von Franz Lechner
Die
Sechste zählt heute zu den beliebtesten Symphonien Bruckners, was ihrer
Wertschätzung durch den Komponisten selbst (er sprach von seiner
„Kecksten“), aber nicht der langjährigen Rezeptionsgeschichte
entspricht. Für diese Änderung gibt es mehrere Gründe:
a) das in der
Kunstgeschichte vielfach zu beobachtende Phänomen der „Gegenreaktion“,
sei es, um mit Traditionen zu brechen oder einfach nur aus Neugierde
über etwas bislang aus welchen Gründen auch immer Vernachlässigtes
b) die „Modernisierung“ des Bruckner-Bildes, d.h. naturgemäß dessen Anpassung an zeitgeistige Strömungen, die für „Pathos“ und „Weiheton“ (© Richard Strauss) nicht viel übrighaben; beides findet sich in der Sechsten so gut wie nicht,
c) schlichte „aufführungstaktische“ Überlegungen – die
Sechste ist kürzer als alle anderen nach 1872 entstandenen
Brucknersymphonien (Spätfassungen der II. und III. nicht eingerechnet).
Mit
diesem Phänomen ist indes nicht durchgehend eine Änderung in der
Interpretation des traditionell als schwächsten Satz empfundenen Finales
verbunden, sodass alle alten Vorbehalte eigentlich weiterbestehen
müssten. Indes scheint man sich in letzter Zeit mit Kritik an diesem
Satz zurückzuhalten. Noch in den 1980er Jahren fühlte sich der
seinerzeitige „Musickkriticker“ (© Georg Kreisler) der Wiener Tageszeitung „Die Presse“ zu einer
äußerst gehässigen Kritik des Werks (und nicht etwa der Aufführung)
bemüßigt, und sogar der Dirigent Georg Tintner wusste noch etwa 20 Jahre
später in der CD-Beilage seiner Naxos-Einspielung einiges zu
kritisieren. Diese Meinungen, die sich in erster Linie an den exzessiv
verwendeten Sequenzierungstechniken in der Finalreprise stoßen dürften,
stehen keineswegs alleine. Was ist von ihnen zu halten?
Nun,
zunächst muss gesagt werden: kein Rauch ohne Feuer. Allerdings muss auch
gesagt werden, dass dieses Finale bis in die Gegenwart zumeist falsch
interpretiert und um seine Wirkung gebracht wird. Bruckner schreibt für
die gesamte Durchführung ein langsames Tempo vor, und erst mit dem
Einsetzen der Reprise des Hauptthemas, die aus jenen ominösen Sequenzen
(„Rosalien“) besteht, hat die Musik ins flotte Eingangstempo zu
verfallen. Dieser Umstand wird von den allermeisten Dirigenten verkannt,
ist jedoch ungemein wichtig. Nur mit dieser jähen Temporückung, mit
diesem besonderen Impuls wird die scheinbare Banalität der penetrant auf
die Spitze getriebenen thematischen Arbeit verständlich. Diese ist frei
von Brucknerschem Pathos und Brucknerscher Schwere, aber ganz sicher
nicht von Ironie, was sich schon in der Durchführung abzuzeichnen hatte,
deren langsames Tempo wie eine ironische Verfremdung wirkt.
Herkömmliche Interpretationen verkennen diese Umstände vollständig.
Durch das frühzeitig erreichte schnelle Tempo entsteht so etwas wie eine
scheinbar auf organische Wirkung bedachte Steigerung, die ohne
besondere Überraschung in den fff-Höhepunkt des Repriseneintritts
mündet, der nunmehr müde und abgenützt klingt, aber sich trotzdem wie
ein typischer Brucknerhöhepunkt von Klangfülle und Pathos präsentiert
wird.
Die Ehre, Bruckners Sechste als erster richtig interpretiert zu haben, steht m.E. Roger Norrington zu. Keine Frage, dass seine im sattsam bekannten sogenannten Stuttgarter Klang resultierende Ergebnisse eines allzu bemüht originellen Musizierens in der Regel und völlig zurecht sehr negativ beurteilt werden (LePenseur würde hier auf das von ihm sehr geschätzte Giftmaul David Hurwitz verweisen) – hier hat zu gelten: Ehre wem Ehre gebührt. Sein Schüler, Markus Poschner hat die Sechste nunmehr mustergültig eingespielt. In dieser Interpretation wird ersichtlich, dass dieses Finale im Brucknerschen Oeuvre völlig einzigartig dasteht. Nun gut, dies gilt eigentlich für wirklich jeden Brucknerschen Symphoniesatz, entgegen einem landläufigen Stereotyp hat sich Bruckner niemals wiederholt. Aber dieser Satz fällt als echter schmissiger Kehraus voller Burleske und deftigen Humor schon besonders deutlich aus dem Rahmen.
Was ist sonst über die „Keckste“ zu sagen?
An sich sehr viel, besonders über ihren metrischen Aufbau (so besteht etwa der Kopfsatz eigentlich durchgehend aus rhythmisch-metrisch organisierten Klangcontinua, die mitunter sogar mit der thematischen Substanz identisch sind). Ich will mich aber nunmehr kurzfassen: Die Musik ist einfach herrlich.
Hier Norrington – nur zu Demonstrationszwecken ... ja nicht ganz anhören!
https://youtu.be/G3gFfDnYqII
Entscheidende Stelle (Beginn der Finalreprise): 49:15
Hier eine musikalisch sehr gute, aber hinsichtlich des Finales konservative Interpretation
Entscheidende Stelle 51:00, hier mit Accelerando gelöst, vor allem nach 52:00
https://youtu.be/ocxKH-pBTSQ
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