Freitag, 13. April 2012

Morgen ist es ein Vierteljahrhundert

... daß die Türkische Republik den Antrag auf Beitritt zu einer Staatengemeinschaft eines anderen Kontinents stellte. Warum ich dessen nicht morgen gedenke? Ganz einfach: weil derlei Unglücksfälle zweckmäßigerweise an einem Freitag, dem 13. in Erinnerung gebracht werden.

Nun wird der penible Leser freilich einwenden, daß die Türkei immerhin zu 3% ihres Territoriums in Europa gelegen sei — nur gilt dies noch deutlich mehr von Kasachstan (das zu 5,4% in europa gelegen ist), und irgendwie will mich dieses Argument daher nicht wirklich überzeugen.

»Die Presse« widmet diesem morgigen Gedenktag (offenbar aufgrund einer Ermahnung aus der Industriellenvereinigung) einen melancholischen Artikel, der allerdings gegen Ende doch humorige Aspekte gewinnt:
Die Türkei könne Europa mit ihrer starken Wirtschaft „wieder auf Vordermann bringen", sagte unlängst Präsident Abdullah Gül.
Na klar! An der Türken Wesen soll Europa genesen. Udo Ulfkotte hat vor ein paar Monaten nachrecheriert und kommt zu ein bisserl anderen Erkenntnissen. Das war freilich, bevor die ganz großen Schlagzeilen über die ganz großen Greueltaten des ganz pöhsen Assad-Regimes medial das Hervorkramen der ganz großen Sanktions-, Befreiungs- und Befriedungskeule nötig machten.

Hurra! Es geht in den Krieg, und die Wirtschaft wird wieder boomen. Und die wackere Türkei wird natürlich mit im sinkenden Boot sein. Jetzt schnell ein Präventivschlag, und los geht's! Na, da freu' ich mich doch gleich, auf meine alten Tage ...

6 Kommentare:

Nescio hat gesagt…

Die Türkei wird ja immer, na sagen wir mal, selbstbewußter. Als bevorzugter Bündnispartner der USA, mit dem größten stehenden Heer innerhalb der ganzen NATO.

Jetzt will sie in Syrien einmarschieren und dort eine "Schutzzone" besetzen. Ein Protektorat, so hat man es 39-45 genannt.

In diesem Protektorat leben vorwiegend (nein, nicht Kurden) sog. Bergtürken. Was man nicht alles bei meinem Friseur erfährt - dort arbeiten mehrere moslemische Friseure zusammen, und einer ist genau von dort und hat es mir erzählt.

Die Türkei will also alle Türken, mögen es auch bloß Bergtürken sein, heim ins Reich holen. Der nächste Schritt werden dann die Bergtürken im nordwestlichen Zipfel des Iran sein. Der Iran wird stillhalten müssen, sonst geht es ihm wie dem Irak.

Weitere Ziele der türkischen Expansion sind die Turkvölker der ehem. Sowjetunion. Buchtip: "Schlachtfeld der Zukunft" von Scholl-Latour.

Lustig wirds aber dann, wenn alle Bergtürken im Großtürkischen Reich vereint sind und dann draufkommen, daß sie eigentlich gar keine Türken sein wollen, sondern Kurden, die eigentlich einen eigenen Staat Kurdistan wollen. Diskrete Waffenlieferungen aus .cn und .ru könnten diesen Erkenntnisprozeß beschleunigen.

Zu bedauern sind vor allem die, welche Täuschland dann auch in Kurdistan mit der Waffe in der Hand verteidigen müssen.

Besser ist es, die Feuersbrunst am anderen Ufer des Flusses zu betrachten, sagt das chinesische Sprichwort.

Cher Penseur, falls Sie sich über meine blumige Sprache wundern: Warum findet man in arabischen Ländern so viele blumige Umschreibungen? Und warum auch in China?

Warum hat Jesus Geschichten ("Gleichnisse") erzählt, statt einfach Klartext zu reden?

Weil er fürs Klartextreden gleich bei seinem allerersten öffentlichen Auftritt vom besten Rechtsstaat, den es je auf deutschem Boden, äh, egal, gab, SOFORT verhaftet und hingerichtet worden wäre.

Ihre diesbezüglichen Befürchtungen teile ich.

