… wurde zu Brixen (im heutigen Südtirol)
Sigismund Waitz geboren — schon der zweite (allerdings recht anders geartete!)
Sigismund, dessen auf diesem Blog in diesem Monat Mai gedacht wird. Wobei Sigismund Waitz in vielen Dokumenten (so z.B. in seinem Maturazeugnis) übrigens auch oft als »Sigmund« firmiert, bis sich schließlich durch den aus dem Italienischen (hier kennt man eigentlich nur einen »Sigismondo«) beeinflußten Kurialgebrauch des Vatikans im Lauf der Jahre »Sigismund« durchsetzte.
Wer war nun dieser Sigismund Waitz, der eben heute vor 150 Jahren das Licht der Welt erblickte? Ein heute weitgehend in Vergessenheit geratener Kirchenfürst, vorwiegend der Zwischenkriegszeit, zunächst Professor für Moraltheologie, dann ab 1913 Generalvikar und Weihbischof von Brixen für den Vorarlberger Anteil dieser Diözese (was heute das Bistum Feldkirch umfaßt), sodann nach dem Ersten Weltkrieg, infolge der Besetzung Tirols durch die Italiener, Apostolischer Administrator von Innsbruck-Feldkirch (aus welcher später neben Feldkirch auch die Diözese Innsbruck hervorging), und schließlich, ab 1934, Fürst-Erzbischof von Salzburg, Primas Germaniæ und Legatus natus des Heiligen Stuhles für Deutschland.
Es wird den Lesern dieses Blogs sicherlich schon aufgefallen sein, daß hier mit einer gewissen Vorliebe — freilich nicht immer! — derer gedacht wird, die in der Wahrnehmung der Mit- und Nachwelt »nur« in der zweiten Reihe standen. Denn diese sind oft weit aufschlußreicher als die »prominenten« Figuren, die schon viel zu oft in gewisse Schubladen gesteckt wurden, als daß man sie noch unvoreingenommen einordnen könnte.
Der junge Sigismund Waitz entstammte einer wohlhabenden Brixener Mittelstandsfamilie, unter seinen Verwandten befand sich ein Großonkel,
Vinzenz Gasser, zur Zeit des Ersten Vaticanums
Fürstbischof von Brixen, und so war es nur natürlich, daß auch zwei der Söhne der Familie in den geistlichen Stand traten. So war die Bahn bereits gelegt für eine gewissen kirchliche »Karriere« (die freilich in solchen Fällen wohl meist nicht über eine Seminar-Professur oder eine Stellung als Domkapitular, Generalvikar etc. hinauszugehen pflegte).
Genau so begann auch bald die Laufbahn des jungen Priesters: nach einigen Posten als »Kooperator« (also Hilfsgeistlicher eines Pfarrers, heute meist »Kaplan« genannt), zuletzt in Innichen, promovierte Waitz im Dezember 1890 in Innsbruck zum Dr. theol. — und genau zu dieser Zeit kam es zu einer entscheidenden Wende im Leben des bis dahin zwar durchaus schon engagiert seelsorglich wirkenden, doch noch recht unauffälligen Priesters. Waitz berichtete darüber später:
In der Weihnachtszeit kam Prof. Dr. Schöpfer nach Innichen und gab mir die Anregung, soziale Fragen zu studieren. […] Das erste Werk, das ich daraufhin las, war ein Buch von P. Hammerstein S.J.: „Das soziale Wirken der Kirche“ und das Ergebnis ein Artikel über Bauernvereine. Das Studium der sozialen Fragen wurde von da ab mein Lebensstudium« (Sigmund Waitz, Erinnerungen, in: Brixener Chronik vom 8.6.1913, 8)
Prof. Schöpfer bewog seinen Bischof, Waitz vom Pfarrdienst freizustellen, und seine Ernennung zum Redakteur der »Brixener Chronik« zu gestatten. Seine Zeit wurde später als die Blütezeit dieses christlichsozial eingestellten Blattes angesehen, und trug ihm nicht nur die Gegnerschaft der von ihm — waren sie auch katholisch — bekämpften Konservativen, sondern natürlich noch viel mehr die der Liberalen und Sozialisten ein. Daneben engagierte sich Waitz als Obmann des Lehrlingsvereines, Präses des katholischen Gesellenvereines, als Fastenprediger, war Mitgründer des »Landesverbandes der Barmherzigkeit« (einer Vorgängerorganisation der Caritas), und hielt für die Seminaristen in Brixen Vorträge über soziale Fragen.
