... eines heute nahezu ebenso vergessenen, wie seinerzeit vielgelesenen Schriftstellers, seien ein paar Absätze aus dem Vorwort seines Buches »Einsames Leben« — es zählt meines Erachtens zu seinen schönsten — an den Beginn dieses Gedenkens gestellt:
Als ich bei der Schachpartie saß, auf die sich mein geselliger Verkehr immer ruhiger beschränkt, drangen die heiligen Drei Könige ins Café. Ungestüm, denn sie froren an ihren baumwollenen Trikotbeinen. Hinter ihnen blies die reine Winterluft in unsere durchrauchte Wärme ...
Und der Autor beginnt,von dieser kurzen Szene in der Schachpartie aufgestört, nachzudenken, daß er in den letzten vier Jahren, in denen er im Schweizer Tessin, genauer: in bzw. bei Locarno, lebte (aus dem 1935 veröffentlichen Buch geht nicht hervor, daß dies der Hitlerei geschuldet war, und keineswegs freiwillig, oder aus bloß klimatischen Gründen erfolgte!), immer müßiger geworden sei. Im ersten Jahr ein Buch und allwöchentlich ein Feuilleton, im zweiten nur ein Buch, im dritten nur mehr die Pläne zu einem — und nun: gar nichts mehr. Und im Hinansteigen zu seinem Haus sinniert der Autor:
… das Leben ist einmalig. Wer es schon zu Ende der Vierzig geruhsam verdämmern läßt mit ein wenig Gärtnern und Briefe schreiben und Schachspielen: mißbraucht der nicht die einmalige Gabe?
Aber ich habe — wandte ich meinem mahnenden Gewissen ein — zwanzig Jahre schwer gearbeitet; ich habe mich nachts in Zeitungsredaktionen abgehetzt, ich habe Jahre in den Tropen geschwitzt und geschafft. Habe ich jetzt nicht das Recht, Schach zu spielen und Himbeeren aufzubinden? [...]
Inzwischen war ich ein Stück hochgekommen. Unten am See flimmerte Lichter oben über der Alpe flimerten die Sterne. Kalt und rein zerblies der Wind meine Ausreden: vier Epiphania-Abende in Locarno und jeder fand dich träger! Wäre es so, wie du denkst und dein müßiges auch ein würdiges Leben: weshalb dann die Scham, wenn du andere an schwerer Arbeit siehst? Warum täuschst du dir selbst Arbeit vor, grübelst am Schreibtisch und — landest bei einer Patience?[...]
Wie spielst du Schach? Mittelmäßig. Wie gärtnerst du? Ungeschickt. Ist das die Aufgabe deines Lebens?
Nein, die bescheidene Gabe deines Lebens ist die Darstellung durch die Schrift und deine Aufgabe ist es, diese Gabe so zu nützen, wie der gute Gärtner und der gute Schachspieler die ihre. Du hast es früher getan — tue es weiter!
Und im grübelnden Kopf des Autors entsteht in ersten, vagen Umrissen der Plan zu dem diesem Vorwort folgenden Buch:
Wie wäre ein Buch über mein ruhiges, einsames Leben? Seine Darstellung wäre Rechtfertigung seiner Müßigkeit. Und indem ich mein kleines eisernes Gartentor aufschließe, fühle ich die Gabe, die mir die heiligen Drei Könige gebracht haben.
Ja: das Buch ist eine Perlenkette kurzer Kapitelchen, die sich mit Gott und der Welt, mit Leben und Sterben, mit Leben und Leben-lassen, mit Passionen und Marotten, mit Tieren und Pflanzen, mit dem Reisen und dem Hausbau befassen — eines lesenswerter und entzückender als das andere! Und, nein: dieses Buch wurde kein wirklicher Bestseller! Mehr als zehn Jahre später, nach dem Zweiten Weltkrieg, verzeichnet das Impressum des Exemplars, das ich besitze: »21.-23. Tausend« — welch ein auflagenmäßiger Abstieg gegenüber den gefeierten, zu vielhunderttausenden, die Übersetzungen mitgerechnet vielleicht gar millionenfach verkauften Reisebüchern der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre, wie: »Ein Bummel um die Welt« (1927), »Heitere Tage mit braunen Menschen« (1929), »Funkelnder Ferner Osten« (1930), »Zickzack durch Südamerika« (1931) und »Ernte« (1934).
Aber heute? Wer kennt ihn denn noch (und wohl nur der ausgewiesene Literaturexperte hat ihn aus den Angaben der vorstehenden Absätze vielleicht erahnen können) — den einst gefeierten Reise-, Garten- und Tierschriftsteller (wobei diese Etiketten, bei fraglos oberflächlicher Berechtigung, nur eine ungenügende Beschreibung seines Schaffens sind!)
Richard Katz (21.10.1888-11.11.1968) ...? Fast niemand mehr.
|
Richard Katz (1888-1968) |
Er ist eines der vielen Opfer der Nazizeit und ihres Ungeistes, die diesen Prager Deutschösterreicher, diesen religiös denkenden, doch zugleich gedanklich immer freien Katholiken Richard Katz, der nach dem Ersten Weltkrieg wegen der durch tschechischen Nationalismus für die Pragerdeutschen immer unerquicklicheren Situation nach Berlin gegangen war, von dort aber 1933 wegen seiner »rassischen Abstammung« zur Emigration nach dem Tessin veranlaßte, diesen Richard Katz, der im Jahr 1941, als die Schweizer Behörden auf Druck der deutschen Gesandtschaft in Bern immer nachdrücklicher seine Weiterreise urgierten, zum dritten Mal, diesmal nach Brasilien, flüchten mußte.
