Donnerstag, 31. Mai 2007

EU-Warnschuß gegen Lebensmittel-Industrie

In der Wiener Tageszeitung "Die Presse" findet sich heute ein Artikel über den neuesten Ausritt der Eurokraten:

Die Lebensmittelindustrie ist noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen. Die EU-Kommission verzichtet zwar auf ursprünglich ins Auge gefasste gesetzliche Regelungen gegen ungesundes Essen. Doch Gesundheitskommissar Markos Kyprianou gibt der Industrie nur noch Zeit bis 2010. Kommt es zu keiner Selbstbeschränkung, werde Brüssel gemeinsam mit den Mitgliedstaaten strenge Auflagen erlassen, so Kyprianou bei der Präsentation eines EU-Weißbuchs zur Gesundheit am Mittwoch in Brüssel.

Was hält dieser amoklaufende Levantiner eigentlich von Dingen wie Privatautonomie? Offenbar hat er noch nie gehört, daß es sowas gibt — hat sich wohl bis in Europas fernen Osten, zu diesem Inselstaatchen im Schatten der Türkei, noch nicht durchgesprochen. Nach Zigaretten, bei denen noch die (wenngleich maßlos übertriebene) Gefahr des Passivrauchens als Rechtfertigung an den Haaren herbeigezogen werden kann, und Alkohol, bei dem, außer im Falle von Embryonen, das Phänomen des Passivsaufens bislang völlig unbekannt geblieben ist, aber wo man ja irgendwie noch mit der Gefährdung durch besoffene Autofahrer zu argumentieren versucht, ist jetzt das Fett dran. Oder noch besser: gleich alles, was ungesund ist.

Und was ungesund ist, bestimmt die EU. Durch Herrn Kyprianou und seinesgleichen.

Spätestens hier endet wohl auch die größte Toleranz des geduldigen Bürgers gegenüber der militanten Bevormundung: es geht Herrn Kyprianou schlicht und einfach einen Dreck an, was ich esse und trinke! Das hat ihn ebensowenig zu kümmern wie die Frage, welche Kravattenfarbe ich bevorzuge, oder ob mein Musikgeschmack zu Mozart oder zu Musikantenstadel tendiert.

Und überhaupt: was ist denn "ungesund"? Ich erinnere mich an eine Studie, bei der die Lebenserwartung im Zusammenhang mit Ernährungsgewohnheiten geprüft wurde. Heraus kam (wohl zur geringen Freude der damals Cholesterin-fixierten Ernährungswissenschaftler), daß in Armenien der höchste Anteil an über 100-Jährigen Hand in Hand mit der Gepflogenheit ging, einmal wöchentlich ein halbes Kilo Butter im Kesselchen zu schmelzen, und das so gewonnene goldgelbe Butterschmalz — schmatz! — hinter die Binde zu gießen. Ich nehme an, daß der Herr Professor, der das herausfand, nach einem kurzen Griff ans stechende Herz sein nächstes Cholesterin-senkendes Pülverchen einwarf.

Mag ja sein: wer ständig Junk-Food frißt, wird möglicherweise früher sterben. Und hat sich um jede Menge gesünderer Genüsse gebracht. So what? Wie ich mich umbringe (oder eben nicht), ist gefälligst jedem Menschen selbst zu überlassen. Auch Liebeskummer verkürzt bekanntlich die Lebenserwartung — wird deshalb auch die Liebe verboten? Autofahren verkürzt die Lebenserwartung noch viel mehr, aber da wird natürlich nichts verboten, denn hier kann die Industrie schön Profite machen und eine Menge Kommissionen Regeln und Bürokratien erfinden, daß den Untertanen schwarz wird vor den Augen ...

