Freitag, 22. Dezember 2017

Frank Thiess

... ist heute vor vierzig Jahren zu Darmstadt verstorben. »Frank who?« – so werden die Jüngeren wohl fragen. Der deutsche Schriftsteller Frank Thiess, von deutsch-baltischer Herkunft, ist heute vergessen, und wie es scheinen will: bewußt in die Vergessenheit abgedrängt worden. 

Der politkorrekte Meinungsterror und seine Re-Education-Geschichtsklitterer wollen keine Deutschbalten, so, wie sie keine Schlesische Dichterschule mögen, oder keine Sudeten- und Pragerdeutschen (es sei denn, sie waren Juden und/oder Kommunisten – höchstens dann werden sie geduldet). Alles, was darauf hinweisen könnte, daß Deutsch einstmals (neben Französisch) die Kultursprache dieses Kontinents war, und diese Kultur weit über die Oder-Neiße-Linie nach Osten hinausreichte, ist »Autobahn«.

Der Wikipedia-Artikel (auf den ich bloß wegen der darin aufgelisteten Daten zu Leben und Werken des Schriftstellers verlinke) grenzt an Rufschädigung. Da wird ein linkslastiger Germanist (der die Werke Bölls herausgibt – das sagt alles ...) eilfertig bemüht, welcher meint, das »Reich der Dämonen« lasse sich »ebenso gut als Apologie geschichtlich-gesellschaftlicher ‚Katastrophen‘ lesen«. Na klar! Und deshalb wurde es von den Nazis auch prompt verboten. Herr, laß Hirn regnen!

Was Thiess zur Unperson der deutschen Literatur machte, war sein berechtigtes Aufbegehren gegen den bornierten Thomas Mann, der aus seinem gemütlichen, finanziell wohlgesichterten Exil in den USA über alle möglichen Leute sein Maul (man kann's nicht anders nennen!) zerriß, die Deutschland aus den unterschiedlichsten Gründen nicht verlassen hatten – aber sicher zu allerletzt aus dem, Hitler & Co. besonders gemocht zu haben! Leute, die jahrelang mit Publikationsverboten und sonstigen Schikanen leben mußten, die ständig vor der Gestapo auf der Hut sein mußten, denen »dank« des Bombenterrors der Alliierten bei jedem Fliegeralarm das letzte Stündlein geschlagen haben konnte.

Und dann setzt sich ein wohlsituierter Bürgersproß im sicheren Exil hin, und entblödet sich nicht, die »Innere Emigration« mit den Worten
»Nenne die ‚treu‘ in Deutschland Sitzengebliebenen ‚Ofenhocker des Unglücks‘.«
abzukanzeln! »Ofenhocker«? Höchstens »Luftschutzkellerhocker« von Bomber-Harris' Ungnaden! Eine ebenso letztklassige Attitüde wie die, mit der er in schalen Worten einen Rudolf G. Binding herablassend verhöhnte, der 1935 dem Nazi-Innenminister Frick höchst förmlich den Vorschlag unterbreitete, den emigrierten Thomas Mann zum 60. Geburtstag durch Entsendung einer offiziellen Delegation der Preußischen Akademie der Dichtkunst nach Zürich, dessen damaligem Wohnsitz, als einen der bedeutendsten Schriftsteller Deutschlands zu würdigen — wozu damals (bei aller Prominenz Bindings, die sicher für ihn auch einen gewissen Schutz bedeutete) im Gegensatz zur billigen Polemik aus dem sicheren Domizil in Kalifornien schlicht und einfach Mut gehörte, den ein Binding hatte, im Gegensatz zu Thomas Mann. Eier hat man eben – oder hatte Mann eben nicht!

Mut, wie ihn auch — und damit kommen wir zum ursprünglichen Thema zurück — ein Frank Thiess nicht vermissen ließ! Denn das »Reich der Dämonen« war nicht das erste und einzige Werk des Autors, das dem Nazi-Ungeist zum Opfer fiel: schon »Die Verdammten« (1922) und »Frauenraub« (1927) wurden 1933 verbrannt – nur: das »Reich der Dämonen« wurde 1941 verfaßt! Und nicht vom sicheren Port in den USA aus, sondern in Hitler-Deutschland am Höhepunkt seiner Blitzkrieg-Erfolge und seiner inneren und äußeren Macht.

Sicherlich: Thiess ist weder als Mensch noch als Schriftsteller ohne Fehler gewesen. Seine magische Wortkunst verführte ihn immer wieder (insbesondere in seinem essayistischen Werk) dazu, hinter eindrucksvollen Wortkaskaden – nichts zu sagen. Oder vielleicht nicht »nichts«, aber jedenfalls: nicht genug! Und natürlich waren ihm Eitelkeit und Selbstinszenierung nicht fremd – doch all das teilt er mit den meisten Schriftstellern, ja überhaupt mit der Mehrzahl der Menschen.

