Katholische Soziallehre
Barmherzig sollen die anderen sein
Als «Mutter aller
Sozialenzykliken» wurde die päpstliche Enzyklika «Rerum novarum», deren
Erscheinen sich heuer zum 125. Mal jährt, allerorts gepriesen. Die
zahlreichen Würdigungen des von Papst Leo XIII. 1891 veröffentlichten
Lehrschreibens durchzieht ein gemeinsamer Tenor: Die im Laufe des 20.
Jahrhunderts gewachsene – und bis heute gültige – katholische
Soziallehre mit ihrer zunehmenden Befürwortung des umverteilenden
Sozialstaates sei nichts anderes als eine bruchlose Weiterentwicklung
der Ansätze dieser ersten Sozialenzyklika. Doch hält diese Einschätzung
näherer Prüfung nicht stand.
Reichtum abtreten?
Ebenso
wenig stichhaltig erscheint der mit dieser Beschwörung von Kontinuität
verbundene Anspruch der katholischen Soziallehre, ein originär
christlicher Beitrag zu Fragen einer gerechten Wirtschafts- und
Gesellschaftsordnung zu sein. Auch hier sprechen die Quellen eine andere
Sprache. Die zunächst als «Dritter Weg» zwischen Kapitalismus und
Sozialismus konzipierte katholische Soziallehre gründet vor allem in der
von dem Jesuiten Heinrich Pesch (1854 bis 1926) entwickelten Doktrin
des «Solidarismus».
Diese
«Vermittlung von Individualismus und Sozialismus», so Pesch, war eine
deutliche Abkehr von der bisherigen sozialethischen Tradition.
(Hier weiterlesen)
Zum Autor: em. Univ.-Prof. Dr. Martin Rhonheimer lehrt seit 1990 Ethik und politische Philosophie an
der Päpstlichen Universität Santa Croce in Rom und ist seit 2015
Präsident des von ihm mitbegründeten Austrian Institute of Economics and
Social Philosophy in Wien, wo er gegenwärtig lebt.
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