Samstag, 1. November 2014

So what?

»DiePresse« weiß zu berichten:

Umfrage: Zwei Drittel gegen Cannabis-Legalisierung

Umfrage: Zwei Drittel gegen Cannabis-Legalisierung
Themenbild Cannabis / Bild: EPA 
29 Prozent der Österreicher vertreten laut einer aktuellen Befragung die gleiche Linie wie die Neos.
(Hier weiterlesen)
Das ist für die rationale Entscheidungsfindung etwa so relevant, wie Meinungsumfragen zu folgender Frage, die völlig ähnliche Mehrheitsverhältnisse dokumentiert:


Nämlich: überhaupt nicht relevant! Bei der Frage, ob ein Verhalten nun strafbar sein soll oder nicht, geht es um ethische Überlegungen, bei denen Volkes Stimme keineswegs Gottes Stimme sein muß. Gelegentlich kann das Volk richtig liegen — aber die Beispiele, in denen es falsch lag, sind Legion.

Wer heute eine Umfrage startet, ob bspw. Steuerhinterziehung bei Millionären überproportional schärfer zum Steuerausfall bestraft werden soll, der wird damit wohl eine Mehrheit finden. Wer im Augenblick der Medienhypes um wirkliche (und auch genügend bloß angebliche) Mißbrauchsopfer von katholischen Priestern gefragt hätte, ob solche Priester nicht zwangskastriert werden sollten, hätte wohl auch satte Zustimmung erzielt.

Strafe ist, wenn man es nüchtern betrachtet, in jedem Fall die vorsätzliche Zufügung eines Schadens (Ehrverlust, Freiheitsberaubung, Geldbuße) an der Person des jeweiligen Verurteilten. Daß dieser zuvor — wir lassen jetzt einmal alle Fragen der Beweisbarkeit und möglicher Justizirrtümer vorläufig »außen vor«! — jemanden anderen geschädigt hat, ist dabei ein gedanklich exakt abzugrenzender Aspekt: denn niemand, der geschädigt wurde, »hat etwas davon«, wenn nun im Gegenzug ein anderer geschädigt wird. Der Schaden des Verbrechensopfers wird dadurch nicht kleiner — denn der wird nur durch den (wohlgemerkt: zivilrechtlichen!) Schadenersatz teilweise oder, hoffentlich, sogar vollständig kompensiert, also »schadlos gestellt«. Davon, daß der Täter im Häf'n einsitzt, oder der Fiskus eine Geldstrafe vereinnahmt, hat das Opfer exakt: nichts!

»Strafe« ist nur (sic!) unter den Aspekten der Spezial- und Generalprävention sinnvoll — jeder weitere Gedanke an »Sühnung« etc. ist nichts anderes als archaisches Geschwurbel, wenn man's genau nimmt. Es ist nicht »Recht«, sondern »Rache«, um es einmal provokant zu formulieren. Etwas, was eine durchaus natürliche Reaktion eines Geschädigten ist — nur: es ist ja nicht der Geschädigte, der sich »rächt«, sondern ein Justizapparat, der als solcher ja nicht geschädigt wurde. Und das ist schlicht und einfach eines Rechtsstaates unwürdig.

Somit sind einmal all jene »Delikte«, in denen es keinen Geschädigten (außer dem Täter selbst) gibt, von vorneherein auszuscheiden: ein Staat, der mich für Cannabis-Konsum bestraft ist auf dem Niveau von »Rechts«ordnungen, die den Selbstmord als Delikt unter Strafe stellten. Das ist kein Witz: solche »Rechts«ordnungen gab es bis in die jüngste Zeit (und gibt es vielleicht sogar noch)!

Wenn jemand im Cannabis-Rausch ein Auto lenkt (und damit eine sehr wahrscheinliche Gefahr für seine Umgebung wird), ist das natürlich etwas anderes. Hier können Strafen präventiv ebenso sinnvoll sein wie beim Alkoholrausch. Denn der nicht berauschte Verkehrsteilnehmer hat ein ethisch nicht zu bezweifelndes Recht darauf, daß der — durch die Geschwindigkeit und Masse von Autos notwendig mit Gefährdungen verbundene! — Straßenverkehr nicht durch willkürliche Gefährdungserhöhungen zum Vabanque-Spiel entartet.

Wer zuhause seinen Joint raucht, schädigt hingegen niemanden — außer seine Hirnzellen. Die schädigt aber auch der Säufer (der das aber straffrei tut!), oder der Konsument von Reality-Soaps ...