Nicht, daß er in der Emigration hätte darben müssen, das wirklich nicht! Er hatte es durch seine rechtzeitige Flucht aus Berlin geschafft, 1933 noch ohne große Verluste sein durch die Bucherfolge erworbenes Hab und Gut in die Schweiz zu retten, war nun geschätzter Autor des angesehenen Schweizer Verlagshauses Eugen Rentsch, konnte also auch während des Zweiten Weltkriegs — wenngleich durch das Verkaufsverbot in Hitler-Deutschland deutlich eingeschränkt — weiterhin Bücher schreiben und publizieren. Dennoch: nach 1945 kam zunächst die weitere Zäsur, daß wegen der Handels- und Devisenbeschränkungen Bücher aus dem Ausland (also auch der Schweiz) bis 1951 nicht nach Deutschland geliefert werden konnten — und außerdem: Richard Katz hatte sich mit manchen Sätzen in seinen Nachkriegsbüchern nicht wirklich beliebt gemacht, so z.B. wenn er 1951 etwa meinen näheren Landsleuten attestiert:
»Das erste, was der Fremde an den Wienern bewundert, ist die Elastizität, mit der sie ihre Meinung über Deutschland geändert haben. Leute, die vor Freude weinten, als der Führer einzog, beben jetzt vor Ingrimm, wenn auch nur sein Name fällt. Vielleicht gehört das, wie die Schrammelmusik, zum Fremdenverkehr, zu dem ja die Deutschen nichts mehr beisteuern können. Vielleicht reden die Wiener untereinander anders. Ich weiß es nicht: den Touristen gegenüber präsentiert sich das Wiener Herz wie neu vergoldet.« (Katz: Wandernde Welt, S. 167f.)
O ja, das trifft (als »seit Ewigkeiten« in Wien ansässiger, und dadurch irgendwie längst zum Wiener mutierter Nicht-Wiener weiß ich leider
wie sehr!) pfeilgerade ins »goldene Wienerherz«! Oder, im selben Buch, über seine Eindrücke aus Berlin:
»Die alte Deutsche, die mir da entgegenkommt und den eingefallenen Mund zu einem Willkomm-Lächeln verzieht: wer würde dem freundlichen Weiblein ansehen, daß sie einmal das »Pimpfenheim« in Monti geleitet und ihre Bubenschar mit »Heute gehört uns Deutschland, morgen die ganze Welt!« an meinem Zaun vorbeigeführt hat? — Oder wer traute dem alten Berliner Ehepaar, das sich nun wieder freundnachbarlich naht, den Freudentanz zu, den es einmal beim Einmarsch der Deutschen in Paris aufgeführt hat?« (a.a.O. S. 165)
Mit solchen Betrachtungen machte man sich bald nach 1945 ebenso wenig Freunde, wie dafür heute wiederum seine Reisebücher, in denen er —
horribile dictu! — mehrfach von »Negern« schreibt, wohl von Hannöver'schen Stadtverwaltungen, die ein »Zigeunerschnitzel« von Speisekarten verbannen, rechtens aus der Stadtbibliothek ausgesondert werden müßten (bloß
daß er's, nicht,
was er schreibt, denn das sollte die flachköpfigen Kritikaster eigentlich halbwegs zufriedenstellen)! Vielleicht werden sie dereinst noch verbrannt? Wer weiß — der Schoß ist fruchtbar noch ... ... ach, was soll's! Die SAntifa marschiert längst wieder in ruhig festem Tritt, und wenn er gleich mitten ins Gesicht eines liebenswürdigen, lebensklugen, klarsichtigen Nazi-Emigranten ginge!
Richard Katz trug — mehr seelisch als finanziell, aber wohl auch dieses! — an dem Schicksal, nach dem Zweiten Weltkrieg quasi als »Kollateralschaden« um seinen schriftstellerischen Erfolg gebracht worden zu sein, durchaus schwer, wenn er es sich in seinen Büchern auch nicht anmerken läßt (die werden vielmehr immer altersweiser, reifer, scheinbar leichter und unbeschwerter!) bis hin zu seinem letzten, meisterhaft dahinplaudernden Werk »Steckenpferde« (1967), das auf knapp 300 Seiten die vielfältigen Hobbies des Autors vorstellt — vom Sammeln böhmischer Überfanggläser, über sein lebenslanges Interesse für Edelsteine aller Arten, über das Lösen von Kreuzwort- und anderen Rätseln (diesem Kapitel verdanke ich bspw. meine Kenntnis des »Ænigmatias« von Franz Brentano — enthaltend fürwahr »enigmatische« Rätselnüsse der Extraklasse!), über das Reisen und das Lesen (zu dem noch später mehr), über das Gärtnern, und, natürlich, die Tierbeobachtung. Und wer will es einem Richard Katz verdenken, daß er (mit einem so prägnanten, zu tausendjährigen Zeiten so verdächtigen Tiernamen erblich bedacht!) gerade nicht den Katzen, sondern vielmehr den Hunden und den Papageien seine innigste Aufmerksamkeit und Zuneigung schenkte! Nicht einmal ein ausgewiesener Katzen-Fan wie ich brächte da einen Vorwurf übers Herz ...
Meine persönliche Passion für Richard Katz verdanke ich meiner Mutter, die sein entzückendes Gartenbuch (ja natürlich ist es auch das, aber wie immer bei Katz, eben noch viel mehr!) »Übern Gartenhag« (1961) wohl bald nach dem Erscheinen bekommen haben muß, denn ich weiß, daß ich es zum ersten Mal bereits zu einer Zeit las, als der Autor noch am Leben war (wie ich später feststellte). In meiner Pubertät und Studienzeit glitt Richard Katz, zugegeben, etwas aus meiner Wahrnehmung (da begeisterte ich mich für so disparate Autoren wie Fontane, Turgenjew, Nietzsche, Conrad, George, Kraus, Hofmannsthal, Rilke, Nabl, Benn, Tucholsky, Jünger oder Peyrefitte!) und erst viele Jahre später, als ich in einem Antiquariat zufällig (und für einen Pappenstiel!) auf seine »Steckenpferde« stieß, erkannte ich, daß er nicht nur eine Marotte meiner sehr belesenen Mutter war, die ihn zeitlebens schätzte (obwohl sie nur dieses eine Buch von ihm besaß, das sie dafür wieder und wieder las!). Immer aufs Neue entzückte sie sein anekdotischer Charme, mit dem er — scheinbar vom Hundersten ins Tausende kommend — ein ansonsten vielleicht ermüdendes Thema witzig zu unterbrechen versteht. Blättern wir einfach im Kapitel über Pilze ...
