Montag, 7. Dezember 2015

Anmerkungen zu einem unterschätzten Staats- und Kirchenmann





BENEDICTUS XV.


Anders als in den letzten Tagen dieser Blogpause, als nur die Wappenbilder »für sich selbst« sprachen, möchte ich hier doch ein paar Worte zum Träger des obenstehenden Wappens schreiben. Wikipedia widmet ihm einen durchaus treffenden Artikel, dessen biographische Details zu lesen verlohnt:
Giacomo della Chiesa wurde in Genua, Italien, als Sohn einer markgräflichen Adelsfamilie geboren. Im Jahre 1875 erlangte er den staatlichen Doktorgrad der Rechtswissenschaften. Erst danach gestattete ihm sein Vater das Studium für das Priesteramt; hierzu wurde er Seminarist am Almo Collegio Capranica (Rom). Er schloss die Schule der vatikanischen Diplomatie 1880 mit einem Doktorat in Kirchenrecht ab. Am 21. Dezember 1878 empfing er das Sakrament der Priesterweihe. Den größten Teil seiner kirchlichen Laufbahn verbrachte er im Vatikan.
Er zählt wohl zu den meist-unterschätzten Päpsten des 20. Jahrhunderts — denn er war zeit seines Pontifikates nie wirklich »populär«, und sein Gedächnis nach dem Tod wurde sicherlich durch die autoritätsgeladene, energische Erscheinung des Nachfolgers, Pius XI, überschattet. Weder in Italien (das ihm seine Wertschätzung für die Aufrechterhaltung der Habsburger-Monarchie verübelte), noch auch in Österreich (dem er als Italiener seit dem treubrüchigen Verhalten des Dreibund-Verbündeten Italien irgendwie suspekt war), noch auch auf Seite der Entente-Mächte, denen seine ständigen Bemühungen um Frieden bloß die aufgeheizte Haßkampagne gegen »die Hunnen« zu stören drohten.

Der deutsche Diplomat und Schriftsteller Harry Graf Keßler, aus dessen höchst lesenswerten »Tagebüchern 1918-1937« in anderem Zusammenhang bereits zitiert wurde, findet dort in einigen Einträgen bemerkenswert treffende Einschätzungen über ihn — und manch eher »schräge« dazu, wie beispielsweise diese hier:
Berlin, 7. Februar 1919. Freitag
Wieland Herzfelde bei mir, Ich skizziere ihm meine Auffassung der Weltlage. Drei große Ideen und Machtkomplexe, die wirklich international sich in die Welt teilen und einander bekämpften: Klerikalismus, Kapitalismus und Bolschewismus; der Kapitalismus mit Einschluß seiner Ausgeburten Militarismus und Imperialismus. Die drei sybmbolischen Männer der Zeit: der Papst, Wilson und Lenin, jeder mit einer ungeheuren, elementar fundierten Gewalt und Völkermasse hinter sich.
(Kessler, Tagebücher, insel taschenbuch, S 121)
Zutreffender wohl seine Beschreibung des Verstorbenen (Harry Graf Keßler weilte damals gerade in Rom):
Rom, 22. Januar 1922. Sonntag
Der Papst ist heute früh um sechs gestorben. Er war keine große, aber eine hervor-ragend für seine Stellung passende Persönlichkeit: das genau richtige Rad in der gewaltigen Maschine der Kirche und der noch gewaltigeren der Welt. Eiskalt, klug, aber mit der nötigen Borniertheit begabt, ziemlich tempramentvoll und unter der Eiskruste des Weltmannes und Diplomaten sogar gütig. Ich sehe ihn noch als kleinen, weißen, hinkenden Landpfarrer hereinkommen, dann kurz und scharf sprechend, ein Männchen ohne jeden souveränen Glorienschein. Man bekam den Eindruck, daß er viel Ärger im Leben gehabt habe und daß etwas von diesem Ärger, wie Pulverdampf noch lange nach einer Schießerei, immer in seiner geistigen Atmosphäre mitschwebte. [...]

