schenken. Das alles soll (und wird hoffentlich) in einem fairen Gerichtsverfahren nicht bloß zur Sprache kommen, sondern auch geklärt werden. Einem fairen Gerichtsverfahren, das der obzitierte Anwalt mit gutem Grund eingemahnt hat.

Und hier spielte sich — weitgehend unter der Wahrnehmungsgrenze des medialen Interesses! — ein zweiter und ein dritter, jeweils nicht weniger gewichtiger Skandal ab:
Indische Medien berichteten, die anderen beiden volljährigen Beschuldigten hätten angeboten, als Belastungszeugen auszusagen, um geringere Strafen zu bekommen. Die Staatsanwaltschaft hatte mitgeteilt, DNA-Spuren belegten, dass alle Beschuldigten an der Tat beteiligt waren. (Quelle)
Die Amerikanisierung der Justiz, die in den letzten Jahrzehnten weltweit stattzufinden begann, hat eben nicht nur manche Vorteile, sondern noch viel mehr Nachteile mit sich gebracht: einer Justiz, die diesen Namen verdienen soll, stehen nämlich »Deals« mit (Mit-)Angeklagten, die dem Staatsanwalt zu einer spektakulären Verurteilung anderer Angeklagter verhelfen sollen, etwa so gut zu Gesicht, wie bspw. einem Polizeichef der Betrieb eines Bordells oder des Heroinhandels. Wer Mitschuldige begünstigt, um andere Mitschuldige medienwirksam an den Galgen zu bringen, betreibt nichts anderes als Lynchjustiz im Amtstalar. Punkt.

Und der dritte Skandal? Nun, der wurde von unseren Medien ganz en passant erwähnt:
Unter Anwälten in Neu-Delhi war ein Streit darüber entbrannt, ob man die Beschuldigten angesichts der Grausamkeit der Tat überhaupt verteidigen dürfe. Die Anwaltskammer am Gerichtsstandort hatte mitgeteilt, ihre Mitglieder würden das Mandat verweigern. Bei einer Anhörung am Montag hatten sich zwei Anwälte bereit dazu erklärt, die Beschuldigten zu vertreten, und damit einen Tumult unter ihren Kollegen ausgelöst. Einer der beiden Juristen war Sharma. (Quelle)
Der Jurist ist sprachlos. Wenn ein Anwalt beschließt, einen Fall nicht zu übernehmen, weil er die Tat des Beschuldigten »zu grausam« findet, dann ist das schon etwas bedenklich, denn die Aufgabe des Verteidigers liegt ja nicht in der moralischen Bewertung eines Falles, sondern in der Wahrung der rechtlichen Interessen seines Mandanten. Wer das nicht trennen kann, ist eigentlich für den Anwaltsberuf nicht wirklich »berufen«. Wenn aber eine Anwaltskammer mit tausenden Mitgliedern von sich gibt, ihre Mitglieder würden das Mandat verweigern, dann ist das schlichtweg ein Skandal! Sogar bei den Nürnberger Prozessen (bei denen es doch fürwahr um Vorwürfe anderen Kalibers ging, als jetzt in New Dehli!) wurden den Angeklagten Verteidiger zugebilligt, um eben einem unabdingbaren Grundsatz des fair trial zu genügen (daß die Zusammensetzung des Gerichts, die Nebulosität der Rechtsgrundlagen und vieles anderes mehr jedem »fair trial« in Nürnberg Hohn sprachen, steht auf einen anderen Blatt und erklärt sich wohl aus dem beschämenden Umstand, daß bei Einhaltung rechtlicher Verfahrensweisen sich ein Teil der Zeugen wohl auf der Anklagebank dazusetzen hätte müssen. Was eine Siegerjustiz üblicherweise nicht sehr goûtiert ...).