Meine Mutter ließ nur drei Pilze gelten: Herrenpilze, Birkenpilze und Pfifferlinge. Mochte der Markt von Morcheln, Lorcheln, Ziegenlippen, Butter-Röhrlingen und Rotkappen überfließen: durch ihre Küchentür passierte keiner.
So war ich erzogen worden, und so hielt ich es auch, bis mich ein befreundetes Berliner Ehepaar in Locarno besuchte. Der Mann ist im Hauptberuf Professor für Architektur, was seine Frau das Leben erschwert, weil er sehr reizbar wird, wenn er über Bauplänen brütet, es ihr aber erleichtert, wenn er seiner Liebhaberei nachgeht: Pilze zu sammeln (was ihrem Wirtschaftsgeld zugute kommt!) und sie selbst zuzubereiten (was ihr Freizeit gibt; denn wenn er das tut, schließt er die Küche von innen ab).
Als die beiden meine Logiergäste waren, zeigte ich ihnen selbstverständlich zuerst den Garten. Bei den Obstbäumen merkte ich, daß er gar nicht zuhörte, als ich ihm das Reineclauden-Bäumchen pries, von dem ich mir einbilde, daß es die dicksten Pflaumen bringt, die es gibt. Als ich ihm ansehen wollte, ob er mir das glaube, sah ich nur sein Hinterteil. Tief unter dem Bäumchen kauerte er im Rasen.
»Das lassen Sie stehen?!« rief er mir von unten zu und reichte mir drei große grauschuppige Pilze, die ich nur deshalb nicht beseitigt hatte, weil sie mit breitem Hut auf langem Fuß ausgesprochen dekorativ wirken. »Das lassen Sie stehen?!« wiederholte er vorwurfsvoll.
Hier möchte ich etwas einfügen, was eigentlich nicht hergehört:
Ich kannte einen deutschen Verleger und schätzte ihn, weil er zwei meiner Bücher, die ich vor Jahrzehnten geschrieben hatte, als »Taschenbücher« zu je fünfzigtausend Exemplaren herausgebracht hat. Ernst Rowohlt hieß er und ist inzwischen leider gestorben. Jung aber war er ein Kerl wie ein Haus, ein richtiger Bremenser, groß und stark und lebensfroh. In jener fernen Zeit haben wir viel Burgunder miteinander getrunken, und wenn er sich richtig vollgeschluckt hatte, tat er ein übriges: er zerbiß sein Weinglas und schluckte die Splitter. Man mag das glauben oder nicht: es ist wahr. Ich habe es selbst gesehen, und auch andere können es bestätigen. Als Glasesser war er fast so bekannt wie als Verleger. Einmal hatte er sein Burgunderglas so gründlich zerkaut, daß nur noch der Stiel auf dem Tisch stand. Auf den wies ein Zechkumpan hin und fragt: »Das Beste lassen Sie stehen?«
Daran erinnerte mich die Frage meines Architekt-Freundes, als er sich, drei graue Riesenpilze in der Hand, wieder aufrichtete.
»Sie stehen doch so hübsch im Rasen«, entschuldigte ich mich. »Wenn sie auch giftig sind ...«
»Giftig?!« donnerte er mich an, als hätte ich die Kirche geschmäht, von deren Bau er sich bei mir erholte. »Das sind doch Speisepilze par excellence! Schirmlinge sind das, Sie Ignorant! Parasolpilze! Die brate ich uns heute zum Mittagessen! Frisch schmecken sie am besten.«
Vergebens gab ich ihm zu bedenken, daß die Bratröhre schon von einem Poulet besetzt sei. »Was ist ein Poulet gegen Schirmlinge!« fertigte er mich ab und lief die Treppe hoch in die Küche.
Von fernher hörte ich meine Wirtschafterin ihre Ofenröhre verteidigen. Als ich hinkam, hatte er sie überfahren wie einen widerspenstigen Polier auf dem Neubau. Hilflos rang sie die Hände vor der Küche, aus der er sie vertrieben hatte.
Nach der Suppe gab es also gebratene Schirmlinge statt Poulet. Während er und seine Frau sie aßen, hielt ich mich an Brot und Wein, um abzuwarten, wann sie in Krämpfen niedersinken würden. Da nichts dergleichen geschah, aß auch ich sie, und obzwar mir ein Poulet lieber gewesen wäre, muß ich zugeben, daß sie gut schmecken. Seither sind sie mir nicht nur als Dekoration willkommen. (Übern Gartenhag, S. 213ff.)
Ich weiß, offen gesagt, nicht,
wie oft ich alleine schon »Übern Gartenhag« gelesen habe! Vollständig durchgelesen — sicherlich schon zehnmal, und immer wieder kann mich ein »neu entdeckter« Absatz begeistern, dessen Pointe, dessen treffende Charakteristik ich letztes Mal einfach überlesen haben mußte. Jene Gelegenheiten ungeachtet, wenn ich beispielsweise auf den noch immer nicht fertig werden wollenden Sonntagsbraten wartend (und gut beraten, meiner Frau in solchen Momenten höchster Not nicht in die Quere zu kommen!), in der Bibliothek ein paar Absätze oder Seiten so genußvoll durchblätterte, daß das knapp schallende Aviso »Angerichtet!« aus dem Eßzimmer dann noch durch ein ungehalten maulendes »Na, wird's heute noch? Wozu hetze ich mich eigentlich so ab?!« gefolgt werden mußte ...