Hippokrates hat gesagt…

Zunächst einmal, cher penseur: schön, daß Sie wieder da sind; Ihre spitze Feder ist in den Tagen des "Entzugs" gewiß nicht nur mir abgegangen!
Aber nun auch noch ein paar interessante Hintergrund-Informationen zum angeblichen türkischen Wirtschaftsboom:
Die Türkei erhält im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe (IPA) finanzielle Unterstützung. Der indikative Mehrjahres-Finanzrahmen für den Zeitraum 2009-2011 (MIFD) weist die Höhe der für die Türkei vorgesehenen IPA-Hilfe aus, die sich auf rund 3 037,9 Mio. EUR (für 2007 und 2008) beläuft. (EU, Beschluss 2008/157/EG des Rates vom 18. Februar 2008)
Eine Studie der euroskeptischen Organisation Open Europe belegt, dass weniger als die Hälfte der Gelder aus Brüssel wirklich armen Ländern zugute kommen. So führt die Türkei im Jahr 2009 mit rund 550 Millionen Euro die Rangfolge der Hilfsempfänger an. (WELT, 19.04.2011)
Brüssel unterstützt die Türkei seit 2002, um dem Land zu helfen, die Bedingungen für einen EU-Beitritt zu erfüllen. Die mehr als 200 geförderten Projekte sollen etwa in den Bereichen Straßenverkehr, Verbraucherschutz oder Steuerverwaltung Fortschritte bringen. Für die Jahre 2007 bis 2013 belaufen sich die Mittel nach Angaben des Rechnungshofs auf 4,8 Mrd. Euro. (Handelsblatt, 13.01.2010)
Im Falle eines EU-Beitritts hätte die Türkei für die aktuelle, von 2007 bis 2013 laufende Finanz-periode Anspruch auf EU-Subventionen in Höhe von 124,9 Milliarden Euro aus dem sogenannten Strukturfonds. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der „Gesellschaft für Finanz- und Regionalanalysen“ (Gefra) aus Münster im Auftrag des Europaabgeordneten Markus Pieper, der für die CDU in der EVP-Fraktion sitzt. Der gesamte EU-Strukturfonds verfügt derzeit über ein Volumen von rund 346 Milliarden Euro. Mehr als ein Drittel davon würde allein auf die Türkei entfallen. … „Angesichts dieser Zahl wird sehr schnell klar, dass das die Aufnahmekapazität der EU sprengen würde“, kommentierte Pieper das Ergebnis dieses Gutachtens. Doch selbst ohne EU-Mitgliedschaft erhält die Türkei bereits erhebliche finanzielle Mittel aus dem EU-Haushalt. Seit 2007 hat die Türkei laut Statistik der EU-Kommission bereits rund drei Milliarden Euro als „Hilfe zum Beitritt“ erhalten. Allein 2011 belief sich die Zahlung auf 781,9 Millionen Euro, 2012 werden es sogar fast 900 Millionen Euro sein!

Volker hat gesagt…

Es stimmt, dass die Türkei gerade Imperialismus spielt. Fragt sich nur, wie die in der Lage sein werden die zu untersetzen.

Der türkische Wirtschaftsboom ist beendet. Im Moment geht´s dort abwärts. Es kann auch wieder aufwärts gehen. Doch an den ganz großen Erfolg glaubt dort keiner mehr.
Erdogan hat das Land erfolgreich islamisiert. Und Islam bedeutet nun mal wirtschaftliche Katastrophe. Eine auf Familie und Stammesverbänden basierende Gesellschaft ist nicht kompatibel zur auf kleinteiliger Spezialisierung und komplexen Produktionsorganisation basierenden modernen Wirtschaft.

Es stimmt auch nicht, dass die Kurden Teil des Türkentums sind. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kurden kapseln sich ab. „Bergtürken“ ist eine Erfindung der Türken, um das Kurdenproblem rhetorisch aus der Welt zu schaffen.
Schaffen die aber nicht.
Im Moment lebt die Türkei mit Kurdistan im kalten Frieden. Der Krieg kocht auf Sparflamme, weil die Türkei Teile von Kurdistan bereits aufgegeben hat. Und weil die Kurden (von ein paar Hitzköpfen abgesehen) keinen Grund sehen, militärisch zu operieren. Warum kämpfen, wenn es die Demographie auch tut?
Ein Biotürkin kriegt 1,5 Kinder, eine Kurdin 4. In einer Vierteljahrhundert wird es in der Türkei so viele kurdische wie türkische Jugendliche geben.

Der türkische Imperialismus ein Windei. In Wirklichkeit ist die Türkei in ihrer jetzigen Form existenziell bedroht. So wie Kaiser Augustus vor zweitausend Jahren, predigt Erdogan heute den Türken endlich wieder Kinder zu kriegen. Mit gleichem Erfolg.
Das ist auch der Grund, warum Erdogan die Türken in D auffordert, bloß keine Deutschen zu werden. Er will, nein, er muss sich diese Reserve unbedingt erhalten.
Bei diesen Aussichten werden die Türken einen Teufel tun sich noch mehr Kurden ins Land holen.

Der Türkei geht es darum, das militärische Operationsgebiet über die Staatsgrenzen der Türkei auszudehnen. Aber nicht um sich die Kurdengebiete unter den Nagel zu reißen, sondern um notfalls kurdische Freischärler auch in deren Rückzugsgebieten zu bekämpfen. Nicht weniger. Aber auch nicht mehr.

Nescio hat gesagt…

Volker, du machst dir ganz ähnliche Gedanken wie ich. Freut mich.
Wir können uns vielleicht darauf einigen, daß in Nordsyrien ein kurdisch-autonomes Gebiet im Entstehen ist. Wie übrigens seit Jahren im Nordirak. Daß sich diese einzelnen Kurdengebiete miteinander solidarisieren, ist ganz natürlich. Auch mit den "Bergtürken".

