Unlängst verstieg sich ein Kommentator zur Aussage, daß man angesichts dessen, was einer französischen Außenministerin, die jetzt zurückgetreten wurde, vorzuwerfen sei (nämlich ihr Ratschlag an Tunesiens Ben Ali, die Demonstranten niederzuschießen) und der beispiellosen Dreistigkeit, mit der sich Guttenberg an sein Ministeramt klammere, nachdem man ihn als »Betrüger« enttarnt hätte, wohl den Unterschied zwischen einer richtigen demokratischen Gesinnung und dem durch Guttenberg inkarnierten Gegenteil davon erkenne. Klar doch: in Tunesien geht's nur um erschossene Demonstranten, in Bayreuth um die »Glaubwürdigkeit der Wissenschaft« ...
Na ja ...
Zunächst mal: ich halte Guttenberg für einen passablen Ankündigungsminister mit Sinn für PR. Das war er schon früher als Wirtschaftsminister, das ist er jetzt als Verteidigungsminister. Womit er sich bestenfalls durch seinen bisherigen Sinn für PR von anderen, real existierenden Politikern unterschied. Außerdem hielt ich ihn schon immer für einen geschniegelten Laffen — was ihn in meinen Augen von den größtenteils ungeschniegelten grauen Parteimäusen ebenso positiv abhob, wie von echten Persönlichkeiten — die man in der Politik seit Jahr(zehnt)en ohnehin vergeblich sucht — negativ.
Was jetzt um diese »Affaire G.« jedoch betrieben wird, läßt mich nur noch mit dem schalen Beigeschmack der Anwiderung zurück. Und mit der Vermutung, daß, soweit die Meute männlich ist — d.h. besser: xy-Chromosomen im Genom besitzt, denn von Männlichkeit sind die meisten seit jeher so weit entfernt, wie Guttenberg jetzt vom Doktorat! —, sie ihm vor allem seine appetitlich aussehende Frau zu neidig ist, bzw. soweit weiblich — mit den analogen Einschränkungen s.o. — sie als enttäuschte Guttenberg-Groupies zu Waffen weiblichen Megärentums greift. »Da werden Weiber zu Hyänen / sie treiben mit Entsetzen Scherz«, wußte schon Schiller ... ...
Was hat der nun gescholtene Freiherr denn Schreckliches getan? Er hat eine Dissertation voll Belanglosigkeiten verfaßt bzw. kopiert, und dadurch einen Doktor ergattert, der ihm mittlerweile, nachdem es aufgeflogen ist, entzogen wurde. Die allwissende Wikipedia (die vor Plagiaten nur so strotzt — who cares?!) definiert folgendermaßen:
Unter Betrug versteht manNa gut — wo also soll der »Betrug« Guttenbergs liegen? Den strafrechtlichen Betrug kann man, so man sich nicht lächerlich machen will, gleich abhaken. Wurde jemand jemals wegen seines Doktorgrades zum Verteidigungsminister? Oder hat Guttenberg sich um eine Assistentenstelle an der Uni beworben, und wurde wegen seines Doktorats einem ungeschwindelten Doktor oder auch Nicht-Doktor vorgezogen? Na also ...
- im strafrechtlichen Sinn ein Vermögensdelikt, bei dem der Täter in rechtswidriger Bereicherungsabsicht das Opfer durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen gezielt so irreführt, dass es sich selbst oder einen Dritten am Vermögen schädigt, d. h. materiellen Schaden zufügt.
- im nichtstrafrechtlichen Sinn eine Vorspiegelung falscher Tatsachen, die nicht auf einen Vermögensvorteil abzielt und damit eine strafrechtlich gesehen irrelevante Form des Betrugs ist (zur Abgrenzung auch als "Betrügerei" bezeichnet). Voraussetzung dafür ist allerdings, dass der Täter dabei keine anderen strafbaren Delikte begeht. Motive hierfür sind oft immaterielle Werte wie wissenschaftlicher Ruhm; eine Bestrafung hat allenfalls außergerichtlich zu erfolgen.
Bleibt also der nichtstrafrechtliche Sinn, die »Betrügerei«. Nun, dazu ist zu sagen: Guttenberg ist Politiker — und man nenne mir einen, der in diesem Sinne (bspw. um gut dazustehen, um wiedergewählt zu werden, um einen Posten zu kriegen, um ... just name it!) noch nie »betrogen« hätte. Bitte nur einen ... na, kann doch nicht so schwer sein, oder? Ich warte gespannt ...
Besonders lächerlich machen sich in meinen Augen jene, die jetzt von einem »Verrat an der Wissenschaft« daherschwadronieren (als ob Guttenberg eine Professur in Verfassungsrecht angestrebt hätte!), oder gar die »hohen ethischen Prinzipien der Wissenschaft« verletzt betrachten, die schließlich auf der »Tugend der Wahrhaftigkeit« fuße. Ach, Kinder, was soll der Unsinn!
Ich kann das als Jurist der gaaaanz alten Studienordnung, der Thun-Hohenstein'schen nämlich, sine ira et studio betrachten: zu meiner Promotion war noch keine Dissertation vonnöten — ich promovierte nach drei Staatsprüfungen und einem Pflichtkolloquium in Rechtsphilosophie durch Ablegung dreier ekelhafter Rigorosen: eines rechtshistorischen, eines judiziellen und eines staatswissenschaftlichen. Denn der weise kaiserlich-österreichische Gesetzgeber hatte seinerzeit für die typischen »Berufsdoktorate« der Anwälte und Ärzte schlicht und einfach auf das Erfordernis einer Dissertation verzichtet, und so der Menschheit viel unnötig bedrucktes Papier erspart!
