…wurde ich in Großenborau, Regierungsbezierk Liegnitz, geboren. Mein Vater, der nach etwa fünfjähriger Dienstzeit im 6. Kürassierregiment und dem Regiment der Gardesdukorps seinen Abschied genommen und Fräulein Agnes von Rohr-Dannenwalde geheiratet hatte, widmete sich zu dieser Zeit ausschließlich der Bewirtschaftung des ihm von meinem Großvater gekauften Grundbesitzes Großenborau.
Mit diesen beschaulichen Worten beginnt Graf Robert von Zedlitz-Trützschler — der heute vor exakt 150 Jahren das Licht der Welt erblickte — seine überaus lesenswerten Aufzeichnungen, die unter dem Titel »Zwölf Jahre am deutschen Kaiserhof« ab ihrem erstmaligen Erscheinen im Jahre 1923 skandalumwittert Furore machten.
Wer bzw. was war nun dieser Graf Zedlitz-Trützschler? Zunächst einmal ein Glied einer in Schlesien, der Lausitz und in Sachsen alteingesessenen,
überaus weitverzweigten und bedeutenden Adelsfamilie.
Sein Vater, dessen er zu Beginn seiner Aufzeichnungen gedenkt, war unter Bismarck kurzzeitig Kultusminister, davor und danach in hohen Staatsfunktionen, als Regierungspräsident in Oppeln, dann als Oberpräsident (d.h. Provinzgouverneur) von Posen, und — nach seiner Zeit als Minister — als Oberpräsident von Hessen-Nassau und schließlich von Schlesien. Mit solch einem Vater (und aus solch einer Familie) war eine Karriere im damaligen Königreich Preußen quasi schon »auf Schienen«, und so verwundert es nicht, daß der junge Graf Zedlitz pünktlich mit achtzehn sein Leutnantspatent, und zwar im 1. Garde-Regiment zu Fuß, erhielt, einige Jahre darauf, an die deutsche Botschaft in Rom attachiert, Italien bereiste, dann in Deutschland die übliche Offizierslaufbahn fortsetzte, und ab 1898 persönlicher Adjutant (und
de facto Hofmeister) des Prinzen Joachim Albrecht von Preußen (1876-1939) wurde. So weit, so gut — und kaum besonders interessant.
Im Frühjahr 1903 kam für ihn jedoch — völlig überraschend, wie er schreibt — die Ernennung zum Hofmarschall Kaiser Wilhelms II:
Am 11. März 1903 ritt ich wie gewöhnlich morgens meine Pferde auf dem Reitplatz des Kriegsministeriums an der Prinz-Albrecht-Straße, als mir plötzlich ein Hausdiener aus dem Palais Prinz Albrecht die telephonische Anfrage Seiner Exzellenz des Oberhof- und Hausmarschalls Grafen zu Eulenburg überbrachte, ob ich mich zwischen 11 und 1 Uhr zu einer Besprechung im Königlichen Schlosse einfinden könne. — Auf meiner Fahrt nach dem Schloß überlegte ich mir, was für Angelegenheiten meines Prinzen wohl eine mündliche Aussprache erforderten, und mehr oder minder unbehagliche Erwartungen bedrückten mich. Der Gedanke, daß es sich um meine eigene Person handeln könne, kam mir nicht. Völlig sprachlos vor Erstaunen war ich daher, als Graf zu Eulenburg mir sagt: »Wir haben einen Wechsel im Hofmarschallamt — Herr v. Trotha soll Hofmarschall des Kronprinzen werden. Wir haben verschiedene Persönlichkeiten im Auge gehabt, die für den Posten als Hofmarschall Seiner Majestät des Kaisers in Frage kommen. In der engeren Wahl sind wir bei Ihnen stehengeblieben. Seine Majestät der König und Kaiser lassen Sie fragen, ob Sie bereit wären, den Posten als Hofmarschall zu übernehmen.« (Zedlitz, a.a.O. S. 33)