Rom, 23. Januar 1922. Montag
Öffentliche Aufbahrung und Ausstellung des Papstes in der Peterskirche. Man wurde in einer ungeheuren, nicht abbrechenden Menschenmenge zwischen Holzschranken und einem Spalier von italienischen Soldaten vorbeigepreßt. Der Papst lag vor dem Altar in einer Seitenkapelle auf einem etwa mannshohen, purpurbeschlagenen Gerüst zwischen Kerzen und unbeweglich stramm präsentierenden Nobelgarden im päpstlichen Ornat, roten Schuhen, roten Handschuhe schräg aufgerichtet da, das Gesicht im Tode von großer Schönheit und Hoheit, etwas angeschwollen und dadurch fast kindlich rein und faltenlos. Das Kindliche überwog und wirkte in dem umgebenden Pomp ergreifend hoheitsvoll. Um so unsäglich roher und empörender diese gaffende Menschenmenge, die völlig teilnahmslos, lachend, Witze machend sich vorbeischob. Ich sah nicht ein ergriffenes Gesicht. Der eisige Regentag, der die Kirche ganz mit einem trüben, ausdruckslosen Grau erfüllte, erhöhte den Eindruck der Gleichgültigkeit, der völligen Teilnahmslosigkeit der Welt an diesem Toten.
(a.a.O., S. 276 f.)
Nun — war er wirklich bloß zwar »keine große, aber eine hervorragend für seine Stellung passende Persönlichkeit«, wie Keßler meint? Das hängt davon ab, was man als Charakteristikum der »großen Persönlichkeit« ansieht. Wer beeindruckendes, oder auch alle Herzen gewinnendes Auftreten anführt, der wird im kühlen, diplomatisch geschliffenen Papst Benedikt XV in der Tat nur das richtige Rad in der gewaltigen Maschine erblicken können. Wer freilich vor allem geistige Unabhängigkeit und Unbestechlichkeit als Kriterium sieht — der kann diesem Papst die Bewunderung für seine Größe nicht versagen! Denn von allem Anfang seines Pontifikats an hat Papst Benedikt XV — und damit ganz im Gegensatz zu den Staatsoberhäuptern und den meisten (!) Kirchenführern und -fürsten jener Tage, als der Krieg noch jung und die »patriotische« Begeisterung noch groß war! — stets diesen Krieg als Greueltat angeprangert. In seiner berühmten Exhortatio vom 28. Juli 1915, dem Jahrestag des Kriegsausbruches, »Allorché fummo chiamati« schreibt er ganz unverblümt: »Der Krieg ist eine grauenhafte Schlächterei!«
Als Wir ohne unser Verdienst auf den Apostolischen Stuhl berufen wurden zur Nachfolge des friedliebenden Papstes Pius X., dessen heiliges und segensreiches Leben durch den Schmerz über den in Europa entbrannten Bruderzwist verkürzt wurde, da fühlten auch Wir mit einem schaudernden Blick auf die blutbefleckten Kriegsschauplätze den herzzerreißenden Schmerz eines Vaters, dem ein rasender Orkan das Haus verheerte und verwüstete. Und Wir dachten mit unausdrückbarer Betrübnis an unsre jungen Söhne, die der Tod zu Tausenden dahinmähte, und Unser Herz, erfüllt von der Liebe Jesu Christi, öffnete sich den Martern der Mütter und der vor der Zeit verwitweten Frauen und dem untröstlichen Wimmern der Kinder, die zu früh des väterlichen Beistands beraubt waren. Unsre Seele nahm teil an der Herzensangst unzähliger Familien und war durchdrungen von den gebieterischen Pflichten jener erhabenen Friedens- und Liebesmission, die ihr in diesen unglückseligen Tagen anvertraut war. So faßten Wir alsbald den unerschütterlichen Entschluß, all Unsre Wirksamkeit und Autorität der Versöhnung der kriegführenden Völker zu weihen, und dies gelobten Wir feierlich dem göttlichen Erlöser, der sein Blut vergoß, auf daß alle Menschen Brüder würden.

Die ersten Worte, die Wir an die Völker und ihre Lenker richteten, waren Worte des Friedens und der Liebe. Aber Unser Mahnen, liebevoll und eindringlich wie das eines Vaters und Freundes, verhallte ungehört! Darob wuchs Unser Schmerz, aber Unser Vorsatz wurde nicht erschüttert. Wir ließen nicht ab, voll Zuversicht den Allmächtigen anzurufen, in dessen Händen Geist und Herzen der Untertanen und Könige liegen, und flehten ihn an, die fürchterliche Geißel des Krieges von der Erde zu nehmen. In Unser demütiges und inbrünstiges Gebet wollten Wir alle Gläubigen einschließen, und, um es wirksamer werden zu lassen, sorgten Wir dafür, daß es verbunden wurde mit Übungen christlicher Buße. Aber heute, da sich der Tag jährt, an dem dieser furchtbare Streit ausbrach, ist Unser Herzenswunsch noch glühender, diesen Krieg beendigt zu sehn; lauter erhebt sich Unser väterlicher Schrei nach Frieden. Möge dieser Schrei das schreckliche Getöse der Waffen übertönen und bis zu den kriegführenden Völkern und ihren Lenkern dringen, um die einen wie die andern mildern und ruhigern Entschlüssen geneigt zu machen.
(Hier weiterlesen)
Hätte Benedikt XV kein anderes Verdienst, als diesen Ruf nach Frieden ausgestoßen zu haben, man könnte ihm »Größe« wohl nicht absprechen — doch er hat noch viele andere: von der Fertigstellung der Neukodifikation des kanonischen Rechts (CIC 1917), über die Stabilisierung der Beziehungen zum laizistischen Frankreich, die Etablierung eines modus vivendi mit Italien, bis zur Eindämmung der innerkirchlichen Verketzerung mißliebiger Personen unter dem Deckmantel des Antimodernismus ...

Es gab gute Gründe, warum ein anderer, geistig bedeutender Papst durch die Wahl seines Namens auf diesen zu Unrecht fast vergessenen Vorgänger aufmerksam machte.

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