Dienstag, 28. Juli 2015

Warum es keinen Grexit gab

Mit dieser Frage beschäftigt sich Prof. Dilger auf seinem ganz allgemein lesenswerten Blog, in einem kurzen, doch ebenfalls lesenswerten Artikel, an dem LePenseur eigentlich nur die stilistisch verfehlte »um ... zu«-Konstruktion im Schlußsatz
Jedenfalls hat er gepokert, als wenn er einen Plan B hätte, um dann völlig einzuknicken.
zu bemängeln wüßte. Das hat Dilger zwar schon der alte Geheimrat von Goethe vorgemacht (über die letzte Begegnung mit Friedrich von Schiller: »... und so schieden wir vor seiner Haustüre, um uns nie mehr wiederzusehen«) — aber erstens ist Goethe nun mal Goethe (wer so viel große Meisterwerke geschrieben hat, der darf sich gelegentlich auch eine Schludrigkeit erlauben), und andererseits haben uns die Germanisten (zur Ehrenrettung des Olympiers) ja längst beflissen nachgewiesen, daß durch diesen scheinbaren Fehler vielmehr in stilistischer Raffinesse »... das Wirken des von oben waltenden, zwingend vorherbestimmenden Schicksals« angedeutet werden sollte. Uff, Goethe hat da noch mal Glück gehabt ...

Interessanter freilich als Prof. Dilgers Artikel selbst ist ein bemerkenswertes Kommentar-Posting von »Peter V.«, das nicht im Orkus eines Kommentar-Threads so einfach unterzugehen verdient:
“Ich bin gespannt, ob es nicht auch dazu später noch Enthüllungen geben wird, was seine wahren Motive waren.”
‘If you knew as a German politician that American intelligence agencies have been collecting intensively on 125 top-level politicians and officials over decades, you would recall some of the conversations you had in all these years and you would then understand that the United States has all those conversations, and that it could take down the Merkel cabinet any time it feels like it, by simply leaking portions of those conversations to journalists.’ – Assange in der englischen Edition von Spiegel Online.
Wobei das natürlich vergleichsweise harmlos ist. Stellen Sie sich vor, Sie sind griechischer Premier und man sagt Ihnen, Obama ist am Telefon. Da freuen Sie sich und denken sich: Na ja, der andere linke Spinner hilft mir jetzt im Schuldenstreit. Es ist dann aber gar nicht Obama, sondern ein Mitarbeiter der US-Regierung (also irgendein Profi) und der erzählt Ihnen, wie viel Ahnung die USA von ‘Regime Changes’, von Attentaten und von Folter haben. Sie wollen doch keinen Putsch, keinen Bürgerkrieg in Ihrem Land, sagt er. Keinen US-Einsatz, um das absolut unvorhergesehene Blutvergießen zu stoppen. Keine bedauerlichen Zwischenfälle wie den Tod Ihrer Frau und das Verschwinden Ihres Kindes in irgendeinem Vergewaltigungscamp im Irak. Deshalb werden Sie den harten Unterhändler spielen, aber am Ende alles schlucken, was man Ihnen in Brüssel auf den Tisch legen wird. Die Massenmedien, die sechs Familien gehören, werden alles so drehen, dass es in Ordnung ist. Auf keinen Fall wollen wir die D-Mark zurück. Das würde den US-Dollar unattraktiv machen. Die Schrottwährung Euro muss unbedingt Bestand haben, ansonsten sind wir am Ende. Und jetzt schmeißen Sie ihren Finanzminister raus.
Das sind natürlich völlig an den Haaren herbeigezogene Ideen. So etwas kann schon deswegen nicht passieren, weil Putin so ein Gespräch aufnehmen und veröffentlichen würde. Tsipras ist einfach ein naiver Feigling und dumm, insbesondere europhil. Mehr Motive gibt es da nicht. Mit dem Plan hätte man drohen können, er war also bloße Verhandlungsmasse, welche dann allerdings gegenstandslos wurde:
“Jedenfalls hat er gepokert, als wenn er einen Plan B hätte, um dann völlig einzuknicken.”
Die griechischen Planungen gingen von zwei Fehlannahmen aus. Erstens dass Berlin niemals einen Grexit riskieren würde (entweder falsch oder sehr überzeugend geblufft) und zweitens dass Griechenland durch Primärüberschuss auf eigenen Beinen würde stehen können. Der Primärüberschuss war natürlich weg, als ein Sozialist an die Macht kam, was Sozialisten aber nicht erwarten oder nachvollziehen können. Der Spieltheoretiker hatte sich also verzockt.
Tatsache ist dass die Griechen auch Hakenkreuzflaggen küssen würden, um im Euro zu bleiben. Erwarten Sie von denen nichts, außer Varoufakis macht eine eigene Partei auf und wirbt offen für einen Grexit. Ich rechne nicht damit.
Prof. Dilger mahnt ihn (ganz beamteter Wissenschaftler und der Rechtsordnung verbundener Staatsbürger) natürlich sofort:
Warum schreiben Sie solche verschwörungstheoretischen Sachen, wenn Sie selbst nicht daran glauben? Können Sie sich an irgendwelche Datenleaks durch die US-Regierung erinnern? Herr Snowden hat riesige Datenmengen gegen den Willen der US-Regierung veröffentlicht. Halten Sie das auch für einen geheimen Plan der Regierung selbst? Es zeigt allerdings, wie gefährlich solche Datensammelei ist.
Diese Replik allerdings verrät, daß der sicherlich hochintelligente Professor Dilger den Punkt in dieser Argumentation nicht verstanden hat, oder (was ich für weitaus wahrscheinlicher halte) nicht verstehen wollte, weil er ihn nicht verstehen durfte: nein, Herr Professor, die USA brauchen kein »Datenleak«, um einen abhängigen Politiker zu erpressen (und nicht abhängig von dieser Weltmafia sind eigentlich nur die Russen und Chinesen, mit vielen Einschränkungen vielleicht noch die »großen« BRICS-Staaten wie Brasilien und Indien)! Die USA tun das ganz einfach exakt so, wie Snowdon es in dem Interview gesagt hat — indem sie mit einem Datenleak drohen. Wie es auch höchst plausibel ist — oder gäbe es sonst irgendeine plausible Erklärung für den peinlichen Eiertanz, den die Regierung Merkelstans rund um den NSA-Abhörskandal veranstaltet? Eine wirklich souveräne Regierung müßte doch längst die sie bespitzelnden »besten Verbündeten« mit gestrecktem Mittelfinger aus Deutschland gejagt haben ...