In New Dehli hingegen geht es um ein konkret umschreibbaren Verbrechensvorwurf. Eine Anwaltskammer, die sich hier für die flächendeckende Verweigerung der Mandatsübernahme ausspricht, und bei Weigerung zweier Mitglieder, an diesem üblen Spiel mitzumachen, in Tumulte ausbricht, hat ihre Existenzberechtigung eigentlich verspielt.

Wird man derlei Überlegungen in unseren Medien zu lesen bekommen? Wohl kaum! Wo die öffentliche Hinrichtung Auflage bringt, hat eben Gerechtigkeit zu schweigen. Nur sollten unsere Medien dann nicht so tun, als wären sie besser als Postillen vom Format des »Stürmers« unselig tausendjährigen Gedenkens ...

6 Kommentare:

Nescio hat gesagt…

"... Staatsanwalt...:DNA-Spuren belegten, dass alle Beschuldigten an der Tat beteiligt waren."

Na, ob das nicht ein Bluff des Staatsanwalts war. Ein Abstrich aus der Vagina der Unglücklichen kann wohl nur eine sog. "Mischspur" aus der DNA aller 5 Vergewaltiger ergeben. Die DNA des Opfers selbst ist natürlich auch dazugemischt. Und aus so einer Mehrfach-Mischspur die DNA-Profile jedes einzelnen Täters "herauszuklauben" schätze ich als unmöglich ein.

Denn herausklauben muß man sie, und zu 5 vollständigen DNA-Profilen (plus die DNA des Opfers selbst, also genau genommen zu 6 Profilen) zusammensetzen, BEVOR man sie mit der DNA eines Verdächtigen vergleicht.

Anonym hat gesagt…

Interessanter Hinweis. Und die DNA des Freundes kommt vermutl. auch noch dazu!

Volker hat gesagt…

„der dritte Skandal?“

Ach Gottchen, wo ist der Skandal?
Zustände wie in Deutschland, würde man spontan sagen. Nur dass die Anwälte das hier nicht offen sagen, sondern ganz einfach durch schlichte Untätigkeit (gelegentlich auch schon mal per E-Mail-Verkehr mit dem Richter am Justizopfer vorbei) die Unperson aufklatschen.

Ob es zum für das Frühjahr angekündigten Jahrtausendprozess kommt, ist noch nicht raus.
Und es kann auch sein, dass die Anwälte ihr Pulver trocken halten. Aber wenn die so weiter machen wie, wird es ein klarer Fall von Mandantenverrat. Und zwar einer von der Art, die danach mit lukrativen Fällen (Konkurse zum Beispiel) belohnt werden.

Justizfreund hat gesagt…

Zu "Volker":

Erinnert irgendwie an den Roman "Der Tangospieler", ein lesenswerte Darstellung der DDR-Justizherhältnisse, die inzwischen im "Antifa"-Bereich 1 : 1 auf die unseren übertragbar sind :-(

Nescio hat gesagt…

@ Volker: Du hast recht ...
"E-Mail-Verkehr mit dem Richter am Justizopfer vorbei"
Emails eher nicht. Üblich sind Telefonate. Oder persönliche Gespräche beim Golfen, oder bei der Jagd.

Du bringst noch was zur Sprache:

Anwälte werden von Richtern für ihre Kollaboration belohnt. Aber nicht nur, wie du schreibst, durch die Betrauung mit lukrativen Konkursverwaltungen, sondern auch mit -zumindest in Österarm- Sachwalterschaften, wo sich der Sachwalter=Anwalt das Vermögen des Besachwalterten im Laufe weniger Monate unter den Nagel reißen kann.

Selbstverständlich werden alle Rechtshandlungen des Sachwalters von einem Richter überprüft. In ländlichen Bezirksgerichten ist es üblicherweise derselbe Richter. Geniales Geschäftsmodell.

Volker hat gesagt…

@Nescio
Doch, auch E-Mail. Dokumentiert im fall Kempen.

Sachwalterschaften?
In Deutschland nennt man das "Betreuung". Das ist der widerlichste, dreckigste Teil unserer Rechtstaatssimulation.