Die vielfältige Arbeitsbelastung (neben seiner Tätigkeit als Journalist und Buchautor wirkte Waitz auch als Seelsorger, Organisator von Pilgerreisen, Initiator von Kirchen-, Schul- und Sozialbauten) führte 1897 zu einer schweren Erkrankung mit monatelangem Krankenhausaufenthalt — als dessen Frucht ein weiteres Buch, »Christus und die Kranken«, erschien, welches mit seinem edlen Gedanken, daß
»…auch daraus den Kranken Hilfe und Trost erwachsen, daß die, welche sie pflegen und bedienen oder behandeln, von dem Heiland zarte Fürsorge und liebevolle Erbarmung lernen« (ebd., 4), zahlreiche Leser fand und mehrfach aufgelegt wurde.
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Caritasdirektor Gorbach — Fürst-Erzbischof Dr. Sigismund Waitz — Prof. Dr. Johannes Messner |
1899 wurde Sigismund Waitz zunächst zum Supplenten, 1901 dann zum ordentlichen Professor für Moraltheologie am Brixener Priesterseminar ernannt, und begeisterte durch seine schwungvollen Vorlesungen die Studenten. Diese behandelten auch die vielfältigen sozialen Fragen jener Tage — und beeinflußten damit auch das Werk seines später als Moraltheologe und Sozialethiker zu großer Bekanntheit gelangenden Schülers
Johannes Messner.
Ein weiterer Schüler, ganz anderer Art freilich, war 1903-05 der vor einigen Jahren seliggesprochene, damalige Erzherzog und spätere Kaiser
Karl, welcher zu einer Kur in Brixen weilend, Waitz als Religionslehrer zugeteilt bekam; zwischen dem sensiblen, jungen Prinzen und seinem Lehrer entwickelte sich eine tiefe, dauernde Freundschaft, welche u.a. dazu führte, daß Waitz 1904/05 für einige Zeit als Religionslehrer des jungen Erzherzogs nach Wien berufen wurde. Und als Karl sich 1911 mit Prinzessin
Zita von Parma verlobte, teilte er dies seinem verehrten Lehrer eigens in einem Telegramm mit.
Über jene Zeit des jüngeren, aufstrebenden Waitz schreibt der Südtiroler Kirchenhistoriker Josef Gelmi:
»… von 1886 bis 1913 entwickelte Waitz eine so vielseitige, fieberhafte und rasante Tätigkeit, daß man staunen muß, wie er überhaupt für all seine Aktivitäten die Zeit und die Kraft fand. Dieser rastlose Einsatz ging auch später weiter, als er Generalvikar in Vorarlberg und Administrator von Innsbruck-Feldkirch war. Auf die Frage, wo man den Bischof treffen könne, lautete die Antwort: „Auf dem Bahnhof“« (in: Helmut Alexander (Hg.), Sigismund Waitz – Seelsorger, Theologe und Kirchenfürst, Innsbruck 2010, 91).
