... verfaßte einen Artikel, in dem er »17 moderne Kunstwerke, welche “die Größe, aber auch die Abgründe der menschlichen Natur in ihrer ganzen Bandbreite” zeigen« präsentiert. Nun ist es ja unbestritten so, daß mein Musikgeschmack sich mehr als bloß graduell von dem Geistbrausens unterscheidet, ich daher mit der von diesem angeführten Referenzliste:
Anton Webern: Fünf Sätze für Streichquartett op. 5 (1909)
Arnold Schönberg: Pierrot Lunaire (1912)
Charles Ives: Concord-Sonata (1919)
Alban Berg: Wozzeck (1921)
Edgar Varese: Ameriques (1921)
Leos Janacek: Streichquartett Nr. 2 (1928)
Bela Bartok: Streichquartett Nr. 6 (1939)
Olivier Messiaen: Quartett für das Ende der Zeit (1940/41)
György Ligeti: Atmosphères (1961)
Bernd Alois Zimmermann: Die Soldaten (1965)
Luigi Nono: Como una ola de fuerza y luz (1971/72)
Helmut Lachenmann: Ausklang (1984/85)
Hans-Jürgen von Bose: Symbolum (1985)
Iannis Xenakis: Keqrops (1986)
York Höller: Pensées (1993)
Enno Poppe: Öl (2001)
Georg Friedrich Haas: limited approximations (2010)
nicht so wirklich was anfangen kann. Welche »Größe und Abgründe« bspw. Weberns »5 Sätze für Streichquartett op. 5« zeigen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Sie sind ein — für im 20. Jahrhundert leidgeprüfte Musikerohren allerdings noch halbwegs anhörbares — Mißgetön. Aber »Größe« ist darin m.E. ebenso schwer zu erkennen, wie »Abgründigkeit« (es sei denn, man verwechselt Gänsehaut mit Abgrund — es ist zwar richtig, daß ein Abgrund Gänsehaut hervorrufen kann, aber nicht jede solche läßt deshalb schon auf Abgrund schließen) ... manche Stücke aus der Liste verursachen bei mir allerdings nicht einmal mehr Gänsehaut, sondern lösen einen spontanen Abschaltreflex aus. Sei es am Radio, sei es geistig (wie bei einem Preßlufthammer in der Umgebung).
Auf der Liste ist es eigentlich nur das 2. Streichquartett von Janacek, von dem ich mich ernstlich »Größe und Abgrund« zu behaupten getraute. Aber das ist sicherlich alles auch Geschmackssache, und daß unsere Geschmäcker ziemlich differieren, wurde ja schon oben gesagt.
Schwieriger wäre es für mich, nun meinerseits eine »Gegen-Referenzliste« zu erstellen, da hier wohl ein paar Jahrzehnte (nicht nur die auch von Geistbraus perhorreszierten »50er Jahre, die unter der Diktatur des Serialismus ächzende dunkle Dekade der Neuen Musik«) herausfallen dürften. Aber — versuchen wir's dennoch:
für die 1. Dekade — Richard Strauss: Elektra op. 58 (1909), no klar, bei einem Strauss-Fan ...
für die 2. Dekade — Gustav Mahler: Symphonie Nr. 10, Adagio (1910/11)
für die 3. Dekade — Jean Sibelius: Tapiola op. 112 (1926)
für die 4. Dekade — Franz Schmidt: Symphonie Nr. 4 (1933)
für die 5. Dekade — Bela Bartok: Konzert für Orchester (1943)
für die 6. Dekade — Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 10 (1953)
für die 7. Dekade — Lord Benjamin Britten: War Requiem (1962)
für die 8. Dekade — Gottfried von Einem: Kantate »An die Nachgeborenen« op. 42 (1975)
für die 9. Dekade — sorry, dazu fällt mir spontan nix ein
für die 10. Dekade — Krzysztof Penderecki: Symphonie Nr. 7 (1996)
Eh voilà: bis auf die 80er-Jahre ging es ja doch! Wie man aber sieht (und v.a. hört!): unsere Listen sind einigermaßen verschieden ... à propos »verschieden« — da fällt mir gerade eine köstliche (und angeblich sogar wahre) Anekdote über Alois Graf Lexa von Aerenthal, den k.u.k. Außenminister, der 1908 die Annexion Bosnien-Herzegowinas verbrach*), ein:
*) hier teile ich durchaus die skeptische Einschätzung von Graf Lützow, k.u.k. Botschafter am Quirinal vor dem 1. Weltkrieg, über die staatsmännische Größe Aerenthals. Besagter Lützow, genauer gesagt: seine Autobiographie, wird uns übrigens in den nächsten Tagen noch einige Male unterkommen. Sehr interessante Lektüre ...
