Donnerstag, 26. Juli 2012

Animal farm, revisited

Bisweilen fühlt man sich an einen Satz von Orwell erinnert, daß manche eben gleicher seien als andere. So beispielsweise in Äußerungen des ehemaligen Präsidenten der Wiener Israelitischen Kultusgemeinde, Dr. Ariel Muzicant, der mittlerweile Ehrenpräsident besagter Gemeinde ist. Lassen wir die Frage, welche Ehre es bedeutet, von Dr. Muzicant präsidiert zu werden, als völlig off topic beiseite, so ist doch erstaunlich, was dieser Mann so von sich geben kann, ohne damit medial nennenswerte Aufregung zu verursachen:
Einen drastischen Vergleich zieht Ariel Muzicant, Ehrenpräsident der Israelitischen Kultusgemeinde (IKG), angesichts der laufenden Debatte über ein Verbot von religiös motivierten Beschneidungen. In der "Kleinen Zeitung" stellte er ein mögliches Verbot mit der Vernichtung der Juden gleich. Ein solches "wäre dem Versuch einer neuerlichen Schoah, einer Vernichtung des jüdischen Volkes, gleichzusetzen - nur diesmal mit geistigen Mitteln", wird er zitiert.
... weiß Tante »Presse« heute zu berichten. Nun gut. »Ein drastischer Vergleich« also. In ähnlichen Fällen (freilich keinen der zahlreichen Äußerungen des Ehrenpräsidenten Muzicant) pflegte sofort ein wahrer shit-storm loszubrechen, wenn jemand das Dogma der Einzigartigkeit und Unvergleichlichkeit des Holocaust durch einen unbedachten Vergleich auch nur von ferne zu streifen schien. Ich erinnere mich da z.B. an eine gehässige Medienkampagne gegen den Sohn von Dr. Otto Habsburg vor einigen Jahren, in deren Verlauf letzterer in einem Interview zu äußern wagte:
Karl wird angegriffen, weil er den gewissen gelben Stern trägt, den Namen Habsburg. Die armen Juden haben ja Entsetzliches mitgemacht, ich denke oft an sie in dem Zusammenhang.
Dies war für »Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich« Anlaß genug, durch ihre Generalsekretärin hochoffiziell verlauten zu lassen:
Die Aktion gegen den Antisemitismus in Österreich verwehrt sich entschieden dagegen, dass der Europaabgeordnete Otto Habsburg zur Verteidigung seines Sohnes sagte: "Karl wird angegriffen, weil er den gewissen gelben Stern trägt, den Namen Habsburg. Die armen Juden haben ja Entsetzliches mitgemacht, ich denke oft an sie in dem Zusammenhang".

Er nahm diesen ungeheuerlichen Vergleich auch nach wiederholten Rückfragen nicht zurück.

Die Geschichte der politischen Verfolgung der Habsburger hat nichts mit Rassismus zu tun und ist auch auf keine Weise mit der Schoah zu vergleichen. Otto Habsburg hat sich durch diesen Vergleich, der die Schoah relativiert und den Revisionistischen Tendenzen der Geschichtsschreibung Vorschub leistet, als Abgeordneter disqualifiziert.
... und damit zum Rücktritt aufzufordern. Nun weiß jeder, der die Geschichte 1933 bis 1945 auch nur von ferne kennt, daß die Nazis beispielsweise besagten Dr. Otto Habsburg auf ihre Todesliste für die Zeit nach dem »Endsieg« gesetzt hatten, und dieser während der Nazizeit des öfteren um sein Leben bangen mußte. Daß er sich nur fernab des Nazi-Zugriffs aufhalten konnte. Dessen ungeachtet hatte die emsig in der Verfolgung wirklicher und vermeintlicher Nazi-Verbrechen tätige Organisation HaGalil nach obiger Äußerung die Staatsanwaltschaft München ersucht, gegen Dr. Habsburg wegen »Verharmlosung von NS-Verbrechen« zu ermitteln.

Ist der Vergleich zwischen dem »Tragen des gewissen gelben Sterns« und der gezielten Kampagne gegen seinen Sohn wirklich eine Verharmlosung von NS-Verbrechen, so stellt sich wohl die Frage, was der Vergleich zwischen dem Urteil des Kölner Landgerichtes, das unter Verweis auf die Grundrechte der körperlichen Integrität und des Kindeswohles, die Beschneidung nicht bloß bei Mädchen, sondern auch bei Knaben — und zwar im konkreten Fall: bei einem moslemischen Knaben — als dem Straftatbestand der Körperverletzung unterfallend beurteilte, mit dem Massenmord von Juden in Gaskammern und durch Erschießungspelotons dann sein mag? Aus der milden Reaktion der Systempresse zu schließen: ganz offensichtlich keine Verharmlosung von NS-Verbrechen. Denn mit Sicherheit, so muß man daraus wohl schließen, bedeutet der Aufschub einer Beschneidung bis zur Mündigkeit des Beschneidungskandidaten etwas vollkommen vergleichbares mit NS-Massenmord. Oder so halt.

Irgendwie drängt sich fast die Frage auf, ob hier nicht unterschiedlich gewertet wird, je nachdem, ob ein Ehrenpräsident einer bestimmten Organisation sowas äußert, oder jemand anderer aus der nicht meinungsfreiheitsprivilegierten misera plebs. Weil eben, wie Orwell vermuten läßt, einige gleicher sind als andere. Und nein — auch die Frage, woran hier wohl in »Animal Farm« näherhin gedacht werden könnte, ist strictly off topic. Viktor Frankl pflegte des öfteren zu äußern, daß es für ihn eigentlich nur zwei Rassen gäbe: die der Anständigen und die der Unanständigen. Der geneigte Leser darf die Frage für sich entscheiden, welcher Gruppe er Dr. Otto Habsburg zuordnen möchte. Der Rest ist Schweigen — denn Schweigen ist, wie uns der Volksmund belehrt, Gold. Oder wie schon der Prediger Salomon (Koh 3,7) so treffend sagt: »Schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit«. Und offenbar nicht bloß seine Zeit, sondern auch seinen berufenen Mund. Der Rest hat eben zu schweigen ...