Herrn Kyprianou sei gesagt: Politiker mit ausgeprägtem Sendungsbewußtsein, die Welt verbessern zu wollen, bei gleichzeitiger Überzeugung, ganz genau zu wissen, wie das gefälligst zu geschehen hat, sind weitaus gefährlicher als jeder Zigarettenrauch, den einem ein fettleibiger Prolet mit Alkoholfahne und Frittengestank nur je ins Gesicht blasen kann! Unter den vielen Politikern, die die Welt verbessern wollten und genau wußten, wie's geht, war u.a. ein gewisser Robespierre. Und da das Volk in seiner Blödheit nicht recht mitwollte, mußte man es halt ein bisserl zwingen. Nur zu seinem Besten, versteht sich. Wir wissen, was dann daraus wurde. Und was aus Robespierre wurde, als dem Volk endlich doch die Geduld gerissen war, wissen wir auch — wenngleich wir heute in so humanen Zeiten leben, daß die Enthauptung eines entmachteten EU-Kommissars bedauerlicherweise doch eher unwahrscheinlich sein dürfte.

Doch dem umtriebigen Weltverbesserer reichen bloße Negativmaßnahmen wie Verbote keineswegs — da muß auch schon noch was "aktiv" getan werden!

Neben der falschen Ernährung hat das EU-Weißbuch auch vor der mangelnden Bewegung der europäischen Bevölkerung gewarnt. So zeigen Studien, daß jeder dritte Europäer sich in seiner Freizeit überhaupt nicht körperlich betätigt und daß der durchschnittliche Europäer mehr als fünf Stunden täglich sitzend verbringt. Kyprianou kündigte gemeinsame Initiativen der EU und der Mitgliedstaaten an, um Sport wieder attraktiver zu machen. Es gehe dabei nicht um den sportlichen Wettbewerb. "Es geht darum, daß vor allem Kinder wieder Spaß an der Bewegung vermittelt bekommen."

Na also, wer sagt's denn — willkommen in Peking! Am Platz des Himmlischen Friedens wird uns Euro-Schlaffis doch längst vorgeturnt, was Leibesertüchtigung heißt. Und überhaupt könnten wir uns von China eine Scheibe abschneiden, meint die EU-Kommission. Keine lästige Demokratie, keine Extrawürste mit angeblichen Bürgerfreiheiten — alles wird in EU-Richtlinien zweckmäßig geregelt! Also nix mehr mit Sonntagsnickerchen: Gymnastik und Wandertouren sind lt. EU-Fitnessrichtlinie angesagt! Ich hoffe, Herr Kyprianou fällt jetzt nicht in Ohnmacht (was bei seiner stattlichen Leibesfülle ja durchaus passieren könnte) wenn ich ihm sage, daß ich da am Sonntag doch viel lieber in aller Ruhe ein saftiges Wiener Schnitzel mit Kartoffel-Mayonnaise-Salat esse, und dazu einen gut gekühlten, spritzigen Grünen Veltliner aus der Wachau trinke. Danach gibt's zum Cappuccino — mit ein bisserl Schlagobers, versteht sich — eine gute Havanna. Und ein Gläschen Port. Im Hintergrund ein Streichquartett von Haydn.

Und das soll ich gegen rudelweises Gelenkedehnen eintauschen, damit ich — bloß möglicherweise, so ich nicht z.B. von einem Auto überfahren werde — länger lebe, und mit dieser meiner — unserer! — angeblich längeren Lebenserwartung das Pensionssystem endgültig über den Jordan schicke?

Nein Herr Kyprianou, das alles mag ich nicht. Und das mögen viele Bürger nicht. Die, die's mögen, haben ja bereits heute die Freiheit, im Microfaser-Neon-Look schwitzend durch den Park zu keuchen. Sollen sie doch! Ich sehe von meiner Terrasse zu und genieße Kaffee und Zigarre. Und wenn die keuchenden Lemminge endlich vorbeigehastet sind, gieße ich mir noch ein Schlückchen Port nach — man gönnt sich doch sonst nichts ...

11 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Geht sowas auch ohne Kraftausdrücke und Beleidigungen?

Anonym hat gesagt…

@anonym:

Geht sowas auch ohne Kraftausdrücke und Beleidigungen?
Antwort von Radio Eriwan: "Im Prinzip ja. Nur macht es dann deutlich weniger Spaß."

P.S.: wo sehen Sie hier übrigens "Kraftausdrücke" und "Beleidigungen"?