Da mit zunehmender Intensität aus Washington die Stimmen kamen, die einen Euro-Ausstieg Griechenlands als »nicht hilfreich« (um Muttis Diktion zu verwenden) bezeichneten, und sich darein so langsam Töne der Ungeduld mit den widerspenstigen Piefkes mengten, war es also nur wenig verwunderlich, daß zuletzt Tsipras (angeblich), und die Deutschen (tatsächlich) einknickten.

»Peter V.« ist nur in einem Punkt zu widersprechen: Putin würde so ein Gespräch vermutlich mithören können, keine Frage — aber würde er es deshalb veröffentlicht haben? Wohl kaum. Derlei »Granaten« hebt man sich für einen entscheidenden Augenblick auf. Doch der ist nicht gegeben, wenn eine Regierung Tsipras durch eine konzertierte Medienkampagne gestürzt werden kann (und die NATO, natürlich nur aus edelsten Motiven, einen Bündnis[über]fall daraus konstruieren könnte). Nein, Putin ist nicht blöd. Eher die, die jetzt glauben, daß der Grexit (so richtig er aus ökonomischen Gründen a.s.a.p. wäre) auch nur einen Moment vor einem sich abzeichnenden Big Bang kommen wird. Denn bis dahin gilt für unsere Politruks das »Prinzip Hoffnung«. Die Hoffnung auf einen weiteren Verbleib an den Schalthebeln (oder doch wenigstens den gut gefüllten Futtertrögen) der Macht.

Diesen bisher auch tatsächlich exakt so eingetretenen Verlauf jetzt als »verschwörungstheoretische Sachen« diffamieren zu wollen, ist natürlich bequem und karriereschonend (ohne daß ich Prof. Dilger da unedle Motive unterstellen möchte — aber wer eine staatlich dotierte Professur annimmt, der weiß natürlich, daß er bisweilen ein Lied anzustimmen hat, das sein Brotgeber gerade zu hören wünscht). Nur — ist es deshalb auch richtig ...?

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