Dienstag, 24. Juli 2012

Intermezzo: Tätowierungen und die Folgen

In den letzten Wochen wurde in vielen Foren und Blogs und in den Systemmedien sowieso (wenngleich unter anderem, will sagen: systemkonformem Blickwinkel) eingänglich über die Sinnhaftigkeit bleibender körperlicher Kennzeichnungen zur Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gesinnungsgemeinschaft diskutiert. Mit eher geringem Ertrag, wie ich hinzusetzen möchte. Wo ein Ergebnis zu drohen schien, das den Medienmächtigen nicht ins Konzept passen wolte, wurde geschwind die Volkskammer zum Abnicken einberufen. In einem Aufwasch mit ESM & Co. — wozu auch diskutieren, kommt doch nur Blödsinn raus!

Diesmal geht es um Tätowierungen: »Christus kam nur bis Lohengrin« (der Literaturkenner wird die Anspielung genießerisch über Zunge und Gaumen gleiten lassen, der Nicht-Kenner, naja: ist irgendwie selber schuld. Lesen bildet, aber eben nur den, der's tut. Es gibt Druckwerke jenseits der BILD-Zeitung ...

Auf dem Blog »Geistbraus«, der mit dem hübschen Heading »Das Magazin für den kirchentreuen Freigeist« lockt (klingt schon mal interessant, wiewohl sich LePenseur eher ehrlicherweise unter die Freigeister, als unter die Kirchentreuen einordnen würde) findet sich unter obigem Titel ein köstlicher Artikel zum Thema »Tätowieren und die Folgen«, in dessen Verlauf es ebenso beziehungsreich wie süffisant heißt:
Zur Zeit des Alten Bunds lud man all seine Sünden auf einen Bock, den man dann in die Wüste jagte. Der Bock konnte die Menschen nicht vor ihren Sünden retten, aber er drückte zumindest die Sehnsucht aus, dass einmal jemand kommen möge, der alle Sünden der Menschheit auf Sich nehmen und durch Sein stellvertretendes Opfer sühnen würde. Wir wissen, dass dieser Jemand gekommen ist.

Er heißt JesJewgeni Nikitin. Denn den braunen Sumpf, der auf Bayreuth lastet, können die Gedenktafeln allein nicht sühnen. Die Tafeln aus tönendem Erz können Bayreuth genausowenig erlösen wie der Sündenbock die Israeliten. Dazu musste J. (v.) N. kommen. Er nahm die ganze Schuld auf sich, Er lud das Kreuz auf Seinen eigenen Körper, Er wurde stellvertretend für alle anderen geopfert. Doch wie sagte Er?
“Der Menschensohn geht zwar dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn er nie geboren wäre.” (Mt 26,24)
Über denselben Skandal geht es auch im unermüdlichen Aufdecker aller Skandale, dem bewährten Politinformationsblog »Politplatschquatsch«, welcher angesichts dieses beispiellosen Skandals von Bayreuth ein Verbot der Woche urgiert, bei dem nur zu bemängeln ist: warum bloß »der Woche«? Solche Verbote gelten doch für die Ewigkeit (bzw. was der Zeitgeist dafür hält)!

Jedenfalls eines dürfte aus diesem Bayreuther Skandal, der durch alle Medien ging, zu lernen sein: bleibende körperliche Kennzeichnungen der Zugehörigkeit zu einer Gesinnungsgemeinschaft können unter Umständen unerwünschte Nebenfolgen zeitigen. Natürlich nur, wenn es die falschen sind. Bei im Trend liegenden kann man freilich beruhigt durch die Abgeordneten abnicken lassen, daß das weiter gemacht wird. Nur sollte man bedenken: Trends wechseln, und der Bayreuther Skandal wäre beispielsweise vor siebzig Jahren keiner gewesen. Damals hätten die Abgeordneten vermutlich anders genickt. Oder man hätte einfach einen Föhrererlaß erlassen, der den geplagten Abgeordnen das Nicken erlassen, und den Schamott einfach geregelt hätte. Etwa so, wie die Richtlinien unserer EUdSSR-Kommissare, die längst mit einem Federstrich jedes Abnicken durch Blockparteiabgeordnete überhaupt entbehrlich macht. Und ganz im Sinne jener legendären Finck-Nummer fürs Rechte sorgt:
Ein Kunde kommt zu seinem Schneider
SCHNEIDER: Womit kann ich dienen?
KUNDE: Jetzt spricht er auch schon von dienen! Ich möchte einen Anzug haben, weil mir etwas im Anzug zu sein scheint.
SCHNEIDER: Schön!
KUNDE: Ob das schön ist, na ja. Ich weiß nicht ....
SCHNEIDER: Ich habe neuerdings eine Menge auf Lager.
KUNDE: Auf’s Lager wird wohl alles hinauslaufen.
SCHNEIDER: Darf’s etwas einheitliches oder etwas gemustertes sein?
KUNDE: Einheitliches hat man ja jetzt schon genug. Aber auf gar keinen Fall Musterung!
SCHNEIDER: Dann nehmen sie doch bitte mal den rechten Arm hoch.
Der Kunde hebt den Arm.
SCHNEIDER: Mit geballter Faust bitte.
Der Schneider nimmt die Maße und murmelte sie laut vor sich hin: 1918/19 und 1933. Als er fertig ist, nimmt der Kunde seinen Arm nicht hinunter.
SCHNEIDER: Ja, warum nehmen Sie denn den Arm nicht runter? Was soll denn das heißen?
KUNDE: Aufgehobene Rechte!
Finck stand dafür vor Gericht, kam aber mit Berufsverbot davon. Heute steht man für ähnliche, jedoch in andere Richtung deutende Äußerungen nicht nur vor Gericht, sondern sitzt auch, weil es nicht den Richtlinien besagter Politkommissare und danach abgenickter Gesetze entspricht.