Richard Katz ist ein Schriftsteller von geradezu staunenswerter Stilsicherheit! Kaum jemals ertappt man ihn bei einer Schludrigkeit des Ausdrucks, bei einem schiefen Bild, bei einem abgeschmackten Vergleich. Obwohl er als Journalist begonnen hatte, fehlt seinem Stil ganz und gar dieses gefällig-routiniert Geschwätzige, das den Journalistenstil so oft kennzeichnet. Seine Bücher sind in einem schwerelos dahinperlenden, und doch nie langweilig werdenden »Plauder-Stil« gehalten, der denkbar wenig mit selbstgefälliger Inszenierung
»Hach, wie bin ich doch cool!« à la Kisch, Tucholsky & Co., dafür aber viel mit der vornehmen Gesinnung des Theaterrezensenten Fontane zu tun hat (der bekanntlich auch »von Beruf« Journalist war — nur eben:
was für einer!). Und dessen »Stechlin« plaudert ja fürwahr gekonnt dahin ...
In seinem »Einsamen Leben« widmet Richard Katz eines der Kapitel dem »Bücher schreiben«, und zeigt darin die Schwierigkeiten, die so ein »leichthin geschriebenes« Buch macht:
Die verbreitete Lesermeinung, ein Schriftsteller arbeite um so leichter und schneller, je »genialer« er sei, ist gerade umgekehrt richtig: Begabung und Tempo sind einander verkehrt proportioniert; je stärker jene, desto langsamer dieses. Was allerdings nicht besagen will, langsam arbeitende Schriftsteller seien schon deshalb begabt, aber doch insofern zutrifft, als Schnellschreiberei auf Hudelei deutet. Über die übliche Roman-Schablone der O-Beine (sie sind beisammen, sie gehen auseinander, sie kommen wieder zusammen) läßt sich jährlich ein Dutzend Liebensromane herunterpinseln. Das aber sind betrügerische Bücher, denn statt des Verfassers leidet die Sprache an ihnen. Auf ehrliche Schriftstellerei trifft Thomas Manns Wort zu: »Ein Schriftsteller ist ein Mann, der schwer schreibt.«
Das Schwerste an seiner Arbeit ist es, den Schweiß nicht riechen zu lassen, der in ihr steckt.
Je vollkommener ihm das gelingt, je glatter das Gefüge seiner Sätze, je klarer ihr Gedankeninhalt, umso mehr bestärkt er freilich die naive Lesermeinung, sein Buch sei so mühelos entstanden wie es wirkt. Selbst mancher Kritiker, der es von berufswegen eigentlich besser wissen sollte, verfällt diesem Trugschluß.
»So leichthin und flüssig hingetuscht wie ein chinesisches Aquarell«, lobte ein Rezensent mein Ostasienbuch. Er irrte in beidem. Fast zwei Jahre hatte ich an jenes Buch gewandt, um in ihm einen verworrenen und entlegenen Kulturkreis flüssig zu veranschaulichen. Der zerrissenen Manuskripte waren viele und der gefeilten vier, bevor ich das vierte ins Reine schreiben ließ. So war das Buch entstanden, das der Kritiker »leichthin« nannte.
Wie aber ein »flüssig hingetuschtes« chinesisches Aquarell entsteht, erläutert diese alte chinesische Geschichte:
Es war einmal ein Kaiser von China, der einen berühmten Maler beauftragte ihm auf den Thron einen Hahn zu malen. Der Maler ging und ließ sich ein Jahr nicht blicken. Der Kaiser schickte einen mahnenden Boten. »Ich bin noch nicht fertig,« ließ der Künstler dem Kaiser bestellen und denselben Bescheid gab er nach zwei Jahren. Erst als drei Jahre um waren, stellte er sich ein und tuschte nun von den Augen des Kaisers leichthin und flüssig einen Hahn auf den Thron. — »Auf eine so leichte Arbeit hast Du mich drei Jahres warten lassen?« fragte der Kaiser rügend — doch auch wohlwollend, denn der Hahn war so trefflich gemalt, als lebe er, und dabei doch schöner als irgendein lebender Hahn. — »Komm zu mir, Sohn des Himmels, und Du wirst mich verstehen,« bat der Maler. — Da ließ sich der Kaiser zu dem Maler tragen und sah dessen Haus gefüllt mit lebenden Hähnen, so viel darin Platz hatten, mit kleinen und großen und bunten und einfarbigen; und im Arbeitszimmer des Künstlers sah er einen großen Haufen zerrissenen Reispapiers, auf das Hähne in vielerlei Stellungen getuscht waren. Auch gab es Blätter, die nur einen kleinen Hahnenteil zeigten, einen Fuß etwa oder gar nur eine Feder. — Da ließ der Kaiser alle Hähne wiegen und ihr Gewicht dem Maler in Gold bezahlen. Denn er erkannte nun, daß ein gutes Aquarell zwar leichthin aussieht aber nicht leichthin entsteht. Erst als der Künstler an nichts anderes mehr dachte als an Hähne, und von nicht anderem mehr träumte als von Hähnen, gelang ihm der Hahn, der würdig war, des Kaisers Thron zu schmücken.
Deshalb war jene Kritik, die mein Buch mit einem chinesischen Aquarell verglich, so irrig in der Annahme wie übermäßig im Lob. (Katz: Einsames Leben, S. 72ff.)
Natürlich hatte auch ein Richard Katz seine Grenzen — die er freilich in weiser Erkenntnis kaum jemals überschritt! Sein (abgesehen von einem interessanten Kriminalroman) einziger (und durchaus lesenswerter) Roman »Leid in der Stadt« (1937), der die nervenzerrüttende Tätigkeit eines »Sanierers« (wie wir heute sagen würden), der eine heruntergewirtschaftete Zeitung retten soll, mit einem scharf gezeichneten Bild politischer und privater Intrigen bis zum gesundheitlich-psychisch-emotionalen Zusammenbruch des Helden zeichnet, umschifft mit viel Geschick alle Probleme einer räumlichen und zeitlichen Fixierung der Handlung (denn Katz stand, verständlicherweise, nicht der Sinn danach, in der verworrenen Situation seines Schweizer Exils eine explizite Abrechnung mit dem NS-Regime zu machen, sondern läßt seinen Helden mit einer etwas diffus-populistischen »Bauernpartei« politische Gegengeschäfte zum Überleben machen!) — und zeigt bei aller geschickten Handlungs- und Dialogführung: Katz war eben kein »geborener« Romancier! Wo in seinen Reisebüchern Gespräche und Betrachtungen ganz natürlich dahingehen und den Leser in den Bann ziehen, wirkt dasselbe in der Handlungstechnik eines Romanes irgendwie »gewollt«, und verliert dadurch an Überzeugungskraft (so war wenigstens mein Eindruck).
