Montag, 13. September 2010

FAZ auf »Körperzellenrock«

Unter diesem Titel findet sich ein bemerkenswerter Artikel aus der Feder bzw. Tastatur von Volker Zastrow in der heutigen FAZ:
Was Thilo Sarrazin gesagt hat, ist also nicht „auszuhalten“, seine Beschreibung der Welt „unerträglich“? Das meinen jedenfalls die intellektuellen Lobbyisten und kriegen sich kaum noch ein vor bebender Empörung. Dabei zeigt ihr Meinungskrieg in Schleimsprache nur eins: Wie unreif das deutsche Verhältnis zur Freiheit ist.
Und wohl nicht nur das deutsche Verhältnis. Es geht um das Verhältnis, das unsere westliche Welt, seitdem sie in den Würgegriff der political correctness geraten ist, das seitdem nicht einmal ein schlampig-unreifes, sondern genaugenommen ein Nicht-Verhältnis ist.
„Ertragen“ ist eines dieser Stichworte, das auch auf Steinbach und andere gemünzt wird in diesen Tagen - von intellektuellen Lobbyisten, die totale Meinungskriege führen. Es sind Wortkriege in Schleimsprache: Man kann nicht „ertragen“, dass einer was sagt oder mit am Tisch sitzt, es ist „nicht hilfreich“, wenn einer ein Buch schreibt. Nicht hilfreich, nicht zu ertragen, so lauten soziale Todesurteile unter den Nacktschnecken, die auf der eigenen Schleimspur Karriere machen, nach oben, ganz oben.

Wie wunderbar schneckisch diese Erklärung des Merkel-Sprechers, es ist gut, einvernehmliche Regelung, endlich in Ruhe, wichtigen Aufgaben. Der Bundespräsident höchstselbst presst einen Bundesbankvorstand aus dem Amt, Rechtsgrundlagen: nicht nötig, zum Schluss wird geschmiert. Es ist nur noch widerlich, würdelos, pflichtvergessen.
Wer freilich könnte ernstlich von derartigen Schießbudenfiguren, wie sie seit Jahrzehnten die meisten Plätze unserer Politiklandschaft besetzen, denn Würde und Pflichtbewußtsein erwarten? Ihre Würde ist die abgehobene Anmaßung, es besser zu wissen, als der Stimmpöbel da unten, ihre Pflicht ist, für ihre Karriere zu buckeln und, wenn sie erst oben angelangt sind, sich gegen die unter ihnen Buckelnden erkenntlich zu zeigen, damit das Pyramidenspiel weitergeht.
Wir lieben es nicht, das offene Wort, den Freimut, die Ehrlichkeit. Nicht privat, und öffentlich erst recht nicht. Da gilt Null Toleranz. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut, aber bitte ph-neutral.
Einspruch: »wir« hätten nichts gegen das offene Wort, den Freimut, die Ehrlichkeit! Das sieht man, sobald man seine Nase ins alltägliche Leben steckt: mit dem Handwerker (oder seinem Angestellten) von nebenan oder im Gasthaus an der Theke diskutiert, oder auch nur in die abertausenden Blogs und Foren reinsieht, in denen eines der wichtigsten Themen genau das ist: daß uns eine Schicht von Meinungsmachern und -mächtigen in geistiger Sklaverei halten will, indem sie fordern, nichts so zu nennen, wie es ist, sondern immer so zu tun, als wäre es, wie es — aber bloß nach deren Meinung! — zu sein hätte. Aber vermutlich hat der Autor mit diesem »wir« auch bloß die Selbstsicht ebendieser Machthaberer charakterisieren wollen.
Bei der Meinungsfreiheit geht es ja nicht um Abstraktes. Sondern um Macht. Darum, wer anderen das Maul verbieten kann - schon klar, nicht verbieten, nur verdreschen - und wer es verboten, verdroschen kriegt. Diese Macht haben und nutzen die Lobbyisten und Meinungszüchtiger, die Mönchskrieger der öffentlichen Sprach- und Denkwirtschaft. Und natürlich die Nacktschnecken in ihrer weltanschaulich gefestigten Neutralität. Sie wirken, laut Artikel 21 GG, an der politischen Willensbildung des Volkes mit.
Grandios auf den Punkt gebracht! Und dann folgt noch ein Link auf ein herrlich subversives Youtube-Video — und dieser Link paßt wie angegossen. Ja — so, genau so hätten sie uns gern, unsere selbsternannten Eliten! Und deshalb auch ihr abgrundtiefer Haß auf Sarrazin, einen der ehemals ihren, der es wagte, den Comment zu brechen und ihr Projekt »Brave New World« zu stören ...

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