Wer hier Ähnlichkeiten erblickt, sollte sie für sich behalten. Wir leben in EUropa schließlich in einem Friedensprojekt! Projekte sind dadurch gekennzeichnet, daß man erst weiß, wie wie geworden sind, wenn sie vorbei sind. Wenn es wieder nur zwölf Jahre dauert, könnte LePenseur es noch erleben. Das gibt Hoffnung. Und die Hoffnung, es wurde schon mehrfach auf diesem Blog zitiert, stirbt zuletzt, wie der Russe sagt ...

Montag, 23. Juli 2012

Intermezzo (diesmal unblutig, doch nicht weniger schmerzlich)

Dem verdienstvollen norddeutschen Informationsblog »Ostssestadion«, der, um allfälligen Mißverständnissen vorzubeugen, keineswegs nur Neuigkeiten aus dem Bereich stadion-basierter Massensportarten berichtet, verdanken wir die kurze und vollständige Aufklärung über die Wirkung des eben in Installation befindlichen Rettungsschirmes, der uns alle zu richtigen Europäern machen soll. Zu richtig armen Europäern, um präzis zu sein:

Samstag, 21. Juli 2012

Gedanken über Freiheit und Gerechtigkeit — Teil III

Was Steuern steuern

In den vorherigen Teilen dieser Artieklserie (Teil I und Teil II) wurde das Thema »Freiheit und Gerechtigkeit« unter einem — für gewöhnlich vernachlässigten — Aspekt betrachtet: dem ökonomischen. Für waschechte Philosophen ist es offenbar zu minder, sich darüber Gedanken zu machen, was eine Freiheit wert ist, wenn ich sie nur durch ein Taschengeld, das mir der Staat läßt, finanzieren kann. Und wenn faktisch alle Mittel, durch die ich sie verwirklichen kann, längst in festem Staatsbesitz (bzw. dem seiner Günstlinge und Vorfeldorganisationen) sind.

Es ist genau dieser Aspekt von Freiheit, der in Wahrheit erst Gerechtigkeit, nämlich nicht als »justitia commutativa« (miß)verstanden, ermöglicht. Denn diese setzt ja einen »commutator« voraus — und daß der wohl nur »der Staat« sein kann, jenes »kältetste aller kalten Ungeheuer«, um Nietzsche zu bemühen, versteht sich fast von selbst ...

Zurück zu unseren Überlegungen: was steuern Steuern? Faktisch das ganze Leben, und damit alle Freiheit — wenn man dabei banale »Freiheiten«, z.B. ob man ein rotes oder ein blaues Auto vorgegebener Normaussattung »frei« wählen darf, einmal beiseiteläßt. Wenn der Staatsanteil an dem, was wir durch unsere Arbeit oder vom Ertrag unserer von Vorfahren erworbenen und gesparten (sic!) ererbten Werte einnehmen, mittlerweile die Zweidrittelmarke klar übersteigt, dann ist man nicht mehr »frei« in der Planung seiner Ausgaben, sondern muß sein Leben wohl oder übel unter dem Aspekt möglichster Steuerminimierung fristen. Nicht der am geeignetsten erscheinende Handwerker wird beauftragt, sondern der, der mit Augenzwinkern verrät, daß es ohne Rechnung auch deutlich billiger geht.

Nicht die Beschäftigung, die vielleicht den meisten Gewinn, sondern jene, die gegebenenfalls auch Schwarzeinnahmen verspricht, ist verlockend. Betriebsmittel (z.B. Autos) werden weniger nach aktuellem Bedarf und persönlicher Vorliebe, sondern nach steuerlichen Aspekten ihrer Absetzbarkeit und/oder Förderung angeschafft. All dies bewirkt nicht nur eine planwirtschaftliche Verschmutzung und Effizienzminderung unseres Wirtschaftssystems, sondern ganz definitiv auch einen erheblichen Verlust an Freiheit.

Nicht zuletzt führt das gängige System progressiver Besteuerung, das neben dem üblichen, mit Sprüchen »sozialer Gerechtigkeit« camouflierten Appell an den schöden Neidreflex, durch die abenteuerliche Theorie eines angeblich »abnehmenden Grenznutzens« höherer Einkommen begründet wird (warum also dem pöhsen Millionär nicht 90% wegsteuern — eine besonders begabte Vertreterin dieser Theorie aus den Reihen der SED findet sogar, daß über 40.000 Euro im Monat ratzfatz überhaupt alles weggenommen gehört), zu einer gezielten Demotivierung der verbliebenen Leistungsträger. Gezielt sicher deshalb, weil eben nur so die »Gleichheit« zwischen arbeitsscheuen und/oder unfähigen »Nichtsnutzen« mit engagiert arbeitenden Leistungsbereiten und -fähigen hergestellt werden kann: wenn alle möglichst wenig haben, herrscht Gleichheit — freilich auf völlig unnotwendig niedrigem Niveau!

Eine wahrheitsgemäße Analyse der Verhältnisse würde eigentlich ganz im Gegenteil zu einem — für die sozialistisch verdorbene Vorstellungswelt unserer Zeitgenossen geradezu undenkbaren — Ergebnis führen: zu einer »gedeckelten«, mindestens jedoch ab einem bestimmten (hohen) Einkommen deutlich degressiven Steuersatz. Das ist eigentlich völlig verständlich, wenn man Staatsleistungen als eine Art von »Zwangsversicherung« — also etwa analog zur Kfz-Haftpflichtversicherung — betrachtet.