Auch sein Essayband »Drei Gesichter Luzifers: Lärm – Maschine – Geschäft« (1934), in dem er sich, wie der Autor schreibt, auf eine Reise »in die Erkenntnis unserer Zivilisation begibt« (und das Buch deshalb lieber nicht »weltanschaulich« nennen, sondern seinen Reisebüchern zugesellt sehen wollte, wie er im Vorwort schreibt) macht deutlich, daß das quasi »abstrakte« Raisonnement nicht seine Stärke ist. Denn wo er in seinen Reisebüchern platte Vorurteile, Fehlhaltungen, Schiefheiten, sprichwörtliche »Bretter vor dem Kopf« anhand konkreter Erlebnisse kritisiert, gelingt es ihm ungleich unterhaltsamer und zwangloser, den Leser für seinen (fast immer vernünftig-zurückhaltend ausgleichenden) Standpunkt zu gewinnen. Im »Luzifer«, dessen konservative Zivilisationskritik trotz ihrer oft unbezweifelbaren Berechtigung als zu gellend, zu überspitzt wahrgenommen wird, ermüdet man, bewundert vielleicht noch die Verve und Ausdauer, mit der Katz gegen die Windmühlenflügel unserer heutigen Gesellschaft angeht (nein, natürlich: der damaligen Gesellschaft der 20er- und 30er-Jahre — aber vieles, allzu vieles hat nach wie vor, ja sogar noch mehr seine Gültigkeit!), aber man legt dieses Buch letztlich ebenso ermüdet wie skeptisch aus der Hand. Was schade ist — denn gedanklich bringt es (neben, zugegeben, manch eigentümlich verschrobener Sichtweise) viel Wahres und Richtiges! Katz hätte all das (und hat es ja auch, in der Tat, teilweise) in kleinen Portionen seinen Reisebüchern an passender Stelle einschmuggeln sollen ...
Denn was die geballte Ladung an Überredungskraft nicht vermag, das schaffen die Reise-, Garten- und Tierbücher mit ihren zwanglos sich bietenden Beispielen ganz nebenher — die Vermittlung einer humanen Botschaft der Toleranz und Rücksichtnahme — wenn er etwa das letzte, kurze Kapitel seines Sensations-Erstlingswerkes »Ein Bummel um die Welt« lapidar mit »Ergebnisse« überschreibt, und stichwortartig genau diese dem Leser an den Kopf wirft, so z.B.:
Kultur
Zivilisation ist Zusammenzählung materieller Güter; Kultur ist deren Steigerung durch Geist. Deshalb steckt in einer kleinen chinesischen Elfenbeinschnitzerei mehr Kultur als in einem New-Yorker Wolkenkratzer.
Moral
Moral ist geographisch bedingt. (Wie Rasse.) Länder mit Winter, für den gespart sein muß, erfordern Einehe, materielle Verantwortung des Vaters, moralische der Mutter. Der ewige Sommer der Südsee begründet Promiskuität als moralische Übung. »Moralisch« heißt im Grunde »ortsüblich«. Deshalb ist die Prostitution in Europa unmoralisch, auf den Fidschi-Inseln (die weder Nahrungssorgen noch Geschlechtskrankheiten kennen) geachtetster Mädchenberuf. Oder: was Europa »pervers« nennt, billigt Ostasien als landesüblich. — »Sitte« ändert sich mit dem Breitengrad, nicht mit dem Staate, nicht mit der Religion. — Gelderwerb und Sparsamkeit, die uns der drohenden Winter notwendig (und damit »sittlich«) macht, gelten den Polynesiern als Schande. (Malaien schließen Kontraktarbeiter aus der Dorfgemeinschaft aus.) — Wer unsere »Sitten« in anderen Breitengraden predigt, stiftet betrüblichen Schaden. Einehe und »sittliche« Kleidung sind für den Farbigen ebenso gefährlich, wie es für uns Prostitution wäre oder Nacktheit im Dezember. (Katz: Ein Bummel um die Welt, S. 277f.)
Mag insbesondere letzteres Stichwort (das so apodiktisch, wie es klingt, von Katz wohl nicht gemeint war!) manch moralingesäuerten Christen recht »sauer« aufstoßen, und einen übriggebliebenen Rassenideologen in seiner Meinung vom Unwert des »relativistischen, jüdischen Asphaltjournalismus« bestärken — sei's drum! Es steckt dennoch viel Wahrheit in den Ausführungen. Und sein »Knapper Rat für weite Reisen« aus demselben Werk ist für Welt- und andere große Reisen nach wie vor beherzigenswert! Ich zitiere daraus in der Variante, in der er ihn in seinen »Steckenpferden« wiederholt:
Nur langsame Reisen lohnen. Die Reisezeit verhält sich zum Reiseziel wie der Genuß zur Enttäuschung.
Bedenke, daß du kein Archäologe bist!
Das ideale Reisegepäck wäre eine Zahnbürste im Knopfloch. Jedenfalls genügen für eine mehrjährige Weltreise zwei mittlere Kupeekoffer, denn der Mensch hat nur zwei Hände. Über »Großes Gepäck« freuen sich nur Träger (wo es welche gibt!), Schimmelpilze und Motten.
Es ist wichtig, Englisch zu lernen; noch wichtiger aber ist es, von den Engländern zu lernen: nicht zu mäkeln und es sich vollkommen egal sein zu lassen, was die Leute von einem sagen.