Die nächste Station im Leben von Sigismund Waitz wurde damit schon angesprochen: als Generalvikar und Weihbischof —
Bischof von Cibyra in partibus infidelium — für Vorarlberg in Feldkirch (bzw. ab 1921 als Apostolischer Administrator für Feldkirch-Innsbruck). Die Diözese Brixen umfaßte nämlich bis zur Änderung der Diözesangrenzen nach dem Vaticanum II nur einen Teil (Deutsch-)Südtirols (dessen Rest, inklusive Meran und Bozen, gehörte zu Trient), dafür aber das heutige Osttirol und etwa 2/3 von Nordtirol, sowie Vorarlberg. Letzteres war zwar ein eigenes Kronland (später: Bundesland) Östereichs, bildete aber keine eigene Diözese, sondern wurde schon seit 1818 — da Brixen durch die Distanz und v.a. den Alpenhauptkamm und den Arlberg doch zu weit entfernt war, als daß eine direkte Leitung möglich gewesen wäre — durch einen eigenen Generalvikar (und zugleich Weihbischof) als »Zwischeninstanz« geleitet. Für diese Position wurde, trotz einigen Widerstands konservativer Kreise, die dem nicht bloß sozial, sondern auch »christlichsozial« engagierten Theologieprofessor nicht recht über den Weg trauten, Sigismund Waitz nominiert, und im April 1913 von Papst bestätigt. In bewährtem Eifer stürzte er sich in seine neue Tätigkeit (die freilich schon bald durch den Ausbruch des Ersten Weltkriegs überschattet wurde), welche er in seiner Tischrede bei der Festtafel nach der Bischofsweihe wie folgt umriß:
Ich will den Armen und Fremden und allen Bedürftigen um des Herrn willen milde und barmherzig sein. (Alexander, a.a.O., 143)
Recht bezeichnend für Waitz’ Einstellung ist auch sein gewählter Wappenspruch:
»Deus caritas est« — ein Bibelzitat, das jedenfalls seit seiner späteren Verwendung als
Arenga der ersten Enzyklika Benedikts XVI wohlbekannt ist.
Der Verlauf des Ersten Weltkriegs, der durch den bündniswidrigen Kriegseintritt Italiens an der Seite der Alliierten Mächte schließlich mit der Teilung Tirols endete, brachte — da der nun auf einmal »in Italien« residierende Bischof von Brixen die Leitung seines überwiegend in Österreich gelegenen Teiles der Diözese direkt nicht bewerkstelligen konnte, für Sigismund Waitz neben seiner Tätigkeit in Vorarlberg die zusätzliche Obsorge für den bei Österreich verbliebenen Teil Tirols (soweit er nicht direkt dem Erzbistum Salzburg unterstand), welche 1921 als »Apostolische Administratur Innsbruck-Feldkirch« als (jahrzehntelanges) Dauerprovisorium installiert wurde, bis diese schließlich in zwei neuerrichtete Diözesen —
nämlich Innsbruck, lat.
Oenipontan(a), und Feldkirch, lat.
Campotemplen(sis) — aufgeteilt wurde.
Neben seiner Stellung als Apostolischer Administrator profilierte sich Sigismund Waitz auch als Mitglied der Österreichischen Bischofskonferenz, und war insbesondere an den Stellungnahmen zu den drängenden sozialen Fragen der Zwischenkriegszeit federführend beteiligt. Hier kann sich die Wikipedia natürlich nicht verkneifen, Waitz ein »antisemitisches« Zitat um die Ohren zu schlagen (wenngleich sie danach zähneknirschend konzedieren muß, daß er dem Nationalsozialismus stets ablehnend und »betont distanziert« gegenüberstand):
1925 warnte Bischof Sigismund Waitz vor der „Weltgefahr des habgierigen, wucherischen, ungläubigen Judentums, dessen Macht unheimlich gestiegen“ sei.
Derlei Worte mögen heute, nach den Erfahrungen der Verfolgungen durch das NS-Regime, deplaciert wirken — damals freilich waren sie (und überhaupt zu einer Zeit, die durch politkorrekte Leisetreterei noch nicht angekränkelt war) durchaus übliche Stellungnahmen, die keineswegs einen besonders intransigenten Antisemiten kennzeichneten (solche pflegten sich da ganz anders auszudrücken!), und Qualifikationen, wie sie,
mutatis mutandis, übrigens auch gegenüber Liberalen und Sozialisten gebraucht zu werden pflegten. Und ebenso in die Gegenrichtung, wie man hinzufügen muß — oder, bessergesagt: müßte! Denn darauf wird von den linksgestrickten Meinungsmachern unserer Tage seltsamerweise fast immer »vergessen« …
Waitz war zu Ende der 20er-Jahre auch in die (Vor-)Verhandlungen zum Abschluß eines Konkordates mit dem Heiligen Stuhl eingebunden, was ihm seitens Wikipedia den Rüffel einträgt:
Waitz war nach dem Untergang der Monarchie politisch sehr rührig und wird als einer der Väter des autoritären christlichen Ständestaates (Austrofaschismus) bezeichnet. Als Gegenpol zu dem paramilitärischen republikanischen Schutzbund regte er schon früh die Schaffung einer ebenfalls paramilitärischen christlichsozialen „Heimwehr“ an.