Wer sich für — außerordentlich seltene — Fälle einer Haftpflicht »höher« versichern möchte, zahlt deutlich unterproportional mehr als es der Höhe der Versicherungssumme enspricht. Ebenso ist auch ein Einkommens-Multimillionär (z.B. ein Großunternehmer), der über seine Steuerleistung beispielsweise die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, Infrastruktur etc. finanziert, gar nicht in der Lage, die solcherart finanzierten staatlichen »Wohltaten« auch nur annähernd proportional mehr zu nutzen, als es ein schlichter »einfacher« Einkommens-Millionär (etwa ein gutverdienender Unternehmer des oberen Mittelstandes, oder ein erfolgreicher Freiberufler) kann. Der Multimillionär unterliegt also tatsächlich einem Prinzip des abnehmenden Grenznutzens — aber genau im entgegengesetzten Sinn! Er zahlt zwangsweise für Dinge mehr, als er sie jemals im proportional höherem Ausmaß auch nutzen könnte. Die Versicherungen (denen man edle Menschenfreundlichkeit eher nicht nachsagen kann, wohl aber — durch den Wettbewerbsdruck — die Fähigkeit zu ökonomisch sinnvoller Kalkulation) reagieren darauf eben mit einer deutlich unterproportionalen Tarifstaffelung. ein Monopolist wie der Staat kommt natürlich gar nicht auf diese Idee ...

Dieser in sozialistisch deformierter »Denke«, wie sie heute längst alleinherrschend geworden ist, als überaus anstößig empfundene Aspekt ist zugleich auch einer, der für eine steuerlastbasierte Stimmgewichtung (also ein »Zensuswahlrecht«) eine wichtige Vorbedingung darstellt: natürlich haben jene besorgten Stimmen irgendwie recht, die eine Majorisierung der vielen »Otto Normalverbraucher« durch ein paar »Superreiche« befürchten. Was aber nur eintreten könnte, wenn durch eine progressive oder auch proportionale Besteuerung einige »Superreiche« das Stimmgewicht hunderttausender Normalverdiener überstimmen könnten. Wer hingegen durch eine Deckelung bzw. eine degressive Besteuerung von Höchsteinkommen die absolute Steuerlast jener wenigen Spitzenverdiener begrenzt, begrenzt auch auf völlig natürliche und gerechte (sic!) Weise ihr Stimmgewicht bei Wahlen.

Ein Wort noch zur Frage der direkten und indirekten Steuern. Wer hinter die Kulissen blickt, wird wenig Unterschied entdecken können — außer daß indirekte Steuern aus Praktikabilitätsgründen fast niemals progressiv, sondern immer proportional gestaltet sind, und damit wenigstens ein wenig die unverschämte Progressionswirkung unseres herrschanden Steuersystems mildern. Sonst läßt sich wenig zu ihren Gunsten sagen, außer daß ihre Erhebung verwaltungsökonomischer ist als die von direkten Steuern. Es ist halt leichter, eine Supermarktkette zentral zu prüfen und die Abfuhr der Umsatzsteuer zu kontrollieren, als Millionen Steuerpflichtiger auf ihre »Steuerehrlichkeit«.

Faktisch jedoch rechnet jeder — ob Unternehmer oder nicht — nach dem »Prinzip netto«. Entscheidend ist, was letztlich zu meiner Verfügung übrigbleibt. Was immer auf meinem Gehaltsausweis als »Brutto« oder in meiner Bilanz als »Gewinn« ausgewiesen sein mag. Die oft so wortreich aufrechterhaltene Unterscheidung von indirekter und direkter Besteuerung ist also letztlich eine Spiegelfechterei, die hauptsächlich dazu dient, die Bevölkerung über die tatsächliche Höhe der Steuerlast in die Irre zu führen.

Zusammengefaßt läßt sich also sagen, daß ein Staat, der sich auf seine essenziellen Aufgaben beschränkt, aufgrund seiner geringeren ausgaben auch deutlich geringeren Steueraufkommens bedarf. Dieses ist zunächst nach dem »Nutznießerprinzip« möglichst weitgehend durch Gebühren für die Inanspruchnahme staatlicher Leistungen zu gestalten. Hinsichtlich des Restes ist sodann nach zwei Prinzipien zu bemessen, die beide ihre — wenngleich unterschiedliche — Begründung in fundamentalen Forderungen der Gerechtigkeit haben:

1.) niemand soll zu Steuern mit jenen Teilen seines Einkommens herangezogen werden, die er zur Aufrechterhaltung seines notwendigen Lebensunterhaltes benötigt, denn ein Beitrag zum Gemeinwohl kann nur von dem Einkommen(steil) gefordert werden, das man über die schiere Aufrechterhaltung der Existenz erzielt — heißt konkret: das Existenzminimum muß jedenfalls steuerfrei bleiben.

2.) niemand darf andererseits zu Steuern in theoretisch unbeschränkter Höhe herangezogen werden, da dies dem Prinzip des evidentermaßen abnehmenden Grenznutzens an den undifferenzierbaren Staatsausgaben widerspricht. Das heißt konkret: es gibt eine Deckelung in Form einer (bzw. eine asymptotische Annäherung an eine) Maximalsteuer, die niemand überschreiten kann.

Im nächsten Teil werde ich mich mit konkreten Fragen eines Zensuswahlrechts beschäftigen. Bleiben Sie dran!

Dienstag, 17. Juli 2012

Vor die Wahl gestellt ...

...entweder die nationale Souveränität oder den Euro aufzugeben, würde Frankreich sich ohne Zögern für das Letztere entscheiden.
Meint Sarrazin in der FAZ. Und schlägt Merkel augenzwinkernd vor, die Einführung eines europäischen Bundesstaates zur Bedingung weiterer Euro-»Rettungs«-Verhandlungen zu machen. Und damit Hollande eine hinterfotzige (na, olàlà) Doppelmühle zu stellen.

Sicherlich eine gute Idee. Wird nur nix draus werden. Denn deutsche Politiker verkaufen sich, wo's nur geht, gern billig, billiger, am billigsten. Und verraten niemand und nichts lieber als ihre Wähler und deren Interessen. Das war schon zu Adenauers und Ulbrichts Zeiten so (beide willige Satrapen ihrer Herren in Washington D.C. bzw. Moskau), wurde dann von Schmidt und Kohl liebevoll weitergepflegt — warum sollten sie jetz auf einmal anders agieren?

Andererseits: verdient die breite Mehrheit der Wähler andere Volksvertreter? Verdienen sie nicht genau dieses korrupte, machtbesoffene Geschmeiß — sie, die sich gewohnheitsmäßig mit Wahlgeschenken bestechen lassen, und jedem Unsinn, wenn er nur »öko« und/oder »sozial fair« daherkommt, begeistert zustimmen?