Was, so werden sich die geneigten Leser dieses Blogs fragen, soll eigentlich ein Artikel über einen Hofschranzen Kaiser Wilhelms? Nun, wie immer hier in den »historischen« Artikeln geht es nicht so sehr um Historiographie, um möglichst ausführliche Darlegung eines Lebensbildes, sondern um Herausarbeitung einer Problemstellung anhand einer historischen Persönlichkeit — und wäre sie eben ein Hofmarschall! Und:
was für ein Hofmarschall dieser Graf Zedlitz doch war! Nicht so sehr in dem Sinne, daß er eine politisch (oder familiär-dynastisch) eminente Rolle gespielt hätte, das keineswegs. Aber wer seine »Aufzeichnungen« liest, wird einen ungemein gedankenvollen Beobachter und Beurteiler (!) der Zeit Wilhelms II finden, der in seinem Buch — das auf, leider fragmentarischen, Tagebuchaufzeichnungen aus seiner Tätigkeitszeit beruht — ungemein klarsichtig jene Probleme behandelt, die sich aus der Verfassungskonstruktion des Deutschen Reichs (und Preußens) ergaben, einer Konstruktion, die wohl ideal zugeschnitten war auf ein Gespann wie Wilhelm I und Bismarck (in dem der Kaiser und König die letztverbindliche, aber quasi »passiv-autoritative« Basis für den aktiven Staatsmann Bismarck bildete, auf deren Grundlage dieser seine Tagespolitik ebenso betreiben konnte, wie seine langfristigen Ziele verfolgen), aber unter dem sprunghaften, oft von Eitelkeiten und Prestigegedanken geleiteten Regierungsstil Wilhelms II im Verein mit, gelinde gesagt, weniger »staatsmännischen« Reichskanzlern teils desaströse Folgen zeitigte. Zedlitz erkannte das bereits nach kurzer Zeit, wie seine erste Charakterisierung des Reichskanzlers (damals: Graf, später Fürst) Bülow aus dem Herbst 1903 beweist:
Häufig hatte ich Gelegenheit, den Reichskanzler Grafen Bülow im allerkleinsten Kreise, besonders im Neuen Palais zu beobachten. Mit großer persönlicher Liebenswürdigkeit, Sicherheit und Geschmeidigkeit verbindet er das Talent eines der gewandtesten Causeurs, die ich je gesehen habe. Eigentümlich aber war es, daß, trotz dieser fesselnden und häufig geradezu hinreißenden Begabung, bei der man das Gefühl haben konnte, »endlich einmal ein Mann, der über der Schwüle und dem Druck der Atmosphäre steht«, Augenblicke kamen, in denen das Vertrauen in die Sicherheit seiner Persönlichkeit völlig zerstört wurde. — Die unendlich geschickte Art, von einer ausgesprochenen Ansicht, die nicht ganz den Beifall des Kaisers fand — der weniger aufmerksame Beobachter hätte dies kaum wahrgenommen —, zu der Auffassung von Seiner Majestät hinüberzugleiten, konnte Bewunderung, aber auch Mißtrauen erregen. (a.a.O. S. 36 f)
Das vielzitierte »persönliche Regiment« Kaiser Wilhelms II, das nach dem Ersten Weltkrieg gerne als
die Hauptursache der Niederlage herangezogen wurde, hätte nicht — oder wenigstens nicht so stark — funktioniert, wären nicht die vielen willfährigen Exekutoren desselben am Werke gewesen. Wobei nicht zu verhehlen ist, daß durch die (im Wesen einer konstitutionellen, anders als einer parlamentarischen Monarchie liegende!) »Personalhoheit« des Monarchen hinsichtlich der Auswahl seiner Minister natürlich die Berufung willfähriger Werkzeuge begünstigt wurde.