P.S.: obige Referenzliste wäre natürlich für jede Dekade mit alternativen Beispielen versehbar, z.B.:
für die 1. Dekade: Alexander Srkjabin: Prometheus op. 60 (1090/10)
für die 2. Dekade: Siegmund von Hausegger: Natursymphonie (1911)
für die 3. Dekade: Francis Poulenc: Concert champêtre (1928)
für die 4. Dekade: Paul Hindemith: Mathis der Maler (1934)
für die 5. Dekade: Joseph Marx: Feste im Herbst (1947)
für die 6. Dekade: Erich Wolfgang Korngold: Symphonie in Fis-dur op. 40 (1953)
und so weiter ...
Auf der Liste ist es eigentlich nur das 2. Streichquartett von Janacek, von dem ich mich ernstlich »Größe und Abgrund« zu behaupten getraute. Aber das ist sicherlich alles auch Geschmackssache, und daß unsere Geschmäcker ziemlich differieren, wurde ja schon oben gesagt.
Schwieriger wäre es für mich, nun meinerseits eine »Gegen-Referenzliste« zu erstellen, da hier wohl ein paar Jahrzehnte (nicht nur die auch von Geistbraus perhorreszierten »50er Jahre, die unter der Diktatur des Serialismus ächzende dunkle Dekade der Neuen Musik«) herausfallen dürften. Aber — versuchen wir's dennoch:
für die 1. Dekade — Richard Strauss: Elektra op. 58 (1909), no klar, bei einem Strauss-Fan ...
für die 2. Dekade — Gustav Mahler: Symphonie Nr. 10, Adagio (1910/11)
für die 3. Dekade — Jean Sibelius: Tapiola op. 112 (1926)
für die 4. Dekade — Franz Schmidt: Symphonie Nr. 4 (1933)
für die 5. Dekade — Bela Bartok: Konzert für Orchester (1943)
für die 6. Dekade — Dmitri Schostakowitsch: Symphonie Nr. 10 (1953)
für die 7. Dekade — Lord Benjamin Britten: War Requiem (1962)
für die 8. Dekade — Gottfried von Einem: Kantate »An die Nachgeborenen« op. 42 (1975)
für die 9. Dekade — sorry, dazu fällt mir spontan nix ein
für die 10. Dekade — Krzysztof Penderecki: Symphonie Nr. 7 (1996)
Eh voilà: bis auf die 80er-Jahre ging es ja doch! Wie man aber sieht (und v.a. hört!): unsere Listen sind einigermaßen verschieden ... à propos »verschieden« — da fällt mir gerade eine köstliche (und angeblich sogar wahre) Anekdote über Alois Graf Lexa von Aerenthal, den k.u.k. Außenminister, der 1908 die Annexion Bosnien-Herzegowinas verbrach*), ein:
Graf Aerenthal war bei einem politisch sehr wichtigen ungarischen Magnaten zur Bärenjagd in die wildesten Karpathen eingeladen, und konnte (und wollte vermutlich auch) den Termin nicht absagen, obwohl sein Papa damals gerade schwerkrank — man befürchtete das Schlimmste — darniederlag. Also schärfte Aerenthal dem ungarischen (»ungorischän«) Bahnhofsvorstand dieser letzten Bahnstation (deren Telegrammadresse er in Wien hinterlassen hatte), von der aus es dann noch zwei Stunden mit dem Fuhrwerk in die Wälder ging, ein: »Mein Vater ist schwer krank. Wenn also ein Telegramm von meinem Bruder aus Wien kommt, daß es meinem Papa schlechter geht, oder sonst irgendwas Besonderes — sofort anspannen lassen und mich holen, denn dann muß ich sofort mit dem nächsten Zug nach Wien zurück. Haben Sie das verstanden? Also, wiederholen Sie ...«. Der Bahnhofsvorsteher wiederholte, versprach, und Aerenthal fuhr beruhigt mit dem Fuhrwagen ins Gebirge ...