Nun, nicht jeder, der ein Konkordat verhandeln will, wird deshalb schon zu einem der »Väter des autoritären christlichen Ständestaates«. Und daß nach (sic!) Schaffung des paramilitärischen Schutzbundes, der dezidiert antikatholisch und kirchenfeindlich eingestellt war, von christlich-bürgerlicher Seite über eine Verteidigung — eben auch in paramilitärischer Form — nachgedacht wurde, kann nur verübeln, wer allein eine sozialistische Agenda (die ja damals noch ganz hochoffiziell die »Diktatur des Proletariats« im Parteiprogramm stehen hatte, auch darauf sollte man nicht »vergessen«!) als legitim erachtet.
Ein weiteres Projekt, das von Waitz damals, letztlich nicht mehr erfolgreich, da ihm die Annexion Österreichs durch Hitler-Deutschland zuvorkam, betrieben wurde, war das der Wiedererrichtung der Universität Salzburg, welche ja in der Zeit der napoleonischen Kriege zu einem bloßen Priester-Lyzeum (1850 zur »Theologischen Fakultät« aufgewertet) geschrumpft war.
Damit ist auch die letzte Station der vielfältigen Tätigkeiten von Sigismund Waitz angesprochen: Salzburg. Nach dem Tode von Erzbischof Ignatius Rieder im Oktober 1934 wurde Waitz vom Salzburger Domkapitel am 10. Dezember 1934 einstimmig zum Nachfolger gewählt. Für den Gewählten kam dies höchst überraschend — er war schließlich schon über siebzig Jahre alt, und rechnete nicht im entferntesten damit. So antwortete er auf die Anfrage des päpstlichen Nuntius in Wien, Erzbischof
Sibilia, ob er diese Wahl annehme:
Ich habe in keiner Weise diese Stelle angestrebt oder gewünscht. Sollte es der bestimmte Wille des Hl. Vaters sein, so nehme ich die Wahl an. Ich überlasse es demnach vollständig dem Hl. Vater zu entscheiden.
Die feierliche Inthronisation zum Fürst-Erzbischof von Salzburg (Waitz sollte der vorletzte sein, der den altehrwürdigen Fürstentitel verwendete) fand am 27. Jänner 1935 statt; zum feierlichen Pontifikalamt in Gegenwart von Bischöfen der Nachbardiözesen Linz und Seckau (heute: Graz-Seckau) wurde u.a. ein vom Salzburger Domorganisten
Joseph Messner komponiertes
Te Deum uraufgeführt, wobei die große Zahl der anwesenden Geistlichkeit zu einer heiteren Episode führte, die ein Teilnehmer der Feierlichkeiten überlieferte:
Zu Beginn der Feier dauerte der Einzug der vielen geladenen Geistlichen länger als erwartet, die vorgesehene Begrüßungsmusik war aber schon zu Ende. Da setzte sich Joseph Messner an die Orgel und improvisierte in feierlichem Stil über den Operettenschlager aus Bernatzkys „Weißem Rößl“: „Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist, was kann der Sigismund dafür daß man ihn liebt?“ Als der neue Fürsterzbischof den Altarraum endlich erreicht hatte, beendete Messner sein Spiel mit einer kraftvollen Kadenz über die Worte „… daß man ihn liebt“. Waitz bedankte sich beim Festmahl in launigen Worten für das musikalische Extempore.« (Ingrid Loimer, Joseph Messner (1893-1969). Eine Biographie, Salzburg 2009, 62)
Bei diesem Festbankett wurde vom Salzburger Landeshauptmann auch angekündigt, er werde den neuen Erzbischof als Mitglied des Landtages einführen — Salzburg war damals das einzige Bundesland, in dem der Bischof noch Mitglied des Landtages (wenn auch nur mit beratender Stimme) war.
