Donnerstag, 2. Juli 2015

Hundert notwendige Gedichte XXVIII — Hans Carossa (2)

Der Katzenliebhaber LePenseur konnte an diesem meisterhaften Gedicht nicht vorbeigehen, ohne es in seine Sammlung aufzunehmen:


An eine Katze

Katze, stolze Gefangene,
Lange kamst du nicht mehr.
Nun, über dämmerverhangene
Tische zögerst du her,

Feierabendbote,
Feindlich dem emsigen Stift,
Legst mir die Vorderpfote
Leicht auf begonnene Schrift,

Mahnst mich zu neuem Besinnen,
Du so gelassen und schön!
Leise schon hör ich dich spinnen
Heimliches Orgelgetön.

Lautlos geht eine Türe.
Alles wird ungewohnt.
Wenn ich die Stirn dir berühre,
Fühl ich auf einmal den Mond.

Woran denkst du nun? An dein Heute?
Was du verfehlt und erreicht?
An dein Spiel? Deine Jagd? Deine Beute?
Oder träumst du vielleicht,

Frei von versuchenden Schemen
Grausamer Gegenwart,
Milde teilzunehmen
An der menschlichen Art,

Selig in großem Verzichte
Welten entgegen zu gehn,
Wandelnd in einem Lichte,
Das wir beide nicht sehn?


Der Dichter-Arzt Carossa schrieb einmal über ein kleines, todkrankes Kätzchen die einfühlsamen Worte: 
»Noch vorgestern hatte man es achtlos weggeworfen; jetzt dachte aber niemand daran, es durch schnelle Tötung zu erlösen; jeder fand nur, daß es ein reizendes Kätzchen sei, und wußte einen Rat, ein Mittelchen, um es zu heilen. Als wäre es durch sein Leiden in göttliche Nähe gerückt, hatte man fast Ehrfurcht vor ihm, besonders die Kinder.
Und wirklich war etwas Besonderes an der Haltung der kleinen Katze, etwas kaum Beschreibliches, das sie über ihren Zustand erhöht, eine Art Stolz, ein Bewußtsein ihrer angeborenen wilden Anmut, welche der Tod wohl nach und nach abtragen oder zertreten, aber keineswegs beugen konnte.
Wie es vom eigenen Elend wegblickend, sich bemühte, seinem Wesen treu zu bleiben, wie es, schon von der Vernichtung geschüttelt, seine Würde behielt und die feine Neigung des Köpfchens nicht aufgab, dies war es, was alle sicherlich viel stärker ergriff als das Leiden selbst. 
Welche zarte — und doch zurückhaltende, nie sentimental wirkende — Feinfühligkeit in Betrachtung und Beschreibung!






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