Nein, das Problem ist einfach, daß die immer wenigeren, die das ganze Werk'l durch ihren Einsatz und Geschäftssinn noch am Laufen halten, hoffnungslos in der Minderheit sind, und dewegen in einer »Demokratie« unserer Sorte jederzeit dem Stimmvieh zum Fraß vorgeworfen werden — bevor die Politruks riskieren, selbst vom Volkszorn gefressen zu werden.

Churchill meinte einst angeblich, daß Demokratie die schlechteste Staatsform sei, nur kenne er leider keine bessere. Ein hübsch-zynisches Bonmot einer der letztklassigsten Kreaturen auf dem Polit-Parkett des 20. Jahrhunderts, was konnte man von ihm, dem opportunistischen Nutznießer mehrfacher »Gesinnungs«wechsel schon anderes erwarten. Nun, auch Churchill kann mal rechthaben, wenigstens zur Hälfte ...

Denn bezüglich der zweiten Hälfte seines Bonmots irrte er (und das sicherlich nicht ohne eigennützige Hintergedanken): es gibt eine wesentlich bessere Alternative zur derzeitigen Parteien»demokratie« des gleichen Stimmrechts für alles, was noch auf zwei Beinen durch die Tür gehen kann, inklusive Halbidioten, Sozialbetrugsmigranten und sonstiger Penner. Nämlich ein Zensuswahlrecht, das denen die Stimme gibt, die für die Staatsausgaben auch die Zeche zahlen.

... womit ich zu meiner angekündigten Serie über »Gerechtigkeit und Freiheit« zurückkehren will. Bleiben Sie dran!

Montag, 16. Juli 2012

»Ohne Vorhaut muß die Freiheit grenzenlos sein!«

... oder so ähnlich sang einst Reinhard Mey. Möchte man wenigstens glauben, wenn man die Reaktionen der Vorhaut-Befreiten aller beschneidenden Religionen und ihrer fünften Kolonnen in christlichen Kirchen so verfolgt. Sorry, liebe p.t. Erz- und einfache Bischöfe — Beschneidungen sind none of your business. Also sicherheitshalber Klappe halten, wenn's einen nicht betrifft und man davon nichts versteht, würde ich sagen ...

Oder wiegt die Amtskollegialität der etablierten Religionsvertreter stärker, frei nach dem Motto des 11. Gebots: »Du sollst keine mündigen Gläubigen riskieren, wenn du sie auch im Kindesalter einfacher zwangsrekrutieren kannst!«

Auf einer Website, die sich mit dem Beschneidungsaberwitz kritisch beschäftigt, finden sich zehn »Argumente« für die Beschneidung (samt Stellungnahme dazu), die uns jetzt in den nächsten Wochen bis zum Abwinken vorgesetzt werden (Deutschland hat derzeit natürlich keine wichtigeren Probleme als daß auch in Zukunft religiös motivierte Genitalverstümmelungen an kleinen Buben straffrei erfolgen dürfen!) — zur Einstimmung sollte man die geballte Ladung Unsinn einmal durchlesen:
Aussage 1:

"Das [die Beschneidung von Jungen] ist Tradition, jeder macht es."
(Yasar Bilgin, Vorsitzender der Türkisch-Deutschen Gesundheitsstiftung)

"Die Beschneidung neugeborener Jungen sei fester Bestandteil der jüdischen Religion, werde seit Jahrtausenden praktiziert und in jedem Land der Welt respektiert.“
(Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland)

Kommentar:

Unrecht wird nicht zu Recht, nur weil es massenweise und lange genug immer wieder begangen wurde und wird.

Sklavenhaltung beispielsweise war über Jahrtausende ein normaler Bestandteil menschlicher Gesellschaften. Dennoch war die Menschheit irgendwann reif genug, zu erkennen, dass es Unrecht ist, Menschen in Unfreiheit zu halten, und die Sklaverei wurde abgeschafft.

Nun scheint die Menschheit allmählich reif genug zu werden, um zu erkennen, dass es auch Unrecht ist, Menschen, KINDERN, ohne medizinische Notwendigkeit und ohne deren selbstbestimmte, ausdrückliche Zustimmung Körperteile abzutrennen. Dass ein Umdenken hier nicht von heute auf morgen und nicht ohne Reibungen geschehen kann, ist klar, aber dieser Schritt ist für die humanistische Weiterentwicklung der Menschheit letztendlich unvermeidbar.
Und so geht's munter dahin bis zu
Aussage 10:

Das Urteil sei ein „beispielloser und dramatischer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften“ und ein „unerhörter und unsensibler Akt". Bei einer bundesweiten Umsetzung des Urteils würde „jüdisches Leben dadurch in Deutschland unmöglich gemacht".
(Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland)

"Sollte die Beschneidung aus religiösen Gründen in Deutschland verboten sein, kann sich das Land jede weitere Integrationspolitik sparen."
(Serkan Tören, Integrationsexperte der FDP)
Mit anderen Worten: wenn du mir nicht erlaubst, die Vorhaut kleiner Buben abzuschneiden, ist das »Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften« verletzt. Der kleine Bub hingegen soll sich bloß nicht so haben, daß ihm das Selbstbestimmungsrecht über seine Vorhaut beschnitten wurde ...

Ja! Genau so habe ich mir Religionsfreiheit schon immer vorgestellt! Die Religion als Freibrief für jeden Schwachsinn, denn man muß Gott/Allah/JHWH bekanntlich mehr gehorchen als irgendwelchen säkularen Weicheiern von Kölner Richtern, die da meinen, daß über die Beschneidung oder Nicht-Beschneidung der Vorhaut wohl jeder selbst eigenverantwortet entscheiden können müsse.