Schließlich müssen wir noch auf den — vorhin übergangenen — Aspekt der Fragen der Beweisbarkeit und möglicher Justizirrtümer zurückkommen: ein Rechtsstaat, der diesen Namen verdient, muß mit größter Sorgfalt bemüht sein, in seinen — auch in den mit präventiven Gründen rechtfertigbaren! — Schädigungen der (wirklichen oder vermeintlichen) Straftäter möglichst keine unkompensierbaren, unkorrigierbaren Fehler zu begehen. Womit wir bei der Frage der Todesstrafe wären: diese ist im Fall eines Fehlers jedenfalls unkompensierbar (auch das schönste Grabmal und/oder die wortreichste Entschuldigung eines Justizministers entschädigt keinen für die Giftspritze oder das Fallbeil!) und unkorrigierbar — denn Auferstehungen von den Toten sind historisch gesehen ausgesprochen selten.

Derlei Fragen durch Umfragen »demokratisch legitimieren« zu wollen, ist um keinen Deut besser als eine etwa in tausendjährigen Zeiten denkbar gewesene Umfrage, ob »Rassenschande« strafbar sein sollte oder nicht. Das hätte in den 30er-Jahren durchaus breite Zustimmung erfahren (so, wie ja auch entsprechdende Eheverbote zwischen Negern und Weißen in diversen US-Bundesstaaten oder im British Empire ja nicht durch Hitler dekretiert, sondern von gewählten Parlamenten jeweils mit breiten Mehrheiten beschlossen wurden — und teilweise bis in die 60er-Jahre in Kraft blieben). 

Bei dem vorstehenden Vergleichsbeispiel wird man heutzutage natürlich zurückzucken, und darauf verweisen, daß solche Fragestellungen einfach unzulässig seien. Ganz richtig, das sind sie! Nur soll uns doch, bitteschön, jemand erklären, mit welchem Recht »victimless crimes« oder möglicherweise unkorrigierbare Fehlurteile (wie eben bei Todesurteilen nicht auszuschließen) anders zu behandeln sind. Auf eine überzeugende Antwort warten wir gespannt ...

3 Kommentare:

Venator hat gesagt…

Zum einen: Es gibt durchaus so etwas wie ein gesundes Volksempfinden, das, evolutionär entstanden, gemeinschaftsschädliches Verhalten missbilligt. Die Frage ist, ob dieses Empfinden überall als Hinweis auf die richtige Rechtssprechung gesehen werden darf. Und ich glaube, es taugt als Hinweis wenigstens dort nicht, wo die Ethik der Horde auf den Staat übertragen werden soll.

Zum anderen: Was habe ich als Geschädigter davon, dass der als solcher ungeschädigte Staat (oder auch jeder andere Rechtsdurchsetzer) am Verbrecher Rache nimmt? Zunächst einmal, er tut es als mein Anwalt, weil ich dazu nicht in der Lage bin oder weil meine eigene Rechtsdurchsetzung zu gesellschaftlich unerwünschten Externalitäten führen würde. - Es stimmt nun, dass der Schaden, den ich durch die Tat des Täters erlitten habe, durch seine Bestrafung nicht kleiner wird. Aber ich würde es als zusätzlichen Schaden empfinden, wüsste ich, dass der Täter nicht bestraft würde, dass er nicht ebenso litte, wie ich gelitten habe.

Dieses Empfinden ist zweifellos archaisch. Aber es ist aus der conditio humana nicht auszulöschen, und solange es das nicht ist, solange es den Neuen Menschen nicht gibt, solange hat ihm - selbstverständlich durch die Vernunft gefiltert - das Strafrecht zu entsprechen.

Pessimist hat gesagt…

Strafe soll eine Hemmschwelle aufbauen, um unerwünschtes Verhalten zu hemmen. Jede Gesellschaft definiert für sich, was unerwünschtes Verhalten ist. Das könnten z. B. auch 100 Stockschläge für Nasenbohren sein.

Die Justiz ist bekanntlich die Hure der Macht, es entscheidet also letztlich immer, wer die Macht ausübt. Und da die Welt eine schlechte ist, sind die Dummen und die Gauner die Mächtigen. In dieser Welt ist dann eben das rational, was den Mächtigen gerade konveniert.

PS: Natürlich soll jeder kiffen, was ihm beliebt. Aber es kann der Harmloseste nicht in Frieden leben, wenn es den bösen Nachbarn nicht gefällt...

Anonym hat gesagt…

Nein, vom sogenannten gesunden Volksempfinden halte ich nichts. Näheres bei Gustave le Bon, u.a. -
Die meinen, z.B., daß die Obrigkeit moralisch integer sei, daß keiner unschuldig eingelocht wird, daß die Medien die Wahrheit sagen.