Wie wird die Türkei darauf reagieren? Kurdische Freischärler in ihren Rückzugsgebieten bekämpfen, schreibst du. In Nordsyrien, im Nordirak ohnehin schon länger, bald auch im Nordiran.

Ja. Aber denke einen Schritt weiter. Diese militärischen Vorstöße zerstören den letzten Rest staatlich-syrischer, staatlich-irakischer und staatlich-iranischer Autorität. Hinterlassen ein Machtvakuum. In dieses Machtvakuum werden kurdische Warlords hineinwachsen, immer mächtiger werden und ebenfalls über die brüchigen Staatsgrenzen hinweg operieren.

Die türkischen Vorstöße erzeugen auch, wegen der unvermeidlichen zivilen "Kollateralschäden", extremen Haß der Zivilbevölkerung gegen die Türken.

Daß den Türken die Sache, auch aus demografischen Gründen, über den Kopf wachsen wird, ist wahrscheinlich. Damit kommen dank NATO wir ins Spiel: Nicht nur wie bisher als Deppensteuerpflichtige, sondern auch als Kanonenfutter.

Nochmals, Volker: Chinesische Weisheiten lernen. Es kommen „interessante“ Zeiten.

Und nicht allzuviel Solidarität mit USRAEL. Wer sich in einen fremden Streit einmischt, ist wie einer, der einen vorbeilaufenden Hund am Schwanz zieht. Quelle des Spruchs gebe ich gern auf Anfrage bekannt.

Nola hat gesagt…

Hier noch ein Überblick schon aus 2008.

http://83273.homepagemodules.de/topic-threaded.php?forum=5&threaded=1&id=1436&message=11173

Ich schrieb dort schon über mögliche Begehrlichkeiten der Türkei, bzw. des Herrn Erdogan:

Das "Öl der Zukunft" : Wasser.

Viele wichtige Flüsse wie Tigris, Euphrat, Aras, Kura, Habur und Ceyhan entspringen in Nordkurdistan.
Im GAP-Gebiet befinden sich 22 Dämme und Stauseen sowie 19 Wasserkraftwerke. Hier werden mit 27 Millionen Kilowattstunden 40% der türkischen Strom-Gesamterzeugung generiert. Dies verdeutlicht, wie wichtig die Kurdengebiete für die Energieversorgung der Türkei sind.

Doch nicht nur aus energiepolitischen Gründen ist das GAP - Gebiet für die Türkei von strategischer Bedeutung:
wenn das GAP - Projekt vollendet ist, wird die Wassermenge, die Syrien erreicht, um 40% geringer sein. Das "Öl der Zukunft" taugt also als Druckmittel gegen die südlichen Nachbarn. Die Türkei hat bisher 16 Mrd. USD in das Gap-Projekt investiert, weitere 16 Mrd. USD wird das Land noch bis 2040 in das Projekt pumpen.

Wirtschaftliches Ziel der Türkei ist es, zu einem Strom- , Wasser- und Agrarexporteur für den gesamten Nahen Osten zu werden. Die Macht der Türkei soll mit der zunehmenden Wasserverknappung im Nahen Osten weiter steigen. Innenpolitisches Ziel ist es, aus der über Jahrhunderte vernachlässigten Region, einen Teil der Türkei zu machen, in dem es keinerlei Separatistenbewegungen mehr gibt.

Dazu wurden im Zuge des Masterplans Gutachten über die ansässigen Bevölkerungsgruppen erstellt. Darin wurde die Stimmungslage in den einzelnen Provinzen exakt beschieben und die Einwohner in Kategorien von Türkei-freundlich bis separatistisch eingestuft. Auch der Einfluss bestimmter Personen auf Dorfgemeinschaften wurde ausgelotet. Ziel ist es, mit den gewogenen Bürgern einen Entwicklungsmagneten aufzubauen und die missliebigen Kurden gezielt zu vertreiben

Im restlichen Kurdistan ist das Wasser von weniger strategischer Bedeutung.
In Südkurdistan befinden sich Staudämme in Derbandixan, Dukan und Mossul, in Ostkurdistan in Bokan sowie Mehabad und in Südwestkurdistan in Rakka.


Erdöl: In Kurdistan befinden sich insgesamt angeblich 45 Mrd. Barrel Erdöl.

Nordkurdistan: Die einzigen nennenswerten Erdölvorräte innerhalb der Türkei befinden sich in Batman, Amed (Diyarbakır) und Semsúr (Adıyaman). Erst kürzlich wurde eine Quelle entdeckt, aus der man laut TPAO täglich 400 Barrel Erdöl fördern könne.

In Südkurdistan befinden sich angeblich 36 Mrd. Barrel Erdöl : In Kerkuk, Xanekin und Mossul sowie in Çiya Surkh, Cembur, Muşhorab, Ain Zalah, Butmah und Sasan.

In Südwestkurdistan befindet sich das erdölreiche Jazira - Gebiet und in Ostkurdistan ist das Kirmanşah - Gebiet von nicht geringer Bedeutung.
♥liche Grüße Nola

Nescio hat gesagt…

Danke Nola. Super Analyse.