Na, das wäre ja noch schöner! Da kommt vielleicht der eine oder andere drauf, daß nicht bloß Vorhautopfer ein steinzeitliches Relikt aus früheren (und gar nicht guten) alten Zeiten sein könnten. Daß vielleicht auch das Steinigen von Ehebrecherinnen, das uns von der Thora und der Scharia doch wärmstens empfohlen wird, nicht eben die ideale Form von Ehekonfliktslösung darstellt (was übrigens Jesus auch schon wußte). Oder daß es vielleicht mit der »Auserwählung« eines bestimmten Volkes bzw. einer bestimmten Religion gar nicht so weit her ist. Und die Leute könnte vielleicht gar auf den gefährlichen Gedanken kommen, daß wir in unserem Leben auf Erden allesamt mit Paulus sagen müssen: »Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse« (1 Kor. 13). Alle, auch die dogmatische Definitionen, Mischnajoth und Fatwahs auf die misera plebs ihrer gläubigen Schafe herabsendenden Religionsvertreter.

Wer mir jedenfalls einreden will, daß ein Gott, der ein unermessliches Universum mit seiner viele Milliarden Jahre dauernden Entwicklung und Enfaltung schuf, heilbringenden Wert auf die Opferung der Vorhäute kleiner Jungen legt, den frage ich nur, ob er mich verarschen will. Oder ich beginne an seinem Verstand zu zweifeln. Und ich sehe nicht ein, warum auch noch künftige Generationen darunter leiden sollen, daß unsere Vorfahren atavistische Vorstellungen über geziemenden Gottesdienst in ihren »Heiligen Schriften« niederlegten. Denn, wie Kollege Karl Eduard schon ausführte: Azteken könnten mit gleichem Recht die Religionsfreiheit für die Cor-Exstirpation fordern, damit morgen die Sonne wieder aufgeht ...

Und damit wollen wir zu weitaus wichtigeren Themen zurückkehren — zur bevorstehenden Etablierung einer unkontrollierten Diktatur der Eurokraten via ESM. Dagegen, liebe Gläubige, ist die Einschränkung der Religionsfreiheit, die angeblich mit der Aufrechterhaltung des Kölner Urteils droht, ein »Lercherlschas«, wie der Wiener sagt. M.a.W.: eine Quisquilie, wie ich mich beeile, sofort bildungsbürgerlich hinzuzusetzen ...
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P.S.: Weil's so gut zum Thema paßt: Politplatschquatsch beruhigt. Wie immer ..

Freitag, 13. Juli 2012

Hutzlipochtlianer aller Länder, vereinigt euch!

Manche Völker lernen nie aus der Geschichte. Beispielsweise das deutsche (bzw. was davon noch übrig ist). Man hätte es doch wissen können — nein: müssen! — das kann nicht gut gehen:
Nach dem in Köln geurteilt wurde, Menschen die Herzen herauszureissen und ihre toten Körper im Namen der Religion die Treppe hinunterzuwerfen, ist nicht nur unhygienisch, sondern würde auch nicht zu einer deutschen Kultur passen, die bis 1968 von Herder, Goethe, Brahms oder Schiller geprägt wurde und sei deshalb verboten, haben sich Hutzlipochtlianhänger in aller Welt empört. Nicht nur in Deutschland.

Vermögende Anhänger der Hutzlipochtlikultur sammeln infolgedessen Geld, um gegen ein deutsches Gericht und sein Urteil vorzugehen. Obwohl dieses Gesetz nur für das Staatsterritorium der Bundesrepublik Deutschland gilt. Im Ausland lebende Azteken sind nicht davon betroffen. [...]

Ob dazu zuerst die Richter beseitigt werden müssen, das Land, das solche Richter beherbergt, mit einer Lügenkampagne diffamiert werden muß, um es dann mit einer Flugverbotszone belegen zu können, mit nachfolgender Einführung der Demokratie, das lies Herr Gast noch offen. Solidarität, zitiert der Blogwart gerne, ist eben die Zärtlichkeit der Azteken untereinander und er lobt Herrn Gast, denn 10 Mio € mal soeben von Haustür zu Haustür zusammenzusammeln, um den bedrängten VolksReligionsgenossen im Ausland zu helfen, das ist kein Pappenstil. Feine Sache. Herr Gast.

Es wird aber nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Wie Außenminister Westerwelle beruhigte: *Es muss klar bleiben, dass in Deutschland die freie Religionsausübung geschützt ist. Dazu zählt auch der Respekt religiöser Traditionen.* Und wenn dazu gehört, daß Feinden die Brust geöffnet wird, um ihre zuckenden Herzen den versammelten Anhängern von Hutzlipochtli zu zeigen, dann ist das schon in Ordnung. Es hat ja im Grunde auch niemand etwas dagegen, Ehebrecherinnen totzuschiessen, wenn es die Tradition verlangt, hauptsache, die Sicherheits- und Hygienevorschriften werden gewahrt und es ist ein Arzt anwesend, der ordnungsgemäß den Tod des Opfers bestätigt.
(Hier weiterlesen)
Danke, Karl Eduard, für diese Klarstellung! Es stand ja schon zu befürchten, daß diese schöne Sitte des Herzrausschneidens (mit Obsidian-Messern noch dazu! — zergeht nicht allein dies Wort in seinem edlen Wohllaut auf der Zunge?) aussterben könnte. Was doch irgendwie schade wäre. Herzzerreißend schade, sogar!

Nun, zurück zu den Azteken: manche sehen das natürlich anders. Weniger aztekisch halt. Wieder manche sehen es wie LePenseur. Die Wahrheit wird, wie so oft im Leben, vermutlich in der Mitte liegen. Ein Vorschlag zur Güte: wenn man bedenkt, welche große Auswahl an Herzreißen den Azteken und dem Überleben ihrer Religion allein die zahllosen Angehörigen der Berufspolitikerkaste eröffnen würden, oder auch Unzahl steuerzahler-subventionierter Bankmanager — ach ... die haben alle kein Herz? Weil sie es schon vor Jahren meistbietend an Meinungsforschungsinstitute, Parteisekretariate und für Managerbonus-Verträge verkauften, sozusagen als Vorlaß ihres Lebenswerkes? Denn mit ihrem Nachlaß dürfte ja kaum Staat zu machen sein. Wer wäre schon an stromlinienförmiger Scheiße interessiert ...?