Bereits in seinem ersten Jahr als Hofmarschall erkannte Zedlitz-Trützschler die Gefahren dieses Systems überaus klar, und artikuliert dies in seinen Tagebuchaufzeichnungen aus dem Herbst 1903 folgendermaßen:
Ein schreckliches Gefühl beschlich mich nach dieser Richtung in dem Anfang September bei Merseburg stattfindenden Kaisermanöver. Wie soll es im Ernstfall werden, wenn der Chef des Generalstabes der Armee, ein Mann wie Graf Schlieffen, keine Ansicht mehr äußert, von einer Überzeugung ganz zu schweigen. Stumm, ernst und ausdruckslos beteiligt er sich, indem er die Befehle von Allerhöchster Stelle ausführt. »Zu Befehl, Eure Majestät!« das ist seine stereotype Antwort. Unwillkürlich mußte ich immer an das bekannte »Archiprêt« des Marschall Leboeuf denken. Der Marschall hatte sich gewiß seit langer Zeit daran gewöhnt, alles »archiprêt« zu melden, und so tat er es natürlich auch damals, als es für Frankreich so üble Folgen haben mußte. Bei uns ist das »zu Befehl, Eure Majestät« gleich unheilvoll oder kann es jedenfalls werden.
[...]
Durch dieses absolute Schweigen und unbedingte Eingehen auf alle Wünsche und Befehle kommt es auch zu direkten Täuschungen. Bei dem Kavallerieexerzieren in Alten-Grabow hatten die Züge durchschnittlich 13 Pferde [...] Zu den Paradeaufstellungen und zu den Parademärschen verstärke man sie in sehr geschickter und unauffälliger Weise durch Leute, die man in der Nähe gedeckt halten ließ. Der Kaiser muß dabei unwillkürlich die Überzeugung bekommen, mit dieser Kavalleriemasse ungeheure Anforderungen tagelang hintereinander erfüllen zu können.
In der Armee hat das rücksichtslose Verabschiedungssystem die Macht der Vorgesetzten ins Ungemessene gesteigert. Nebenbei arbeitet man mit Gunstbezeugungen aller Art, und schließlich hat man durch Konkurrenzkampf auf den verschiedenartigsten Gebieten due Charaktere arg in Versuchung gebracht. Je höher nach oben, um so ärger natürlich auch die Streberei und Untewürfigkeit, denn diese Menschen haben am meisten zu hoffen und zu fürchten. In unmittelbarer Nähe des Kaisers hat man alle in Frage kommenden Persönlichkeiten im Grunde genommen zu Sklaven gemacht. Wird man nicht einst sehr erschüttert und enttäuscht sein, wenn sie sich in schweren Zeiten mehr oder weniger auch als Sklaven zeigen?
Alles dies überträgt sich entsprechend in unsere diplomatischen und administrativen Verhältnisse, es bleibt aber nicht nur bei den Beamten stehen, sondern greift in das gesamte Staats-, ja Selbstverwaltungs-, besonders auch Künstlerleben ein und wird in späterer Zeit für die Erklärung und das Verständnis sonst ganz unbegreiflicher entwicklungen einer der wichtigsten Schlüssel sein [...] Bei der Besichtigung des Domes machte der betreffende Führer darauf aufmerksam, daß ein sehr schönes Mosaik nicht den Beifall des Kaisers gefunden habe. »Was werden Sie tun?« war unwillkürlich meine Frage. »Selbstverständlich beseitigen wir dies wieder und fertigen ein neues an.« — »Was wird das kosten?« — »Ungefähr 40.000 Mark, aber das spielt keine Rolle, denn die Hauptsache ist, daß es dem Kaiser gefällt« (a.a.O. S. 42 ff)
(Als kleine Notiz sei dazu bemerkt, daß »40.000 Mark« damals so etwa vier Jahresgehältern eines Beamten entsprachen ...)
