Donnerstag, 15. August 2024

Anton Bruckners Symphonie in d- moll, die sogenannte „Nullte“ (1869)

von Franz Lechner
 
 
Anders als c-moll ist d-moll eine spezifisch „Bruckneristische“ Tonart, ja DIE Bruckner-Tonart schlecht hin. Auch wenn drei wichtige Symphonien in c-moll stehen – die Nr 1, 2 und 8 – vermag diese Tonart in Bruckners symphonischem Oeuvre keine spezifische Farbe entwickeln. Entsprechend unterschiedlich sind diese drei Werke in Farbe und Temperament. Allerdings kann gesagt werden, dass sie erfolgreich waren und Bruckner Glück brachten.

Eben dies ist bei den drei d-moll-Symphonien nicht der Fall: die sogenannte „Nullte“ von 1869 wurde verworfen, annulliert – d.h. im Autorgraph mit einer großen Null versehen, die somit keineswegs eine Ordnungszahl darstellt – die Dritte von 1873 geriet zu Bruckners schlimmstem Misserfolg, die seine Laufbahn als „Symphoniker“ nachhaltig beeinträchtigte, und die Neunte, sein größtes Werk überhaupt, blieb unvollendet…

Die „Nullte“ entstand nach der Ersten, ist also nicht Bruckners früheste Symphonie. Das wollten viele frühere Kommentatoren und Forscher nicht wahrhaben. Robert Louis bezeichnete sie schon 1920 als „so minderwertig, dass es unbegreiflich erscheint, wie sie nach der Ersten hatte geschrieben werden können“. Immerhin bringt dieser Satz sein Empfinden deutlich auf den Punkt, während der verdiente Brucknerherausgeber Leopold Nowak im Vorwort der Studienpartitur krampfhaft versuchte, für eine Entstehungszeit im Jahr 1863 zu argumentieren. Eine allerjüngste Studie versucht, das Werk als Ausfluss einer persönlichen Erkrankung, d.h. der Zählmanie Bruckners zu deuten, die kurz vor der Entstehung voll zum Ausbruch gekommen war.

Nach so viel Abschlägigem möchte man sich fragen, warum man sich mit einem scheinbar derart gescheiterten Werk überhaupt befassen soll. Nun, dem kann ich kurz und bündig erwidern, dass die Nullte als eine hervorragende Symphonie anzusehen ist, die halt nicht mit Brucknerschen Maßstäben gemessen werden darf. Sie ist vom Gehalt her „leicht“ (wie es sich für eine „Nullte“ eben gehört), von der Ausdehnung relativ kurz, von beträchtlichem Witz (Bruckners Humor ist zugegeben etwas verschroben und daher gewöhnungsbedürftig) und strukturell gesehen von hohem kompositionstechnischem Interesse, vor allem, was den Parameter der Metrik betrifft. 

Ohne auf weitere Details eingehen zu wollen, möge der Hörer ganz für sich entscheiden, auf welcher Zählzeit a) die Symphonie b) das Hauptthema (ach ja, wo ist denn das, war Bruckner von einem ignoranten Dirigenten namens Otto Dessoff seinerzeit gefragt worden. Diese Frage ist natürlich so leicht zu beantworten, dass wir es hier nicht der Mühe wert finden) einzusetzen geruht, mit anderen Worten: Wo ist die verdammte Eins? Aus derartigen Spielereien gewinnt die Nullte ihre einzigartige Spannung. Daneben ist die Periodik dermaßen komplex, dass sich in der Faktur kaum ein runder Achttakter finden mag.

Ohne Frage dürfe die harmonische wie melodische Einfachheit auch unserem „Blogvater“ als erklärten Brahminen einigermaßen zusagen. Schöngeistern, die sich an einigen operettenhaften Themen des Finales unbedingt stoßen wollen, sei gesagt, dass es keineswegs verboten ist, sich bei einer Bruckner-Symphonie zu AMÜSIEREN.  

Alt, aber gut:


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