Resident hat gesagt…

- "dieser amoklaufende Levantiner" (Beleidigung)

- "Inselstaatchen im Schatten der Türkei" (Beleidigung)

- "schlicht und einfach einen Dreck an" (Kraftausdruck)

- "Kravattenfarbe" (ähm ... nur insgesamt ein ekelhafter Gedanke - die EU sollte mal besser diese Tücher verbieten ;-)

- "Euro-Schlaffis" (okay, das war Ironie)

Übrigens, Robespierre wurde nicht vom Volk gestürzt sondern von seinen Konsorten.

Resident hat gesagt…

jetzt wissen Sie's auch ... ich war's.

;-)

Anonym hat gesagt…

@str:
Schön, wieder von Ihnen zu hören! Nun zu Ihren Gavamina:

- "dieser amoklaufende Levantiner" ist keine Beleidigung. Kyprianou ist Zypriote. Zypern gehört zur Levante (alte Bezeichnung für die Staaten des östlichen Mittelmeeres). Und wenn jemand gesetzliche Regeln darüber androht, was in Zukunft gegessen werden darf — was, wenn nicht Amok läuft er dann?

- "Inselstaatchen im Schatten der Türkei" ist eine Tatsachenfeststellung. Zypern war ca. ein halbes Jahrtausend türkische Provinz (tiefste Provinz, genauer gesagt) Und ein Staat mit weniger als 1 Mio. Einwohner ist eben bloß ein "Staatchen".

- "jemanden ein Dreck angehen". Nun, wir in Österreich sind da vielleicht nicht so zimperlich. Kraftausdruck wäre "einen Scheißdreck" (pardon!) zu schreiben gewesen. Habe ich mir aber verkniffen.

- Die Konsorten stürzten nur, weil sogar sie irgendwann die Unpopularität Robespierres erkannten. Das gibt freilich Hoffnungen auf einen Sturz besagten Levantiners, obwohl die Techniken des "social engineering" heute leider viel fortgeschrittener sind und sich die Leute daher gegen die Machtklüngel immer weniger durchsetzen können. Aber: "Die Hoffnung stirbt zuletzt", wie der Russe sagt ...

P.S.: also Ihr Vorurteil gegen Kravatten kann ich nicht nachvollziehen. Ich trage sowas fast täglich (also, okay: nicht im Badeurlaub :-) Und gegen ein Verbot "dieser Tücher" hätte ich schon ganz prinzipiell etwas einzuwenden. Sogar, wenn Sie damit (in einer Art von intellektuell "eingesprungenem Doppelaxel") die Kopftücher irgendwelcher Anatolierinnen gemeint hätten. Sollen sie sich doch verhüllen, wie sie wollen, solange nachgewiesen ist, daß sie das
1. wirklich freiwillig tun (Beuys trug z.B. immer schmierige Hüte — stell' ich mir im Sommer zwar etwas eklig vor, aber war trotzdem seine, und nur seine, Sache);
2. sie auch die anderen nicht dazu zwingen;
3. ich darüber süffisante Bemerkungen machen darf. Denn bei der Freiheit der Meinungsäußerung bin ich eben recht unnachgiebig (siehe Mohammed-Karikaturen)

Resident hat gesagt…

Hallo,

Ich weiß, was die Levante ist, aber Levantiner ist dennoch ein abfälliger Ausdruck. Sowas gibt es auch gegenüber Östterreichern, aber meine innere pro-austrische Haltung hindert mich daran, solche zu benutzen.

Ein Amokläufer ist jemand, der rasend herumläuft und Leute umbringt. Das sehe ich bei dem Kommissar nicht ...

Ein Staatchen ist niemals eine Tatsachenfeststellung. Es gibt nur Staaten, keine Staatchen. Und außerdem ist hier völlig irrelevant, daß die Insel jahrhundertelang türkisch besetzt war bzw. teilweise noch ist.

Auch wir in Deutschland sind da nicht so zimperlich. Wie oft wird doch ein unqualifizierter Vulgarismus durch "auf Deutsch gesagt" eingeleitet. Armes Deutsch.

"Die Konsorten stürzten nur, weil sogar sie irgendwann die Unpopularität Robespierres erkannten."

Nö, die Popularität war denen völlig egal. Den Konsorten ging es um ihren Kopf. Sie standen nicht alle auf der Liste, aber niemand war sich sicher und so waren sie dann schließlich alle gegen ihn.