Bedenke, daß du keine Humanitätsanstalt bist! »Mancia«, »Bakschisch« oder wie sonst das Wort Trinkgeld in südlichen oder östlichen Ländern lautet, ist das erste Wort, das die Babys dort lernen.
Reise stets in der obersten Schiffsklasse! Reicht dein Geld nicht für die erste, so wähle ein zweit- oder drittklassiges Schiff! Auf einem Trampdampfer alle Decks zur Verfügung zu haben, ist bekömmlicher, als im Luxusboot aufs überfülllte Deck der Touristenklasse angewiesen zu sein.
Denke gerade auf Reisen an das italienische Sprichwort: An Pferde soll man nicht von hinten herangehen, an Ochsen nicht von vorne und an fremde Frauen überhaupt nicht.
Vor allem: sei reserviert! Der Schwätzer bekommt als Austausch wieder Geschwätz; nur dem Schweigsamen öffnen sich goldene Türen des Vertrauens. (a.a.O., S. 223f.)
In demselben Werk verbreitet sich Katz auch über seine Lesehobbies:
»... gelegentlich Lyrik, oft Biographien — am liebsten Selbstbiographien —, Briefe, Erlebtes also statt Erdachtem, und, je länger, je mehr, Naturkunde«, schreibt er am Ende des betreffenden Kapitels zusammenfassend, widmet davor aber einigen Autoren doch so treffende, soviel Vertrautheit mit ihrem Werk atmende Zeilen, daß man diese einschränkende Selbstcharakteristik nicht ganz glauben mag. So, wenn er etwa über Theodor Fontane schreibt:
Daß ich ihn zuerst zur Hand nahm, datiert weit zurück — bis in meine Studienzeit. Damals hatte mich ein Freund meines seligen Vaters zur gelegentlichen Mitarbeit am Feuilleton der »Vossischen Zeitung« ermutigt, das er redigierte, und mir Anfänger dabei eine rührende Geduld erwiesen, für die ich ihm stets dankbar geblieben bin. […] »Vergessen Sie nicht, was wir dem Andenken Fontanes schuldig sind!« mahnte mich Professor Alfred Klaar, als er mir ein Feuilleton zurücksandte, das nicht einmal sein wohlwollender Korrekturstift solcher Tradition hatte anpassen können. […]
Daß seine Romane gut waren, merkte ich an Vergleichen, weil die deutsche Literatur wahrlich keinen Überfluß an solchen hat. In seiner schlanken Form entspricht der Roman eher der französischen, dickbäuchig der russischen Eigenart. Stendhals »Rot und Schwarz« und Anatole Frances »Aufruhr der Engel« halte ich für die elegantesten Vertreter der Leichtgewichtsklasse, während im Schwergewicht die drei Champions Gogol, Dostojewski und Tolstoi bis heute ungeschlagen sind. Doch im reichlicher besetzten Mittelgewicht internationaler Romanliteratur stellen Fontanes Romane wacker ihren Mann, weil sie die französische Grazie seiner hugenottischen Abstammung mit der in der Tat preußischen Gründlichkeit seiner geliebten Mark Brandenburg vereinen und beide mit der humorigen Melancholie des armen Schluckers würzen, der sich geistig vom Apothekerlehrling zu literarischem Ansehen hoch-, finanziell freilich zu kläglichen Einkünften tiefgearbeitet hat. Als Apotheker hätte er auskömmlich leben können, während er als England-Korrespondent der geizigen preußischen »Kreuzzeitung« und später als Feuilletonredakteur und Theaterkritiker der zwar angesehenen, doch verarmten »Tante Voß« nur kümmerliches Auslangen fand, und seine Romane erst richtig ins Verdienen kamen, als er schon das Zeitliche gesegnet hatte.
Obzwar Fontanes Romane seither Staub angesetzt haben — schimmernder Staub zwar, wie ihn zerriebenes Perlmutt ergäbe, doch Staub immerhin — las ich sie bald nicht nur der »Vossischen Zeitung« wegen, die damals ins splendide Zeitungsimperium der Brüder Ullstein einbezogen worden war. Über zeitgebundene Heldinnen und Helden hinaus stieß ich auf überaschend gültige Beobachtungen und Erkenntnisse. Der Lesezeichen sind viele, die jetzt noch in meinen Fontanebänden stecken. So habe ich über den Einfluß des Milieus auf die Menschen (dessen Ergebnis später die Nazis zur »Rasse« verpöbelt haben) kaum je etwas so Überzeugendes gelesen ...« (a.a.O., S. 244ff.)
Karl Kraus meint zwar einmal etwas abfällig, daß ein Schriftsteller, der liest, ihm vorkäme wie ein Kellner, der ißt — aber ist die treffend charakterisierende Beobachtung, mit der ein Schriftsteller an einen anderen herangeht, nicht ebensogut ein Zeichen für seine Fähigkeit, Erkanntes darzustellen?
Jeroen Dewulf veröffentlichte in der »virtuellen« Literaturzeitschrift »Sand am Meer« vor Jahren einen Text, den ich damals zwar speicherte, jedoch nicht mehr aktuell im Internet auffinden konnte — ein interessanter Artikel, der sich u.a. auf die recht unterschiedliche Brasilien-Wahrnehmung zweier Exilschriftsteller, nämlich Stefan Zweig und Richard Katz, bezieht. Interessante Nuancen werden erkennbar, und oft erscheint Katz, trotz (oder wegen?) seiner besseren Vertrautheit mit dem brasilianischen Ambiente trotz fühlbarer Sympathie für Land und Leute weitaus skeptischer in seinen Ansichten (und wer weiß, welcher der beiden Schriftsteller
wie endete, mag darob etwas überrascht sein). Ich hätte diesen lesenswerten Artikel — der für das heutige Gedenken freilich ein wenig vom Wege abseits führt — gerne verlinkt (sollte ihn jemand finden, bitte um kurze Mitteilung unter »Kommentare«).