Zedlitz urteilt jedoch keineswegs einseitig und voreingenommen — in vielen Stellen einer Aufzeichnungen bringt er klar zum Ausdruck, daß Wilhelm II keineswegs der lächerliche Popanz war, als welcher er heute vorzugsweise dargestellt wird! So beschreibt er anschaulich zu den Feiern der Einweihung des Berliner Domes (27.2.1905) den Empfang der Gratulationsdelegationen:
Der Kaiser hatte für alle Vertreter, besonders die ausländischen (nichtdeutschen), eine bezaubernde Freundlichkeit. Durch die Mannigfaltigkeit seiner Äußerungen und Fragen zeigte er sich, wie so häufig, als ungewöhnlich begabte Persönlichkeit, deren fähigkeiten durch vortreffliche Lehrer für praktische Nutzanwendung hervorragend ausgebildet sind. Nur wer ihn sehr genau kennt, konnte zwischendurch wahrnehmen, daß er, der sich mit sehr vielen Gebieten befaßt, alles spielend abzumachen liebt, mit einem Wort, an der Oberfläche bleibt und nicht tief zu denken oder wikrlich zu arbeiten liebt. (a.a.O. S. 115)
Speziell die »konservativen« Leser dieses Blogs, welche (wie mir aus Stellungnahmen in der Vergangenheit mehrfach ersichtlich) häufig monarchistischen Gedanken nachhängen — und, Hand aufs Herz: ist dies angesichts der Malaise unserer heutigen Politruks nicht nur zu verständlich?! —, sollten dieses Buch, welches
inzwischen neu aufgelegt wurde, unbedingt lesen, denn es läßt berechtigte Zweifel an den Vorteilen einer monarchischen Regierungsform, wenigstens in der traditionellen Form, entstehen — und nur solche konstruktive Zweifel können allzu optimistische Fehleinschätzungen und daraus folgende Katastrophen vermeiden helfen.
Ein auf Gottesgnadentum und »Amts-Charisma« basierendes monarchisches System wird demnach kaum wiederzubeleben sein, und das wäre so wohl auch nicht wünschenswert. Damit ist nicht das Wort geredet den lächerlichen Galionsfigur-»Herrschern«, die in den heutigen Monarchien Europas den Grußaugust spielen und höchstens seichten Illustriertenklatsch provozieren dürfen! Diese unterscheiden sich bestenfalls in den routinierteren Tischmanieren von irgendwelchen in repräsentative Präsidentenämter hochgeschwemmten Parteifunktionären, nicht aber in ihrer politischen Bedeutungslosigkeit. Eine sinnvolle (und in der Tat wünschenwerte!) Neubelebung monarchischer Verfassungsformen müßte vielmehr von einer nüchternen Analyse sowohl der historischen — meist nicht eben vielversprechenden — Verfassungsvorbilder, wie auch der gegenwärtigen Probleme unserer derzeit existierenden, meist republikanischen oder (bestenfalls: pseudo-)monarchischen
Realverfassungen (sic!) ausgehen.
Hier ist die Deformierung der Gewaltenteilung mit ihrer mittlerweile völlige Unterwanderung durch Parteiapparate und andere Lobbies wohl ebenso als ein Krebsübel zu benennen, wie das Aufkommen des »Berufspolitikertums«, das nichts anderes ist als das von
Michael Voslensky ebenso treffend wie bitter charakterisierte »Nomenklatura-System« der Sowjetunion. Hier wäre nun tatsächlich ein monarchischer Bestandteil (sic!) einer Gesamtverfassung ein wünschenswerter Ausgleich und Stolperstein für allzu ambitiöse Parteisekretariate! Ein solches »monarchisches System« könnte, ja sollte dabei durchaus mit den traditionellen repräsentativen Funktionen eines solchen Amtes verbunden bleiben, nur müßten eben die für konstitutionelle Monarchien charakteristischen Prärogativen hinsichtlich der Regierungsbildung entfallen — denn sonst landet man wieder bei einem »persönlichen Regiment« eines Monarchen, mit den möglichen guten, doch weitaus wahrscheinlicher schlechten Folgen eines solchen.