Das mit dem Krawattenverbot war scherzhaft gemeint, auch wenn ich dieses Ding sicher als einen Tiefpunkt der Bekleidungskultur ansehe.

Anonym hat gesagt…

@Str:
Okay, ich sehe schon durchaus Ihr Argument, daß alles, was eine Person als unerwünschte Charakterisierung ansehen kann, eine Beleidigung darstellt. Nur ist mir diese, sagen wir mal, postmodernde Emfpindsamkeit einigermaßen egal. Denn man kann mit ein bisserl schlechtem Willen dadurch alles und jedes zur Beleidigung stilisieren.

Insbesondere im Umgang mit Politikern sind andere Maßstäbe als mit kunstsinnig-kontemplativen Kurienkardinälen anzulegen (um einmal einen drastischen Unterschied zu präsentieren). Bei Politikern wurde vor einigen Jahren der Satz "Jörg Haider ist ein Trottel" vom Europäischen Gerichtshof als legitime Ausübung des Grundrechtes auf Redefreiheit ausdrücklich zugelassen, und dagegen ist "amoklaufender Levantiner" nun wirklich fast schon als liebevolle Streicheleinheit anzusehen.

Resident hat gesagt…

Nein, nicht alles was der andere als unangenehm empfindet ist gleich eine Beleidigung.

Auch der "Trottel" is nicht auf einer Ebene mit dem "Levantiner", weil Trottel eben nichts weiter aussagt als "Dummkopf" und wenn man das über Haider sagen will dann ist das ein direkter Ausdruck dafür.

Aber Sie wollten uns doch sicher nicht über die Herkunft des Kommissars belehren, vor allem da dies vorher schon präziser erledigt war. Das Problem ist nicht, daß Sie den Kommissar beleidigen sondern die Zyprioten ("Staatchen") und irgendeine Levantementalität suggerieren.

Mit postmodern hat das gar nichts zu tun. Eher schon Ihr Abschluß, der mich besonders nervt, da andernorts genauso gesprochen wird ... kommen Sie mir bitte, bitte nicht mit Redefreiheit. Die habe ich nicht in Frage gestellt und rechtlich gesehen können Sie schlimmer schimpfen wie ein Rohrspatz ... von mir aus, wenn es Ihnen Freude bereitet. Aber das Infragestellen wird man ja wohl auch noch dürfen.

Anonym hat gesagt…

@str:

Eher schon Ihr Abschluß, der mich besonders nervt, da andernorts genauso gesprochen wird

???

Welchen Abschluß meinen Sie denn jetzt, und wo ist "andernorts".

???

Und was das Infragestellen von Ihrer Seite betrifft: nun, selbstverständlich können und dürfen Sie das. Wie schon der gute alte Voltaire so treffend sagte: "Ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich ließe mich totschlagen dafür, daß Sie sie sagen dürfen" ...

Resident hat gesagt…

Mit Abschluß meinte ich:

"Denn bei der Freiheit der Meinungsäußerung bin ich eben recht unnachgiebig (siehe Mohammed-Karikaturen)"

Was mich nervt ist, das Sie mir gegenüber verteidigen, was nicht in Frage gestellt wurde. Ihr Recht sei Ihnen unbenommen.

In diesem Sinne stimme ich sogar mit dem alten, gar nicht so guten Voltaire überein (auch wenn ich ihm mißtraue, das er im Ernstfall sich nicht dran gehalten hätte ... schließlich hat er zur Intoleranz aufgerufen.)

Andernorts ist ein anderer Blog, wo Kritik an einem öffentlichen Meinungsbilder eben genau mit dem Hinweis auf (halb und ungenau zitierte) Grundgesetzartikel und die Meinungs(äußerungs)freiheit. Ihre Schuld ist das natürlich nicht, aber daher nervt es mich.

Anonym hat gesagt…

@Str:
Fürwahr ein schöner Abaschluß dieses Threads. Und lassen Sie mich Ihr Genervt-sein mit einem Psalmzitat beantworten:

"Dimitte iram et relinque furorem, noli contendere ut malefacias" ("Steh ab vom Zorn und laß den Grimm, entrüste dich nicht: es führt nur zum Bösen.") (Ps. 36)

:-)