... also am 9. Februar 1984, starb der kurzzeitige Generalsekretär der KPdSU und davor jahrelange Chef des KGB, Juri Andropow. Geboren knapp vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs (am 2. Juni jul./ 15. Juni greg. 1914), wuchs er als erster Generalsekretär bereits praktisch das gesamte Leben unter dem Bolschewiken-Regime auf, das freilich wenige Jahre nach seinem Tod unter Gorbatschow zusammenbrechen sollte.
Ich erinnere mich noch an die Hoffnungen, die viele Menschen im Westen (und sicherlich noch mehr im Osten) an den Wechsel von Breschnew zu Andropow knüpften. Nach der Stagnation der letzten Breschnew-Jahre glaubte man nur zu gern an einen Neubeginn unter einem als »Reformer« geltenden neuen Generalsekretär. Man hätte besser Michail Voslensky's »Nomenklatura« lesen — und verstehen! — sollen (das Buch war schon 1980 im Wiener Molden-Verlag erschienen), denn dann hätte man geahnt, daß die Kräfte der herrschenden Klasse der Sowjetunion, eben der »Nomenklatura«, einen solchen Neubeginn nicht freiwillig zulassen würden.
Zwar konnte Andropow eine Reihe von Reformmaßnahmen ankündigen, und die eine oder andere sogar kurzfristig durchsetzen, aber der Widerstand des Apparates wäre wohl auch bei besserem Gesundheitszustand des Generalsekretärs unüberwindlich gewesen, und so bewahrt vielleicht die Gnade eines frühen Todes nach einer bloß 15-monatigen Amtszeit einen Ruf Andropows als »Reformer«, den er bei längerer Amtsführung nicht bewahren hätte können, ohne seine Absetzung oder wenigstens Kaltstellung durch diesen mächtigen Parteiapparat zu riskieren.
Es erscheint einem fast unvorstellbar, wenn man bedenkt: seit alledem ist gerade einmal eine Generation vergangen — 30 Jahre. Und doch scheint sich alles in der Welt geändert zu haben. Aus einem bipolaren »Gleichgewicht des Schreckens« wurde ein unipolarer »New World Order«. Bedrohungsszenarien, die einem vor 30 Jahren geradezu als bizarre Spinnereien von Science-Fiction-Autoren erschienen wären, sind inzwischen konkrete — oder wenigstens imminent drohende — Lebenswirklichkeit.
Man wird diesen Blog einer übergroßen Begeisterung für kommunistisches oder sozialistisches Gedankengut schwerlich verdächtigen können — aber: muß man wirklich ein Linker sein, um in den Entwicklungen seit 1989 nicht nur Positives zu erkennen? Ist der Unilateralismus, mit dem die USA als angebliche Weltpolizei (man könnte wohl treffender »als Schutzgelder erpressender Mafiaclan« sagen) wirklich so großartig, als daß man in der Entwicklung stets nur eine zum Besseren erblicken müßte?
Das »Ende der Geschichte«, das man uns in den 90er-Jahren als geschichtsphilosophischen Succus dieser Entwicklungen andienen wollte, ist — mittlerweile evidentermaßen — nicht gekommen. Es kamen vielmehr neue geschichtsgestaltende Kräfte, von denen wenigstens fraglich ist, ob sie sich gegen die Ära Breschnew/Andropow/Tschernenko wirklich so positiv abheben. Um das beurteilen zu können, muß man jedoch auch jene Epoche kennen und verstehen — denn, wie ein weises Wort uns sagt: »Wer die Vergangenheit nicht versteht, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen!« ...
Ich erinnere mich noch an die Hoffnungen, die viele Menschen im Westen (und sicherlich noch mehr im Osten) an den Wechsel von Breschnew zu Andropow knüpften. Nach der Stagnation der letzten Breschnew-Jahre glaubte man nur zu gern an einen Neubeginn unter einem als »Reformer« geltenden neuen Generalsekretär. Man hätte besser Michail Voslensky's »Nomenklatura« lesen — und verstehen! — sollen (das Buch war schon 1980 im Wiener Molden-Verlag erschienen), denn dann hätte man geahnt, daß die Kräfte der herrschenden Klasse der Sowjetunion, eben der »Nomenklatura«, einen solchen Neubeginn nicht freiwillig zulassen würden.