Nach einer guten Woche kommt der Graf wieder zurück an die Station und fragt beiläufig: »Ist ja vermutlich nichts gewesen, in der Zwischenzeit«
»Nein, überhaupt gor nix, Exzällänz. Nur vor vier Tagän ein kurzäs Telägramm von Ihräm Härrn Brudär ...«
Der Außenminister nimmt es mit etwas mulmigem Gefühl entgegen, öffnet es und liest zu seinem Entsetzen:
»papa heute morgen verschieden stop«
Aerenthal ist außer sich und brüllt den Stationsvorstand an: »Sie Hornochse! Sie Vollidiot! Was habe ich Ihnen gesagt, wie ich angekommen bin? Sie sollen sofort anspannen lassen und mich abholen, wenn aus Wien etwas Besonderes von meinem Papa telegraphiert wird! Und da kommt jetzt so ein Telegramm, und Sie Trottel verständigen mich nicht!«
Der Stationsvorstand verteidigt sich tief gekränkt: »Abär Exzällänz habän gesagt, daß ich verständigän soll, wenn was Besondäräs telägraphiert wird! Abär im Telegramm ist nix Besondäräs! Exzällänz habän gesagt, daß Papa von Exzällänz kank. Exzällänz wissen, wie Kranke sind: heute so, morgän andärs — ebän: verschiedän!«
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*) hier teile ich durchaus die skeptische Einschätzung von Graf Lützow, k.u.k. Botschafter am Quirinal vor dem 1. Weltkrieg, über die staatsmännische Größe Aerenthals. Besagter Lützow, genauer gesagt: seine Autobiographie, wird uns übrigens in den nächsten Tagen noch einige Male unterkommen. Sehr interessante Lektüre ...
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P.S.: obige Referenzliste wäre natürlich für jede Dekade mit alternativen Beispielen versehbar, z.B.:
für die 1. Dekade: Alexander Srkjabin: Prometheus op. 60 (1090/10)
für die 2. Dekade: Siegmund von Hausegger: Natursymphonie (1911)
für die 3. Dekade: Francis Poulenc: Concert champêtre (1928)
für die 4. Dekade: Paul Hindemith: Mathis der Maler (1934)
für die 5. Dekade: Joseph Marx: Feste im Herbst (1947)
für die 6. Dekade: Erich Wolfgang Korngold: Symphonie in Fis-dur op. 40 (1953)
und so weiter ...
1 Kommentar:
Cher Penseur:
Zur Liste des Kollegen Geistbraus:
Manches schätze ich davon, aber beileibe nicht alles. Das insbesondere hat mich erfreut:Iannis Xenakis: Keqrops (1986)
Bis 1965 hab ich übrigens nix einzuwenden, wenngleich ich mitunter andere Präferenzwerke aufzulisten hätte. Zu Haas fällt mir nur ein im wahrsten Sinne des Wortes unflätiger Reim ein.
Nun zur Penseur-Liste:
bis zur 7. Dekade gibt's nix auszusetzen, wobei gegen Schluss natürlich die enorme stilistische Vielschichtigkeit dieses Saeculums nicht zu übersehen ist. Le Penseur ist halt ein Konservativer, aber was, soll's sein Geschmack scheint mir hinreichend firm. Nur bei der 10. Mahler wäre die Beschränkung auf den 1. Satz zu beanstanden, zählt doch vor allem der 5. zum Wunderbarsten, das wir haben. Bartoks Orchesterkonzert mag ich nicht besonders, der ist mir sein 3- Klavierkonzert schon ungleich lieber. Mit dem Innenminister-Vater und Erzmasonisten werd ich auch nicht so richtig warm. Und der späte Penderecki ... na ja...
Hier eine Lechnersche Liste, so aus der Laune heraus:
1. ud 2. Dekade: siehe Le Penseur. 3. Dekade: irgendwas von Janacek, da gibt es viel Auswahl!!! Sagen wir hier nur aus aktuellem politischem Anlass (LePenseur wird verstehen!, sonst liest es eh keiner) Taras Bulba. 4. Dekade: Alban Berg, Violinkonzert, 5. Dekade: richard Strauss, Vier letzte Lieder, 6. Dekade: Lutoslawski Konzert für Orchester oder ... siehe Penseur, niemand zwingt mich zu dieser Entscheidung! 7. Dekade: Lutoslawski, Livre pour Orchestre oder Cello Konzert, 8- Dekade: ich bin etwas einseitig, Lutoslawski Mi Partie oder Novelette oder vielleicht auch Schostakowitsch 15. Symphonie oder Michelangelo-Gesänge, das kann man ja nicht gut vergleichen oder gegeneinander aufwiegen. 8. Dekade: Lutos 3. Symphonie, 9. Dekade: Urbanner Multiphonie
Na ja, wo ist Charles Ives geblieben oder Xenakis???
Na ja, war ja auch nur ein Versuch. Gott sei Dank gibt es soviel Schönes, dass die Wahl schier unmöglich ist!!!
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