Wie könnten also die Umrisse eines solchen »neuen monarchischen Systems« aussehen? Muß hier »ein Rad neu erfunden werden«, oder gibt es Vorbilder, auf die man zurückgreifen kann? Nun, die gibt es in der Tat: es ist einerseits das altbekannte, jedoch mittlerweile (außer im Vatikan, aber das ist ein Spezialfall!) faktisch ausgestorbene System der Wahlmonarchie, andererseits das ebenso altbekannte »gemischte System«, welches nach den Vorstellungen von Montesquieu die ideale Regierungsform darstellt. Beide Vorbilder haben natürlich ihre Schwächen, geben uns aber auch manch wertvollen Hinweis, was gegenüber einer traditionellen »konstitutionellen Monarchie« zu ändern wäre.
Zuförderst sicherlich ist jede entscheidende Funktion des Monarchen — also
der essenzielle Unterschied zwischen konstitutioneller und parlamentarischer Monarchie! — bei der Regierungsbildung entweder bloße Chimäre oder aber berechtigtes Ärgernis! Einem durch die Zufälle von Allerhöchsten Zeugungsvorgängen und Todesfällen in seine Monarchenwürde gelangten Monarchen die entscheidendste Weichenstellung der Politik, nämlich die Ernennung des Regierungschefs, zu überlassen, wäre ebenso latent unverantwortlich, wie explizit ärgerniserregend! Das Rad der Geschichte
kann eben nicht zurückgedreht, oder auch nur angehalten werden — oder, wie es der deutsche Philosoph
Paul Mongré in einem witzigen Aphorismus formulierte: »Auch das
perpetuum immobile ist noch nicht erfunden, meine Herren!«
Das »Alleinstehungsmerkmal« des konstitutionell-monarchischen Systems, die letztlich alleinige Verantwortlichkeit des Monarchen für die Bestellung (
sic! Denn Stürze von mißliebigen Regierungen durch das Parlament, die Presse, oder durch Volksunruhen hat es selbstverständlich immer gegeben, auch wenn sie »verfassungsrechtlich« erst durch die Annahme der Demission durch den Monarchen vollzogen waren!) kann (und soll!) also nicht wiederbelebt werden. Ob nun diese Bestellung der politischen Exekutivgewalt durch eine direkte Volkswahl des Regierungschefs (wie sie z.B. Israel neuerdings kennt) erfolgt, oder (für die effektive Gewaltentrennung problematischer) durch eine Parlamentsmehrheit, bleibe dahingestellt — nur sicherlich nicht durch den Monarchen. Eine solche Rolle sänke nämlich entweder zur leeren Formalität herab, indem der Monarch eben immer den Mehrheitsführer des Parlamentes »ernennt«, und nur bei disparaten Fraktionsverhältnissen ausnahmsweise eine — immer mißtrauisch beäugte und in ihrer Unparteilichkeit, zum Schaden des monarchischen Amtes, bezweifelte — echte Funktion hätte, oder zöge eben bei regelmäßiger echter Übung den Monarchen in den Parteien- und Meinungsstreit hinein, was die Würde des Amtes jedenfalls dauerhaft zu schädigen geeignet ist.
Was wäre also die wertvolle Rolle eines Monarchen in unserer Zeit? Sicherlich die Funktion eines Garanten der (Partei-)Unabhängigkeit der Verwaltung und Justiz! Denn durch die Überwucherung und Deformierung unserer Staatssysteme durch Parteiapparate (die
natürlich Einfluß nehmen auf die Beförderung von Parteigängern in Spitzenpositionen der Verwaltung und Gerichtsbarkeit!) ist längst der Grundsatz des Legalitätsprinzips, also daß die Verwaltung und Gerichtsbarkeit sich ausschließlich an der Verfassung und den Gesetzen zu orientieren haben, und nicht an politischen Machtverhältnissen, weitgehend ausgehöhlt. Es müßte also zur Wiederherstellung der Gewaltentrennung zunächst einmal zu einer Trennung der »Personalhoheit« kommen: die — notwendige und unverzichtbare! — »politische« Exekutive in Form der Regierungsmitglieder samt ihren Kabinetten und Stäben, die natürlich von den jeweiligen Funktionsträgern bestimmt werden müßten, einerseits, jedoch andererseits der »eigentliche« Beamten- und Justizapparat, der durch drakonische Unvereinbarkeitsregeln möglichst immunisiert werden müßte, und dessen Bestellung zwar nicht ausschließlich, aber doch mitverantwortlich in den Händen eines Monarchen zu liegen hätte.