Zwar konnte Andropow eine Reihe von Reformmaßnahmen ankündigen, und die eine oder andere sogar kurzfristig durchsetzen, aber der Widerstand des Apparates wäre wohl auch bei besserem Gesundheitszustand des Generalsekretärs unüberwindlich gewesen, und so bewahrt vielleicht die Gnade eines frühen Todes nach einer bloß 15-monatigen Amtszeit einen Ruf Andropows als »Reformer«, den er bei längerer Amtsführung nicht bewahren hätte können, ohne seine Absetzung oder wenigstens Kaltstellung durch diesen mächtigen Parteiapparat zu riskieren.
Es erscheint einem fast unvorstellbar, wenn man bedenkt: seit alledem ist gerade einmal eine Generation vergangen — 30 Jahre. Und doch scheint sich alles in der Welt geändert zu haben. Aus einem bipolaren »Gleichgewicht des Schreckens« wurde ein unipolarer »New World Order«. Bedrohungsszenarien, die einem vor 30 Jahren geradezu als bizarre Spinnereien von Science-Fiction-Autoren erschienen wären, sind inzwischen konkrete — oder wenigstens imminent drohende — Lebenswirklichkeit.
Man wird diesen Blog einer übergroßen Begeisterung für kommunistisches oder sozialistisches Gedankengut schwerlich verdächtigen können — aber: muß man wirklich ein Linker sein, um in den Entwicklungen seit 1989 nicht nur Positives zu erkennen? Ist der Unilateralismus, mit dem die USA als angebliche Weltpolizei (man könnte wohl treffender »als Schutzgelder erpressender Mafiaclan« sagen) wirklich so großartig, als daß man in der Entwicklung stets nur eine zum Besseren erblicken müßte?
Das »Ende der Geschichte«, das man uns in den 90er-Jahren als geschichtsphilosophischen Succus dieser Entwicklungen andienen wollte, ist — mittlerweile evidentermaßen — nicht gekommen. Es kamen vielmehr neue geschichtsgestaltende Kräfte, von denen wenigstens fraglich ist, ob sie sich gegen die Ära Breschnew/Andropow/Tschernenko wirklich so positiv abheben. Um das beurteilen zu können, muß man jedoch auch jene Epoche kennen und verstehen — denn, wie ein weises Wort uns sagt: »Wer die Vergangenheit nicht versteht, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen!« ...
6 Kommentare:
Sehr verehrter „Le Penseur“,
ich melde mich mal wieder zu Worte, weil ich eine Berichtigung bzw. Ergänzung zu ihrem – wie immer – lesenswerten Artikel anbringen möchte.
Ansonsten gilt für Ihre anderen Artikel: Qui tacet, consentire videtur!
Naja, meistens jedenfalls… ;-)
Es geht um den Satz: „Das »Ende der Geschichte«, das man uns in den 90er-Jahren als geschichtsphilosophischen Succus dieser Entwicklungen andienen wollte, ist — mittlerweile evidentermaßen — nicht gekommen.“
Dabei möchte ich den Urheber dieses Ausdrucks: „Ende der Geschichte“, Herrn Francis Fukuyama, gegen diese, allgemein üblich gewordene(!) Interpretation seines Satzes in Schutz nehmen.
Er schrieb vielmehr:
“What we may be witnessing is not just the end of the Cold War, or the passing of a particular period of postwar history, but the end of history as such.... That is, the end point of mankind's ideological (sic!) evolution and the universalization of Western liberal democracy as the final form of human (dito!) government.”
(Zitiert nach der Wikipedia.)
Herrn Fukuyama ging es also um den Triumph der Idee des Westens - Westminster-System und Marktwirtschaft – im Bereich der Ideologien!
Ein anderes System als das westliche ist heutzutage redlicherweise nicht mehr denkbar.
Dass die Geschichte immer noch einen anderen, schlimmeren Gang gehen kann, hat auch Herr Fukuyama nicht bestritten.
Aber dass Herr Fukuyama heute von den „Führern der freien Welt“, also den Obamas und Merkels, sozusagen als Kronzeuge der Überlegenheit des real existierenden Westens in Mithaftung genommen wird, hat dieser Autor nicht verdient.