Da ist guter Rat teuer. Man erkennt: auch das Leben in einem Friedensprojekt wie der EU ist voller Fährnisse und Ungewißheiten. Besonders, wenn man in Deutschland lebt und für alles zahlen soll.

Schuld an allem sein, sowieso ...

Montag, 9. Juli 2012

ESM oder: das Ende der Geschichte

Auf dem Weblog des wackeren Liberalen Frank Schäffler findet sich ein Artikel über die finanzielle Perversion, die unter dem Kürzel »ESM« (wohl für: »Europäischer Sado-Masochismus«) läuft. Hier einige Highlights:
Die Beschlüsse des Bundestags vom vergangenen Freitag haben Auswirkungen, die sich zum heutigen Zeitpunkt nicht vollends überblicken lassen. Zu diffus sind die Hoheitsbefugnisse des Europäischen Stabilitätsmechanismus, zu vage seine im Fluss befindliche konkrete Ausgestaltung. Doch kann man bei genauem Hinsehen erkennen, wohin die Reise geht.

Eines dieser übersehenen Reiseziele ist die Abschaffung der Insolvenzfähigkeit einzelner Mitgliedstaaten der Eurozone. Es ist kein Zufall, dass niemand mehr davon spricht, ein Verfahren zur Ermöglichung von Staatsbankrotten einzuführen. Dies liegt an einer vertraglichen Innovation des ESM gegenüber der EFSF. Finanzhilfen des ESM können ausweislich Art. 3 ESMV dann gewährt werden, wenn dies „zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist". Die Formulierung findet Widerhall in § 2 ESMFinG. Doch in der Frage, unter welchen Umständen Finanzhilfen zulässig sind, unterscheidet sich der ESM merklich von dem EFSF-Vertrag, dem zugehörigen nationalstaatlichen § 1 Abs. 2 StabMechG und dem neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV. Diese sehen Hilfen allesamt nur dann vor, wenn sie unabdingbar sind, „um die Stabilität des Euro-Währungsgebietes insgesamt zu wahren". Von Finanzhilfen zur Wahrung der Finanzstabilität eines Mitgliedstaats der Eurozone, wenn nicht die Eurozone als Ganzes gefährdet ist, ist bei der EFSF keine Rede.

Gleichwohl liegt inzwischen der zypriotische Antrag an die EFSF vor. [...]

Die Aufweichung der Hilfskriterien am Beispiel Zyperns bedeutet eine Aufweichung der angeblichen Konditionalität der Hilfsprogramme. Wenn selbst Zypern wegen Gefährdung der Finanzstabilität der Eurozone Anspruch auf Finanzhilfen hat, dann gibt es keine Grenzen für Hilfsprogramme mehr. Folgerichtig werden sämtliche Länder der Eurozone mit Finanzierungsproblemen Hilfsprogramme beantragen. Damit ist faktisch ausgeschlossen, dass jemals wieder ein Staat der Eurozone insolvent wird. [...]

Die Mitgliedstaaten der Eurozone haben inzwischen ihre eigenständige Insolvenzfähigkeit verloren. Nur noch die Eurozone als Ganzes kann bankrott gehen. Das kann nur zu einem führen, nämlich dass mittelfristig alle Schulden der Südländer unter den Rettungsschirmen gemeinschaftliche Schulden werden. Da für Anleihen des ESM ohnehin bereits eine gemeinschaftliche Haftung der Eurozone besteht, ist der Weg zu Euroland-Bonds im großen Umfang nicht mehr weit.

Der ESM wird sich zu einer europäischen Schuldenagentur entwickeln, möglicherweise sogar mit eigenem Zentralbankzugang. Sein Haftungsvolumen wird sich stetig ausweiten müssen. [...] Dann hat die Begründung der europäischen Haftungsunion zwei Ursachen: den doppelten kollektiven und absichtlichen Bruch europäischen Rechts, zunächst im Jahr 2010 der Nichtbeistandsklausel und heute durch Aufweichung des Kriteriums „Gefährdung der Eurozone als Ganzes".
Nun, noch ist nicht aller Tage Abend und nicht jede Hoffnung zunichte, denkt der Optimist und klammert sich an den papierenen Strohalm eines BVerfG-Urteils, das diesem Wahnwitz vielleicht Einhalt gebieten könnte.

Wohlgemerkt: könnte! Wird's aber nicht spielen. Kollege Morgenländer hat eine Titelzeile der FAZ gegen den Strich gebürstet und kommt auf richtige (wenngleich nicht eben erfreuliche) Assoziationen:
Wer wie Martin Schulz (Präsident des Europäischen Parlaments) dem BVerfG vorwirft, seine Urteile seien "teilweise von großer Unkenntnis geprägt", oder wie der EU-Parlamentarier Alexander Graf Lambsdorff (FDP) erklärt, die Richter des Bundesverfassungsgerichts seien nicht mit allen Vorgängen in Europa ausreichend vertraut, weshalb es manchmal zu Fehleinschätzungen komme, die Deutschland in seiner Handlungsfähigkeit einschränkten, dem könnte man vielleicht wirklich Putschgelüste nachsagen - umso mehr, als das BVerfG morgen über die Eilanträge zum ESM verhandelt.

SPON jedenfalls sieht es so und titelt "Politiker setzen Verfassungsrichter unter Druck."
Die hinterhältige Pointe möge jeder selbst nachlesen ...

Der 10. Juli 2012 wird einst vielleicht — nach dem 20. Juli 1944 — als einer der Schicksalstage der deutschen Geschichte angesehen werden. Nur daß am 10. Juli das Attentat geglückt sein wird. In Ermangelung eines Führers (daß IM Erika eine Führerfigur wäre, wird doch wohl niemand ernsthaft behaupten wollen) begnügt man sich diesmal damit, das Volksvermögen der Deutschen in die Luft zu blasen. Und statt der Fixierung auf die Vorgänge in der Wolfsschanze beschwört man mantraartig die Rettungsschanzen (wie Piefkes halt das Wort »Chancen« auszusprechen belieben ...), die der Europäische Sado-Maso-Club bietet, indem alle für alle haften, wenn alle bei allen borgen, und die Deutschen dann für alle zahlen, bis alle endgültig pleite sind.

