Und so sehen wir die humanoide Fratze unserer europäischen Gesellschaft, die es zwar aus »Gewissensgründen« unzumutbar findet, wenn Kinder im Klassenzimmer an der Wand ein Kreuz sehen oder eine Pflegerin im Altersheim einen Kreuzanhänger an der Halskette trägt *), aber nicht davor zurückschreckt, einen Arzt oder eine Operationsschwester zu Abtreibungen zu verpflichten — mit der finalen Sanktionsmöglichkeit der Kündigung.
Im einzelnen wird gefordert, die Krankenhäuser und ihr Personal zu verpflichten, alle Maßnahmen bereit zu stellen, auf die nach der Norm ein Anspruch besteht („to oblige the healthcare provider to provide the desired treatment to which the patient is legally entitled“) – ungeachtet etwaiger Vorbehalte aus Gewissensnot („despite his or her conscientious objection“)So, genau so, habe ich mir »Gewissensfreiheit« schon immer vorgestellt: wer kein Gewissen hat, ist frei zu tun, was er will.
Das neue Feindbild der EU, der „conscientious objector“, dem man in der Verfassung noch „recognition“ (also: Anerkennung) garantiert, soll keinen Millimeter Raum mehr bekommen. So würden die Krankenhäuser in einem etwaigen Gesetz auf Grundlage des Reports, das dann das Europäische Parlament zu beschließen hätte, angewiesen, die vorgetragenen Gewissensvorbehalte eigens zu prüfen („that his or her objection is grounded in their conscience or religious beliefs and that the refusal is done in good faith“), eine Kartei mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern anzulegen, die immer noch den Mut haben, mehr auf die Stimme ihres Gewissens als auf die Stimme der EU zu hören („mandate the creation of a registry of conscientious objectors“) und den renitenten Medizinern zur Abschreckung möglicher Nachahmer mit geeigneten Maßnahmen entgegenzutreten („establish effective complaint mechanisms“), die dann, bei entsprechend vielen „complaints“ auch arbeitsrechtlicher Natur sein werden.
Damit das künftig nicht soviel Ärger macht, die ganzen schwarzen Listen zu führen, Beschwerdestellen zu unterhalten sowie Abmahnungen, Versetzungsanweisungen und Kündigungsschreiben zu fertigen und damit am Ende nicht etwa doch noch jemand auf die kühne Idee kommt, zart auf Artikel 10.2 der Europäischen Grundrechtscharta hinzuweisen bzw. damit das Gesetz verfassungskonform zustande kommt, soll dieser ominöse Artikel 10.2 gleich mal in seinem Geltungsbereich eingeschränkt werden: Gewissensfreiheit ja, aber nicht für Krankenhauspersonal. Ganz unverblümt ist im Forderungskatalog des Reports der Vermerk zu finden, der Gesetzgeber möge doch Nägel mit Köpfen machen und Krankenhäuser („public/state institutions, such as public hospitals and clinics“) als solche ein für alle mal ausnehmen von dieser furchtbar lästigen Gewährleistung der Anerkennung des Gewissensvorbehalts („guarantee of the right to conscientious objection“).(Hier weiterlesen)
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*) was natürlich mit dem völlig unbezweifelbaren Recht z.B. eines Sikhs, immer und überall seinen Turban tragen zu dürfen, oder eines Moslems, den Verkauf von alkoholischen Produkten (auch an Nicht-Moslems) zu verweigern, in keinster Weise vergleichbar ist, selbstmurmelnd ...