Dass Verräter an den Ideen des Westens, wie Herr Barack-ich-regiere-am-Kongress-vorbei-Obama oder Frau Angela-Energie-Planwirtschaft-Merkel sich als Verfechter der Freiheit gebären, ist eine Perfidie sondergleichen, die man als kritischer, also wirklich westlicher Zeitgenosse, nicht noch unterstützen sollte…
Just my two cents…
@Am_Rande:
Nun, ich denke, daß ich Fukuyama durchaus richtig interpretiert habe. Und genau deshalb auch kritisiere! Denn ich denke bspw. nicht daß »Westminster-System und Marktwirtschaft« wirklich gesiegt haben (was Sie ja »in real« auch bezweifeln, wenn ich Ihren vorletzten Absatz richtig interpretiere).
Aber auch was die sozusagen »ideale« Seite betrifft, bin ich wenigstens bezüglich des »Westminster-Systems« keineswegs sicher, daß durch die »Wende« sein geistesgeschichtlicher Sieg gekommen ist, und noch weniger, ob das überhaupt wünschenswert wäre!
Daß ein anderes als das westliche System »redlicherweise« nicht (mehr) denkbar ist, mag bezüglich der Marktwirtschaft gelten (obwohl ich da nicht von »redlich« sprechen würde, denn Marktwirtschaft herrscht in Wahrheit immer, auch in einer Planwirtschaft — nur eben unter Rahmenbedingungen, die dementsprechendes Marktverhalten, also Schwarzwirtschaft und Mangel nach sich ziehen!)
Was die »Westminster«-Seite betrifft, bestreite ich den Sieg ebenso wie die Wünschbarkeit eines solchen! Das System einer — theoretisch — nur vom Vertrauen eines Parlaments abhängigen Regierung zeichnet sich v.a. dadurch aus, daß es nicht funktioniert, bzw. nur ganz kurzzeitig, weil das System innert kürzester Zeit korrumpiert wird: faktisch kontrolliert nur zu bald nicht das Parlament die Regierung, sondern umgekehrt! Und die Regierung wird durch seilschaften im Hintergrund kontrolliert.
»Westminster« funktionierte im 19. Jahrhundert in England, weil es damals noch ein nicht gewähltes House of Lords mit traditionellem faktischem (!) Gewicht in der Politik gab (was durch die egalisierenden Wahlrechtsreformen allerdings bis ca. 1900 praktisch in Wegfall geriet), und ein Königshaus mit realpolitischer Bedeutung. Mit einem Wort: ein »gemischtes System« i.S.v. Montesquieu!
Heute sind beide Faktoren weggefallen, und zwar »redlicherweise« gesagt: ersatzlos und unersetzbar (soweit gebe ich Ihnen recht!). Es blieb ein mit gleichem Wahlrecht »gewähltes« Berufspolitikerparlament, das aber nur die Staffage für verborgene Lobbyisten-Gruppen darstellt.
Ich stimme Fukuyama daher in seinem Befund vom »Ende der Geschichte« weder hinsichtlich des faktischen Befundes, noch hinsichtlich der Wünschbarkeit eines solchen zu.
"Das System einer ... nur vom Vertrauen eines Parlaments abhängigen Regierung zeichnet sich v.a. dadurch aus, daß es nicht funktioniert, bzw. nur ganz kurzzeitig, weil das System innert kürzester Zeit korrumpiert wird"
Ich hab´s geahnt:
"Der Ausgangspunkt dieser Seuche liegt bei uns allerdings zu einem großen Teile in der parlamentarischen Institution, in der die Verantwortungslosigkeit geradezu in Reinkultur gezüchtet wird."
*abduck und weg"
Sehr verehrter „Le Penseur“,
ich hoffe, Sie verzeihen mir, dass ich noch einmal die Gelegenheit ergreife, Ihnen zu antworten.
Ich möchte dabei keinesfalls rechthaberisch erscheinen.
Nur, ist es so, dass ich zwar mit Ihnen völlig einer Meinung bin, dass es in wirtschaftlicher Hinsicht zur Marktwirtschaft keine Alternative geben kann. Wobei ich allerdings nicht sagen würde, dass „Marktwirtschaft in Wahrheit immer herrscht“.
Ich würde es eher so formulieren, dass das ökonomische Prinzip immer und überall im menschlichen Handeln zum Tragen kommen muss.
Ganz im Sinne der berühmten Definition:
"Economics is the science which studies human behaviour as a relationship between ends and scarce means which have alternative uses."