Fukuyama kreierte nach dem Zerfall des Ostblocks den Begriff »Ende der Geschichte«. Das war vielleicht ein bisserl voreilig, denn so, wie's aussieht, stehen wir erst am Beginn einer Geschichte (wenngleich keiner wunderbaren Freundschaft, denn Freundschaften pflegen zwischen Pleitiers und ihren Bürgen meist in die Brüche zu gehen, so schnöde wirkt der Mammon ...), deren Ende wird vielleicht gar nicht erleben wollen.

Mittwoch, 4. Juli 2012

Von der Waterkant bis ins Burgenland ...

... jubelt alles über die Rettung des Euro, denn der Euro ist Europa. Und Europa ist die EU und die EU ist das Friedensprojekt. Oder so.

Fangen wir im Norden an, wo »der alte Häuptling der Indianer, Helmut Schmidt«, wie ihn Blog-Kollege Karl-Eduard treffend nennt, sein Herz über die Hürde werfen will, respektive solches anrät zu tun:
Immer noch gilt Eric Warburgs Mahnung: ‚Wir Deutschen haben dafür zu sorgen, dass wir niemals wieder so tief fallen – aber auch dafür, dass wir nicht allzu hoch steigen.‘
... läßt sich Althäuptling Heller-Mut-der-das-Eisen-schlägt vernehmen. Nun: dafür, daß ersteres trotzdem geschieht, sorgen die Nachfolger des Althäuptlings, die auf seinen ruhmreichen Spuren wandeln. Für letzteres sorgen schon die Siegermächte, welche seit 1945 erfolgreich verhindern, daß Deutschland höher steigt, als es ihnen in den Kram paßt: also hoch genug, um das Füllhorn über Europa bequem ausschütten zu können, aber nicht hoch genug, daß man es nicht jederzeit mit erhobener Nazikeule niederprügeln könnte ...

Althäuptling Heller-Mut-der-das-Eisen-schlägt rät also, sein Herz über die Hürde zu werfen. Was immer er damit meinen könnte. Vermutlich das, was dem Herzen am nächsten ist, nämlich die über dem Herzen getragene Brieftasche, die zielsicher (»target2« heißt es nicht von ungefähr!) gen Süden, Osten und Westen zu schleudern ist, wo man sich daran bedienen möge, auf daß Deutschland nicht allzu hoch steige.

Doch nicht nur an der Waterkant, nein auch im Österland erklingen bemerkenswerte Sätze:
Wir sollten mit der Beruhigung in die Zukunft gehen, dass auch wir (also Österreich, Anm.) einmal unter den Rettungsschirm schlüpfen können ...
... meinte Grünen-Obmännin Glawischnigg vorgestern. Was die Kommentatorin »Rennziege« auf Ortner-Online zur ätzenden Replik veranlaßte:
Die Sprüche der bezaubernde Eva G. gleichen denen eines Boxtrainers, der zu seinem bewusstlos von der Ringmatte gekratzten Schützling sagt: “Du hast einen großartigen Kampf geliefert. Chapeau! Die Zukunft gehört dir; denn in der Reha wirst du jeden Fight gegen die Koma-Patienten gewinnen.”
Womit wir endgültig in der Kategorie »Burgenländerwitze« gelandet wären (und dem Titel dieses Postings gerecht werden).

Man erinnert sich vielleicht noch an die goldenen, oder, bessergesagt: keynesianischen, 1970er-Jahre, als in Europa das Zahlen mit Scheck erstmals so richtig in Schwung und Mode kam. Als demnach noch der Schilling (bzw. die DM) existierte (der Witz läßt sich unschwer auch zum Ostfriesenwitz umdesignen). Damals also wurde der kleine Glawischnigg-Bauer aus dem tiefsten Burgenland vom örtlichen RAIKA-Filialleiter überzeugt, doch nicht mehr mit diesem lästigen Bargeld herumzutun, sondern mit Schecks zu zahlen. »Das ist ganz einfach: Sie fragen sicherheitshalber, ob man Schecks annimmt (aber wer täte das heute nicht!), schreiben den Betrag auf diesen Scheckvordruck, unterschreiben — und fertig! Nie wieder verlorengegangenen Geldscheine nachweinen, man kann Sie nicht mehr bestehlen, denn ohne Ihre Unterschrift ist der Scheck nicht gültig.«

Der Glawischnigg-Bauer ist überzeugt und fährt mit dem Traktor gleich in die Bezirksstadt, wo ihm immer schon ein schicker VW im Autohaus gefallen hätte ...
»Wieviel kostet denn der?«
»Wenn Sie ihn sofort zahlen, können wir Ihnen einen Rabatt anbieten!«
»Nehmen Sie Schecks?«
»Aber sicher!«

UNd weiter zum Möbelhaus, um eine neue Schlafzimmereinrichtung zu erstehen. »Nehmen Sie Schecks?« ... und zur Landmaschinenfirma wegen eines Heuladers: »Nehmen Sie Schecks?« »Aber natürlich!« ... und zu... »Nehmen Sie Schecks?« »Selbstverständlich gern!«

Als der Glawischnigg-Bauer am übernächsten Tag über die Dorfstraße geht läuft ihm der RAIKA-Leiter mit Schaum vor dem Mund aus der Filiale entgegen und lallt: »He, Sie! Sind Sie verrückt geworden! Ihr Konto ist mit zweihunderttausend Schilling überzogen! Wie stellen Sie sich das vor? Wie wollen Sie das denn bezahlen?«

Der Glawischnigg-Bauer ist fassungslos. Aber dann hat er einen Gedankenblitz. Er greift in seine Hosentasche, zückt sein Scheckbuch und fragt: »Nehmen Sie Schecks?«

Der ESM funktioniert genauso, wie dieser Witz. Bessergesagt: genausowenig. Und das ist leider kein Witz ...