Daneben wurde die Position von Erzbischof Waitz als apostolischer Administrator von Innsbruck-Feldkirch vom Papst bestätigt, sodaß der fast 71-jährige nun drei Bundesländer (Salzburg, Tirol und Vorarlberg) geistlich zu führen hatte — ein in Österreichs jüngerer Kirchengeschichte einzigartiger Fall, der Waitz trotz seines Alters zu ständigen Reisen in seinen ausgedehnten und verkehrsungünstigen Territorien nötigte. Erst 1938 wurde mit
Paulus Rusch wieder ein eigener Administrator für Innsbruck-Feldkirch ernannt.
Das Verhältnis von Sigismund Waitz zum österreichischen Ständestaat (der von linker Seite gern als »Austrofaschismus« diffamiert wird, obwohl er weder mit Mussolinis Bewegung, noch gar mit Hitlers Nationalsozialismus Ähnlichkeit hatte!) ist schon mehrfach behandelt worden. Faktum ist (wie Papst Pius XI selbst erklärte), daß der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe (1925), den Waitz federführend, wenn auch unter Einfluß des Sozialethikers Johannes Messner und des Bundeskanzlers Prälat Ignaz Seipel, verfaßt hatte, für Pius XI wegweisend war für seine Enzyklika »
Quadragesimo anno« (zum Gedächtnis an »
Rerum novarum«, die vierzig Jahre davor erlassene erste Sozialenzyklika in der Geschichte der römisch-katholischen Kirche). Und »Quadragesimo anno« wiederum wurde von
Bundeskanzler Dollfuß zu geistigen Basis seines Ständestaats-Modells hochstilisiert, obwohl die Enzyklika zwar eine ständisch-christliche Gesellschaftsform propagierte, jedoch keine Aussagen über die Staatsform, oder gar -politik traf. Der Einfluß des nunmehrigen Fürst-Erzbischofs von Salzburg war also höchstens ein indirekter zu nennen, zumal sich Waitz in seiner neuen Funktion in politischen Fragen erkennbarer Zurückhaltung befleißigte. Aus der Formulierung im Weihnachtshirtenbrief der österreichischen Bischöfe 1933:
Auch der sogenannte allgemeine Volkswille begründet noch durchaus keine von Gott unabhängige Autorität, und kein staatliches Recht entsteht und besteht ohne oder gegen Gott.
… abzuleiten, daß Waitz damit
»… die Hauptverantwortung für diesen Freibrief für den autoritären Ständestaat zukommt«, wie es der Salzburger Historiker Alfred Rinnerthaler versucht, ist eine eklatante Überinterpretation einer an sich klassisch katholischen Staatstheologie, welche nun wahrlich zu ihrer Entwicklung und Ausgestaltung nicht erst eines autoritären Ständestaates bedurfte!
Richtig ist, daß Waitz sicherlich als einer der »politischsten« Bischöfe der Zwischenkriegszeit anzusehen ist — wobei man nicht vergessen sollte, daß sowohl der spätere Wiener Erzbischof und Kardinal
Innitzer als Sozialminister, als auch der u.a. für den Seckauer Bischofsstuhl vorgesehene
Prälat Seipel als Bundeskanzler, durchaus »politische« Persönlichkeiten waren, und der Typus des »Geistlichen in der Politik« damals nicht nur in Österreich, sondern auch in der deutschen Zentrumspartei, in diversen christlichen Parteien Süd- und Mitteleuropas, ja sogar in der kanadischen Provinz Quebec weitverbreitet war! Es ist ein Fehler, die Vergangenheit immer nur aus dem Blickwinkel der heutigen Zeit zu beurteilen — oder, ungeeigneter noch, abzuurteilen.
Erzbischof Waitz konzentrierte seine Kräfte für die — aufgrund seines fortgeschrittenen Alters erwartbar wenigen — Jahre seiner Amtsführung im wesentlichen auf zwei Projekte: die Abhaltung einer Diözesansynode (die beiden vorherigen hatten 1676 und 1906 stattgefunden) im Jahre 1937 und, damit auch im Zusammenhang stehend, die (Wieder-)Errichtung der »Universitas Catholica Salisburgensis«, für deren Errichtung 1934 vom österreichischen Ministerrat bereits ein »prinzipieller Beschluß« gefaßt worden war, die der damalige Bundespräsident Dr. Wilhelm Miklas bei einer Festansprache verlautbarte. Dazu, obwohl sich Waitz bereits Gedanken über die Fakultätsgliederung und die Zusammensetzung des Professorenkollegiums machte, sollte es durch den Einmarsch deutscher Truppen in Österreich nicht mehr kommen.