Und wenn der Mensch nicht offen auf dem Markt seine Ziele verfolgen kann, dann muss er es hinterrücks über die Schleichwege der Politik versuchen.
Insoweit sind wir uns also einig. ;-)
Aber ich stimme nicht mit Ihnen überein, wenn Sie davon sprechen, dass „bezüglich des »Westminster-Systems« [Sie] keineswegs sicher [seien], dass durch die »Wende« sein geistesgeschichtlicher Sieg gekommen ist […].
Dazu muss ich sagen, dass ich gerade zufällig, dass [besonders für einen Klassischen Liberalen wie mich] interessante Buch des angelsächsischen Historikers George Dangerfield (1904 – 1986) „The Strange Death of Liberal England“ aus dem Jahre 1935 gelesen habe.
In ihm vertritt der Autor die These, dass es die Konservative Partei Englands war, die die unglückliche und dumme Entscheidung getroffen hatte, das britische Oberhaus für seine Zwecke zu missbrauchen.
Die Konservative Partei Englands versuchte über das Oberhaus konservative Politik zu machen.
Dadurch waren die Liberalen, die damals noch die stärkste Partei Englands waren, gezwungen, das Prinzip der „checks and balances“ zu zerstören, indem es das Oberhaus in seine Schranken verweisen musste, um das urenglische Prinzip der Demokratie, des Parlamentarismus zu bewahren.
Und indem die zweite Kammer so entmachtet werden musste, wurden die Pforten der englischen Politik sperrangelweit geöffnet, für den Ansturm der Sonderinteressen der Neuzeit auf die Macht im nun Alles entscheidenden Unterhaus, auf die Erlangung der Mehrheit im Parlament.
Macht für die Sonderinteressen der Frauen (Sufragetten), Macht für die Sonderinteressen der Arbeiter (Gewerkschaften) und Macht für die Sonderinteressen der Nationalitäten (Iren).
Sie schreiben sehr richtig: „Westminster« funktionierte im 19. Jahrhundert in England […]“;
aber nicht etwa, weil es ein „House of Lords mit traditionellem faktischem (!) Gewicht in der Politik gab“; es kam nicht auf die Institution als solcher an – wie ein Konservativer es behaupten wird und muss; nein, es kam auf den Geist an, der dort herrschte:
„Whatever his political convictions may have been, the Englishman of the '70s and '80s was something of a Liberal at heart.
He believed in freedom, free trade, progress, and the Seventh Commandment. He also believed in reform.
He was strongly in favor of peace--that is to say, he liked his wars to be fought at a distance and, if possible, in the name of God.
If fact, he bore his Liberalism with that air of respectable and passionate idiosyncracy which is said to be typical of his nation, and was certainly typical of Mr. Gladstone and the novels of Charles Dickens”, so beschreibt es George Dangerfield selbst.
Solange alle politischen Akteure „se mettent en garde contre la fureur de gouverner, la plus funeste maladie des gouvernemens modernes“ (Mirabeau), solange konnte der Parlamentarismus funktionieren.
Aber sobald einer der Akteure zum Nicht- und Antiliberalen wurde und glaubte, alle Übel dieser Welt mit den Mitteln der Politik bekämpfen zu können, in diesem Moment war der Parlamentarismus, die Demokratie zum Scheitern verurteilt.
Just my two cents…
@Am_Rande:
Nun, das mit dem Oberhaus im 19. Jh. ist ein bisserl eine Frage des Standpunktes, denn ebenso gut könnte man sagen: die Konservativen versuchten, das Oberhaus als Bollwerk gegen die liberale "Umwertung aller Werte der parlamentarischen Demokratie à la England" (und die unterschied sich eben fundamental von der kontinentalen!) einzusetzen.
Denn bis zu den großen Wahlrechtsreformen des 19. Jh. mit ihrer gewaltigen Ausweitung der wahlberechtigten Kreise war das Unterhaus in vielerlei Hinsicht die zwar weit "aktivere", aber doch von Oberhaus faktisch meist "gelenkte" Kammer. Was dann ab ca. 1850 zunehmend unmöglich wurde.
Ein interessantes politikhistorisches Problem, das aber hier zu weit führen würde zu erörtern ...
Sehr verehrter „Le Penseur“,
Sie haben Recht.
Was die Auslegung der Geschichte angeht, so werden viele Meinungen vertreten.
Es ist ein weites Feld.
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