Ohne seine großen Geschichtsdarstellungen des Byzantinischen Reichs, die für jeden Interessierten eine faszinierend zu verfolgende Lektüre sind, geringschätzen zu wollen, ohne die »bellestristischen« Romane – darunter »Der Weg zu Isabelle« (1934) am bekanntesten geworden – beiseite zu schieben: ein herausragendes Meisterwerk ist »Tsushima. Der Roman eines Seekrieges« (1936). Schon als junger Student begeisterte mich dieses Werk, das nach allen Regeln der Romankunst so eigentlich »nicht gehen kann«! Eine endlos lange Einleitung – die monatelange Fahrt der Baltischen Flotte nach Ostasien – mündet in eine atemlose Schlachtszene, die allmählich »ausrinnt«, mit jedem Schiff, das von den Japaners versenkt wurde, oder nach der Verletzung des russischen Admirals Roschestwenski auf Befehl seines Nachfolgers Nebogatow kapitulieren mußte. Und ein kurzes, zutiefst zynisches und verächtliches Nachspiel über die Behandlung des geschlagenen Admirals in Rußland, das den Ekel des Autors über die conditio humana auf den Leser zu übertragen versteht, beschließt den Roman. Und trotz der »Unmöglichkeit« der Komposition: der Roman reißt mit – von der ersten bis zur letzten Seite!

Frank Thiess hat in seinem Leben viel geschrieben. Vielleicht, das sei zugegeben, ein bißchen zu viel. Und nicht alles ist von gleichem, gar von bleibendem Wert. Seine beiden Caruso-Romane werden den Fan des Sängers entzücken – aber gelesen haben muß man sie nicht. Das Frühwerk knistert teilweise von erotisch-dekadenter Schwüle (bzw. was man in den 1920er-Jahren dafür hielt), und ist für uns heutzutage zumeist auch eher »überschaubar interessant«.

Doch dem stehen faszinierende Bücher gegenüber: Tsushima, natürlich. Aber auch »Die griechischen Kaiser. Die Geburt Europas« (1959), oder »Sturz nach oben« (1961) sind höchst lesenswert. Ebenso seine Autobiographie »Jahre des Unheils. Fragmente erlebter Geschichte« (1972).

Daß sich Frank Thiess nicht scheute, trotz seiner schlechten Behandlung durch die Nazis, trotz der Verächtlichmachung durch die Systempresse Nachkriegsdeutschlands, dort Partei für die Wahrheit zu ergreifen, wo sie im eifrigen Bestreben der totalen re-education ungeniert verbogen wurde, hat zur damnatio memoriæ dieses Autors sicher beigetragen. Wer erfolgreich auf den Bestseller-Listen von Spiegel & Co. verbleiben will, der rezensiert eben kein Buch eines »geschichtsrevisionistischen« Historikers anders als vernichtend. Nur aus der Perspektive von Wikipedia und in der Angst vor tabuisierten Rede- und Denkverboten spricht gegen Thiess, daß er es anders hielt ...


3 Kommentare:

David hat gesagt…

Danke für diesen Hinweis! Zu meiner Schande muß ich gestehen, daß ich von Frank Thiess noch nie etwas gehört habe - Anlaß genug also, eines seiner Werke (antiquarisch) zu kaufen. Meine Wahl fiel auf die "Jahre des Unheils" - aus naheliegenden Gründen. Ich bin sehr gespannt!

Ihnen schöne Feiertage - und vielen Dank für Ihren immwer wieder anregenden und interessanten Blog!

Anonym hat gesagt…

Hochverehrter Penseur,

seien Sie bedankt für Ihre Ausführungen zu Frank Thiess. Sein großartiges "Tsushima" habe ich mehrfach gelesen. (Vielleicht darf ich für Interessierte hier darauf aufmerksam machen, daß es über diese unglückselige Unternehmung auch den nicht weniger erschütternden Erlebnisbericht eines russischen Arztes gibt, dem das Schicksal bestimmt war, an Bord der erkennbar gottverlassenen Flotte zu sein: W. Krawtschenko, Durch drei Ozeane (Mittler und Sohn 1914).

Mit demselben Interesse habe ich Ihre Würdigungen anderer Autoren gelesen, und es amüsiert mich, daß ich bei Lernet-Holenia nicht Ihren, sondern den Geschmack Ihrer Frau Mutter teile, die für sich den "Mann im Hut" als Favoriten erkor. Aber "Die Standarte", "Ein Traum in Rot", "Der Baron Bagge", um nur wenige zu nennen, sind nicht minder herrliche Literatur.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen auch gleich danken, daß Sie auf meine Bitte eingegangen sind, "Thier" usw. zu erklären.

Herzlichst, Ihr Anonym 1

Le Penseur hat gesagt…

Cher "anonym 1",

also, das "Hochverehrter" lassen Sie lieber weg ... Sooo alt bin ich denn doch nicht (die Jahre der Hochverehrung fangen jenseits der biblischen an, und die habe ich zum Glück noch nicht hinter mir)!

Was Lernet-Holenia betrifft: zum Glück hat da jeder seine unterscheidenden Vorlieben! Und nein, ich habe nicht gegen den "Mann im Hut": ein spannender, gekonnt geschriebener Roman. Und doch — die Poesie "Beider Sizilien" ist mir lieber ...