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(der Name wurde ursprünglich »Letz« geschrieben, und ist auch so auszusprechen)
entstammte einer adeligen jüdischen Familie — sein Vater, Benno Letz de
Tusch, war Bankdirektor in Lemberg —, und wurde am 9. März 1909 in Lemberg, im
damaligen Königreich Galizien der österreichischen Reichshälfte der Donaumonarchie,
geboren, lebte ab mit seiner Familie ab 1914 in Wien, das er als seine
»zweite Heimat« bezeichnete, und kehrte mit ihr nach dem Ersten Weltkrieg nach
Lemberg zurück, wo er 1927-33 Polonistik und Jus (für Piefkes: Jura) studierte,
und mit dem Magisterium abschloß.
In
den 30er-Jahren arbeitete er an einigen Satirezeitschriften mit und
veröffentliche erste Gedichte. Er wurde nach dem deutschen Einmarsch in Polen
verhaftet und ins KZ Tarnopol gebracht, aus dem er knapp vor einer geplanten
Hinrichtung 1943 entfliehen konnte. Bis zum Kriegsende lebte er im Untergrund
in polnischen Widerstandskreisen, und wurde nach dem Zweiten Weltkrieg
Presseattaché an der polnischen Gesandtschaft in Wien. Als er 1950 von dort
abberufen werden sollte, ging er als Emigrant nach Israel, kehrte aber aus
Heimweh schon 1952 wieder nach Warschau zurück.
Mit
dem kleinen kulturellen Tauwetter im »polnischen Oktober« von 1955 wurde er in
Polen durch seine Aphorismen, die er unter dem Titel »Unfrisierte Gedanken«
herausgab, berühmt. Weitere Aphorismensammlungen folgten; ihre Übersetzungen
ins Deutsche, insbesondere von Karl Dedecius, machten ihn schließlich weit über
die Grenzen seines Heimatlandes bekannt.
Wie
würdigt man einen Aphoristiker? Man hat Lec oft als »Lichtenberg des 20.
Jahrhunderts« bezeichnet, und er ist der beste Beweis dafür, daß es nicht
unbedingt eines vielbändigen Werkes bedarf, um Weltruhm zu erlangen — sein
Schaffen fand (abgesehen von einigen Ephemera und Frühwerken) in einem
einzigen, locker gesetzten Band von ca. 500 Seiten Platz.
Doch
nochmals gefragt: wie würdigt man einen Aphoristiker? Am besten durch eine — obgleich notwendigerweise
immer höchst subjektiv bleibende! — Blütenlese seiner »kleinen Weisheiten«
(zitiert aus: »Sämtliche unfrisierte Gedanken«, Hanser 1996):
Espen zittern unter jedem Regime. Aber zum Kuckuck!
Sie grünen auch unter jedem.
Viele, die ihrer Zeit vorausgeeilt waren, mußten
auf sie in sehr unbequemen Unterkünften warten.
Die Fetten leben kürzer. Aber sie essen länger.
Puritaner sollten zwei Feigenblätter vor den Augen
tragen.
Man bedenke, daß in demselben Feuer, das Prometheus
den Göttern gestohlen hatte, Giordano Bruno verbrannt wurde.
Nun bist du mit dem Kopf durch die Wand. Und was
wirst du in der Nachbarzelle tun?
Die künftigen Darwins werden vielleicht eine These
aufstellen, daß die hochentwickelten Wesen (zu denen sie zählen werden) von den
Menschen abstammen. Das wird ein Schock sein!
Auch wenn Bürger zittern, gibt es Risse in den
Grundmauern des Staates.
Politik: Derby trojanischer Pferde.
Auch zur Bewachung von Gedanken verwendet man
Eunuchen.
»Gedanken sind zollfrei?« Sofern sie die Grenzen
nicht überschreiten.
Umgang mit Zwergen krümmt das Rückgrat.
Auch wer durch den Styx schwimmt, hat Angst vor dem
Ertrinken.
Die Wahrheit liegt meist in der Mitte. (Und ohne
Gedenkstein.)
Wer Scheuklappen trägt, sollte wissen, daß dazu
auch noch Zaum und Peitsche gehören.
Er lachte nur im Geiste — und wenn, dann in dem des
Gesetzes.
Große Zeiten können beachtliche Mengen kleiner
Menschen beherbergen.
Die offizielle Pflichtsprache ist der beste Knebel.
Die »Schutzhaft« ist eine Erfindung der Nazis. Sie
warfen die Juden ins Gefängnis und gaben vor, sie vor dem Volkszorn schützen zu
müssen. Genauso werden wir vor den Faschisten geschützt.
Wer den Himmel auf Erden sucht, hat im
Erdkundeunterricht geschlafen.
Sage mir, worüber ein Volk lacht, und ich sage dir,
wofür es sein Blut zu vergießen bereit ist.
Wenn Könige nackt sind, werfen auch die Lakaien
ihre Livree ab.
Erbarmungslos ist des Menschen Selbstzensur; wir
kennen nicht einmal die Gedanken, die wir nicht denken wollen.
Marx und Engels waren in der glücklichen Lage, ihr
Grinsen hinter Vollbärten verstecken zu können.
Die dritte Seite der Medaille? Die Brust, an der
sie hängt.
Über die Echtheit eines
Zeitdokuments entscheidet meist das Amtssiegel der nachfolgenden Regierung.
Neben
den Aphorismen finden sich in seinem Werk einige (Kurz-)Erzählungen und
Gedichte, letztere einerseits zum Beginn seiner literarischen Laufbahn wie auch
vor allem in seinen letzten Lebensjahren verfaßt. Aus dieser späten,
enigmatisch-epigrammatischen Lyrik zwei Beispiele:
Noch einmal, ach,diese Flügel öffnen,mit denen ich damalsder Erdenicht entfliehen konnte —vielleichtkönnte ich jetztmit ihnen zur Erdezurückkehren,ohne am eigenen Schattenzu zerschellen,der untennoch vor mirlandet.»Mehr Licht!«Hatte Goethe gesagt,doch uns betraf das nicht.Es war der erste Befehldes Ministers im Fürstentumdes Ewigen Dunkels.
Heute
vor fünfzig Jahren, am 7. Mai 1966, ist Stanisław Jerzy Lec in Warschau
gestorben. Den treffendsten Nachruf auf sich hat er selbst in einen Aphorismus
geprägt:
»Ende der Todesanzeige: Er ist nicht tot. Er hat
seine Lebensweise geändert.«
1 Kommentar:
Mein Favorit:
Sein Gewissen war rein. Er benutzte es nie.
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