Damit sind wir bei letzten und sicher düstersten Kapitel im Leben von Erzbischof Waitz angelangt. Als papsttreuer Katholik, überzeugter Monarchist und Exponent der christlichen Soziallehre stand er dem Nationalsozialismus begreiflicherweise höchst kritisch-ablehnend gegenüber. Im »gemeinsamen Hirtenschreiben« vom 7.2.1932, wie auch im bereits zitierten Weihnachtshirtenbrief 1933, die beide erkennbar die Handschrift Waitz’ tragen, setzten sich die österreichischen Bischöfe mit dessen Ideologie und Praxis (soweit sie damals bereits erkennbar war) auseinander, und stellten im Hirtenbrief, in vier »Grundwahrheiten« zusammengefaßt, den Standpunkt des Christentums dem nationalsozialistischen gegenüber:
Erste Grundwahrheit: Die Menschheit ist eine einheitliche Familie, aufgebaut auf Gerechtigkeit und Liebe. Darum verurteilen Wir den nationalsozialistischen Rassenwahn, der zum Rassenhaß und zu Völkerkonflikten führt, ja führen muß; desgleichen verurteilen Wir das unchristliche Sterilisationsgesetz, das mit dem Naturrecht und dem katholischen Christentum in unversöhnlichem Widerspruch steht.
Zweite Grundwahrheit: Der wahre christliche Nationalismus ist von Gott gewollt und wird von der Kirche gebilligt; denn die Liebe zum eigenen Volke und die Anhänglichkeit an das Vaterland sind in der Natur des Menschen begründet. Darum predigen Wir die Tugend des christlichen Patriotismus, verurteilen den Verrat am Vaterland und verurteilen den radikalen Rassen-Antisemitismus.
Dritte Grundwahrheit: Nation und Staat sind verschieden und der Staat ist über der Nation. Darum verurteilen wir das extreme Nationalitätenprinzip, verteidigen die geschichtlichen Rechte unseres Vaterlandes und begrüßen die Pflege des österreichischen Gedankens.
Vierte Grundwahrheit: Über allem Nationalismus steht die Religion, die nicht national, sondern übernational ist. Die Religion vermag jede Nation zu veredeln. Sie gereicht darum jedem Volke zum Segen. Sie ist Ursprung und Förderung wahrer Kultur in jedem Volke. Aber sie ist nicht auf einzelne Völker beschränkt, sondern berufen, allen Völkern die Heilsbotschaft zu bringen und zugleich irdische Wohlfahrt vermitteln zu helfen.
Wie berechtigt die Sorgen der Bischöfe gewesen waren, erfuhren sie ab dem 12. März 1938, als Hitlers Truppen in Österreich einzogen — sicherlich unter dem Jubel weiter Teile der Bevölkerung, die sich vom »Anschluß« endlich eine Beendigung der wirtschaftlichen Stagnation und der Arbeitslosigkeit erhofften. Den Jubel hörte man, doch jene vielen, die damals nicht jubelten, blieben damals (und bis heute) weitgehend unbemerkt.
Die vieldiskutierte »Feierliche Erklärung« der österreichischen Bischöfe vom 21. März 1938, die heute gerade auch wegen des von Kardinal Innitzer von Regierungsseite abgenötigten, handschriftlich daruntergesetzten »Heil Hitler!« berühmt-berüchtigt ist, liest sich in den Erinnerungen von Waitz in ihrer Entstehung und mehrfach modifizierten Textgestaltung doch etwas »vielschichtiger«, als sie heute gern dargestellt wird. Daß diese Erklärung von den Nazis zu Propagandazwecken für die Volksabstimmung am 10. April 1938 ausgeschlachtet wurde, bescherte Kardinal Innitzer eine hochnotpeinliche Audienz bei Pius XI, in der er vom Papst zusammengeschrieen und zur Unterzeichnung einer vom damaligen Kardinalstaatssekretär Pacelli, dem späteren Pius XII, erstellten Gegenerklärung veranlaßt wurde.