Man könnte sich das beispielsweise so vorstellen, daß neben dem Minister und seinen (partei-)politischen Kabinettsminarbeitern ein (beamteter) Staatssekretär als höchste administrative Spitze des Ressorts steht, der keiner politischen, wohl aber staatsrechtlichen Verantwortung unterworfen ist — m.a.W.: nicht durch ein Mißtrauensvotum des Parlaments gestürzt, wohl aber für seine notwendige (!) Gegenzeichnung aller sein Ressort betreffenden Akte des Monarchen staats- und strafrechtlich alleinverantwortlich wäre (wie es im konstitutionellen System eben auf die Minister zutraf). In der Justiz wäre darüberhinaus durch eine geschickte Kombination von Kooptations-, anonymen Prüfungs- und Zufallsauswahl-Systemen zu gewährleisten, daß der Monarch zwar die Letztentscheidung über Richterbestellungen innehat, nicht jedoch die freie Auswahl der Kandidaten.
Doch kehren wir nochmals zum »Jubilar« dieses Artikels, zum Grafen von Zedlitz-Trützschler, zurück. Sein Buch über die Zeit als Hofmarschall schlug seinerzeit beim Erscheinen »wie eine Bombe« ein und führte zu lebhaften Kontroversen. Die einen erklärten sein Erscheinen als »zu verfrüht«, was Zedlitz wohl prinzipiell konzediert, indem er darauf verweist, daß er ursprünglich zwar den Plan hatte, sein Manuskript mit der Aufschrift
»Nicht vor dem Jahre 1970 zu öffnen« versiegelt zu hinterlassen, sich jedoch durch die publizierten »Erinnerungen« Wilhelms II und zahlreicher Staatsmänner und Militärs verpflichtet gefühlt hätte,
»... jene Publikationen ergänzenden oder widerlegenden Aufzeichnungen, die auf genauen und mit eigenen Augen gemachten Beobachtungen beruhen, nicht länger zu sekretieren« (wie er 1924 im Vorwort zur 5. Auflage schrieb).
Andere griffen Zedlitz für seine offene Darstellung der Verhältnisse am Hofe Wilhelms II massiv und mit persönlichen Unterstellungen an. Bücher wie z.B. »Mein Kaiser!« aus der Feder des
Grafen von Pfeil und Klein-Ellguth lassen die Erbitterung spüren, mit der nationale und monarchistische Kreise auf die Aufzeichnungen Zedlitz-Trützschlers reagierten. Von linker Seite erhielt er auch wenig Unterstützung — ein Hocharistokrat und ehemaliger Hofmarschall, der längst von der Welt zurückgezogen auf und von seinen Gütern lebte, war eben nicht nach dem Geschmack der »fortschrittlichen« Kreise, und schon gar, weil er sich weigerte, in blindem Haß ein einseitiges Bild Wilhelms II zu zeichnen ...
Interessant — und damit sei dieser Artikel beschlossen — das familiäre Umfeld dieses Grafen Zedlitz. Seine Schwester war die Mutter jenes Generals
Henning von Tresckow, der bereits im
Artikel zum Gedenken an Feldmarschall von Manstein als wohl entscheidendster Kopf der Verschwörer des 20. Juli 1944 genannt wurde. Graf Zedlitz starb im Jahr 1942 in Berlin, und entging so den Weiterungen des Bombenkrieges gegen Deutschland ebenso, wie einer Vertreibung von seinen schlesischen Gütern.