Im Gegensatz zum (sagen wir mal) Kunsthistoriker oder Paläontologen, der irgendwie seinen Beruf verfehlt hat, wenn er kein Wissenschaftler ist, ist ein Arzt oder Anwalt (oder rechtskundiger Beamter) nur in Ausnahmefällen — und als letztlich völlig überflüssiges Zusatzornament — »Wissenschaftler«. Hier ist das Doktorat einfach das zustehende Dekorum für die Absolvierung schwerer Prüfungen (nichts anderes heißt ja: »Rigorosum«). Wer dann partout auch noch »Wissenschaftler« sein wollte, konnte sich ja habilitieren ...
Daß der deutsche Gesetzgeber immer schon andere Kriterien anlegte, hat jedoch keineswegs zu einer höheren »Wissenschaftlichkeit« der medizinischen oder juristischen Disziplinen in Deutschland geführt, sondern bloß zur massenhaften Fabrikation völlig sinn- und zweckloser Pflichtübungen, die außer für ein paar Dissertationsdruckereien und -bindereien zu nichts, aber auch gar nichts nütze waren! Gelesen hat das eh keiner — außer, hoffentlich, dem Doktorvater (bzw. seinem Assistenten) und der bedauernswerten Ehefrau (oder meist noch: Freundin) des Dissertanten, die auf Druckfehler korrekturlas (Frauen haben zu derlei Liebesdiensten einfach mehr Geduld).
Zurück zum angeprangerten Freiherrn: ich wüßte allerdings durchaus einige Gründe, weshalb er zurücktreten sollte: z.B. halte ich seine Art, Untergebene, die in mediales Kreuzfeuer gerieten, einfach abzuservieren, für widerlich. Ein Ressortchef hat sich vor seine Leute zu stellen und sie nicht wie heiße Kartoffeln fallenzulassen, bloß weil die Journaille böse Schlagzeilen drechselt! Und ich vermisse in der Amtsführung das »Konzept«. Was Guttenberg als Verteidigungsminister will (außer: gut dastehen), hat sich mir noch nicht erschlossen. Nur könnte man mit dieser Begründung so ziemlich alle Politiker der westlichen Welt (und nicht nur dieser!) aus dem Amt kanten.
Aber: unterlassene Zitationen in einer Dissertation gehören nicht zu diesen Gründen. Nehmen wir doch spaßeshalber an, Guttenberg hätte alle die Zitate, die er einfach abschrieb, als solche gekennzeichnet. Dann hätte er halt statt 1300 Fußnoten 1900 Fußnoten gehabt. Und kein Problem mit »Wikiplag« (oder wie das heißt). Und (wegen der zusätzlichen Fußnotenzeilen) eine Dissertation von 500 Seiten Länge, statt einer von 475 Seiten. So what? Wäre dadurch der Wert seiner Dissertation wirklich gestiegen? Ich habe sie nicht durchstudiert (meine Restlebenszeit ist mir zu wertvoll, als daß ich auf ein mir völlig gleichgültiges Thema Tage verschwenden wollte!), aber das, was ich so beim Überfliegen mitbekommen habe: ja, ganz nette Gemeinplätze, ganz brauchbare Stoffsammlung, solide Gliederung und Themenübersicht — aber keine Aussage, keine großartig bahnbrechenden Erkenntnisse, die einen beglückt und staunend zurücklassen. Doch kurz gegengefragt: wieviele Dissertationen, in denen sich das fände, gibt es denn? Ich wage die Prognose: nicht allzu viele.
Wer jetzt Guttenberg für eine fundamentale Fehlkonstruktion unseres aufgeplusterten, und dadurch zutiefst verlogenen, »Wissenschaftsbetriebes« schlachten möchte, verletzt m.E. eine viel wichtigere Tugend als die der »wissenschaftlichen Wahrhaftigkeit« (mit der es, man denke nur an die gewissenlosen Fälschungen diverser Klima-Scharlatane, so weit nicht her sein dürfte!), nämlich die Tugend der Gerechtigkeit, um es mal pathetisch zu formulieren. Man könnte auch, zurückgenommener, »Fairneß« sagen. Guttenberg ist nach Aberkennung seines Doktorates ohnehin gestraft: der Teflon-Shooting-Star-Minister sieht im Moment ziemlich bescheiden aus der Wäsche, und kann eigentlich auf geraume Zeit eher unterirdisch gehen. Jedenfalls hat er sich unsterblich blamiert und wird diesen Fleck auf seiner schimmernd hellen Ritterrüstung auch durch noch so viel Mohrenwäsche nicht loswerden.
Daraus aber ein Drama für den »Wissenschaftsstandort Deutschland« zu stilisieren, oder die »Glaubwürdigkeit der Politik« in Gefahr zu wähnen (als ob irgendeiner diese Figuren sonst glaubwürdiger fände!) — das ist einfach überzogen und eigentlich nur aus der hämischen Genugtuung, daß ein bislang Unbesiegbarer endlich zur Strecke gebracht werden konnte, erklärbar. Und Häme ist zwar eine allzu menschliche, aber keine edle Gemütsregung, würde ich meinen ...
»In Wahrheit lügen wir alle« hat Prof. Peter Stiegnitz, der Begründer der Mentiologie, also der Erforschung des menschlichen Lügenverhaltens, einmal treffend formuliert. Ihm, und eigentlich nur ihm, würde ich die Fachkompetenz zutrauen, den »Fall Guttenberg« aufzuarbeiten. Und ich müßte mich in ihm sehr täuschen, wenn er es mit jener ätzenden moralinsauren Besserwisserei täte, die im Moment Wissenschaftler und »Wissenschaftler« aller Sorten— und dazu jede Menge schadenfroher Stammtischphilosophen an den Tag legen.