Innerhalb kürzester Zeit beseitigten die neuen Machthaber allerdings jede Illusion, sich an geltende Rechtsnormen und getroffene Vereinbarungen zu halten: die Enteignung von Kirchengütern, die Schließung von Klöstern, die Beschlagnahme der erzbischöflichen Residenz zur Nutzung durch die SS, die Zerschlagung des gesamten kirchlichen Vereins- und Privatschulwesens, die Aufhebung der Theologischen Fakultät zu Salzburg, die Verhaftung einer Reihe von »unbequemen« Geistlichen und das Verbot schulischen Religionsunterrichts sprachen eine zu deutliche Sprache. Waitz sah sich auch mit persönlichen Angriffen konfrontiert, so erklangen von NS-Demonstranten im Oktober 1938 Sprechchöre wie »Wir wollen unseren Bischof sehen — in Dachau!«, »Nieder mit dem Pfaffen!«, oder »Sigismund, du schwarzer Hund!«, und wurden Fensterscheiben mit Steinen eingeworfen.
In ständig beengterer Position konnte Fürst-Erzbischof Waitz am 26. Oktober 1941, dem
Christkönigs-Sonntag, noch einmal eine persönliche Genugtuung erleben, als er in seiner Festpredigt im von begeisterten Gläubigen bis zum letzten Platz vollen Salzburger Dom das NS-Regime als
»Räuberstaat, dem jede Gerechtigkeit fehlt« apostrophierte. Waitz bemerkte danach bewegt:
»Ich sehe, daß das Salzburger Volk noch gut ist und so habe ich die beste Hoffnung, daß alles recht werden wird.«
Diese Hoffnung sollte der 78-jährige Kirchenfürst freilich nicht mehr erleben, denn nur wenige Tage nach der bemerkenswerten Predigt, am 30. Oktober 1941, spürte er bei seiner Morgenmesse um 6.30 Uhr plötzlich einen Stich im Herzen, konnte zwar noch die Messe beenden, mußte sich danach jedoch erschöpft nochmals hinlegen, und verschied friedlich um 8.45 Uhr. Sein plötzlicher Tod nach der aufsehenerregenden Predigt gab zu Gerüchten Anlaß, er sei von der Gestapo oder vom SD vergiftet worden — alle Umstände sprechen jedoch für eine natürliche Todesursache, die auch der vom erzbischöflichen Leibarzt ausgestellte Totenschein angab:
Thrombosis arterio-coronaris.
Noch am selben Tage wurde der verstorbene Erzbischof im großen Saal der Erzabtei St. Peter zu Salzburg aufgebahrt, und eine unübersehbare Menge von Menschen stieg
»die sonst so einsame Stiege zum Abteisaal hinaus, um das friedliche Antlitz des Verewigten zu schauen und an seiner Bahre zu beten. Legatenhut, Legatenkreuz, rotes Birett, Pallium und Fürstenhut bildeten die Symbole seiner verblichenen Gewalt« (so sein Neffe Franz Josef Waitz, zit. nach Alexander, a.a.O., 415).
Am 2. November 1941 verabschiedete sich eine vieltausendköpfige Menge im Dom von ihrem Bischof, wobei Weihbischof Johannes Filzer, der als Kapitelvikar interimistisch die Amtsgeschäfte führte, ein
»flammendes Gelöbnis zu feuriger Glaubenstreue und unerschütterlichem Glaubensmute im Sinne der Christkönigspredigt des Verewigten« ablegte. Am 4. November fand dann das Begräbnis im Beisein der Kardinäle Faulhaber (München) und Innitzer (Wien), sowie vieler benachbarter Bischöfe, darunter auch seines Nachfolgers, Weihbischof Andreas Rohracher, damals gerade Kapitelvikar von Gurk, statt.
Trotz der aus aller Welt bekundeten Teilnahme, war der gleichgeschalteten Presse seiner Heimat der Tod des eigenen Erzbischofs nur eine Nennung des Namens unter der Rubrik »Todesfälle« wert. Fürst-Erzbischof Sigismund Waitz wird es verschmerzt haben können …