Samstag, 23. Mai 2015

Heute vor hundert Jahren, am 23. Mai 1915

... wurde der bis in die Gegenwart vielfach virulente Keim des Mißtrauens mancher Österreicher gegenüber den »Katzelmachern« — also: den Italienern — gelegt: in der zutiefst treubrüchigen Kriegserklärung des (theoretisch) im Dreibund verbündeten Königreichs Italien an Österreich-Ungarn.

»DiePresse« bringt dazu einen langen, durchaus lesenswerten Artikel des Militärhistorikers Manfried Rauchensteiner, dem, wie allem, was dieser so schreibt, mit gesunder Vorsicht zu begegnen ist, der aber in diesem Fall grosso modo durchaus zutreffend die vertrackte Situation beschreibt:
Es begann im ... Ja, wann begann es eigentlich, dass sich Italien und die Habsburgermonarchie unfreundliche Nachbarschaft signalisierten? Als sich Politiker, Diplomaten und Militärs am Beginn des Ersten Weltkriegs diese Frage mit einer gewissen Dringlichkeit vorzulegen begannen, konnte man eigentlich nur von Erbfeindschaft sprechen. Und das, obwohl man schon an die 30 Jahre verbündet war. Aber es soll ja auch heute vorkommen, dass sich Verbündete gar nicht mögen.
Nun — »Erbfeindschaft« war durchaus nicht unzutreffend, denn schließlich hatten die italienischen Einigungskriege, die unter dem Kreuz von Savoyen aus der bloßen geographischen Bezeichnung einer Halbinsel Europas — vergleichbar mit »Balkan« oder »Skandiavien« — eine »Nation« gemacht hatten, dies ja nur zu Lasten der norditalienischen Besitzungen der Habsburger, also des Doppel-königreichs Lombardo-Venezien erzielen können. Daß aus derlei Vorgängen nicht eben Freundschaft erblüht, liegt nahe! Und dennoch: in den Jahren geschickter Bündnispolitik Bismarcks war es diesem dennoch gelungen, Italien in einen mit Deutschland und Österreich geschlossenen Dreibund zu integrieren. Daß dieser dann durch den oft hemmungslosen Chauvinismus radikaler italienischer Parlamentarier teilweise eine recht »papierene« Konstruktion blieb, sei unbestritten — doch ebenso unbestreitbar ist auch, daß kluge Außenminister und Botschafter diesem Konstrukt doch einige Bedeutsamkeit zumaßen, eine Bedeutsamkeit, die ihm bei unbefangener Betrachtung auch durchaus zukam, waren doch die kolonialen und wirtschaftlichen Interessen Italiens und Frankreichs durchaus voller konfrontativer Reibungspunkte, und eine Einbindung in das Bismarck'sche Allianzensystem zur Isolierung Frankreichs und zur stillen Neutralisierung der (damaligen) »Supermacht« Großbritannien auch im Interesse Italiens.

Freilich: gerade solch diffizile Beziehungen, die eher Verstandesehen als Liebesheiraten gleichen, wollen mit Geschick gepflegt sein — und dieses Geschick ließen (vielleicht mit Ausnahme des Fürsten Bülow, der sogar mit einer italienischen Principessa verheiratet war) die weniger genialen Nachfolger des »Eisernen Kanzlers« (bei bei Bedarf eben auch nicht nur eisern, sondern höchst geschmeidig sein konnte!) leider zu oft vermissen. Auch von Österreichs Seite stand die Außenpolitik gegenüber Rom (sicher auch durch die Treue der Habsburger-Dynastie zum Heiligen Stuhl und die schon dadurch gegebenen Spannungen mit dem italienischen Einheitsstaat) nicht immer unter einem guten Stern. Der letzte, der sich mit (freilich nach seiner Verabschiedung bald zunichte gemachtem) Erfolg um eine Verbesserung der »Atmosphäre« zwischen Wien und Rom bemühte, war der k.u.k. Botschafter Graf Heinrich von Lützow gewesen, bei dessen Abberufung im Frühjahr 1910 eine Zeitung die leider prophetischen Worte schrieb:
Möge es nie zu einem törichten Krieg zwischen Italien und Österreich kommen, aber eins ist gewiß: die erste Schlacht haben die Österreicher durch das Scheiden der Lützows von Rom bereits verloren.
Nachfolger des weltläufigen Grafen Heinrich von Lützow (zu diesem siehe auch seine Darstellung der Julikrise und der Folgezeit: iiiiiiivv), war der aus Ungarn stammendes Kajetan Mérey von Kapos-Mére, dem genau die diplomatische Gewandtheit seines Vorgängers völlig mangelte, der in vielem als sturer, pedantischer Bürokrat seinen italienischen Gesprächspartnern ein Greuel war, und der sich — trotz manch durchaus scharfsichtiger Beobachtungen! — letztlich als wenig geeigneter »Übersetzer« der römischen Stimmungen und Verhältnisse an den Wiener Ballhausplatz erwies, und noch in Zeiten, in denen durch vergleichsweise geringe Konzessionen ein Kriegseintritt — oder doch wenigstens eine wirklich wohlwollende Neutralität — Italiens erreichbar gewesen wäre, Illusionen in Wien nährte, Italien einfach mit Einmahnung seiner Bündnistreue und darüber hinaus bloß mit netten Worten abspeisen zu können. Dies, und die wenig glückliche, ziellos schwankende Politik des damaligen Außenministers Burián von Rajecz führten schließlich in die Katastrophe des Kriegseintritts Italiens auf Seiten der Alliierten.

In der Geschichte sind die berühmten »Was-wäre-wenn-X-gewesen«-Spekulationen ebenso beliebt wie verpönt, denn mit seriöser Geschichtsschreibung hat das natürlich nichts zu tun! Dennoch: manchmal liegt die Frage nahe, ob nicht mit bloß geringer (und realistischerweise problemlos vorstellbarer) Abänderung der Ausgangspositionen die eine oder andere Partie durchaus vorhersehbar nicht ganz anders abgelaufen wäre — und eines der besten Beispiele hiefür ist eben die Frage nach der Rolle Italiens im Ersten Weltkrieg!

Ein förmlicher Kriegseintritt Italiens hätte Frankreich und Großbritannien vor schwer zu bewältigende Herausforderungen gestellt: Italien hatte eine — insbesondere zusammen mit der k.u.k. Kriegsmarine keineswegs zu unterschätzende! — Stellung als maritime Macht im Mittelmeer, die bspw. britische Truppen- und Gütertransporte aus den Kolonien durch den Suez-Kanal durchaus gefährden konnte. Die italienische Armee hätte in den Westalpen einiges an französischer Militärmacht gebunden — die Frankreich gegenüber Deutschland gefehlt, und so einen deutschen Durchbruch in Nordfrankreich durchaus wahrscheinlich gemacht hätten. Ob ein Großbritannien, dem der Hauptverbündete auf dem Kontinent, Frankreich, weggebrochen wäre, sich dann mit dem traditionellen Feind (und nur gegen Deutschland taktisch herangezogenen »Freund«) Rußland einen kaum gewinnbaren Krieg »auf Biegen und Brechen« hätte weiterführen wollen, kann mit gutem Grund bezweifelt werden.

Wie auch immer: Italien zog vor, dem Mehrgebot der Alliierten den Zuschlag zu geben — »sacro egoismo« nannte Ministerpräsident Salandra diese treubrüchige Vorgehensweise.  Wundert es einen, wenn unter Österreichern seitdem zur traditionellen Qualifikation der Italiener als »Katzelmacher« das Adjektiv »falsch« quasi als epitheton ornans hinzutrat ...?

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