Dewulf geht zum Ende seines Artikels
»Richard Katz (1888-1968), der vergessene Exilschriftsteller« auch auf die Umstände des fast vollständigen Vergessen-Seins ein und (gestützt auf Hinweise aus einer damals im Entstehen begriffenen Katz-Biographie von Rainer Vettin — ob bzw. wo sie erschienen ist, entzieht sich meiner Kenntnis) erwähnt ein Faktum, welches uns wieder zu seinem Buch »Einsames Leben«, das den Ausgangspunkt dieses meines Artikels bildete, zurückführt: Richard Katz starb unverheiratet, als eiserner Junggeselle — und ohne Nachkommen. Es war dies genau der Umstand, für den er in jenem Buch einem alten, zynischen Sportredakteur der Prager Zeitungsredaktion, in der er seine ersten journalistischen Sporen erwarb, dankend ein kleines, liebevolles literarische Denkmal setzte:
Als ich fünfundzwanzig Jahre alt war, verliebte ich mich heftig in ein neunzehnjähriges, pagenschlankes Mädchen, deren Photo, noch während ich dies schreibe, auf meinem Schreibtisch steht. Nach einiger Zeit enger Befreundung stellte sie mich, wie sich das gehört, vor die Alternative: Heiraten oder Abschiednehmen!
Instinktiv mißtraute ich widerborstiger Einsamer meiner Eignung für die Ehe; doch eine Sehnsucht, die stärker war als mein Instinkt, trieb mich zu ihr. [...]
Gegen meinen warnenden Instinkt heiratssüchtig, kroch ich matt herum, ließ Depeschen, die überaus dringlich waren (denn sie bezogen sich auf die k.u.k. österreichisch-ungarischen Delegationen), unbearbeitet liegen und knurrte den Vormeister der Setzerei an, der von mir Manuskriptfutter für seine Setzmaschinen forderte.
»Trinken Sie Kognak!« grunzte der alte Sportredakteur [...] »Trinken Sie Kognak, der ist gut gegen Kreuzotternbisse und gegen Liebe!« Ich sehe ihn noch heute vor mir, wie er sich in meinem Besuchstuhl rekelte. Vom sonnengebräunten Glatzkopf sehe ich ihn bis zu den großen Füßen, die stets in Fußlappen und Nagelschuhen staken. Strümpfe verachtete er als weibisch und mit den Nagelschuhen pflegte er auf Bahnhöfen, Postämtern und wo sonst er Telegraphiekundige vermutete, ein Zitat aus »Götz von Berlechingen« auf den Boden zu morsen. [...]
»Aber sie will geheiratet sein!« ächzte ich, zu matt, um ihn hinauszuweisen und ausnahmsweise trostbedürftig, »sie will geheiratet sein und ich werde sie heiraten!« »Alle wollen geheiratet sein«, erwiderte er so gleichmütig, als ob nicht vor uns der Metteur von einem Fuß auf den anderen getreten wäre und vor sich hingemurmelt hätte: »Jesus, Maria und Josef! Drei Maschinen habe ich frei und die sprechen übers Heiraten!« — Ich machte mich über die Depeschen her, während mein zynischer alter Freund bemerkte: »Der einzige Vorteil, verheiratet zu sein, ist, daß man seine Freundinnen nicht zu heiraten braucht.« [...]
Als der Metteur endlich mit den Depeschen davongestürzt war, vermerkte der Alte: »Die Tragödie Ihres Lebens wird sein, daß Sie eine Frau nehmen, während Sie eine Haushälterin brauchen.«
»Aber sie ist so charmant!« stöhnte ich.
»Für einen Menschen wie Sie«, erwiderte er mit einer ernsten Eindringlichkeit, die ich sonst an ihm nicht kannte, »taugt keine charmante Frau. Weil Sie nicht charmant sind.«[...]
Er berichtete allerhand über Ehen, die er kannte, und er fragte mich, wie viele glückliche Ehen ich kenne. Als ich gestand, daß es nur eine einzige sei, bemerkte er, es gäbe auch Menschen, die den Haupttreffer mit der Hauptprämie gewinnen, dennoch sei es Torheit, sich darauf zu verlassen. Letzten Endes gewinne die Lotterie immer und der Spieler selten. Frauen, meinte er, gewinnen immer in der Ehe: Unabhängigkeit, Ansehen, Kinder. Ich wandte ein, daß Kinder auch für den Mann ein Segen seien. Er empfahl mir, welche aus dem Waisenhaus zu adoptieren, dort können ich sie mir aussuchen, während ich sonst nehmen müsse, was käme. Auch wisse ich dann wenigstens sicher, daß sie nicht von mir seien.
Nächsten Tags behauptete er, an dieser Stelle hätte ich die Kognakflasche nach ihm geworfen. Daran erinnere ich mich nicht mehr und kann als Tatsache nur vermerken, daß ich nicht geheiratet habe. Sie nicht und auch keine andere.
Sie hingegen heiratete, ohne daß ich einen stärkeren Schmerz verspürt hätte, als ihn gekränkte Eitelkeit verursacht.
Als ich voriges Jahr in Prag einen Vortrag hielt, kam in der Pause eine ergraute korpulente Dame zu mir ins Künstlerzimmer und flüsterte: »Ich bin so froh, dich wiederzusehen!« — »Ich glaube, Sie täuschen sich, gnädige Frau«, stammelte ich und es war eines meiner erschütterndsten Erlebnisse, als sie sich mir als die Frau zu erkennen gab, in der ich vor dreiundzwanzig Jahren meine unentbehrliche Lebensgefährtin erblickt hatte.
