Donnerstag, 26. April 2012

Am 26. April 1872

... also heute vor 140 Jahren, wurde der deutsche Essayist und Romanist Josef Hofmiller geboren. Auch einer derer, die in der allgemeinen Kultur- und Traditionsvergessenheit nach 1945 (und 1968) ins Dunkel der Geschichte abgedrängt wurden. Es war einfach unmodern, sich mit einem der bedeutendsten Literaturkritiker der Zeit zwischen 1900 und den 20er-Jahren zu beschäftigen. Dabei war Hofmiller ja nicht einmal ein »Nazi«, sondern einfach ein in vielen Sprachen, vorzugsweise den romanischen, ungemein belesener und für alle Zeitströmungen hellwach empfänglicher — doch eben kein unkritisch »fortschrittlicher« Geist. Und das ist eigentlich Grund genug, ihn auf diesem Blog kurz in Erinnerung zu rufen.

Die biographischen Daten sind schnell erwähnt: geboren am 26. April 1872 in Kranzegg im Allgäu, gestorben am 11. Oktober 1933 in Rosenheim, hauptberuflich Gymnasialllehrer in Freising, München und Rosenheim; eine angetragene Berufung nach Köln als Professor für Romanistik lehnte er ab, und auch als geschätzter Kritiker wollte er doch nicht nach Berlin übersiedeln. So macht man eben keine Karriere ...

Ein auf den ersten Blick also »kleines« Leben. Aber nur auf den ersten, denn selbst wenn man bei Wikipedia bloß die lapidare Aufzählung seines Wirkens liest, wird man eines Besseren belehrt:
- Hofmiller verfasste Essays, Musik-, Theater- und Literaturkritiken (z.T. als ständiger Mitarbeiter) in Zeitungen und Zeitschriften wie Münchner Allgemeine Zeitung, Münchner Neueste Nachrichten, Die Zukunft, Der Kunstwart.
- Er war Mitbegründer und Herausgeber der Süddeutschen Monatshefte.
- Er wirkte als Herausgeber von Anthologien deutscher und fremdsprachiger Dichtungen
- In den Reihen Bücher der Bildung und Schönste Erzählungen des Langen-Verlages gab er 16 Einzelbände heraus.
- Er arbeitete mit an den Altöttinger Heimatbüchern.
- Er verfasste Übersetzungen aus dem Französischen und dem Englischen, sowie Briefe, pädagogische, historische und politische Abhandlungen u.v.m.
Eine überregionale Bekanntheit errang er nicht nur durch seine stilistisch geschliffenen und ungemein treffsicher fomrulierten Theaterkritiken und Buchrezensionen (die 1927 in einem köstlich zu lesenden Werk »Über den Umgang mit Büchern« ihre reife Synthese fanden), sondern v.a. durch seinen großen Nietzsche-Essay, den er 1931, als die Übermenschelei und Großmannssucht der Nazis schon stark im Schwange war, in einer Sondernummer der Süddeutschen Monatshefte veröffentlichte. Wikipedia spendet Hofmiller dazu das zweideutige Lob, von Kurt Tucholsky hiefür positiv erwähnt worden zu sein, »... obwohl er schon wegen deren politischer Rechtslastigkeit weder von den Süddeutschen Monatsheften noch von Hofmiller viel hielt«. Ist es gestattet, die Relevanz solchen viel-oder-weniger-viel-Haltens angesichts der nur allzu evidenten politischen Scheuklappen Tucholskys mit einem locker dahingesetzten »Nebbich!« ein wenig zu relativieren? Wer Josef Hofmillers Nietzsche-Essay gelesen hat, wird es verstehen.

Bekannt und zitiert wurden aus diesem v.a. die hellsichtigen Schlußsätze:
Was bleibt dann von Nietzsche? Es bleibt genug. Es bleibt mehr und Wertvolleres als ein System, das nie eines war. Es bleibt der Kritiker und Diagnostiker der Zeit. Es bleibt, nicht im deutschen Wortgebrauch, sondern im französischen, der Moralist: der Miniaturist und Außenseiter der Philosophie, der Aphoristiker. Bleiben werden am längsten die drei mittleren Werke: „Menschliches, Allzumenschliches“, „Morgenröte“, „Die fröhliche Wissenschaft“. Bleiben werden les plus belles pages, wie die Franzosen ihre feinen Auswahlen nennen. Bleiben werden Einzelheiten: Beobachtungen, Einfälle, Gedanken, Stimmungen, Maximen und Reflexionen, insoweit und weil sie unabhängig sind von seinem vermeintlichen System. Bleiben wird der Künstler, bleiben der Dichter.
Das war 1931 nun wirklich alles andere als »zeitgeistkonform«! Entweder mußte man, sei es als aussterbender »Weimarer Republikaner« und Demokrat, sei es als strammer Linker Nietzsche verteufeln, oder aber ihn frenetisch bejubeln — egal ob man als Nostalgiker eines vergangenen oder auch als Prophet eines neuen »Herrenmenschentums« unterwegs war, das im ersteren Fall meist auf den schnarrenden Kasernenhof-Ton preußischer Reserveleutnants gestimmt war, in zweiterem hingegen auf eine unbekömmliche Melange von zeitgeistigem Kulturpessimismus mit schneidiger Schlägertruppen-Uniform hinauslief.

Hofmiller ist — obwohl viel zu früh, an einem Schlaganfall nach einer Bergwanderung — doch irgendwie rechtzeitig gestorben, daß er als aufrechter »fortschrittlicher Konservativer« die Zerrüttungen des deutschen Geisteslebens während der Nazizeit (fast) nicht miterleben mußte. Nach 1945 war sein Typus nicht mehr gefragt. Ja, man hat ein Gymnasium nach ihm benannt — aber das sind Dutzend-Ehrungen ohne echten Wert. Sein klarer, feindifferenzierter Geist hingegen ist passé. Und das sagt eigentlich alles über den heutigen Zustand deutschen — nein: europäischen — Geisteslebens aus.

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P.S.: Im Gutenberg-Projekt gibt es einige Texte Hofmillers, leider nicht den erwähnten Nietzsche-Essay von 1931, sondern in der Essay-Sammlung »Versuche« nur einen Aufsatz aus Hofmillers noch deutlich »Nietzsche-unkritischerer« Frühzeit.

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