Nun war sie verwitwet, hatte zwei Kinder und wollte mit sentimentaler Treue wiederbeleben, was mein väterlicher alter Freund vor so vielen Jahren in Kognak ersäuft hatte. Das war die pagenschlanke Charmante! Ich habe meinen Vortrag zerstreut zu Ende gebracht (»In der Mitte war ein Riß«, bemerkte ein Kritiker richtig). (a.a.O., Ss. 15-19)
Hatte Richard Katz damit zwar eine seiner innersten Wesensart unvereinbare Lebensform vermieden, so hatte er dann doch an den Folgen seines lebenslang beibehaltenen Entschlusses zu tragen, wie Dewulf schreibt:
All dies führte dazu, daß die Erinnerung an diesen doch recht interessanten Autor rasch verloren ging als Katz 1968 starb. Mit Ausnahme eines seiner Tierbücher wurde seit 1982 kein einziges seiner Werke neu aufgelegt. Auch ein großes Lob von Erich Maria Remarque anläßlich einer Neuausgabe von Katz erwies sich als nutzlos: »Du hast die stagnierende Reiseliteratur revolutioniert, indem du müde Klischees durch die funkelnde Brillanz des gesunden Menschenverstandes zu neuem Leben erweckt hast.« (in: Das Beste von Richard Katz, 1968).
[Kleine Anmerkung zwischendurch: Remarques Lob »müde Klischees durch die funkelnde Brillanz (...) zu neuem Leben erweckt« zu haben — ist dies nicht ein geradezu typisches Beispiel eines schiefen Vergleichs, wie er Richard Katz wohl kaum je unterlaufen wäre? Und ist es nicht der Beweis, daß bei Bestseller-Autoren großer Absatz und großer Stiefel, wie schon Karl Kraus bissig vermutete, nur zu oft zueinander passen?]
Sogar in den Nachschlagewerken über Exilliteratur sucht man meistens vergebens nach seinem Namen. Dazu mag allerdings auch ein postumes Drama beigetragen haben. Nach Katz’ Tod beerbte ihn nämlich sein Sekretär und Freund August-Wilhelm Rabien, dieser aber erlag wenige Jahre später auf dem Weg zum Grab seines Freundes einem plötzlichen Herzschlag. Damit erbten dessen Schwester und Bruder Katz’ Vermögen. Mit der Bibliothek und dem Archiv wußten sie aber nichts anzufangen. Sie boten es der brasilianischen Botschaft in Bern an, die aber freundlich ablehnte. Deswegen wurden die Bücher verramscht, und das Archiv landete vermutlich im Mülleimer.
Wer aus den vielen Hinweisen in seinen Büchern weiß, wie sehr Richard Katz seine umfangreiche Bibliothek geliebt, und mit wie viel Enthusiasmus und Ausdauer er sie — speziell seinen über alles verehrten Goethe! — zusammengetragen hatte, dem muß es wie ein Messer durchs Herz gehen, von solch herostratischer Aktion zu lesen! Jeroen Dewulf schließt seine Würdigung folgendermaßen:
Richard Katz wird von politisch korrekten Zeitgeistlern freilich sogar seine lebenslange Bewunderung für Gerhart Hauptmann, der mit ihm jahrelang gut befreundet war, vorgeworfen — so, als würde ein Nazi-Flüchtling per Kontakt-Kontamination aus den 20er- und 30er-Jahren zur Unperson, wenn er einen »Nazi-Autor« (als ob Hauptmann das je gewesen wäre!) nicht posthum verdammte ... — Statt daß sie die Größe in beider Verhalten erkennten: die Unbeeindrucktheit, mit der Hauptmann in Locarno mit einem »jüdischen« Emigranten Kontakt beibehielt, ebenso, wie die Großmut von der Seite Richard Katz', der Hauptmann eben nicht vorwarf, aus Nazi-Deutschland nicht in den »besseren« Teil der Welt emigriert zu sein. Wer, wenn nicht ein Opfer der Nazis, hätte dazu mehr Recht? Und wer weniger Recht, ihn dafür zu kritisieren, als wir Nachgeborenen?
Doch lenken wir nochmals zurück auf die fürwahr »facettenreiche« Persönlichkeit unseres Autors! Eine solche Facette wurde weiter oben schon flüchtig erwähnt: seine Liebe für — insbsondere farbige — Edelsteine, die ihn sein Leben lang begleitete! Und was wäre daher passender als Abschluß eines solchen Gedenkartikels, als die »Weiheformel für die Edelsteine an Epiphanie«, die der Priester, wenigstens nach dem »tridentinischen« Ritus — den »Novus Ordo« lernte Katz nicht mehr kennen —, am Dreikönigstag (schon wieder landen wir bei den heiligen Drei Königen!) über die ihm vorgelegten Juwelen zu sprechen hatte, und welche er in seinem Buch in voller Länge übersetzt zitiert:
Und Richard Katz, durchaus charakteristisch für seine so pietätvolle, und doch so freie Religiosität, fügte noch hinzu:
In wenigen Tagen, genauer: am 11. November 2013, wird sich auch der Tod von Richard Katz, der kurz nach seinem achtzigsten Geburtstag in Monte-Muralto, seinem Wohnort bei Locarno, verstarb, zum 45. Male jähren. Vielleicht wird es auch in einem Europa, in dem Transferzahlungen und Rettungsschirme zwischen den Staaten und Völkern »Solidarität« einfordern, und Verbrecherbanden dank der Schengen-Abkommen frei von Palermo bis Lappland reisen können, doch einmal möglich sein, einen bedeutenden Schriftsteller und großen Menschen nicht danach zu beurteilen, ob er zu Hause in Prag die »richtige« Sprache sprach (die Frage, ob er für eine Würdigung die »richtigen« Urgroßeltern hatte, ist inzwischen, Gott sei Dank, obsolet geworden!), sondern ihm nach dem gerecht zu werden, was er leistete mit seinem umfangreichen Lebenswerk: und das waren ohne Zweifel Abermillionen von Stunden qualitätsvoll-unterhaltsamen Lesegenusses für die unzähligen Leser seiner Bücher! Mit einigem Optimismus sollten wir eine solche Entwicklung nicht ausschließen ...
Nur beim dritten Punkt, als Konservativer kein »richtiger« Exilautor gewesen zu sein, wird's mindestens solange scheitern, bis die Hydra der Alt68er-Meinungsmacher verendet ist. Freilich — ob wir das noch erleben werden ... ?